Aus Alt mach Neu – Vom Lego Bauen und der Evolution

Für seine Bewerbung um den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation 2021 in der Kategorie Biologie veranschaulichte Elias Dohmen, was er in seiner Promotion erforscht hat.


Evolution läuft oft nach dem Baukastenprinzip ab: Eiweißeinheiten werden wie Lego-Steine unterschiedlich zusammengesetzt. Meine Forschungsarbeit hat geholfen die Bauanleitungen der Evolution zu entschlüsseln und damit gezeigt, wie wichtig es in der Evolution ist Dinge wiederzuverwenden und neu zu verbinden.

„Neues entsteht aus der noch nicht dagewesenen Verbindung alten Materials. Kreieren heißt, neu zu kombinieren“, schrieb der französische Biologe und Nobelpreisträger François Jacob in einem 1977 erschienenen Fachartikel.

Diese Aussage mag auf den ersten Blick verwundern, denn Innovation wird selten mit Altem und schon Dagewesenem verbunden. In der Natur können wir aber beobachten, dass der Großteil biologischer Innovation aus einer neuen Kombination von schon bekanntem Material entsteht. François Jacob konnte vor fast 50 Jahren nicht wissen, wie richtig er mit dieser Aussage lag. In meiner Doktorarbeit habe ich untersucht, wie wichtig dieses Prinzip in der Evolution ist, aus Altem Neues zu machen.

Dieses Wissen bringt uns nicht nur weiter, wenn wir die Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten verstehen und nachvollziehen wollen; vielmehr können wir uns auch eine Menge ableiten, um Fortschritte in der Medizin oder Biotechnologie zu erzielen.

Eiweiße, die wir auch Proteine nennen können, erfüllen nahezu alle Aufgaben in unseren Zellen und können als molekulare Werkzeuge bezeichnet werden, die in jedem Lebewesen vorkommen. Die dreidimensionale Struktur dieser biologischen Moleküle – den Proteinen – ist dabei von entscheidender Bedeutung, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Vor 50 Jahren fehlten die technologischen Möglichkeiten, um die 3D-Struktur von Proteinen zu bestimmen oder ihre Bauanleitung, die Gene, zu entschlüsseln. François Jacob lagen sie nicht vor, um seine Hypothesen auf molekularer Ebene zu überprüfen. In den frühen 1990ern waren jedoch die ersten Proteinstrukturen und auch ihre Bauanleitung, die Gene, bekannt. So fiel es mehreren Wissenschaftlern unabhängig voneinander auf, dass bestimmte Strukturen und Abschnitte immer wieder auftraten. Die Proteine aller bekannten Arten – von Menschen bis zu Bakterien – schienen die gleichen Bausteine zu besitzen.

Da diese Protein-Domänen, wie sie später genannt wurden, sich tatsächlich wie Bausteine verhalten, bietet sich die Metapher von Lego-Steinen an. Alle Proteine werden aus zwanzig verschiedenen Aminosäuren zusammengesetzt, welche wir als zwanzig unterschiedliche, einzelne Lego-Steine ansehen können. Aus diesen Lego-Steinen lassen sich allerlei Dinge bauen. Das meiste gestalten wir dabei nicht jedes Mal anders und erfinden es neu. Einige Strukturen – wie zum Beispiel ein stabiles Haus oder funktionale Einheiten wie einen fahrbaren Untersatz – verwenden wir wieder. Ein Haus bauen wir mehrfach im selben Design und bestücken das Innere einfach unterschiedlich. Ebenso nutzen wir den gleichen fahrbaren Untersatz und setzen nur etwas Neues obendrauf, um verschiedene Fahrzeuge und Transportmöglichkeiten zu kreieren. Die Evolution bedient sich bei den Proteinen des gleichen Prinzips. Strukturen, die stabil sind und sich bewährt haben, werden einfach für andere Zwecke wiederverwendet. Wenn in der Zelle etwas von A nach B transportiert werden muss, kann ein Baustein kopiert und einfach mit anderen Bausteinen kombiniert werden, um verschiedene Moleküle zu unterschiedlichen Zielen zu transportieren. So kann man sich Domänen ebenfalls vorstellen: eine Verbindung von einzelnen Aminosäuren, die eine strukturelle oder funktionale Einheit bilden. Der Vorteil dieser Technik beim Lego Bauen ist, dass man sich Zeit und Energie spart. Dasselbe trifft auch auf die Evolution zu. Anstatt durch kleine Veränderungen immer wieder Kombinationen von einzelnen Aminosäuren durchzuprobieren, können direkt größere Domänen, die sich bewährt haben, ausgetauscht und in neuem Kontext verwendet werden. Doch wie können wir Domänen und ihre Kombinationen nicht nur besser verstehen, sondern dieses Wissen konkret nutzen?

