Kurze Lichtblitze mit nachhaltiger Wirkung

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2021 in der Kategorie Physik veranschaulichte Matthias Budden, was er in seiner Promotion erforscht hat.


Supraleitung – die Fähigkeit eines Materials, elektrischen Strom verlustfrei zu übertragen – kommt bislang nur bei extrem tiefen Temperaturen vor. Kurze Laserpulse könnten hier Abhilfe schaffen und erlauben Einblicke in die faszinierende Physik, die Supraleitung zugrunde liegt.

Im Frühjahr 1911 staunte Heike Kamerlingh Onnes nicht schlecht, als er Quecksilber mit Hilfe von flüssigem Helium auf frostige minus 269 Grad Celsius abkühlte: Der elektrische Widerstand des Materials war plötzlich vollständig verschwunden. Diese höchst sonderbare Eigenschaft wird Supraleitung genannt. Sie tritt unterhalb einer sogenannten Sprungtemperatur auf, die für viele Materialien nahe am absoluten Temperaturnullpunkt (-273°C) liegt. Mit dieser Entdeckung begann eine fieberhafte Suche nach immer neuen Materialien mit höheren Sprungtemperaturen, die bis heute anhält. Bei Normaldruck ist der aktuelle Rekordhalter eine Kupferoxid-Keramik, die schon bei „lauwarmen“ minus 130 Grad Celsius supraleitend wird. Zur Kühlung wird dafür kein flüssiges Helium, sondern nur noch deutlich günstigerer flüssiger Stickstoff benötigt.

Aber wozu der ganze Aufwand?

Ein verlustfreier Stromtransport bei Raumtemperatur ist für viele technologische Anwendungen sehr reizvoll: Wie bei einer Glühbirne, die hell leuchtet und sich aufheizt, wenn Strom durch den Glühdraht fließt, geht auch in unserem Stromnetz ein Teil der Energie als Wärme verloren. In Deutschland liegen diese Übertragungsverluste bei etwa 5% der gesamten Stromeinspeisung, was rund 25 Terawattstunden entspricht. Das ist mehr als der jährliche Stromverbrauch von Berlin und München zusammen. Diese Verluste sind insbesondere für die Energiewende ein wichtiger Faktor, da erneuerbarer Wind- und Solarstrom häufig weit transportiert werden muss.     

Es wird noch dauern, bis Supraleiter in gewöhnlichen Netzkabeln eingesetzt werden können, aber schon jetzt nutzt man supraleitende Spulen für die Erzeugung sehr starker Magnetfelder, zum Beispiel in Magnetresonanztomographen im Krankenhaus.

Supraleitung hat jedoch noch eine weitere verblüffende Eigenschaft: Der „Meißner-Ochsenfeld-Effekt“ sorgt dafür, dass unterhalb der Sprungtemperatur jedes Magnetfeld vollständig aus dem Inneren des Supraleiters verdrängt wird. Dies bewirkt beispielsweise, dass ein Magnet ohne weitere Stabilisierung auf seiner Oberfläche schweben kann. Mögliche Anwendungen reichen daher von neuartigen Magnetschwebebahnen über Sensoren, die winzige magnetische Felder messen können, bis zu Quantencomputern mit bislang unvorstellbarer Rechenleistung – wenn man doch nur nicht so aufwändig kühlen müsste!

Für die Entstehung von Supraleitung spielt das Kristallgitter und insbesondere seine Schwingungen eine wesentliche Rolle. Auf mikroskopischer Ebene, so weiß man mittlerweile, formen sich unterhalb der Sprungtemperatur Paare aus Elektronen, die sogenannten Cooper-Paare. Dies ist außergewöhnlich, da sich zwei negativ geladene Elektronen normalerweise abstoßen. Es braucht daher eine weitere Kraft, die diese Abstoßung überkompensiert. Diese Kraft kann aus der Wechselwirkung mit dem Kristallgitter entstehen, in das die Elektronen eingebettet sind. Vereinfacht kann man sich das so vorstellen: Wenn sich ein Elektron sehr schnell durch das Gitter aus positiv geladenen Atomkernen bewegt, werden die umgebenden Atomkerne von seiner negativen Ladung angezogen. Dadurch erzeugt das Elektron eine Spur positiver Ladungen hinter sich. Da Atomkerne viel schwerer und träger sind als Elektronen, bleibt diese Ladung eine kurze Zeit stabil, auch wenn das Elektron schon längst nicht mehr da ist. Diese positive Ladung kann schließlich ein zweites Elektron anziehen, wodurch die Reaktionskette vervollständigt wird. Zwischen den beiden Elektronen besteht eine indirekte, durch die dynamische Verformung des Atomgitters vermittelte, anziehende Wechselwirkung. Es liegt daher nahe, genau diese Gitterschwingungen von außen zu beeinflussen, um auf diesem Weg auch die Supraleitung zu kontrollieren.

Genau diesen Ansatz habe ich in meiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg verfolgt. Doch wie schafft man es ganz gezielt, an Atomen zu rütteln?       

