Sci12: Sie wählten nur den Bundespräsidenten, wir den Blogger des Jahres
Tagebücher der Wissenschaft

Deidesheim, im Mekka der SciLogs, begegneten sich am Wochenende wieder die Bloggerinnen und Blogger (und Hühner) zum alljährlichen Austausch. Ein Blick in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Wissenschaftsblogs.
Wie in an die Öffentlichkeit geleakten Geheimberichten angekündigt (Vorglühen für Deidesheim), erwartete die BloggerInnen am Samstag schönstes Frühlingswetter mit blühenden Mandelbäumen, blauem Himmel – und eisigem Winterwind. Das hinderte die gut 60 Menschen nicht daran, teilweise mehrstündige Reisewege, in Einzelfällen sogar aus dem österreichischen (Manuela Macedonia – NeuroKognition) oder niederländischen Ausland – bloß jemand aus Budapest (Sören Schewe – Vom Hai Gebissen) hat gefehlt –, für die Teilnahme in Kauf zu nehmen. Nach einem kurzen Begrüßungssnack unter blauem Himmel, bei dem Kandidaten für den Preis des Mr. SciLogs ihre neuesten Modekreationen zeigten, fing gleich das ernsthafte Programm an.
Das gute Wetter erlaubte den Willkommenssnack im Hof des Hofguts Ruppertsberg unter freiem Himmel.
Mit einem Impulsvortrag Open Science 2.0 – Chancen und Grenzen präsentierte der Bildungswissenschaftler Christian Spannagel seine Vorstellung einer neuen Wissenschaft. Natürlich ist Wissenschaft von der Idee her auf Offenheit, das Teilen des Wissens, gerichtet. Tatsächlich trägt sie jedoch viele Züge einer Esoterik im eigentlichen Wortsinne: Etwas, das absichtlich oder wahrscheinlich nur von einer kleinen Anzahl von Menschen mit bestimmten Kenntnissen oder Interessen verstanden wird. Nicht ohne Grund sprechen wir häufig von akademischen Elfenbeintürmen. Ein hervorragendes literarisches Beispiel hierfür hat Hermann Hesse in seinem Meisterwerk Das Glasperlenspiel geliefert. Der Esoterik widerspricht jedoch die Idee von Open Science, offener Wissenschaft im starken Sinn.
Favorit für die Wahl zum Mr. SciLogs: Helmut Wicht – Anatomisches Allerlei.
Spannagel unterschied drei Stufen von Open Science: Version 1,0, 1,5 und 2,0. Die erste kennzeichne dabei die Idee, dass wenige Wissen vermitteln und viele es empfangen. Beispiele hierfür seien populärwissenschaftliche Literatur, VHS-Kurse, Museen oder auch die vor einigen Jahren eingeführten Kinderuniversitäten. Bei Version 1,5 komme vermehrt das Internet ins Spiel: Daten, Publikationen und Materialien würden vermehrt ins Internet gestellt und damit prinzipiell einem größeren Kreis zur Verfügung gestellt. Die Praxis zeigt jedoch, dass viele wissenschaftliche Gemeinschaften dort noch nicht angekommen sind. Spannagel zufolge könnte dies daran liegen, dass man sich mit dieser Offenheit angreifbar macht: Schließlich könne ein anderer in den eigenen Daten Fehler finden. Auch viele Wissenschaftsverlage schließen jeden, der nicht teilweise horrende Abo- und Lizenzgebühren bezahlt, vom Zugriff auf Quellen aus.
Im Gegensatz dazu geht Open Science 2,0, an der sich Spannagel selbst intensiv beteiligt, einen radikalen Schritt weiter: Ideen werden offen im Netz publiziert, eine kollektive Reflexion mit anderen Internetnutzern wird angeregt, es wird öffentlich miteinander geschrieben. Zusätzlich wurden im Vortrag neue Unterrichtsmethoden wie der “umgedrehte Klassenraum” vorgestellt aber auch darauf hingewiesen, dass sich die Ideen womöglich nicht auf alle Disziplinen gleich gut übertragen lassen. Von diesen Gedanken will ich einige auch in meiner eigenen Forschung und Lehre anwenden.
Während des Vortrags dachten die meisten BloggerInnen natürlich schon an das, was danach folgen würde: Die Weinprobe mit fröhlichem Führer.
Natürlich ging es im Vortrag auch um die Integration neuer Medien, beispielsweise von Twitter. So hatten wir zeitweise auch die Twitterwall des SciLogs-Kanals (#scilogs12) sichtbar auf dem Projektionsschirm. Mich haben die eingeblendeten Kommentare jedoch eher abgeschreckt. Die Twitter-Diskussion hatte kaum mit dem Inhalt der Vorträge oder unserer Real-Life-Diskussion zu tun. Stattdessen: Katzenwitze, Blödeleien und sogar eine Diskussion über Zeichendarstellungen von Penissen(!). Informationsgehalt annähernd gleich null. Nee, danke, damit habt ihr mich nicht überzeugt.
Qualitätskriterien in der Wissenschaftskommunikation
Anschließend konnten die BloggerInnen an einem von vier verschiedenen Workshops teilnehmen. Ich entschied mich für den über Qualitätskriterien in der Wissenschaftskommunikation. Anders, als ich zunächst vermutete, ging es dabei jedoch gar nicht um einen Qualitätsmaßstab für unser Portal, eine Diskussion, die wir im vergangenen Jahr intern geführt haben. Stattdessen standen unter anderem die Fragen im Vordergrund, wie wir Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten uns in den Blogs am besten an die Öffentlichkeit wenden können; wie weit man bei der Vereinfachung wissenschaftlicher Erkenntnisse gehen darf; oder welche qualitativen Merkmale das Bloggen von anderen Medienformaten unterscheiden.
