Lost in transl[ice]tion zwischen Simulation und Satellit

Eisscholle

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2020 in der Kategorie Geowissenschaften veranschaulichte Clara Burgard, was sie in ihrer Promotion erforscht hat.


Eine neue Methode ermöglicht eine verlässlichere Fehlersuche in Simulationen des arktischen Klimas.

©Clara Burgard

Eis, soweit das Auge reicht. Eine Eisbärenmutter läuft mit ihren zwei Jungen durch das Bild. Bei ihrem Anblick flüchtet ein paar Meter weiter entfernt eine Robbe in Todesangst durch ein Loch ins eiskalte Wasser. So stellen wir ihn uns vor, den sagenumwobenen arktischen Ozean und seine gefrorene Oberfläche, das Meereis. Doch diese malerische Landschaft verändert sich derzeit schnell, eine direkte Folge des Klimawandels. Seit Anfang der Satellitenaufzeichnungen Ende der 1970er Jahre ist die sommerliche Meereisausdehnung um mehr als 40% geschrumpft. Mit anderen Worten: Wäre die Meereisausdehnung um 1980 so groß wie Deutschland gewesen, wären jetzt Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen verschwunden. Schaffen wir es nicht, unseren Ausstoß von Treibhausgasen drastisch zu reduzieren, könnte der arktische Ozean in einigen Jahrzehnten im Sommer komplett eisfrei sein.

So sollte sie klingen, die Kernbotschaft des Vortrags, den ich heute für eine Gruppe von britischen Student*innen um „half four“ halten wollte. Doch jetzt stehe ich um halb vier hier alleine, kaum ahnend, dass die Gruppe den Vortrag erst in einer Stunde eingeplant hat, weil Briten „half four“ als halb fünf übersetzen. Ironisch, dass ausgerechnet mir so ein Missverständnis durch einen Übersetzungsfehler passiert, wo ich in meiner Forschung doch ähnliche Missverständnisse verringern will.

Natürlich geht es in der Meereisforschung nicht um Übersetzungsfehler zwischen „herkömmlichen“ Sprachen wie Deutsch und Englisch. Bei uns geht es um unterschiedliche Arten, Informationen über das arktische Meereis zu interpretieren. Zum Beispiel, wenn wir mittels Computersimulationen des Klimas die vergangene und zukünftige Entwicklung des arktischen Meereises untersuchen. Um abzuschätzen, wie vertrauenswürdig diese Klimasimulationen sind, vergleichen wir sie regelmäßig mit Satellitenmessungen aus dem All. Das Problem dabei ist, dass Simulation und Messung nicht die gleiche Sprache „sprechen“. Computersimulationen bilden anhand von physikalischen Gleichungen den arktischen Klimazustand ab. Satelliten messen eine von der Erdoberfläche emittierte elektromagnetische Strahlung. Wie können wir dann trotzdem Simulation und Messung vergleichen?

Ein verbreiteter Ansatz, um diese „Sprachdifferenz“ zu überwinden, besteht bisher darin, die Satellitenmessung erst einmal in die „Sprache“ der Klimasimulation zu „übersetzen“. Um die gemessene elektromagnetische Strahlung in eine Meereisbedeckung zu „übersetzen“, die dann mit der simulierten Meereisbedeckung verglichen werden kann, wurden in den letzten Jahrzehnten verschiedene Algorithmen entwickelt. Eine Schwäche dieser Algorithmen ist aber: Die Strahlung, die den Satelliten im All erreicht, hängt neben der Meereisbedeckung auch von anderen klimatischen Eigenschaften, wie der vertikalen Zusammensetzung der Eisschollen, bestimmten Eigenschaften der eisfreien Ozeanoberflächen und dem Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre, ab. Diese Eigenschaften werden allerdings nicht simultan zur Strahlung gemessen. Jeder Algorithmus baut diesen fehlenden Kontext anhand von statistischen und experimentell ermittelten Annahmen unterschiedlich nach. Das führt dazu, dass die resultierenden Angaben zur Meereisbedeckung auseinanderklaffen. Für uns ist dann unklar, mit welcher dieser verschiedenen „übersetzten“ Meereisbedeckungen wir unsere simulierte Meereisbedeckung vergleichen sollen…