©Elias Dohmen

Dieser Frage bin ich in meiner Doktorarbeit nachgegangen. Besonders motiviert hat mich dabei, Methoden und Programme zu entwickeln, die von anderen Wissenschaftlern für ihre eigene Forschung genutzt werden können.

Heutzutage ist es verhältnismäßig einfach, das Erbgut eines Organismus zu sequenzieren, das heißt seine biologische Bauanleitung auszulesen. Ein Problem in der Biologie oder auch in der Medizin ist es, abzuschätzen wie vollständig diese Daten sind. Wie viele technische Fehler können wir zum Beispiel durchschnittlich erwarten, wenn wir das Erbgut eines Patienten sequenzieren? Wird das Erbgut eines gesunden Menschen mit dem eines kranken verglichen, ist es wichtig zu wissen, ob die Unterschiede biologische Gründe haben oder durch technische Fehler während der Analyse zustande kommen. Es ist also entscheidend die Qualität dieser Daten zu bestimmen, um zu erfahren, wie sehr man sich auf die Ergebnisse verlassen kann. Mit Kollegen habe ich ein Programm entwickelt, das die Qualität solcher Daten durch den Abgleich von Domänen bestimmt. Dabei wird der Datensatz mit denen von verwandten Arten abgeglichen, die sehr gut untersucht und damit möglichst vollständig sind. Das Programm steht kostenlos als Webservice zur Verfügung; daher kann jeder ohne Aufwand im Webbrowser seine Daten in Sekundenschnelle testen. Somit trägt unser Programm dazu bei, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft besonders schnell Fortschritte in der Forschung erzielen kann und stellt die Verlässlichkeit der Ergebnisse sicher.

Es ist verhältnismäßig wenig Vorwissen nötig, um abschätzen zu können wie vollständig ein Datensatz ist. Als nächstes wollten wir aber herausfinden, wie sich Proteine über verschiedene Arten hinweg über Jahrmillionen entwickelt haben, wo Innovationen im Laufe der Evolution aufgetreten sind und welche neuen Domänen-Kombinationen dafür verantwortlich waren. Dafür haben wir uns Stammbäume verschiedener Gruppen, zum Beispiel der Pflanzen oder der Säugetiere angeschaut. Mit einer eigens entwickelten Methode können wir nun mit Hilfe der Domänen und eines solchen Stammbaumes alle Proteine von nicht mehr existierenden Vorfahren rekonstruieren. Anschließend können wir verfolgen, zu welchem Zeitpunkt in der Evolution neue Domänen-Kombinationen aufgetreten oder sogar gänzlich neue Domänen hinzugekommen sind. Das Auftreten neuer Domänen ist interessant, da diese oft besonders große Veränderungen ermöglichen. So konnten wir zum Beispiel den Ursprung von Haaren bzw. Fell im Vorfahren aller Säugetiere entdecken. Die dort neu entstandenen Domänen finden sich heute in unterschiedlichsten Kombinationen in allen Säugetieren.

