Giftige Gräser – Eine Gefahr für Weidetiere?

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2021 in der Kategorie Biologie veranschaulichte Veronika Vikuk, was sie in ihrer Promotion erforscht hat.

Auch Gräser können giftig sein – unter bestimmten Voraussetzungen. Einige Gräser beherbergen einen Pilz, der Weidetieren zum Verhängnis werden kann. Wir haben untersucht, unter welchen Voraussetzungen der Pilz Giftstoffe produziert und in welchen Gräsern er überhaupt vorkommt. Die Ergebnisse tragen dazu bei, Weidetiere zu schützen.

Epichloë Pilz auf Grashalmen © Veronika Vikuk

Betrunkene Schafe, die orientierungslos über die Weide torkeln und zu Tode stürzen. Rinder bei denen Gliedmaßen absterben und die mit erhöhtem Speichelfluss Linderung im Schatten suchen. Diese Vergiftungssymptome traten bei vielen Tieren in Neuseeland, Australien und den USA auf. Lange rätselten Wissenschaftler was die Ursache der Vergiftung sein könnte. Nach einer detaillierten Spurensuche wurde ein Pilz als Übeltäter entlarvt. Der lateinische Name dieses Pilzes lautet Epichloë spp. Der Pilz ist verwandt mit dem Mutterkornpilz, der Getreide verunreinigen kann und bekannt ist giftige Substanzen herzustellen. Er lebt innerhalb von Gräsern (endophytisch), das heißt von außen sieht man nicht, ob ein Gras mit dem Pilz infiziert ist oder nicht. Für das Gras hat die Pilzinfektion Vorteile: Es verträgt mehr Trockenheit und kann mehr Biomasse produzieren. Außerdem schützt der Pilz durch seine Giftstoffe, den sogenannten Alkaloiden, das Gras vor Fraßfeinden, z.B. Weidetieren. Die Stoffe können aber auch auf Insekten giftig oder abwehrend wirken. Der Pilz bekommt im Gegenzug Unterkunft und Nahrung von der Graspflanze. Es ergibt sich eine klassische Win-win Situation für Gras und Pilz. Biologen bezeichnen solche Beziehungen zwischen zwei Organismen als Symbiose.

Diese Symbiose zwischen Epichloë Pilzen und Gräsern kommt ursprünglich aus Europa. Von Massenvergiftungen wurde bisher aber hauptsächlich aus Australien, Neuseeland und den USA berichtet. Weshalb kam es vor allem dort zu diesen Problemen? Ein Blick in die Geschichte dieser Länder gibt Aufschluss darüber. Die ersten Siedler brachten Grassamen mit in die Neue Welt, um ihre Viehhaltung auch dort fortzusetzen. Sie suchten dafür die robustesten Grassorten aus. Dazu zählten auch an Trockenheit angepasste Sorten, die mit dem Epichloë Pilz infiziert waren. Damals wusste man noch nichts von diesem Pilz und von außen sieht man es der Graspflanze nicht an. In den USA; aber auch Neuseeland und Australien wurde seit längerer Zeit die Viehhaltung sehr intensiv betrieben und Weiden zum Teil nur mit einer einzigen Grasart, sogenannten Monokulturen, bepflanzt. Dadurch konnte sich der Pilz gut verbreiten und Weidetiere vergifteten sich beim Grasen. Auch finanziell hatte der Pilz große Auswirkungen für die Farmer. James Strickland, ein US-amerikanischer Epichloë Forscher, schätzte 2011 die finanziellen Verluste der Rinderindustrie in den USA durch Epichloë -Pilz Vergiftungen auf ca. 1 Milliarde Dollar pro Jahr. Bei einem Gesamtjahresumsatz der Rinderindustrie in den USA 2011, laut dem US Landwirtschaftsministerium, von ca. 62 Milliarden Dollar im Jahr, relativiert sich die Zahl zwar etwas. Vergessen sollte man allerdings auch nicht, dass neben dem finanziellen Schaden die Tiere auch unter den Vergiftungen leiden.

Da die Symbiose aber ursprünglich aus Europa kommt, stellt sich natürlich die Frage: Wie groß ist die Gefahr in Europa? Gibt es hier auch Massenvergiftungen? Bisher gibt es tatsächlich nur einzelne Vorkommnisse bei Weidetieren, aber keine Berichte über massenhafte Vergiftungen. Allerdings ist das Thema auch nicht so gut erforscht, wie in den Ländern, in denen es schon zu Problemen kam.

