Elektro, Hard Rock und Heavy Metal

Für ihre Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2020 in der Kategorie Geowissenschaften veranschaulichte Julia M. Otte, was sie in ihrer Promotion erforscht hat.


Ausgelassene Bakterien-Partys am Küstenstrand tragen zur Bildung von Treibhausgasen bei.

Globale klimatische Veränderungen verstehen – das ist eine der großen Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Dabei sind einige Schlüsselfaktoren der Klimaveränderungen bereits bekannt. Zum Beispiel wird schon seit Längerem über Treibhausgase in den Medien berichtet, schließlich gelten sie als eine der Hauptursachen. Denn Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan können große Schäden in der Ozonschicht verursachen. Neben menschengemachten Quellen wie Auto- und Industrieabgasen gibt es auch natürliche Quellen, die zur Bildung von Treibhausgasen beitragen. Nicht unwichtig ist dabei das Lachgas (Distickstoffmonoxid, N2O). Es ist als Treibhausgas fast 300-mal so schädlich wie Kohlendioxid. Bisher sind noch längst nicht alle Prozesse der Lachgasbildung aufgeklärt, doch in unserer Studie konnten wir einen bedeutenden neuen Mechanismus als Quelle für das klimaschädliche Gas identifizieren. Und zwar am Küstenstrand.

Seit 1998 wissen wir, dass Küstenmatsch oder auch Küstensedimente eine bedeutende natürliche Lachgas-Quelle darstellt. Sandiger Matsch ist dabei charakteristisch für etwa 70% aller globalen Küstenstrände und es wird geschätzt, dass dieser Matsch bis zu 1,9 Milliarden Kilogramm Lachgas pro Jahr freisetzt. Woher die großen Mengen an Lachgas kommen, war bisher nicht genau bekannt. Eine Forschergruppe an der Universität Tübingen vermutete aber, dass neben den vielen im Matsch lebenden Organismen auch noch ein anderer Bestandteil eine wichtige Rolle spielen könnte: das Eisen, was zu den Schwermetallen gehört, die im Englischen Heavy Metal genannt werden oder genauer gesagt, die Eisenminerale im Hartgestein im Englischen Hard Rock. Eisen ist nach Sauerstoff, Silizium und Aluminium eines der häufigsten Elemente auf der Erde und ist für alle Lebewesen ein essentielles Spurenelement.

 

 Links: Hier werden die Eisenbakterien im Sediment vorgestellt, die von Sauerstoff und Nitrat abhängig leben, sowie die chemischen Prozessen, die durch die Eisenminerale angetrieben werden. Rechts: In den oberen Schichten der Sedimente messen wir hauptsächlich Sauerstoff, weiter unten wird u.a. Nitrat abgebaut, sowie Eisen zu Eisenmineralen umgesetzt. Der Sedimentkern zeigt marines Küstensediment. ©Julia M. Otte

In unserer interdisziplinären Forschung haben wir uns daher auf die Suche nach den Lachgasquellen gemacht und uns die Chemie (speziell das Eisen) und die Biologie (besonders die Bakterien) im Küstenmatsch genauer angeschaut. Bakterien sind Organismen, die nur durch Mikroskope beobachtet werden können und daher zu den Mikro-Organismen zählen. Sie sind in der Natur weit verbreitet und tragen zu allen wichtigen Stoffkreisläufen in allen Lebensräumen bei. In unserer Studie ging es um eine ganz besondere Gruppe von Bakterien mit einer speziellen Vorliebe für Eisen. Und da diese Bakterien Eisen (Heavy Metal) so gerne verspeisen und Eisenminerale (Hard Rock) bilden, werden sie auch Eisenbakterien oder „Heavy Metal & Hard Rock liebende Bakterien“ genannt. Um zu wachsen, brauchen sie neben dem Eisen unbedingt Sauerstoff zum Atmen.

Bisher war die natürliche Verteilung von Eisenbakterien im Küstenmatsch unbekannt. An der Universität Tübingen haben wir uns die Vielfalt, Verteilung und Aktivität von Eisenbakterien im typischen Küstenmatsch angeschaut. Ausgestattet mit Watthosen, Gummistiefeln, Handschuhen, Eimern, Flaschen und Spritzen sind wir drei Jahre lang auf Spurensuche gewesen. In Dänemark an der Ostseeküste haben wir dann verschiedene Schlammproben gesammelt, in denen wir anschließend sowohl die Biologie (hier vor allem Bakterien), sowie auch die Chemie (hier vor allem Eisen und Sauerstoff) charakterisierten. An der Oberfläche der matschigen Sedimente detektierten wir viel Sauerstoff, mit zunehmender Tiefe der Matschschichten nahm dieser ab. Wir konnten außerdem sehen, dass dieses Sauerstoffgefälle auch die Zusammensetzung der Bakterien in einzelnen Schichten zu bestimmen schien. So fanden wir solche Bakterien, die viel Sauerstoff benötigen, ganz oben und solche, die weniger Sauerstoff mögen, eher weiter unten. Eine solche Verteilung haben wir dann natürlich auch für die Sauerstoff-liebenden Eisenbakterien erwartet.