Diese Methode haben wir auch in einer Kooperation mit einer internationalen Initiative angewandt, die 5.000 Gliederfüßer-Arten sequenzieren möchte, zu denen zum Beispiel die Insekten gehören. Durch diese internationale Zusammenarbeit konnten wir 500 Millionen Jahre der Insektenevolution zurückverfolgen und Erkenntnisse über Insekten gewinnen, welche als Krankheitsüberträger für die Medizin relevant sind oder eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft spielen – entweder als Bestäuber oder als Schädlinge. Andere Domänen traten nicht in Insekten, sondern nur in Spinnen auf. Durch geschickte Kombination dieser Domänen war es Forschern möglich, künstliche Spinnenseide mit großartigen Materialeigenschaften herzustellen.

 

©Elias Dohmen

Doch auch wenn wir in der Forschung oft Stammbäume verwenden, fällt es uns schwer, diese korrekt zu rekonstruieren. Denn je weiter wir versuchen in der Zeit zurückzugehen, desto höher steigt die Fehlerrate. Wir haben daher eine neuartige Methode entwickelt, um solche weit zurückgehenden Stammbäume mit Domänen zu rekonstruieren. Der Vorteil der Domänen hierfür ist, dass sie über Jahrmillionen konserviert sind und von allen Lebewesen geteilt werden. Die Methode selbst basiert auf Maschinellem Lernen – ein Begriff, der inzwischen in aller Munde ist. Wir können zum Beispiel künstliche Neuronale Netzwerke trainieren, um komplexe Aufgaben zu lösen. Was einst mit Schachcomputern anfing, geht inzwischen viel weiter. Im Alltag kommen solche Neuronalen Netzwerke immer öfter zum Einsatz. In der Biologie wurde gerade erst ein als unlösbar geltendes Problem von einem Neuronalen Netzwerk gelöst: Die 3D-Struktur eines Proteins nur anhand seiner Aminosäuresequenz vorherzusagen. Um einen korrekten Stammbaum zu rekonstruieren, der die tatsächlichen evolutionären Verwandtschaftsverhältnisse der Arten widerspiegelt, haben wir ein solches Neuronales Netzwerk mit Domänen trainiert. Auch wenn diese Methode noch ganz am Anfang steht, zeichnet sich das Potential der Domänen für solche Verfahren schon deutlich ab.

Durch Protein-Domänen haben wir faszinierende Einblicke gewonnen, wie sich das Leben nach dem Baukastenprinzip entwickelt und verblüffende Innovation – zum Beispiel Fell – entstehen kann. Auch für praktische Anwendungen in der Medizin, Materialtechnik und Biotechnologie können wir sie verwenden. Sequenzdaten von Patienten, Spinnenseide oder Schädlingsbekämpfung stellen dabei nur einige Bereiche dar, in denen sich der Einsatz von Domänen als vielversprechend erweist.


Elias Dohmen ist Bioinformatiker an der Universität Münster und hat im Zuge seiner Promotion von 2015 bis 2020 die Evolution von Proteinen untersucht. Hierbei hat er neue Verfahren und Programme entwickelt, um unterschiedliche Fragen der Evolutionsbiologie zu beantworten. Momentan erforscht er in der DFG geförderten Forschergruppe FOR2281 Faktoren des Alterns.

1 Kommentar

  1. Künstliche Neuronale Netze können also die wahrscheinlichsten Protein-Domänen von längst ausgestorbenen Arten bestimmen und damit Licht ins Dunkel bringen. Vielleicht könnte man damit auch spekulieren welche Protein-Domänen in zukünftigen Arten vorhanden sein könnten, wenn man die Evolution weiterspinnt, weiter laufen lässt. Wobei man allerdings einen Evolutionsdruck in eine bestimmte Richtung annehmen muss. Für die Humanoiden, also uns Menschen, sind sehr viele Zukünfte möglich. So könnten Menschen zukünftig auf dem Mars siedeln und die Frage wäre dann, wie Proteine umgebaut werden müssten um ein Leben unter veränderten Schwerkraftverhältnissen zu erleichtern. Wahrscheinlich wären viele Proteine betroffen. Mit dem heutigen Wissen gibt es wohl noch keine Antworten zu solchen Fragen.

    Doch das muss nicht so bleiben. Der Wissens- und Fähigkeitszuwachs beschleunigt sich. Nicht zuletzt wegen dem Einsatz von maschinellem Lernen.

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