Spurensuche zur ersten Weltreise des Menschen

Wüste

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2020 in der Kategorie Geowissenschaften veranschaulichte Felix Henselowsky, was er in seiner Promotion erforscht hat.


Heutige Wüsten in Nord-Afrika spielten eine Schlüsselrolle für die Verbreitung unserer Spezies in die Welt.

Es ist heiß. Sehr heiß. Die Sonne brennt auf der Haut bei annähernd 40 Grad im Schatten in einer der trockensten Wüste unserer Erde. Wir befinden uns in der ägyptischen Ostwüste und blicken hinein in eine äußerst karge Landschaft. Fast lebensfeindlich wirkt dieser Ort. Doch warum haben unsere frühen Vorfahren vor mehr als 120.000 Jahren diese Region aufgesucht? Um dieser Frage nachzugehen, haben wir uns als interdisziplinäres Forschungsteam mit Forschenden der Geographie und Archäologie auf den Weg gemacht, das Geheimnis dieser Landschaft zu entdecken. Hiermit verbessern wir das Verständnis unserer Menschheitsgeschichte und wichtige Aspekte sind hierbei aus meiner Dissertation heraus entstanden. Tropfsteinablagerungen geben Hinweise auf feuchtere klimatische Bedingungen vor mehr als 80.000 Jahren. Kalksteinlandschaften mit einem guten Zugang zu Rohmaterial für die Herstellung von Steinwerkzeugen boten dem Menschen in der Vergangenheit einen attraktiven Lebensraum.

In den weiten Regionen der ägyptischen Ostwüste finden sich zahlreiche archäologische Artefakte auf der Oberfläche. Geländebegehungen dienen zur Informationsbeschaffung, doch können diese aufgrund der großen räumlichen Ausdehnung der Flächen nur punktuelle Informationen liefern. ©Felix Henselowsky

Die prähistorische Ausbreitung des modernen Menschen von Afrika nach Europa erforscht seit 2009 der Sonderforschungsbereich 806 „Unser Weg nach Europa“ (gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft) an den Universitäten Köln, Bonn und Aachen. Der Ursprung des Menschen auf dem afrikanischen Kontinent und die anschließende Verbreitung über die gesamte Erde ist anhand von Fossilien und genetischen Untersuchungen in den letzten 40 Jahren bereits etwas besser erschlossen. “Die Details und Umstände zur Ausbreitung des Menschen in ihrer zeitlichen und räumlichen Dynamik sind in vielen Fällen jedoch noch weitestgehend unerforscht”, so Prof. Dr. Jürgen Richter, Leiter des Sonderforschungsbereichs an der Universität Köln: „Wir möchten das grundsätzliche Bild der Menschheitsgeschichte anhand von konkreten archäologischen, geologischen und geographischen Befunden besser erfassen“. Interdisziplinäre Forschungsteams aus diesen drei beteiligten Fachdisziplinen beleuchten in regionalen Teilprojekten in Ost- bis Nordafrika, der Levante bis hin nach Südwesteuropa die Verbreitung des Menschen über den europäischen Kontinent.

Ausgangspunkt für das Projekt in Nordost-Afrika ist die Fundstelle Sodmein Cave in Ägypten. Hier sind archäologische Funde mit einem Alter von über 120.000 Jahren bekannt. Zeitlich fallen diese in eine erste große Ausbreitungsphase des modernen Menschen von Afrika nach Eurasien. Die Höhle befindet sich etwa 20 km Luftlinie entfernt zur Küste des Roten Meers nahe der Hafenstadt Quesir. Nur die wenigsten Urlauber in dieser Region werden wissen, was für eine wichtige Rolle die heutige Wüste abseits des belebten Küstenstreifens für die Menschheitsgeschichte gespielt hat: Die ägyptische Ostwüste führt über die Sinai Halbinsel als einzige Landbrücke zwischen dem afrikanischen und eurasischen Kontinent.