Unser wichtigstes Werkzeug hierfür ist der Laser. Sein Licht ist monochromatisch, hat also eine definierte Farbe und somit einen eng bestimmbaren Energiebereich. Diesen können wir so einstellen, dass er genau der Energie einer bestimmten Schwingung des Atomgitters entspricht. Für typische Schwingungsfrequenzen eines Materials liegt dieser Energiebereich im langwelligen infraroten Spektrum, also dem der Wärmestrahlung.

Das Ziel unserer Experimente ist es also, mithilfe von infrarotem Laserlicht aktiv bestimmte Schwingungen im Material anzuregen. Durch diese künstlich erzeugten Schwingungen können dann exotische Materialzustände, wie die Supraleitung, gezielt herbeigeführt oder unterdrückt werden. Um dies genau zu beobachten, verwenden wir in sogenannten „Pump-Probe“-Experimenten nicht nur einen, sondern zwei Lichtblitze hintereinander: Der erste („Pump“-) Puls bringt das System aus dem Gleichgewicht (er „rüttelt“ also an den Atomen) und der zweite („Probe“-) Puls misst kurz darauf die veränderten Materialeigenschaften.

Da viele Prozesse auf atomarer und molekularer Ebene extrem schnell ablaufen, benötigen wir zur Beobachtung einen Laser, der ultrakurze Lichtpulse von etwa 100 Femtosekunden Dauer erzeugen kann. Zur Verdeutlichung: Ein Lichtblitz von einer Sekunde legt in dieser kurzen Zeit eine Strecke zurück, die etwa 7.5-mal um die Erde reicht. Im Vergleich dazu bringt es ein unvorstellbar kurzer 100-Femtosekunden-Lichtpuls nur auf eine Strecke von 30 Mikrometern, also etwa auf die Hälfte eines Haardurchmessers. Es ist also eher ein dünnes „Lichtscheibchen“ als ein Lichtstrahl. Mit solch ultrakurzen Lichtpulsen können wir, wie mit einer Kamera mit kurzer Belichtungszeit, „Schnappschüsse“ von den sehr schnell ablaufenden molekularen Vorgängen machen.

Schon 2016 gab es erste Hinweise dafür, dass kurze Pulse intensiven Infrarotlichts die Supraleitung in einem Material aus Kohlenstoffmolekülen in Fußballform (K3C60) stabilisieren können. Die Sprungtemperatur erhöhte sich deutlich – allerdings nur für kurze Zeit. Und kurze Zeit meint hier wenige Milliardstel einer Sekunde, also wenige Pikosekunden. Innerhalb dieser Zeitspanne ist es schwer möglich, aussagekräftige Experimente durchzuführen. Insbesondere der elektrische Widerstand einer Probe lässt sich in dieser Zeit nicht so einfach messen.

Lichtinduzierte Supraleitung © J. Harms, MPSD

Genau dies war der Ansatzpunkt meiner Forschung: Wäre es nicht möglich, die Lebensdauer des lichtinduzierten Zustands zu verlängern, wenn man das Material mit ähnlich intensiven, aber längeren, zeitlich einstellbaren Pulsen bestrahlt? Dies würde nicht nur zum Verständnis des Phänomens beitragen, sondern auch Experimente in elektrischen Schaltungen ermöglichen.   

Mehr als drei Jahre lang haben wir – mit diesem Gedanken im Hinterkopf – eine neuartige Laserquelle entwickelt, die hochintensive Lichtpulse im mittleren Infrarotbereich erzeugen kann. Das Besondere an diesem Laser ist, dass wir die Länge der Lichtpulse über einen weiten Bereich von etwa einer Pikosekunde bis zu einer Nanosekunde einstellen können, ohne deren Intensität zu verringern. Die dafür erforderliche enorme Energie wird in unserem Aufbau von Hochleistungs-Gaslasern geliefert, welche in der Industrie normalerweise zum Schneiden, Bohren und Schweißen von Bauteilen genutzt werden. Für unsere zeitlich hochauflösenden Pump-Probe-Experimente sind die Laserpulse gleichzeitig aber auch mit dem ultrapräzisen Rhythmus eines Femtosekundenlasers (dem „Probe“-Laser) synchronisiert.

Unsere Mühen haben sich gelohnt: Mit den neuen, längeren Lichtpulsen konnten wir in K3C60 eine fast 10.000-mal längere Lebensdauer des supraleitenden Zustands von mehreren Nanosekunden nachweisen – und das bei einer Temperatur, die fünfmal höher ist als die übliche Sprungtemperatur!

Außerdem konnten wir aufgrund dieser langen Lebenszeit zum ersten Mal den elektrischen Widerstand der Proben systematisch untersuchen. Bemerkenswerterweise fiel dieser unmittelbar nach der Bestrahlung auch bei Temperaturen deutlich oberhalb der Sprungtemperatur auf null.

