Die Spinnen, die Wissenschaftler:innen.

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2023 in der Kategorie Chemie veranschaulichte Alexander Lammers, was er für seine Promotion erforscht hat.


Es ist der 11. Februar 2019, etwa 35 Grad im Schatten. In einem ausgetrockneten Flussbett hockend, beginne ich mit Probennummer 408226. Vorbereitung ist alles bei so einer Reise. Die letzten drei Monate bin ich kaum zu etwas anderem gekommen. Ein wenig Puffer haben wir zwar, dennoch sind sowohl unsere Zeit als auch unsere Ausrüstung stark begrenzt. Nun ist es endlich so weit. Meine in Nitril-Handschuhe eingehüllten Hände führen die sterile Pinzette in Richtung des handballgroßen Gebildes. Ich sollte möglichst nichts berühren, um die Proben nicht zu verunreinigen und um mir meine Haut nicht an dem Dornenbusch aufzureißen, in dem das Konstrukt hängt. Die Bewohner:innen haben sich sofort verkrochen, als ich in ihre Nähe kam. Sie können anhand der Vibrationen erkennen, ob es sich um Beute oder Gefahr handelt. Ich wurde ganz offensichtlich in die Kategorie ‘Gefahr’ eingeordnet. Es stimmt also, was man Kindern immer erzählt: Spinnen haben tatsächlich mehr Angst vor uns, als wir vor ihnen. So auch die schätzungsweise einhundertfünfzig, die in diesem Spinnennest leben. Dennoch habe ich nicht nur wegen der prallen Sonne Schweißperlen auf der Stirn. An diesem Montagnachmittag, nahe Windhoek, der Hauptstadt Namibias.

Ein etwa 20 cm breites Nest von Stegodyphus dumicola. © Alexander Lammers

Um zu verstehen, was mich motiviert hat, meine Hände in Spinnennester zu stecken, reisen wir ein knappes Jahrhundert zurück. Der Mediziner Alexander Fleming berichtete 1929 zum ersten Mal über eine Substanz, die von Pilzen produziert und von Bakterien im wahrsten Sinne des Wortes bis auf den Tod gehasst wird. Eine Substanz, die zunächst wenig Aufmerksamkeit erregte, aber einige Jahre später Fleming (zusammen mit Howard Florey und Ernst Boris Chain) zum Nobelpreisträger machen sollte. Es handelte sich um Penicillin.

Penicillin ist das wohl bekannteste Antibiotikum, also eine Substanz, die zur Behandlung bakterieller Infektionen verwendet wird. Was Menschen zuvor häufig das Leben kostete, konnte nun mit Hilfe eines Antibiotikums behandelt werden. Ein Meilenstein für die Medizin, ein Meilenstein für die Menschheit. Wissenschaftler:innen begannen systematisch nach neuen Antibiotika zu suchen. So wurden zwischen den 1940er und 1960er Jahren mehr als zwei Dutzend neue Antibiotika entdeckt. Einige wurden von Pilzen produziert, andere von Bakterien, und einige wurden synthetisch hergestellt.

Auch wenn sie zunächst wie ein Wundermittel erscheinen, sind Antibiotika mit Bedacht einzusetzen. Fleming warnte bereits in seiner Nobelpreisrede davor, dass die unüberlegte Verwendung von Antibiotika zu resistenten Bakterien führen kann. Resistente Bakterien sind nicht mehr sensitiv gegenüber Antibiotika; die Antibiotika wirken also nicht mehr. Doch trotz der Warnung Flemings haben sich in den letzten Jahrzehnten vor allem durch den massiven und fahrlässigen Gebrauch von Antibiotika zahlreiche resistente Bakterien entwickelt. Auf das „goldene Antibiotika-Zeitalter“ Mitte des 20. Jahrhunderts folgt nun die Antibiotikaresistenzkrise. Es mangelt uns immer häufiger an wirksamen Antibiotika, wodurch bakterielle Infektionen schwerer oder gar nicht mehr behandelt werden können – ein Zustand, der an das letzte Jahrhundert erinnert.

Im Vordergrund erlegt eine Gruppe von Stegodyphus dumicola einen Käfer, der sich im Spinnennetz verfangen hat. Im Hintergrund hängt ein Spinnennest. © Alexander Lammers

Wie können uns nun ausgerechnet Spinnen aus Namibia bei der Lösung dieser Krise helfen? Die meisten Spinnen leben allein. Es gibt aber einige wenige Arten, die in größeren Gruppen zusammenleben. Stegodyphus dumicola ist eine dieser sozialen Spinnenarten und lebt vor allem im zentralen und südlichen Afrika. Diese Spinnen bauen gemeinschaftlich Nester, die ihnen Schutz vor Witterung und Feinden bieten. Außerdem jagen sie zusammen und unterstützen sich bei der Brutpflege. Allerdings bringt dieser soziale Lebensstil auch einen entscheidenden Nachteil mit sich. Die Spinnen leben als Gruppe vieler Individuen auf sehr engem Raum, wodurch sich Krankheiten schnell ausbreiten können. Allerdings wird Stegodyphus dumicola nicht ständig von bakteriellen Infektionen heimgesucht. Diese Erkenntnis ließ uns vermuten, dass antibiotische Substanzen beim Schutz der Spinnen eine Rolle spielen. Und genau nach diesen Substanzen habe ich in meiner Promotion gesucht.

