Im tiefen Untergrund

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2023 in der Kategorie Geowissenschaften veranschaulichte Peter Haas, was er für seine Promotion erforscht hat.


Vor 250 Millionen Jahren waren die Erdkontinente in einer großen Landmasse vereint. Wie es damals im Erdinneren aussah, ist jedoch weitgehend unbekannt. Neue Satellitendaten verbessern unsere Erkenntnisse darüber, wie sich der Untergrund der Kontinente in Tiefen von mehr als 30 Kilometern zusammensetzt – und wie sich die Kontinente gebildet haben, die wir heute kennen.

Im Mesozoikum war die Erde kaum vergleichbar mit ihrer heutigen Erscheinung. Europa lag nahe dem Äquator und war subtropischen Bedingungen ausgesetzt, Dinosaurier waren die vorherrschende Spezies und die Kontinente, wie wir sie heute kennen, bildeten eine große Einheit: Gondwana. Diese Landmasse bedeckte ein Fünftel der gesamten Erdoberfläche und war damit zehnmal größer als das heutige Europa – ein wahrer Superkontinent. Das Aufbrechen von Gondwana hat maßgeblich bestimmt, wie sich die heutigen Kontinente an der Erdoberfläche verteilen und wie deren Erdkruste aufgebaut ist.

Die Erdkruste bildet die äußere Hülle des Erdkörpers und ist auf den Kontinenten meist 30 bis 40 Kilometer dick. In manchen Gebieten wissen wir jedoch nicht, wie mächtig die Erdkruste überhaupt ist. Das habe ich mir zum Anlass genommen und in meiner Doktorarbeit die Mächtigkeit der Erdkruste in abgelegenen Gebieten erforscht.

Für uns Geophysiker*innen ist unbekanntes Terrain kein Problem, sofern wir einen passenden Datensatz zur Verfügung haben. Solche Daten können wir mit speziellen Messgeräten auf der Erdoberfläche oder sogar aus der Luft sammeln. Doch woher bekommt man einen Datensatz, der der Größenordnung von Superkontinenten gerecht wird? Hierbei hilft ein etwa fünf Meter langer Satellit der European Space Agency (ESA).

Der GOCE-Satellit (Gravity and Ocean Circulation Explorer) wurde von der ESA in den Jahren 2009–2013 in die Erdumlaufbahn geschickt. Ziel war es, das Gravitationsfeld der Erde, also die Erdanziehungskraft, hochpräzise zu messen. Und das mit Erfolg: GOCE vermaß die Gravitation so genau, wie noch kein vergleichbarer Satellit zuvor. Mehr noch, GOCE konnte die Unterschiede der Gravitation sowohl zeitlich als auch räumlich abbilden. Dies war Grundlage für zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten über den Aufbau der Erde. Auch zehn Jahre nach Absturz des Satelliten verwenden Wissenschaftler*innen die gewonnenen Daten zur Charakterisierung der Erde. So wie ich in meiner Forschung.

Künstlerische Darstellung des Gravity field and steady-state Ocean Circulation Explorer (GOCE) Satellit im Orbit. GOCE vermaß zwischen 2009 und 2013 das Schwerefeld der Erde in einer bis heute unerreichten Präzision. © ESA-AOES-Medialab

In meiner Arbeitsgruppe Satellitengeophysik an der Universität Kiel erforschen wir auf Basis der Satellitendaten die Erdkruste. Der Schwerpunkt meiner Doktorarbeit lag dabei auf Kratonen. Dies sind die stabilen Kerne der Kontinente, und sie bilden mehr als die Hälfte der heutigen kontinentalen Landmasse. Erste Kratone entstanden bereits früh in der Erdgeschichte, etwa vor 4 Milliarden Jahren, als die Erde noch von einem Magma-Ozean bedeckt war. Mit dem zusätzlichen Wissen wie die Erdkruste von Kratonen aufgebaut sind, können wir die Formierung von Superkontinenten wie Gondwana besser verstehen.

Der westliche Teil Gondwanas bestand aus den Kratonen der Kontinente Südamerika und Afrika. Heute liegen diese Kratone unter anderem im Amazonas-Regenwald und in der Sahara-Wüste – in sehr entlegenen Bereichen beider Kontinente. Über die tiefe Erdkruste dieser Kratone ist besonders wenig bekannt. Hier kommen nun die Satelliten-Gravitationsdaten ins Spiel.

Geophysikalische Daten spiegeln die physikalischen Eigenschaften des Untergrundes wider. Bei Gravitationsmessungen ist die Dichte des Untergrundgesteins der maßgebliche Parameter. Ändert sich die Gravitation zwischen zwei benachbarten Messpunkten, muss sich die Gesteinsdichte im Untergrund verändern. Genau diesen Zusammenhang habe ich auf die Erdkruste angewendet. Als Ergebnis bekommt man ein Modell, das die gemessenen Satellitendaten sowie zusätzliche terrestrische Daten bestmöglich erklärt. Dafür habe ich eine spezielle Software entwickelt.

Die Herausforderung beim Erstellen der Software lag darin, dass sie flexibel und numerisch effizient arbeitet, damit sie auf verschiedenen Kontinenten angewendet werden kann. Schließlich sollten für die Doktorarbeit die Krustenmodelle für Südamerika und Afrika miteinander verglichen werden. Spannend war dabei den Prozess zu begleiten, ob die Software in der Lage ist, die Krustenstruktur, genauer gesagt die Mächtigkeit und die Dichte der Erdkruste, präziser abzubilden als bisherige Modelle.

Für die Kratone Südamerikas und Afrikas ergibt sich dabei ein erstaunliches Bild. Sowohl die Dichtestruktur, als auch die Krustenmächtigkeit variieren teilweise erheblich. Das wird durch einen Vergleich von zwei Kratonen deutlich. Haben wir für den Amazonas-Kraton unter dem Regenwald Brasiliens eine relativ flache Krustenmächtigkeit von 33 km, zeigt sich für den Kaapvaal Kraton im südlichen Afrika ein deutlich tieferer Wert von etwa 40 km. Diese nackten Zahlen mögen auf den ersten Blick nicht spektakulär wirken. Sie haben jedoch eine wichtige Bedeutung für die Entstehungsgeschichte der einzelnen Kratone. Um diese zu verstehen, müssen beide Kontinente gemeinsam betrachtet werden.

Krustendicke von Afrika und Südamerika, visualisiert in einer Plattenrekonstruktion vor 250 Millionen Jahren. Die Kratone beider Kontinente sind blau hervorgehoben. WA: West Africa, CO: Congo, KA: Kalahari, AM: Amazonia, SF: Sao Francisco. © P. Haas

Mit Hilfe von bestimmter Software können wir die Krustenmodelle beider Kontinente in der Zeit zurückverfolgen. Wir simulieren den Superkontinent Gondwana am Computer, indem wir Südamerika und Afrika wieder zusammenfügen – ein digitales tektonisches Puzzle. Für die Kratone Südamerikas und Afrikas ergibt sich dabei ein interessanter Zusammenhang: Die flache Kruste des Amazonas-Kraton wird über den südamerikanischen Kontinent auf afrikanischer Seite in den Westafrikanischen Kraton fortgeführt. Sie bilden eine zusammenhängende Struktur, die schon lange vor Gondwana als eigenständiger Kontinent existierte. Die wissenschaftliche Gemeinde streitet darüber, seit wann es diese Verbindung schon gibt und ob beide Kontinente seit ihrer Entstehung durchgehend vereint waren. Auch hierzu kann das Krustenmodell eine Antwort geben. Dafür müssen wir aber erst einen Blick in die Gegenwart werfen.

Das Aufbrechen eines Kontinents wird durch riesige Magmaflüsse geprägt, wobei Magma von unten in die Erdkruste eindringt. Diesen Vorgang kann man heutzutage live mitverfolgen: In Ostafrika wird durch tektonische Aktivität Erdkruste ausgedünnt, sodass sich das mehrere Tausend Kilometer lange Ostafrikanische Grabensystem ausgebildet hat. Als Folge dessen steigt Magma auf, das bis zur Erdoberfläche vordringen kann – Vulkane wölben sich auf. Ein Beispiel dafür ist das Kilimandscharo-Massiv in Tansania. Je mehr Magma involviert ist, desto stärker wird dabei die ursprüngliche Erdkruste ausgedünnt und durch dichteres Material aus dem Erdmantel ersetzt. Genau das ist damals in Gondwana passiert.

Der Amazonas-Kraton und der Westafrikanische Kraton zeigen eine relativ glatte Kruste mit wenig Dichteänderungen. Dies deutet auf eine geringe magmatische Aktivität hin. Das Aufbrechen Gondwanas war in diesem Bereich vermutlich durch wenig Magma begleitet und hatte daher nur geringen Einfluss auf die Stabilität beider Kratone. Das gleiche Szenario kann man für ältere Superkontinente annehmen. Daraus lässt sich schließen, dass die Verbindung beider Kratone schon länger bestanden haben muss und einige Zyklen der Plattentektonik überlebt hat.

Formation und Zerstörung von Kratonen machen nur einen Teil der Plattentektonik auf der Erde aus. Heute wissen wir, dass Plattentektonik nicht nur den für uns sichtbaren Teil auf der äußersten Erdhülle umfasst. Stattdessen ist die Bewegung tektonischer Platten und damit von Kratonen der oberflächliche Teil eines weitaus größeren Systems, das Massenbewegungen im Erdinneren sowie klimatische Veränderungen der Atmosphäre miteinschließt. Dieses Gesamtsystem bestimmt die Prozesse, die die heutige Erdoberfläche formen. Moderne Satellitendaten helfen dabei, diese Prozesse zu beobachten und sichtbar zu machen.

Südamerika und Afrika sind zwei wichtige Bestandteile des plattentektonischen Puzzles. Ich konnte in meiner Doktorarbeit zeigen, dass man mit Satellitendaten einen Blick in die gemeinsame Vergangenheit beider Kontinente werfen kann. Die unterschiedliche Krustenstruktur ihrer Kratone hilft nicht nur dabei alte Superkontinente wie Gondwana zu entschlüsseln. Sie liefert auch einen wichtigen Beitrag, um die Rolle des tiefen Untergrunds für gegenwärtige und zukünftige Plattentektonik besser zu verstehen.


Peter Haas studierte zunächst Geowissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt und wechselte zum Master an die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Dort promovierte er 2022 im Fachgebiet Satelliten- und Aerogeophysik. Die Plattentektonik lässt ihn bis heute nicht los. Seit März 2024 arbeitet er als Postdoktorand am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und entwickelt plattentektonische Modelle, die die massiven Magmavorkommen alter Vulkanausbrüche im nordöstlichen Atlantik erklären sollen.

1 Kommentar

  1. Peter Haas schrieb (29. Nov 2024):
    > […] Kratone[…] sind die stabilen Kerne der Kontinente, und sie bilden mehr als die Hälfte der heutigen kontinentalen Landmasse.

    > [… der] Kaapvaal Kraton im südlichen Afrika

    > […] Krustendicke von Afrika und Südamerika, visualisiert […] Die Kratone beider Kontinente sind blau hervorgehoben. WA: West Africa, CO: Congo, KA: Kalahari, AM: Amazonia, SF: Sao Francisco. © P. Haas

    Dass die Bezeichnung “Kaapvaal Kraton” nicht (ganz) einheitlich verwendet bzw. verstanden wird, ist z.B. in diesem Abschnitt des Deutsch-sprachigen Wikipedia-Fragments beschrieben und illustriert.

    Auch die Bezeichnung bzw. Grenzziehung (sofern überhaupt Sinn-voll möglich und darstellbar) insbesondere des “Kalahari Kraton” hat sich seit dieser Darstellung (datiert 2010) bis zur im obigen SciLog gezeigten Visualisierung offenbar deutlich verändert. …

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