Hier setzte unser Forschungsteam vom Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie an der Universität Würzburg an. Wir wollten herausfinden, welche Gräser überhaupt in Deutschland mit dem Epichloë Pilz infiziert sind, welche der Pilze Giftstoffe produzieren können und wie hoch das Vergiftungsrisiko für Weidetiere ist. Mehr als 100 verschiedene Grasarten können mit verschiedenen Epichloë Pilzen infiziert sein. Aber längst nicht alle Epichloë Pilze können auch Giftstoffe produzieren. Für die Produktion der Alkaloide sind verschiedene Gene und Herstellungsschritte notwendig, ähnlich wie bei einem Backrezept. Alle Schritte müssen nacheinander abgearbeitet werden und alle „Zutaten“ vorhanden sein, um am Ende das fertige Alkaloid zu produzieren. Die Epichloë Pilze unterscheiden sich in den vorhandenen Genen und Herstellungswegen. Insgesamt können vier verschiedene Alkaloidgruppen hergestellt werden. Diese Stoffe unterscheiden sich wiederum in ihrer Giftigkeit. Einige sind giftig für Weidetiere, andere für Insekten. Manchen Epichloë Pilzen fehlt eine „Zutat“ d.h. ein Gen, um überhaupt ein giftiges Alkaloid herzustellen. Ob dies der Fall ist, lässt sich anhand der verschiedenen Alkaloid-Gene abschätzen. Sind alle Gene eines Herstellungsweges vorhanden, kann das Alkaloid hergestellt werden. Fehlt eine „Zutat“, geht das nicht.

Für unser Forschungsvorhaben wählten wir 13 verschiedene Grasarten aus, die häufig auf Weiden vorkommen und in der Landwirtschaft verwendet werden, aber auch Wildgräser, bei denen noch keine Infektionen nachgewiesen wurden. Wir sammelten die Gräser in drei Regionen in Deutschland: im Nordosten (Schorfheide-Chorin), in der Mitte (Nationalpark Hainich) und im Südwesten (Schwäbische Alb) Deutschlands. Die Grasflächen waren Teil der sogenannten Biodiversitäts-Exploratorien, einem deutschen Forschungsverbundprojekt, in dem verschiedene Wissenschaftler Grasland- und Waldflächen in den drei deutschen Regionen auf ihre biologische Vielfalt hin untersuchen. Anschließend überprüften wir mit Hilfe von molekularbiologischen Methoden, ob und welche Gene in den gesammelten Grasproben vorhanden waren und konnten so bestimmen, welche Gräser mit dem Pilz infiziert waren und welche nicht. Anhand der vorhandenen Gene konnten wir außerdem vorhersagen, welche Giftstoffe der Pilz produzieren könnte. In einem zweiten Schritt untersuchten wir die infizierten Proben mit Hilfe von analytischen Methoden und konnten so die tatsächlich produzierten Alkaloide nachweisen und die Konzentrationen bestimmen. Auf diese Weise kamen wir einer genaueren Einschätzung des Vergiftungsrisikos einen Schritt näher

Viele unserer untersuchten Grasarten waren nicht mit einem Epichloë Pilz infiziert, bzw. die Pilze produzierten keine weidetiergiftigen Alkaloide. In Neuseeland und Australien ist vor allem der Epichloë Pilz, der im Deutschen Weidelgras (Lolium perenne) lebt verantwortlich für die Vergiftungen bei Weidetieren. In den USA ist es der Epichloë Pilz im Rohrschwingel (Festuca arundinacea). In den deutschen Rohrschwingel Proben waren keine Infektionen nachweisbar, wohingegen 15 Prozent der Deutschen Weidelgras-Proben infiziert waren. In den infizierten Deutschen Weidelgras-Proben entdeckten wir etwas Ungewöhnliches: Normalerweise kann der Pilz im Deutschen Weidelgras drei verschiedene Alkaloide herstellen: zwei weidetiergiftige und ein insektengiftiges Alkaloid. Wir fanden auch alle drei Herstellungswege. Aber beim Herstellungsweg eines der beiden weidetiergiftigen Alkaloide fehlte das Startgen. Es waren nicht alle „Zutaten“ für das fertige Alkaloid vorhanden. Der Pilz dürfte demnach nicht in der Lage sein das Alkaloid zu produzieren. Mit Hilfe von analytischen Methoden konnten wir zeigen, dass dieses Alkaloid tatsächlich nicht vom Epichloë Pilz in unseren Proben des Deutschen Weidelgrases hergestellt wurde. Der Herstellungsweg des zweiten weidetiergiftigen Alkaloids, Lolitrem B, war jedoch vollständig und wir konnten auch das Alkaloid selbst nachweisen. Lolitrem B ist zum großen Teil für die Vergiftungen der Weidetiere in Neuseeland und Australien verantwortlich. Lolitrem B könnte somit auch auf deutschen Weiden zur Vergiftungsgefahr werden.