Gemeinsam mit zwei Kolleg:innen der Aarhus University bin ich also nach Namibia gereist, wo wir Spinnennester gesucht und beprobt haben. Zur Probennahme habe ich an den Nestern verschiedene Materialien angebracht, an die sich antibiotische Substanzen angeheftet haben – so zumindest meine Hoffnung. Zurück in Europa fing mit der Probenanalyse die eigentliche Arbeit erst an. Ich untersuchte die Substanzen mit Hilfe der Gaschromatographie-Massenspektrometrie am Netherlands Institute of Ecology (NIOO-KNAW) in den Niederlanden. Die Vorteile dieser Methode sind zum einen die viel einfacher auszusprechende Abkürzung GC-MS, und zum anderen, dass die Funktionsweise nicht so kompliziert ist, wie der Name es vermuten lässt:

Die Proben sind zu Beginn ein buntes Gemisch aus unbekannten Substanzen. Daher werden diese im ersten Schritt mittels Gaschromatographie aufgetrennt. Die Substanzen durchlaufen dabei eine dünne Röhre, mit der sie unterschiedlich interagieren. Aufgrund dieser Interaktionen benötigen die Substanzen unterschiedlich lange, um die Röhre zu durchqueren und werden so nach ihren chemischen Eigenschaften aufgetrennt. Die Proben sind damit sortiert, aber ich wusste immer noch nicht, womit ich es eigentlich zu tun hatte. Daher habe ich die einzelnen Substanzen im nächsten Schritt mit Hilfe der Massenspektrometrie identifiziert. Dabei werden sie mit einem Elektronenstrahl in Fragmente zerteilt. Das Muster dieser Fragmente ist wie ein molekularer Fingerabdruck, mit dem ich die Substanzen in Datenbanken ausfindig machte. Schließlich konnte ich tatsächlich zahlreiche antibiotische Substanzen in den Spinnennestern nachweisen. Ein erster Erfolg.

Alexander Lammers bei der Probennahme in Namibia. © Mette Marie Busck

Allerdings wusste ich noch nicht, wer oder was diese antibiotischen Substanzen eigentlich produziert hat. Die Nester selbst bestehen nämlich neben der Spinnenseide auch aus Pflanzen und werden außer von den Spinnen auch von Mikroorganismen bewohnt. Eine Vielzahl von Materialien und Bewohner:innen konnten demnach die antibiotischen Substanzen produziert haben. Wir erinnern uns: Viele Antibiotika werden von Bakterien und Pilzen (also Mikroorganismen) produziert, weshalb ich diese genauer untersucht habe.

Ich untersuchte also einige Mikroorganismen, die zuvor von unseren Kolleg:innen der Aarhus University von Spinnennestern isoliert wurden. Dafür kultivierte ich die Mikroorganismen unter kontrollierten Laborbedingungen und fing erneut potentielle antibiotische Substanzen ein. Die Analyse mittels Gaschromatographie-Massenspektrometrie bestätigte auch diesmal wieder meine Hoffnung zahlreicher, antibiotischer Substanzen.

Welchen Nutzen liefert nun meine Doktorarbeit für die Wissenschaft? Zum einen konnte ich zeigen, dass es in Nestern von Stegodyphus dumicola antibiotische Substanzen gibt, die die Spinnen vor Infektionen schützen könnten. Diese Erkenntnis ist wichtig, um die Ökologie der Spinnen besser verstehen zu können. Zum anderen habe ich dadurch eine mögliche Quelle neuer Antibiotika aufgezeigt. Ich konnte nämlich mit Hilfe der Datenbanken nur einen Teil der Substanzen, die in den Proben waren, identifizieren. Die verbleibenden Substanzen sind bisher unbekannt und bergen somit ein großes Potential als Quelle neuer Antibiotika. Mit meiner Doktorarbeit habe ich eine neue, innovative und vor allem vielversprechende Quelle für Antibiotika herausgearbeitet, die nun auf ihre Entdeckung warten, um der Antibiotikaresistenzkrise entgegenzuwirken. In einigen Jahren könnten Spinnennester demnach nicht nur Schweißperlen auf den Stirnen weiterer Forscher:innen hervorbringen, sondern auch lebensrettende Antibiotika.


Alexander Lammers ist in Flensburg aufgewachsen und studierte Biochemie und Molekularbiologie an der Universität Greifswald. Für seine Promotion mit dem Titel „The Ecosystem of Social Spiders as a Source of Volatile Antimicrobials“ verbrachte er mehrere Monate als Gastwissenschaftler am Netherlands Institute of Ecology, Niederlande, und reiste für seine Feldarbeit bis nach Namibia. Schon während des Studiums erzählte er in verschiedenen Formaten öffentlichkeitswirksam von seiner Forschung und ist bis heute als Science Slammer aktiv. Mittlerweile arbeitet er als Referent für Wissenschaftskommunikation für das Forschungszentrum Jülich und lebt in Freiburg im Breisgau.

2 Kommentare

    • Tatsächlich ist es für die Analyse mittels Gaschromatographie Voraussetzung, dass die Moleküle, die man untersuchen möchte, relativ leicht in die Gasphase übergehen. Wenn dies gegeben ist, werden die Substanzen aber nicht zerstört.

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