Maggie Simpson auf der Golden Gate Bridge

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2021 in der Kategorie Physik veranschaulichte Christopher Taudt, was er in seiner Promotion erforscht hat.


Die Produktion von elektronischen Geräten und deren Bauteilen hat zwei wesentliche Herausforderungen: Energieeffizienz und Leistungssteigerungen. Eine neue Messtechnik erfasst Größe und Oberflächenbeschaffenheit von Einzelteilen solcher Geräte im Nanometerbereich. Sie ist schnell, erhöht die Produktqualität und hilft damit die beiden Herausforderungen zu meistern.

Anflug auf San Francisco:  Die Golden Gate Bridge ist zunächst klein, aber deutlich zu erkennen. Nach und nach werden mehr Details sichtbar. Später, beim direkten Vorbeiflug, kann man sogar Autos und Fußgänger erahnen. Während eine Folge „The Simpsons“ noch auf dem Monitor läuft, kommt der Wissenschaftler in mir ins Grübeln. Angenommen die Simpsons-Familie spaziert auf der Brücke. Könnte ich gleichzeitig die Größe von Maggie, welche das kleinste Familienmitglied ist, und die Entfernung zum Flugzeug messen? Dieses Verhältnis zwischen dem sogenannten Messbereich und der Auflösung heißt Dynamikbereich und spielt in der Messtechnik eine zentrale Rolle. Außerdem ist die Frage wesentlich für meine Forschungsarbeiten und der Grund, warum ich in San Francisco erste Ergebnisse mit Kollegen auf einer Konferenz diskutieren möchte.

Mit einem Zollstock misst man typischerweise bis zu zwei Meter große Gegenstände. Für sehr kleine Gegenstände ist er jedoch ungeeignet. Dafür reicht die Einteilung der Skala – die Auflösung – nicht mehr aus. Mit einem Messschieber kann man viel genauer messen doch nur bis zu einer Gesamtgröße von zwanzig Zentimetern. Der Dynamikbereich der allermeisten Messgeräte ist sehr klein und durch ihre Bauart festgelegt. Selbst die allerbesten Mikroskope, welche selbst kleinste Unterschiede auf der Oberfläche eines Haares sichtbar machen, können nicht gleichzeitig die Größe des Kopfes bestimmen, auf dem dieses Haar wächst. Diese Einschränkung ist vor allem bei der Überprüfung von sehr kleinen Bauteilen in der industriellen Produktion ein Problem.

Die Welt im Kleinstformat

Alle elektronischen Geräte funktionieren nur mit dutzenden Halbleiterbauteilen wie Transistoren, Prozessoren und Speicher. Wir nehmen diese Bauteile nur als unscheinbare schwarze Würfel auf Leiterplatten wahr – dabei ist ihr innerer Aufbau äußerst komplex. Sollen Handys immer dünner und Laptops immer energiesparender sein, muss die Funktion eines solchen Bauteils mit unterschiedlichen Materialien kompakt aufgebaut werden. Auf einer Fläche mit der Größe eines Fingernagels entsteht eine komplexe Struktur, die vergleichbar mit einer Stadt aus Legosteinen ist. Gebäude, Straßen und Kabelverbindungen werden nach einem Bauplan konstruiert und Schicht für Schicht in die Höhe gezogen. Allerdings im Kleinstformat: Das höchste Gebäude der Stadt ist nicht größer als der Durchmesser eines Haares. Um nicht erst am Ende dieses Städtebauprojekts herauszufinden, dass etwas nicht funktioniert, möchte man jeden Schritt kontrollieren. Alle Abmaße, die Dicken von transparenten Schichten sowie die Eigenschaften aller Materialien müssen ständig überprüft werden. Dazu ist Messtechnik nötig, die sehr schnell, sehr große Bereiche analysiert. Selbstverständlich möchte man dabei nicht ständig zwischen Zollstock, Messschieber und Mikroskop wechseln müssen. Viel besser wäre also ein Messgerät für alle Fälle, eines mit einem hohen Dynamikbereich.

In den vergangen Jahren haben einige Wissenschaftler an diesem Problem gearbeitet. Ein besonders vielversprechendes Verfahren ist die Interferometrie. Dabei wird das Licht einer Quelle in zwei Teilstrahlen getrennt. Ein Teilstrahl legt eine bekannte Strecke zurück, während der Andere eine durch eine Probe minimal veränderte Strecke zurücklegt. Im Bild der Legostadt würde also der erste Strahl bis auf den Boden reichen und der zweite Strahl auf eine oder mehrere Schichten Legosteine treffen, die auf den Boden gestapelt sind. Am Ende werden beide Teilstrahlen überlagert. Beobachtet man diese überlagerten Strahlen, kann man den Unterschied der beiden Teilstrecken messen. Dieses Prinzip nutzte man bisher, um Gegenstände zu messen, deren kleinsten Größen etwa bei einem Hundertstel eines Haares, also bei etwa 1000 Nanometer, liegen.