Nun ist es wichtig zu wissen, dass die vom Epichloë Pilz produzierten Giftstoffe erst ab einer bestimmten Konzentration für Weidetiere oder Insekten giftig sind. Man spricht hier von sogenannten Giftigkeitsschwellen. Solange der Schwellenwert nicht überschritten wird, kommt es zu keinen Vergiftungserscheinungen. Ganz gemäß dem Spruch von Paracelsus: Die Dosis macht das Gift. Für Lolitrem B wiesen wir in einzelnen Weidelgras-Pflanzen Konzentrationen über dem Schwellenwert nach. Auf Populationsebene, das heißt bezogen auf alle Weidelgras Pflanzen auf einer Wiese, lagen die Konzentrationen jedoch unter dem Schwellenwert. Das verstärkt sich auch nochmal durch artenreiche Wiesen, die es in Deutschland häufig gibt. Die vielen verschiedenen Pflanzenarten auf der Wiese „verdünnen“ die Alkaloide, sie sind somit nicht mehr giftig. Die häufigen Monokultur-Grasweiden in Übersee verhindern so einen Verdünnungseffekt, was unter anderem zu den häufigeren Vergiftungen dort führt. Für Deutschland gibt es hier aber erstmal Entwarnung.

Das Vergiftungsrisiko steigt jedoch mit erhöhten Infektionszahlen. Epichloë Infektionen werden über Grassamen verbreitet. Deshalb beschäftigten wir uns auch mit der Frage, ob kommerziell erworbenes Grassaatgut eine unbeabsichtigte Quelle für Infektionen sein könnte. Wir untersuchten 24 Saatgutmischungen auf Epichloë Infektionen. Wir wiesen in sechs der Saatgutmischungen Infektionen nach, in vier davon sogar Alkaloide. Graspflanzen, die aus diesem Saatgut wachsen, könnten demnach auch potenziell giftig sein. In Europa wird Grassaatgut nicht standardmäßig auf Epichloë Infektionen untersucht, da Vergiftungen bisher kein Problem darstellten.

Dass Weidetiere in Deutschland momentan einem geringen Vergiftungsrisiko ausgesetzt sind, könnte sich aber in Zukunft ändern. Durch den Klimawandel könnten trockenheitsangepasste Gräser im Vorteil sein und sich somit die Infektionen weiter ausbreiten. Ebenso kann unbeabsichtigt ausgebrachtes Epichloë infiziertes Saatgut zur Verbreitung beitragen. Deshalb ist es wichtig Infektionsraten und Alkaloid-Konzentrationen auf der Weide, aber auch im Saatgut weiterhin im Auge zu behalten. Artenreiche Wiesen müssen erhalten bleiben und Monokulturen vermieden werden. Damit es auch in Zukunft keine vergifteten Schafe, Rinder oder Pferde auf unseren Weiden gibt.

© Veronika Vikuk

Veronika Vikuk studierte von 2011 bis 2017 Biologie im Bachelor und Master an der Universität Würzburg. Anschließend forschte sie von 2017 bis 2020, ebenfalls an der Universität Würzburg, an ihrer Doktorarbeit zum Thema endophytische Pilze in Gräsern in dem deutschlandweiten Großprojekt Biodiversitäts Exploratorien, das von der DFG gefördert wird. Sie schloss ihre Promotion 2020 ab und arbeitet seitdem an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau als Projektmitarbeiterin im Bereich Gemüsebau.

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