Auch wenn ein vollständiges Verständnis der mikroskopischen Vorgänge noch fehlt, sind diese Ergebnisse neue Prüfsteine für die zahlreichen Theorien zu lichtinduzierter Supraleitung. Zusammen mit Forschern der University of Oxford in England haben wir in einem ersten Computermodell gezeigt, dass es prinzipiell möglich ist, oberhalb der Sprungtemperatur Cooper-Paare mit einer solchen Langlebigkeit zu erzeugen. In zukünftigen Experimenten können wir mit neuen Messmethoden, die erst durch diese deutlich verlängerte Lebensdauer einsetzbar sind, sicher noch viel über dieses Phänomen lernen: Lässt sich der Zustand noch länger stabilisieren? Können wir integrierte Schaltkreise entwickeln, die auf Knopfdruck bei hohen Temperaturen supraleitend werden? Was passiert bei anderen Materialien? Es bleiben viele spannende Fragen offen und eines steht fest: Die Suche nach Supraleitung bei Raumtemperatur geht weiter.

Laserlabor für Experimente zur lichtinduzierten Supraleitung. © J. Harms, MPSD

Matthias Budden studierte technische Physik in Ilmenau mit Forschungsaufenthalten in Liverpool (UK) und Berkeley (USA). Seit 2015 erforscht er am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg, wie Licht bei der Erzeugung komplexer Materialeigenschaften wie Supraleitung genutzt werden kann. Dafür entwickelte er einen leistungsstarken Infrarotlaser mit kontinuierlich einstellbarer Pulslänge.
Parallel zu seiner Promotion zum Thema „Metastable Light-Induced Superconductivity in K3C60” gründete er das Start-up WiredSense, das auf die sensitive Detektion von Infrarot- und Terahertzstrahlung und deren Anwendung in der Materialanalyse spezialisiert ist.

4 Kommentare

  1. Danke für Ihren interessanten Artikel. Ich möchte noch kurz anmerken, daß die Messung schwacher Magnetfelder mit dem sogenannten Josephson-Effekt durchgeführt wird.

    Gruß
    Rudi Knoth

  2. Wissenschaftlich interessant scheint mir vor allem die Frage wie Licht die Materialgeometrie und die elektromagnetischen Charakteristika des Materials in einer Art und Weise verändert, welche die Supraleitfähigkeit erhöht. Es ist ja auch bekannt, dass erhöhter Druck in vielen Materialien die Supraleitfähigkeit erhöht. Gibt es da eventuell einen Zusammenhang mit der verbesserten Supraleitfähigkeit durch Licht einer geeigneten Wellenlänge?

    Technisch scheint mir die lichtinduzierte verbesserte Supraleitfähigkeit interessant für die Realisierung von Schaltungen, die einen schnellen Übergang von Normalleitfähigkeit zu Supraleitfähigkeit ausnutzen.

    Die hier vorgestellte Forschung zeigt wieder einmal – so scheint mir – wie wenig die Hochtemperatur-Supraleitfähigkeit heute bereits verstanden ist.

  3. Matthias Budden (klartext) schrieb (03. Feb 2022):
    > […] Ein Lichtblitz von einer Sekunde legt in dieser kurzen Zeit eine Strecke zurück, die etwa 7.5-mal um die Erde reicht.

    Die Front eines Lichtblitzes (den eine Lichtquelle z.B. eine Sekunde lang ausgesendet hat) erreicht in einer Sekunde einen Empfänger in einer Entfernung, die dem Siebeneinhalb-fachen des Erdumfangs entspricht.

    > Im Vergleich dazu bringt es ein unvorstellbar kurzer 100-Femtosekunden-Lichtpuls nur auf eine Strecke von 30 Mikrometern […]

    Im Vergleich dazu erreicht die Front eines Lichtblitzes, den eine Lichtquelle 100 Femtosekunden lang ausgesendet hat, in einer Sekunde ebenfalls einen Empfänger in einer Lichtsekunde Entfernung.

    Allerdings:
    Die Front eines Lichtblitzes erreicht in 100 Femtosekunden einen Empfänger in 30 Mikrometern Entfernung von der Quelle;
    und falls die Quelle diesen Lichtblitz nur für lediglich 100-Femtosekunden ausstrahlte, dann wurde der Empfänger davon auch nur für (ungefähr) 100-Femtosekunden beleuchtet.

    > Es ist also eher ein dünnes „Lichtscheibchen“ als ein Lichtstrahl.

    p.s.
    > […] Auch wenn ein vollständiges Verständnis der mikroskopischen Vorgänge noch fehlt, sind diese Ergebnisse neue Prüfsteine für die zahlreichen Theorien zu lichtinduzierter Supraleitung.

    Wohl eher: “Prüfsteine für (zahlreiche)” bestimmte Modelle zu lichtinduzierter Supraleitung in Vielteilchensystemen, die sich mit Begriffen der Theorie der el.-mag. Wechselwirkung und der statistischen sowie Quantenmechanik aufstellen lassen.

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