Nehmen wir einmal an, der Satellit würde Deutsch sprechen, die Simulation Englisch und es ginge gar nicht um Klima. Die Satellitenmessung ergibt „Ein Paar geht zur Bank.“. Da stellt sich die Übersetzer*in die Frage: Handelt es sich bei dieser „Bank“ um ein Geldinstitut oder eine Sitzgelegenheit? Ohne weiteren Kontext würde der Übersetzungsalgorithmus von Messung zu Simulation vielleicht eher zur Sitzgelegenheit tendieren („A couple walks to the bench“), weil statistisch gesehen Paare öfter auf einer Bank sitzen, als dass sie zusammen eine Bank betreten. Würde die Simulation aber „A couple walks to the bank“ ergeben, würden wir also denken, dass sie etwas falsch berechnet oder falsche Annahmen beinhaltet. Das wäre ein Missverständnis und würde eine lange Suche nach einem Fehler nach sich ziehen, den es vielleicht gar nicht gibt.

Um solche Missverständnisse und „Fehlalarme“ zu vermeiden, schlagen wir einen alternativen Ansatz vor. Anstatt die Satellitenmessung in die „Sprache“ der Computersimulation zu übersetzen, möchten wir die Computersimulation in die „Sprache“ der Satellitenmessung übersetzen. Dafür entwickeln wir einen sogenannten Satellitensimulator. Dieser soll den gesamten simulierten Klimazustand, also sowohl die Meereisbedeckung als auch wichtige Eis-, Ozean- und Atmosphäreneigenschaften nutzen, um die elektromagnetische Strahlung zu berechnen, die ein theoretisch um die Simulationswelt fliegender Satellit messen würde. Damit sollen Missverständnisse wie beim bisherigen Ansatz im Vergleich zwischen Simulation und Messung vermieden werden. Aber was macht die Übersetzung von Simulation zu Messung verlässlicher als die bisher verwendete Übersetzung von Messung zu Simulation?

Kommen wir zurück zu unserem „Bank“-Beispiel. Hätte der Satellit andere Eigenschaften der Oberfläche wie Eisdicke („Hauskauf“) oder Oberflächentemperatur („Kredit“) messen können, hätte der Algorithmus vielleicht ermittelt, dass es sich bei der „Bank“ eher um ein Geldinstitut handelt. Unser Satellitensimulator ist weniger anfällig für Übersetzungsfehler, da die Klimasimulation, die übersetzt wird, genau diese Lücke schließt. Denn sie gibt die zusätzlichen Eigenschaften der Oberfläche wider, die den Meereiszustand im Kontext des gesamten arktischen Klimazustands einordnen. Anhand der simulierten, in sich konsistenten, Eigenschaften der Eis- und Ozeanoberfläche und der Atmosphäre kann der Satellitensimulator die Klimasimulation eindeutig in eine elektromagnetische Strahlung „übersetzen“. Vergleichen wir das Ergebnis der Übersetzung durch den Satellitensimulator („Ein Paar geht zur Bank“) mit der Satellitenmessung, stellt sich heraus, dass in diesem Beispiel beide eigentlich doch übereinstimmen und wir nicht nach einem Fehler in der Simulation suchen müssen. Stimmen allerdings Übersetzung und Messung immer noch nicht überein, ist eine nähere Überprüfung nötig, um mögliche Fehler ausfindig zu machen.

Wenden wir den von uns entwickelten Satellitensimulator nun auf Klimasimulationen an, verzeichnen wir gleich erste Erfolge! Der Vergleich zwischen „übersetzter“ und gemessener Strahlung zeigt zum Beispiel mögliche Fehler in der Darstellung von Schmelztümpeln in den Klimasimulationen auf. Diese großen Pfützen bilden sich im Sommer an der Eisoberfläche und sind für Algorithmen schwer zu ermitteln, da sie in Satellitenmessungen von eisfreien Ozeanflächen nicht unterscheidbar ist. Das führt dazu, dass die sommerliche Meereisfläche oft von Algorithmen unterschätzt wird und die Darstellung von Schmelztümpeln in Simulationen bis jetzt nur schwierig überprüft werden konnte. Können wir also durch diesen neuartigen Vergleich unser Verständnis der Verteilung und Entwicklung von Schmelztümpeln vertiefen, können auf langer Sicht sowohl Simulationen als auch Algorithmen verbessert werden.