Experimente, Enttäuschungen und Euphorie: der Kreislauf der Forschung

Nun stand ich vor der Herausforderung, mithilfe dieses bereits bekannten Verfahrens einen Weg zu finden, noch deutlich kleinere Größen messen zu können ohne den Messbereich einzuschränken. Eine meiner Ideen: Ich veränderte die bekannte Teilstrecke des Lichtes derart, dass die Zeit, die für diese Strecke benötigt wird, für jede Wellenlänge – also für jede Farbe – anders ist. Man spricht auch von der Dispersion des Lichts. Durch den Einsatz eines speziellen Messgeräts, des Spektrometers, ist diese Verbindung von Dispersion mit der Zeit zum Passieren der Teilstrecke präzise erfassbar. Die Dispersion wird also zum Träger der Höheninformation. Durch die geschickte Wahl der Dispersion kann man sowohl den Messbereich als auch die Auflösung einstellen.

Die ersten Berechnungen zu dieser Idee zeigten, dass sich damit die Auflösung deutlich steigern lässt. Meiner anfänglichen Euphorie folgte allerdings eine scheinbar unendlich lange Zeit des Tüftelns im Labor. Schließlich musste ich einen Apparat bauen, mit dem sich diese Idee überprüfen lässt. Es ist Geduld und Fingerspitzengefühl nötig, denn selbst wenn alles genau eingestellt ist, ist das Gerät sehr empfindlich. Ein leichter Luftzug oder das Atmen in der Nähe einzelner Komponenten reicht bereits aus, um die Messung zu beeinflussen. Nach den ersten Experimenten stellte sich leider schnell Ernüchterung ein. Die Ergebnisse zeigten, dass man mit diesem Verfahren zwar schon sehr viel genauer messen kann, aber auch, dass das alte Problem weiter besteht. Je genauer die Messung ist, desto kleiner wird der Messbereich. Außerdem gab es noch ein zweites fundamentales Problem: Man misst zwar sehr präzise an einem einzelnen, sehr kleinen Punkt, aber für eine echte Anwendung muss an vielen Stellen gemessen werden, am besten entlang einer Linie. Wenn nun im Experiment eine Probe unter dem Messpunkt entlang bewegt wird, ist in erster Linie das Auf und Ab des Schlittens zu sehen, der die Probe bewegt. Die eigentlich interessante Information – nämlich das Höhenprofil der Probe – ist gar nicht sichtbar. Aus der Arbeit an einem Problem sind also zwei neue entstanden.

Plakative Darstellung eines Interferenzbildes mit weißem Licht © Christopher Taudt

Mit Mathematik zum Durchbruch

Durch intensive Arbeit an den Grundlagen der Messmethode und den mathematischen Modellen fand ich schließlich eine mögliche Lösung für das erste Problem. Die Berücksichtigung der einzelnen Wellenlängen hatte bereits zu einem präzisen Ergebnis geführt. In meinem neuen Ansatz beachte ich nun zusätzlich die exakte Helligkeit einer bestimmten Wellenlänge. Die Helligkeit dieser Wellenlänge verändert sich selbst bei kleinsten Höhendifferenzen. Diese Veränderung lässt sich noch genauer messen als die Wellenlänge selbst. Außerdem ist sie nicht mehr an den absoluten Messbereich gebunden. Das Ergebnis der ersten Berechnungen zur möglichen Auflösung stürzte mich erneut in Euphorie. Ich erkannte, dass ich nicht nur das Grundproblem des festen Dynamikbereichs lösen könnte. Zusätzlich sollte es auch möglich sein, Größen zu messen, die etwa eine Million Mal kleiner sind als ein Haar. Das ist so klein wie der Radius mancher Atome! Am liebsten wäre ich sofort ins Labor gerannt um das zu überprüfen. Doch zunächst musste ich ja noch das zweite Problem lösen. Wie kann man so genau an mehreren Punkten gleichzeitig messen? Schlussendlich habe ich dazu ein spezielles Spektrometer entworfen und gebaut. Es funktioniert ähnlich wie eine Kamera und misst die Wellenlängen und deren Helligkeit an jedem kleinsten Bestandteil des Messpunktes einzeln. Wenn ein Messpunkt nun einen Durchmesser von einigen Millimetern hat, ist dieser Durchmesser gleich der Länge, über die man am Schluss ein Höhenprofil messen kann. In der Legostadt wird man also die gesamte Skyline auf einmal messen können.