Die extreme Trockenheit in dieser Region limitierte jedoch die Besiedlungsmöglichkeiten auch in der Vergangenheit.  Ein wichtiges Ziel der Forschung ist daher die Erfassung von klimatischen Veränderungen. Ein sehr seltenes Klimaarchiv in Wüsten bilden in diesem Zusammenhang Tropfsteinablagerungen. Unterschreitet der Jahressniederschlag einen Schwellenwert von etwa 200-300mm / Jahr – was etwa der Hälfte des heutigen jährlichen Niederschlags in Berlin entspricht – findet kein Tropfsteinwachstum mehr statt. Aktuell ist das Wachstum von Tropfsteinen in der ägyptischen Ostwüste bei nahezu fehlenden Niederschlägen ausgeschlossen. Im Rahmen des Forschungsprojekts haben wir erstmalig solche Ablagerungen in Nordostafrika im direkten Kontext zu den archäologischen Fundstellen bearbeitet. Durch die Existenz dieser Ablagerungen und unter Berücksichtigung der geomorphologischen und hydrologischen Gegebenheiten können die Tropfsteine belegen, dass es in der Vergangenheit Phasen mit deutlich höheren Niederschlägen gab.

Mit Hilfe der Thorium-Uran-Datierungsmethode werden Tropfsteinablagerungen zeitlich eingeordnet. Dabei wird sich zunutze gemacht, dass sich das ursprüngliche Verhältnis von Thorium- und Uran-Isotopen während der Ablagerung durch den radioaktiven Zerfall von Uran in Thorium im Laufe der Zeit verändert. Letztlich werden somit Zeiten mit erhöhten Niederschlägen und das damit einsetzende und endende Wachstum von Tropfsteinen in der Vergangenheit erfasst. Alle datierten Proben im betrachteten Raum fallen in den Zeitraum von 130.000 bis 80.000 Jahre vor heute. Genau zu dieser Zeit lebte auch der Mensch in der Region, wie unsere archäologischen Befunde belegen.

Auffällig ist, dass die Zeiten erhöhter Niederschläge nicht ausschließlich in Phasen bereits bekannter überregionaler Feuchtphasen liegen. Vielmehr gibt es Indizien, für regionale feuchtere Phasen für Zeiten, die bislang als trockener angesehener wurden. Dies erlaubt neue Einblicke in die regionale Klimageschichte. Die feuchteren Klimaphasen im nördlichen Afrika werden übergeordnet von der nördlichen Verschiebung des afrikanischen Monsuns gesteuert. Die ägyptische Ostwüste ist zusätzlich durch die Nähe zum Roten Meer im Osten und dem Mittelmeer im Norden im Einfluss von zwei weiteren wichtigen Niederschlagsquellen.

Beprobung von Tropfsteinablagerungen zur Rekonstruktion von feuchteren klimatischen Verhältnissen. Kleine Bohrkerne von 2 cm Durchmesser werden im Labor anhand ihrer Isotopenzusammensetzung charakterisiert und geben uns Rückschlüsse auf das Alter ihrer Entstehung. ©Felix Henselowsky

Doch ist die Besiedlung des Raumes einzig durch die verbesserten klimatischen Bedingungen zu erklären? Selbstverständlich müssen weitere landschaftliche Faktoren in Betracht gezogen werden, etwa: Welche Landschaftseinheiten beherbergen die größtmögliche Vielfalt an Ressourcen? Wo gibt es die beste Verfügbarkeit von gutem Rohmaterial zur Herstellung von Steinwerkzeugen? Wo steht ausreichend Wasser und Nahrung zur Verfügung?

Die geomorphologische Auswertung von hochaufgelösten Satellitenbildern und dreidimensionalen Geländemodellen erbrachte im Umfeld der Sodmein Cave mehr als 20 potentielle alte Geländeoberflächen, die für weitere archäologische Funde in Frage kämen. Durch Veränderungen von Flussläufen liegen diese Flächen heute leicht erhöht in der Landschaft und sind so vor der Erosion bei seltenen Abflussereignissen des Wadis geschützt. Auf den Gesteinsfragmenten dieser Oberflächen konnte sich im Laufe der Zeit ungestört ein Wüstenlack entwickeln. Ein feiner Überzug aus Eisen und Mangan färbt die Gesteine im Lauf der Zeit dunkel. So lassen sich diese älteren Oberflächen auf den Satellitenbildern gut von jüngeren Landschaftsformen unterscheiden.