Unser Satellitensimulator ist ein neues Hilfsmittel, um mögliche Fehler in Simulationen des arktischen Klimas zu identifizieren. Sind diese Fehler behoben, hoffen wir auf zuverlässigere Vorhersagen für die zukünftige Entwicklung des Meereises. Viel Zeit bleibt bei der aktuellen Entwicklung unseres Ausstoßes von Treibhausgasen nicht mehr, bis die Meereisdecke im Sommer ganz geschmolzen sein wird. Doch gerade jetzt sind Vorhersagen von Meereis so wichtig wie nie. Auf der einen Seite bietet der Rückgang des Meereises neuen Raum für Schiffsrouten. Da das restlich verbliebene Eis aber eine Gefahr für Schiffe darstellt, sind verlässliche Vorhersagen von entscheidender Bedeutung. Auf der anderen Seite kommt es durch den Rückgang der Meereisbedeckung zu erhöhtem Wärmeaustausch zwischen Ozean und Atmosphäre. Das könnte wiederum Ozean- und Atmosphärenströmungen beeinflussen, vermutlich sogar bis in unsere Breiten. Generell sind Zusammenhänge im globalen Klimasystem so komplex, dass die gesamten Folgen der arktischen Meereisschmelze noch gar nicht absehbar sind.

Forscher*innen aber auch politische und wirtschaftliche Akteur*innen verfolgen also mit regem Interesse die aktuellen und kommenden Veränderungen des arktischen Ozeans. Um diese Veränderungen und ihre Konsequenzen zu untersuchen, müssen Klimasimulationen immer weiter verbessert werden. Unser Satellitensimulator ist dafür eine wertvolle Stütze, indem er Missverständnisse in der Überprüfung dieser Klimasimulationen verringert. Ach ja, und bevor ich es vergesse: Missverständnisse kann man übrigens auch umgehen, indem man sich zur vollen Stunde mit einer Gruppe britischer Student*innen verabredet. Das erspart eine Menge Aufregung!

©Clara Burgard & Tobias Finn

Clara Burgard ist begeisterte Polarforscherin. Ihr Interesse für Polarregionen und Klimawandel führte sie aus ihrer Heimatsstadt Straßburg nach Köln, Hamburg und aktuell Grenoble, mit Zwischenaufenthalten in Spitzbergen und die USA. Sie möchte besser verstehen, warum genau und wie schnell das Eis in der Arktis und der Antarktis schmilzt und verwendet dafür vor allem Computersimulationen aber auch Satellitenmessungen. Inzwischen findet sie das Thema Wissenschaftskommunikation mindestens genauso wichtig wie die Forschung selbst und hat viel Spaß dabei!

2 Kommentare

  1. Zitat:

    [Vorschlag eines Satellitensimulators]. Dieser soll den gesamten simulierten Klimazustand, also sowohl die Meereisbedeckung als auch wichtige Eis-, Ozean- und Atmosphäreneigenschaften nutzen, um die elektromagnetische Strahlung zu berechnen, die ein theoretisch um die Simulationswelt fliegender Satellit messen würde.

    Ja, das ist vielversprechend, wenn der simulierte Klimazustand sehr nahe an wirklich existierende Klimazustände herankommt. Und so viel ich weiss, ist das heute der Fall.
    Damit liesse sich in einem weiteren Schritt aus dem vollen Spektrum der berechneten elektromagnetischen Strahlung das berechnen, was ein bestimmter Erdbeobachtungssatellit[ z.B. RADARSAT-2, TerraSAR-X, COSMO-SkyMed, ALOS-2, and Sentinel-1 SAR ] messen sollte. Denn jeder dieser Satelliten arbeitet ja nur in einem bestimmten Spektrumsbereich. Eventuell wäre es für einige zu interpretierende Beobachtungen ideal zwei oder gar mehrere dieser Satellitenmessungen zu benutzen, wobei die verwendeten Satelliten in verschiedenen Wellenlängenbereichen arbeiten würden. Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Phänomene damit besser herausgearbeitet werden können.

    • Ja, genau so ist das auf langer Sicht geplant. Es ist nur leider immer in der Praxis ein bisschen schwieriger als in der Theorie 🙂

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +