HIV heilen – Aber wie?

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2023 in der Kategorie Biologie veranschaulichte Kristina Hopfensperger, was sie für ihre Promotion erforscht hat.


Unser Immunsystem verteidigt uns gegen Viren und andere Erreger. Aber wieso bekämpft es nicht alle Viren gleich gut? Wieso heilt eine Grippe vollständig, aber eine HIV-Infektion nicht? Das liegt unter anderem daran, dass sich HIV sehr gut vor dem Immunsystem versteckt. Wie schafft es das?

Stell dir vor du bist krank. So richtig krank. Mit Halsschmerzen, Fieber und Gliederschmerzen schleppst du dich zu deiner Ärztin. Sie bestätigt: Du hast eine echte Grippe, also eine Influenza-A-Virus Infektion. Du legst dich ins Bett und googelst: Was ist eigentlich ein Virus?

Viren sind im Grunde nur eine Hülle, in der das Viruserbgut und einige Virusproteine stecken. Trotzdem sind sie heimtückische Eindringlinge. Sie sind darauf spezialisiert, sich in gesunde Zellen zu schleusen und sie so umzuprogrammieren, dass diese neue Viren produzieren. Die infizierte Zelle setzt dann Hunderte bis Tausende neuer Viren frei, bevor sie an Erschöpfung stirbt. Die neuen Viren suchen nach weiteren manipulierbaren Zellen.  Der Zyklus beginnt von vorne.

Schema eines HI-Viruses: HIV besteht aus einer Virushülle, welche spezielle Hüllproteine enthält. In der Hülle befindet sich das Viruserbgut, sowie verschiedene Proteine die das Virus benötigt, um sich nach dem Einschleusen in eine Zelle effizient zu vermehren. Illustration: Kristina Hopfensperger

Zurück zu dir. Eine gute Woche liegst du nur im Bett. Dann fühlst du dich endlich besser. Dein Immunsystem hat den Kampf gegen das Virus gewonnen. Doch wie macht es das eigentlich?

Das Immunsystem besteht aus vielen Milliarden Immunzellen, die über das Blut- und Lymphsystem durch den Körper patrouillieren. Das Ziel des Immunsystems ist es, infizierte Zellen möglichst schnell zu töten, damit sie keine weiteren Viren freisetzen können. Das Ziel des Virus ist es, sich möglichst lange vor den Immunzellen zu verstecken, um sich ungestört zu vermehren. Trotz der Gefahr dürfen Immunzellen nicht wahllos töten. Sie würden fatale Schäden anrichten. Sie müssen also herausfinden, welche Zellen infiziert sind und welche nicht.

Dieser Prozess ähnelt einer Verkehrskontrolle. Die Körperzelle, die gerade durch die patrouillierende Immunzelle kontrolliert wird, muss beweisen, dass sie gesund ist. Dass sie nicht von einem gesuchten Kidnapper, wie z.B. einem Virus, beherrscht wird. Um zu prüfen, ob sich in der Körperzelle ein Virus versteckt, müsste die Immunzelle allerdings ins Innere der Körperzelle blicken. Da Zellen aber nicht einfach das Autofenster herunterkurbeln können, hat das Immunsystem eine andere Strategie entwickelt. Die Körperzelle kehrt ihr Inneres nach außen. Mit Hilfe einer Gruppe von Spezialproteinen, präsentiert die Körperzelle einen Teil ihres Inhalts auf ihrer Oberfläche. Diese Präsentationsproteine tragen den sehr abstrakten Namen „Humanes Leukozyten Antigen“, kurz HLA.

Fast alle menschlichen Zellen besitzen tausende Kopien dieser HLA-Präsentationsproteine. Und es gibt verschiedene Arten. Die Wichtigsten heißen HLA‑A, HLA-B und HLA-C. Diese HLA-Präsentationsproteine werden im Zellinneren zufällig mit Proteinbruchstücken beladen und anschließend zur Oberfläche transportiert. Einmal beladen hält jedes HLA-Protein quasi stolz sein Bruchstück hoch, damit es alle gut sehen können. Ist eine Körperzelle infiziert, werden so auch Virusbruchstücke auf der Zelloberfläche präsentiert.

Zurück zur Verkehrskontrolle. Streng kontrolliert die Immunzelle die HLA-Präsentationsproteine der Körperzelle auf Auffälligkeiten. Da! Ein Virusbruchstück. Die Immunzelle ist alarmiert. Sie tötet die infizierte Körperzelle sofort, bevor diese weitere Viren freisetzen kann. Anschließend setzt die Immunzelle wachsam ihre Patrouille bei benachbarten Körperzellen fort.

HLA-Präsentationsproteine werden im Zellinneren mit Proteinbruchstücken beladen und an die Oberfläche transportiert. In gesunden Zellen werden körpereigene Proteinbruchstücke auf die HLA-Proteine geladen. Diese aktivieren das Immunsystem nicht. Im Gegensatz dazu präsentieren die HLA-Proteine auf infizierten Zellen auch Virusbruchstücke. Sie werden von Immunzellen erkannt. Die infizierte Zelle wird getötet. Illustration: Kristina Hopfensperger

Mit dieser ausgeklügelten Methode besiegt das Immunsystems die meisten Virusinfektionen. Doch manche Viren können das System unterlaufen. Mich fasziniert vor allem das Humane Immundefizienz-Virus, kurz HIV. HIV ist eines der „erfolgreichsten“ Viren weltweit. Seit seiner Entdeckung 1983 hat es fast 85 Millionen Menschen infiziert. Das Tückische an HIV ist, dass man es nie wieder loswird. Das liegt zum einen daran, dass HIV sein Viruserbgut in das Erbgut der Zelle einbaut. Dort kann es Jahrzehnte überdauern und die Produktion neuer Viren anregen. Zum anderen versteckt sich HIV außergewöhnlich gut vor dem Immunsystem.

HIV verhindert, dass infizierte Zellen während einer Kontrolle durch eine Immunzelle entlarvt und getötet werden, indem es einen Großteil der HLA-Präsentationsproteine von deren Zelloberfläche entfernt. Die Logik dahinter: Wenn keine Präsentationsproteine auf der Oberfläche sind, können sie auch keine Virusbruchstücke präsentieren und so Immunzellen alarmieren. Diese Regulation der HLA-Menge auf der Oberfläche von HIV-infizierten Zellen ist sehr wichtig für das Überleben des Virus. So wichtig, dass HIV zwei verschiedene Virusproteine verwendet, um diese Funktion zu erfüllen. Das „Virus Protein U“ (kurz Vpu) entfernt HLA-C Präsentationsproteine von der Oberfläche infizierter Zellen. Ein anderes Virusprotein, genannt „Negative Regulatory Factor“ (Nef), entfernt HLA-A und HLA-B.

Zu Beginn meiner Doktorarbeit am Institut für molekulare Virologie des Universitätsklinikum Ulm war bereits bekannt, wie Nef die Präsentationsproteine HLA‑A und HLA-B loswird. Nef gaukelt der infizierten Zelle vor, die Präsentationsproteine seien Abfall, der nicht mehr benötigt wird. Die Zelle zerkleinert die Proteine deshalb, um deren Grundbausteine zu recyclen. Sie ahnt nicht, dass sie so dem Virus hilft. Noch nicht bekannt war jedoch, wie Vpu das HLA-C Präsentationsprotein von der Zelloberfläche fernhält. Nutzt es eine ähnliche Strategie wie Nef? Oder hat es eine andere Methode entwickelt?  Meine Aufgabe war es diese Wissenslücke zu schließen.

Zusammen mit kanadischen Kollegen habe ich herausgefunden, dass Nef und Vpu unterschiedlich arbeiten. Im Gegensatz zu Nef, fördert Vpu nicht den Abbau des HLA-C Präsentationsproteins. Stattdessen manipuliert Vpu den Transport von HLA-C in der Zelle. Da Immunzellen nicht ins Innere einer Körperzelle blicken, sondern nur deren Oberfläche kontrollieren, können HLA-Präsentationsproteine Immunzellen auch nur alarmieren, wenn sie auf der Oberfläche sind. Wenn HIV HLA-C also im Inneren der Zelle festhält, ist es nutzlos. Genau diese Strategie verfolgt Vpu.