Stattdessen stellten wir überrascht fest, dass die Eisenbakterien in allen Schichten gleichmäßig durchmischt auftraten. Das bedeutet, dass sich Eisenbakterien anders als die meisten aller Sedimentbakterien verhalten und sich bei der Wahl ihres Lebensraums nicht anhand von Sauerstoff orientieren. Dieses Verhalten konnten wir nicht erklären, weswegen wir weiter forschen mussten. Und es wurde immer spannender.

 

Schematische Darstellung der erwarteten und gemessenen Bakterien-Verteilungen in repräsentativen Küstensedimenten. Die meisten Bakterien orientieren sich anhand von geochemischen Gefällen z.B. anhand von Sauerstoff. Aktive Eisenbakterien folgen jedoch nicht der erwarteten Verteilung. Eisenbakterien zeigen eine gleichmäßige Verteilung in Küstensedimenten. ©Julia M. Otte

Die gesamte Biochemie beruht im Wesentlichen auf dem Austausch von Elektronen, den elektrisch negativ geladenen kleinen Teilchen. Eisenbakterien erhalten über das Eisen Elektronen und geben über Sauerstoff Elektronen wieder ab. Diesen Elektronentransfer vereinfache ich hier mit dem Begriff „Elektro-Party“. Bakterien erhalten damit zum einen ihre Energie, die sie zum Wachsen nutzen können und bilden zum anderen auch die Eisenminerale. Bei Eisenbakterien passiert dieser Elektronenaustausch auf einem ganz engen Raum.

 

Eine mög­li­che Er­klä­rung – die au­ßer­ge­wöhn­li­che “Elektro-Party”: Kabelbakterien und Eisenbakterien leben in allen untersuchten Sedimentschichten aktiv zusammen. Die dargestellte „Kabelbakterien-Tankstelle“ zeigt, die besondere Freundschaft und den Elektronenaustausch der Kabel- und Eisenbakterien in marinen Küstensedimenten. ©Julia M. Otte

Das spannende ist, dass wir in unserer Studie zeigen konnten, dass die Eisenbakterien mit den kürzlich entdeckten Kabelbakterien befreundet sind. Und diese neu entdeckten Kumpels haben es in sich! Kabelbakterien sind in der Lage, Elektronen über große Entfernungen im Matsch zu transportieren. Die Elektronen abgebenden und aufnehmenden Stoffe müssen daher nicht am selben Ort sein. Mit unseren Daten konnten wir also erstmalig zeigen, dass Kabelbakterien und Eisenbakterien in allen untersuchten Sedimentschichten aktiv zusammenleben. Das bedeutet im Detail, dass die Eisenbakterien die Elektronen auf die Kabelbakterien übertragen, wenn sie Sauerstoff, den „Elektronen-Fänger“, nicht zur Verfügung haben. Dank der außergewöhnlichen Freundschaft zu Kabelbakterien können damit Eisenbakterien unabhängig von Sauerstoff in allen Schichten überleben.

Bis jetzt haben wir also die lebenden Hauptdarsteller im Kosmos der Sedimente kennen gelernt. Außerdem wissen wir, dass die Eisenbakterien – aufgrund ihrer Freundschaft mit den Kabelbakterien – Eisenminerale überall im Matsch gleichmäßig bilden können. Um nun den Zusammenhang zum Lachgas besser zu verstehen, müssen wir uns mit Eisenbakterien beschäftigen, die statt Sauerstoff auch Nitrat zum Atmen nutzen können.

Nitrat ist nicht nur für diese Gruppe von Eisenbakterien ein sehr wichtiges Molekül, sondern auch für viele Pflanzen. Jährlich müssen ungefähr acht Milliarden Menschen auf unserer Erde mit Nahrung versorgt werden und dafür werden große Mengen an Nitrat-Dünger verwendet, um den Ernteertrag zu erhöhen. Der Einsatz von Nitrat kann aber neue ökologische Probleme verursachen. Glücklicherweise gibt es viele Bakterien, die sich darauf spezialisiert haben Nitrat durch die sogenannte bakterielle Denitrifikation abzubauen. So auch Eisenbakterien, die das Nitrat erst zu Nitrit und schließlich zu Lachgas, dem Treibhausgas, umwandeln.