Während der Geländearbeiten ist das Vorkommen von Feuersteinknollen, die zur Herstellung von Steinwerkzeugen genutzt werden konnten, im Umfeld dieser Flächen eine wichtige Beobachtung. Dies stellt neben der Wasserverfügbarkeit eine weitere wichtige Ressource für den Menschen dar. Feuerstein ist an spezielle Gesteinsvorkommen gekoppelt. In diesem Fall sind es mehr als 40 Millionen Jahre alte Kalksteinablagerungen. Die Erosion dieser Gesteine und die sekundäre Ablagerung in Form von Flussschotter-Flächen ermöglichte den Menschen einen sehr guten Zugang zu diesem Rohstoff. Die Abschlagstechnik zur Herstellung dieser Steinwerkzeuge deutet auf ein Alter von mehr als 100.000 Jahren für diesen Werkzeugtyp hin. Dies korreliert gut mit den erfassten feuchteren klimatischen Veränderungen. Somit bildete das Vorkommen von Rohmaterial einen weiteren Faktor für die Attraktivität dieser Region als Lebensraum für den Menschen.

Die leicht erhöhten Flächen im ausgetrockneten Flussbett sind vor fluvialer Erosion geschützt und heben sich durch die dunklere Oberfläche von ihrer Umgebung ab. Sie sind ein seltenes Archiv der ehemaligen Landoberfläche im Umfeld der Sodmein Cave. ©Felix Henselowsky

Dennoch sind diese punktuell gewonnenen Informationen von den Geländearbeiten vor Ort räumlich betrachtet nur ein Tropfen auf dem heißen Stein für die großen Fragen zur Wanderungsgeschichte des Menschen. Weiter ausgedehnte Geländearbeiten sind nicht zuletzt durch die politische Situation der vergangenen Jahre und dem mangelnden Zugang für Forschende in die Region erheblich erschwert. Wie kann dennoch ein übergeordnetes Bild zur landschaftlichen Vielfalt und räumlichen Attraktivität des heutigen Ägyptens – immerhin mehr als doppelt so groß wie Deutschland – als Station auf der großen Weltreise des Menschen entstehen?

Computerbasierte Analysen mit Hilfe von geographischen Informationssystemen integrieren die räumlichen Datensätze der gewonnenen Geländebefunde in einen größeren räumlichen Kontext. Die Auswertung und Berechnung dieser Daten hat eine Vielzahl neuer paläogeographischer Karten für Ägypten hervorgebracht. Ein Beispiel ist die Verschneidung von geologischen Kartierungen zum Vorkommen des so wichtigen Feuersteins mit der Berechnung von ehemaligen Fluss-Einzugsgebieten.

In dieses rekonstruierte Landschaftsbild fließen ebenfalls die Erkenntnisse aus den konkreten Geländebefunden zur Attraktivität der Region mit ein. Frisches Wasser in Flussniederungen, ökologisch günstige Landschaften mit ausreichendem Nahrungsangebot, und qualitativ hochwertige Feuersteinvorkommen waren letztlich dafür verantwortlich, dass der Mensch seine Wanderung von Afrika nach Eurasien bewältigt hat. Die räumliche Verbreitung dieses Landschaftstyps in der Vergangenheit ist durch die modellierten Daten für ganz Ägypten erarbeitet. Die ägyptische Ostwüste sticht dabei mit überdurchschnittlich häufigem Auftreten des attraktiven Lebensraums heraus und zeigt sich durch ihre große landschaftliche Vielfalt als lebenswerte Region für den prähistorischen Menschen. Das gleißende Sonnenlicht und die Ödnis aus Steinen und Staub, in der wir uns heute vor Ort wiederfinden, lässt uns dies nur schwer vorstellen.

Doch warum ist es für uns alle spannend, dies zu erforschen und davon zu berichten? Es kann eben genau einer unserer eigenen direkten Vorfahren gewesen sein, der mit seiner Familie vor vielen Jahrtausenden durch diese Landschaft gezogen ist.


Felix Henselowsky wurde 1990 in Kempen geboren. Das Studium der Geographie (Bachelor of Science, 2009-12) sowie Quartärforschung und Geoarchäologie (Master of Science, 2012-14) erfolgte an der Universität zu Köln. Die anschließende Doktorarbeit mit dem Titel “Early Late Pleistocene environments in Northeast Africa and their relevance for Anatomically Modern Human dispersal” wurde im Rahmen des Sonderforschungsbereich 806 „Our Way to Europe“ ebenfalls in Köln abgeschlossen. Aktuell ist er als Postdoktorand am Geographischen Institut der Universität Heidelberg beschäftigt.

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