Laboraufbau eines Interferometers mit plakativ herausgearbeitetem Strahlenverlauf aus weißem Licht © Christopher Taudt

Mit den Simpsons ins Weltall

Mit diesen Ideen konnte ich den Messapparat erweitern und Experimente an standardisierten Proben mit bekannten Höhenprofilen durchführen. Durch eine statistische Auswertung der gemessenen Höhenprofile habe ich tatsächlich bewiesen, dass die berechneten kleinen Größen messbar sind, während ein großer Dynamikbereich erhalten bleibt. Statt zwischen Zollstock, Messschieber und Mikroskop zu wechseln, ist es nun möglich gleichzeitig die Größe einzelner Legosteine und die von ganzen Gebäuden zu messen. Außerdem dauert die Messung eines Profils nur den Bruchteil einer Sekunde. Für die Herstellung von Halbleiterbauteilen ist das ein großer Vorteil. Die Kontrolle direkt während der Herstellung bedeutet nicht nur weniger Ausschuss. Probleme lassen sich auch früher erkennen und beheben. Sowohl die Herstellung als auch der Betrieb der Bauteile werden damit nachhaltiger.

Beispiel Messergebnis einer 100 nm hohen Stufe (links simuliertes Signal und rechts gemessenes Signal) © Christopher Taudt

Das von mir entwickelte Messverfahren hat letztendlich einen derart großen Dynamikbereich, dass ich nicht nur vom Flugzeug aus Menschen auf der Golden Gate Bridge sehen könnte. Würde ich mit der ISS die Erde umkreisen, so könnte ich die Distanz bis zur Golden Gate Bridge bestimmen, während ich gleichzeitig messe, dass Maggie Simpson mit ihren 65 cm Größe auf der Brücke unterwegs ist.


Christopher Taudt ist ein neugieriger Problemlöser. Er studierte Maschinenbau an der Westsächsischen Hochschule Zwickau sowie am Institute of Technology Sligo (Irland). Im Rahmen seiner Dissertation an der TU Dresden hat er sich mit der Entwicklung und Charakterisierung eines optischen Messsystems zur schnellen, nanometer-präzisen Bestimmung der Oberflächeneigenschaften von technischen Bauteilen in der Halbleiterindustrie beschäftigt. Aktuell ist Herr Taudt Post-Doc und Gruppenleiter am Fraunhofer-Anwendungszentrum für Optische Messtechnik und Oberflächentechnologien (AZOM) Zwickau.

2 Kommentare

  1. Christopher Taudt schrieb (10. Feb 2022):
    > Beispiel Messergebnis einer 100 nm hohen Stufe (links simuliertes Signal und rechts gemessenes Signal) © Christopher Taudt

    … als Bildunterschrift des letzten Bildes im obigen SciLogs-Beitrag.

    In diesem Bild https://scilogs.spektrum.de/klartext/files/Bild2-2.png ganz rechts ist die Skala der dargestellten Farbcodierung, die genau vom Wert 0 bis zum Wert 1 reicht, mit

    > I/I_0 [a.U.]

    beschriftet.

    Warum ausdrücklich [a.U.], insbesondere zusammen mit den exakten Werten der Skala   ??

    (Zeigt das Diagramm nicht womöglich die Farb-codierten Werte einer ausdrücklich separat definierten und Punkt für Punkt ermittelten skalierten bzw. normierten Größe “(I/I_0)_{skal}“, die anhand ihrer Definition genau den Wertebereich [0 ... 1] hat ?)

  2. Von der Messabsicht her erinnert mich das hier beschriebene Verfahren etwas and die HDR-Photographie, also die High Dynamic Range Fotographie, welche Details sowohl in recht dunklen als auch Details in recht hellen Bereichen des Bildes sichtbar macht, indem sie die lokalen Unterschiede innerhalb des hellen oder des dunklen Bereichs bewahrt, den globalen Unterschied zwischen hellen und dunklen Arealen aber vermindert. Allerdings basiert die HDR-Photographie lediglich auf einem Berechnungsverfahren, welches die Rohdaten neu „arrangiert“ und nicht auf einer veränderten Messmethodik wie hier beschrieben.

    Die hier beschriebene interferometrische Methode scheint den Phasenunterschied von Wellen einer bestimmten Länge voll auszunutzen indem sie sehr genaue Helligkeitsmessungen macht. Das geht natürlich weit über das hinaus, was heute in der Fotographie zum Einsatz kommt und man kann wohl mit Fug und Recht sagen: so etwas wird ein Fotoamateur oder Privatmann nie tu Gesicht bekommen. Doch ganz sicher kann man sich hier doch nicht sein, gilt doch: Sag niemals nie.

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