Lachgas kann aber auch auf chemischem Weg entstehen. Und zwar kann das von den Bakterien produzierte Nitrit auch mit dem sehr reaktiven Eisen – ganz ohne Hilfe von Bakterien – reagieren. Dieser chemische Prozess wird durch die von den Bakterien gebildeten Eisenmineralen, die hier als chemische Motoren dienen, beschleunigt. Durch diese chemische Denitrifikation, wenn Nitrit chemisch mit Eisen reagiert, wird schließlich auch Lachgas gebildet.

Im Labor konnten wir nun zum ersten Mal in kontrollierter Umgebung die bakterielle und die chemische Denitrifikation voneinander trennen und einzeln messen. Dabei zeigte sich, dass für einen erheblichen Teil der Lachgasbildung die chemische Reaktion verantwortlich ist und nicht nur die Umwandlung von Nitrat durch Bakterien. Somit konnten wir hier unser Verständnis der wirklichen Vorgänge im Küstenmatsch deutlich verbessern.

 

„Bakterienparty – Elektro, Küstenrock und Heavy Metal”. Das neue Wissen über die Verteilung der aktiven Eisenbakterien, sowie das Wissen über den N2O-Beitrag durch die geochemischen Reaktionen von Nitrit und Eisen kann helfen, den Klimawandel besser zu verstehen. ©Julia M. Otte

Zusammenfassend konnten wir also zeigen, dass Nitrat, welches von den Ackerfeldern in hohen Mengen in umliegende Küstenregionen gelangt, durch Nitrat-atmende Eisenbakterien zu Nitrit umgewandelt wird. Dieses Nitrit kann dann entweder von den Eisenbakterien verarbeitet werden oder ohne zusätzliche bakterielle Hilfe nur durch Kontakt mit eisenhaltigem Matsch sozusagen selbstständig zu Lachgas weiter reagieren. Im letzteren Fall stoßen also die Eisenbakterien während ihrer feuchtfröhlichen Partys unter dem Motto „Elektro, Hard Rock und Heavy Metal“ die Lachgasentstehung durch ihre „Nitrat-Atmung“ und Eisenmineral-Bildung nur an und bringen so einiges ins Rollen. Dies kann überall im Matsch geschehen, da Eisen, Eisenminerale, Nitrat und die Eisenbakterien fast gleichmäßig in den oberen Schichten des Küstenmatschs verteilt sind.

Der von uns bestimmte Umfang der Lachgasbildung durch diese chemische Reaktion trägt also dazu bei, die bisher noch rätselhafte Herkunft des klimaschädlichen Gases aufzuklären. Unsere Forschungsstudie ist die erste weltweit, die zeigte, dass nicht allein die Aktivität von Bakterien, sondern auch chemische Prozesse im Matsch an der Meeresküste zur Bildung von Lachgas führen und dass bis zu 25% des gesamten gebildeten Lachgases so zustande kommt. Die Herkunft und der Umfang der Produktion klimaschädlicher Gase sind wichtige Faktoren, um die künftige Klimaentwicklung genauer einschätzen zu können. Unsere Studie verdeutlicht, wie Prozesse auf kleinster Skala, also die Interaktionen zwischen Bakterien und der Geochemie der Küstensedimente massive Auswirkungen auf globale Umweltphänomene wie die Treibhausgasemission haben können.

 

Lesen Sie diesen Beitrag der Autorin auch für englischsprachige Kinder aufbereitet im Kinder Journal bei Frontiers for Young Minds.


Julia M. Otte wurde 1990 in Berlin geboren. Sie studierte Bio- und Geowissenschaften an der Universität Heidelberg und Freiburg, mit einer Spezialisierung in Molekularbiologie, Biochemie und Mikrobiologie. 2018 schrieb Julia ihre Promotion an der Universität Tübingen im Bereich Geomikrobiologie mit dem Titel „Die Verteilung aktiver eisenverwertender Mikroorganismen in Küsten- und Süßwassersedimenten und ihre Bedeutung für die Treibhausgasemission“. Im Anschluss forschte sie an den Auswirkungen des Tiefseebergbaus im Pazifischen Ozean auf metallverwertende Mikroorganismen auf dem 4 km tiefen Meeresboden in der HGF-MPG Gruppe für Tiefseeökologie und Technologie am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven und am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Seit März 2021 arbeitet sie als Postdoktorandin an der Universität Aarhus in Dänemark zum Thema Kabelbakterien.

 

 

 

 

 

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