Nun gibt es jedoch nicht nur ein Humanes Immundefizienz-Virus, sondern Millionen verschiedene HI-Virusvarianten. HIV sprang von Affen auf den Menschen über. Dies geschah mindestens sechs Mal. Die dabei entstandenen HIV-Stämme unterscheiden sich. So haben Viren, die zum Typ 1 gehören (HIV-1), das bereits erwähnte Virale Protein U (Vpu). Dieses Protein fehlt jedoch in Viren des Typs 2 (HIV-2). Wenn HIV-1 jedoch Vpu verwendet, um das HLA-C Präsentationsprotein von der Zelloberfläche zu entfernen, was macht dann HIV-2?

Affenvorläuferviren wurden bereits dreizehn Mal auf den Menschen übertragen. Dabei entstanden unterschiedliche HI-Virusvarianten. Zweimal wurde ein Affen-Immundefizienz-Virus von Schimpansen und Gorillas auf den Menschen übertragen. So entstanden die sogenannten HIV-1 Viren. Zusätzlich übertrugen Rußmangaben, eine kleinere Affenart, ihr Affen-Immundefizienz-Virus mindestens neunmal auf den Menschen. Allerdings waren nur zwei dieser Immundefizienz-Viren auch von Mensch zu Mensch übertragbar. Die Viren dieser Abstammung werden als HIV-2 Viren bezeichnet. Illustration: Kristina Hopfensperger

Mit meiner Arbeit habe ich gezeigt, dass auch HIV-2 HLA-C von der Oberfläche infizierter Zellen entfernt. Nur verwendet es hierfür nicht Vpu, sondern ein anderes Virusprotein: den „Virus infectivity factor“ (Vif). Ähnlich wie Vpu hält auch Vif das HLA-C Präsentationsprotein in der Zelle fest und verhindert, dass es auf die Oberfläche gelangt. Infizierte Zellen werden so seltener vom Immunsystem entdeckt. HIV kommt davon.

HIV-Infektionen sind heute gut behandelbar. HIV-positive Personen haben eine normale Lebenserwartung. Sie müssen jedoch ihr Leben lang Medikamente nehmen. In Zukunft möchte man HIV-Infektionen nicht nur behandeln, sondern heilen. Doch um HIV zu besiegen, müssen alle infizierten Zellen im Körper einer Person getötet werden. Um dies zu erreichen ist es wichtig Medikamente zu entwickeln, die Immunzellen beim Abtöten infizierter Zellen unterstützen.

Ich habe herausgefunden, dass sowohl Vpu als auch Vif HLA-C Präsentationsproteine in der Zelle festhalten, um die Präsentation von Virusbruchstücken auf der Zelloberfläche zu verhindern. So verhindert HIV, dass infizierte Zellen durch Immunzellen erkannt und getötet werden. Meine Ergebnisse können nun als Grundlage dienen, um neue Medikamente zu entwickeln, die verhindern, dass HIV HLA-Präsentationsproteine manipuliert. Dank der Medikamente würden dann wieder mehr Virusbruchstücke auf der Oberfläche von infizierten Zellen präsentiert. Immunzellen könnten infizierte Zellen wieder leichter erkennen und abtöten. Die Medikamente könnten so helfen HIV-Infektionen zu heilen.


Kristina Hopfensperger studierte Molekulare Medizin an der Universität Ulm. Im Bachelor absolvierte sie ein Praktikum im HIV-Labor des Instituts für Molekulare Virologie Ulm. Die Manipulation des menschlichen Immunsystems durch das HI-Virus faszinierte sie so sehr, dass sie darüber ihre Master- und Doktorarbeit schrieb. Nach ihrer Promotion 2021 wechselte Kristina Hopfensperger an die Universität Tübingen. Ziel ihr aktuelles Forschungsprojekts ist, bisher unbekannte Proteine zu entdecken, die HIV manipuliert, um dem Immunsystem zu entgehen und sich erfolgreich zu vermehren.

Neben ihrer Arbeit im Labor studierte Kristina Hopfensperger berufsbegleitend Journalismus an der Freien Journalistenschule Berlin. Das erworbene Wissen nutzt sie als Fachjournalistin und Wissenschaftskommunikatorin. Virologische und medizinische Themen erklärt sie allgemeinverständlich auf ihrem persönlichen Blog www.immunologisch.org und dem immuno.logisch Instagram-Kanal.

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