Begrüßenswert fand ich dabei insbesondere die konstruktive Sphäre der Diskussion. Niemandem ging es darum, anderen den Mund zu verbieten. Stattdessen wurden Vorschläge zur Verbesserung der Blogbeiträge diskutiert: So könnten wir beispielsweise im Gegensatz zu anderen populärwissenschaftlichen Publikationen von der Möglichkeit des Verlinkens und der Quellenangaben Gebrauch machen.
Hätten Sie’s gewusst? Die ältesten eingelagerten Flaschen stammen aus dem Jahr 1980. Dem Kellerschwamm war dies jedoch egal. Vor dem Konsum werden die Flaschen wahrscheinlich fachmännisch entschwammt.
Als eine besondere Stärke der Blogs wurde ihr persönlicher Aspekt genannt: Üblicherweise schreibt dort nur eine bestimmte Person oder einige wenige zusammen. Das biete bessere Möglichkeiten, um seine LeserInnen für das eigene Interessengebiet zu begeistern. Von einem bezahlten Journalisten würde man eine umfassendere Recherche und idealerweise auch die Darstellung verschiedener Meinung erwarten, während man dem Blogger eher die eigene Sicht auf die Dinge durchgehen lasse oder dies von ihm sogar erwarte.
Das Sci12-Logo vereint klassische mit modernen Elementen; und ganz modern: Sie können darauf sogar klicken!
In den meisten Blogs steht schließlich auch jedem die Möglichkeit zum Kommentieren offen. Auf diese Weise können Fehler oder einseitige Sichtweisen korrigiert beziehungsweise ergänzt werden – die nötige Offenheit dafür natürlich vorausgesetzt (Was bedeutet Zensur?). Aufgrund schlechter Erfahrungen mit Kommentatoren, die durch unsinnige oder übertrieben nervende Kommentare die freie Diskussion torpedieren, wurde jedoch auch auf die Möglichkeit des Moderierens, Aussortieren oder gar Löschens von Beiträgen als Qualitätskriterium verwiesen.
Wir wählen den SciLogger des Jahres
Nach altbewährter Manier ging es erst zur Weinprobe, diesmal mit einem geselligen fünfzehnminütigen Fußmarsch zum Weingut von Winning. Dort durften wir nicht nur an Weinfässern riechen, sondern wurden wir auch über den Schwammbewuchs von Kellern und Flaschen aufgeklärt. Anschließend ging es zurück am Tagungsort nach der Vorspeise um die Wahl des SciLogger des Jahres. Wie auch auf den vier Treffen zuvor hatte die Redaktion auch dieses Mal wieder drei externe ExpertInnen eingeladen, sich die SciLogs-Beiträge unter die Lupe zu nehmen und jeweils einen Kandidaten für den Preis zu nominieren. Diesmal waren das Sebastian Reuschs Enkapsis, Joachim Schulzens Quantenwelt und Martin Ballaschks Detritus. Da die drei Laudationes alle so überzeugend waren und die Blogs jeweils nicht aus meinem engeren Interessengebiet stammten, fand ich die Wahl diesmal besonders schwer.
Im Anschluss an die Wahl zum SciLogger 2012 gab es noch die Wahl zur besten Oberbekleidung 2012. Hier überreicht Joachim Schulz (grün für St. Patrick’s Day) dem Spektrum-Chefredakteur Carsten Könneker den ersten Preis, eine Kiste mit Hanteln (mit ausführlicher Bedienungsanleitung auf dem Karton). Nicht bestätigten Berichten zufolge konnte Herr Könneker mit seiner riskanten Entscheidung für das sportliche T-Shirt, das die männlichen Bizepse deutlich hervortreten lässt, vor allem bei den weiblichen Gästen punkten. Spektrum-Verlagsleiter Richard Zinken galt mit seinem blau-weiß-gepunkteten Hemd (Modell: “Mein Lieblingshemd!”) zunächst als Favorit des Tages, seine Entscheidung für die konservativere Variante in ausgewaschenem Cyanblau dürfte ihn jedoch einige Stimmen gekostet haben. Hier freut er sich immerhin noch über den zweiten Preis, einen Styling-Guide für Herren.
Mit deutlicher Stimmenmehrzahl gewann schließlich jedoch Joachim den diesjährigen Preis. Joachim war mir zuvor durch Teilnahme an Online-Diskussionen durch sein breites, interdisziplinäres Interesse aufgefallen. Tatsächlich hat er zuvor neben den obligatorischen Quanten auch schon über Schalttage, Konstruktivismus in der Wissenschaft und Gendertheorien gebloggt. Viel Spaß beim Lesen!
Der Regen kam am Sonntag, wir sind geblieben
Zwar verließ uns am Sonntag das gute Wetter, nicht aber die gute Laune. Nach dem Frühstück ging es gleich um 9 Uhr mit einem Vortrag der Sprach- und Kommunikationswissenschaftler Merja Mahrt und Cornelius Puschmann weiter. Sie stellten Ihre Untersuchungen der Nutzerforschung vor: Wer liest und kommentiert Wissenschaftsblogs? Auffällig fand ich dabei insbesondere den Vergleich der Blognutzung zwischen Detuschland, den USA, und Japan. Gemäß einer neueren Untersuchung verwenden nur 7% der deutschen Internetnutzer zumindest gelegentlich Blogs. In den USA seien dies 32%, in Japan sogar satte 80%. In der Diskussion wurde allerdings darauf verwiesen, dass viele Internetnutzer womöglich Blogs verwenden, ohne es zu wissen – schließlich ähnelten viele Beiträge anderen Medienformaten.
Für die Ewigkeit: Die Tischdekoration aus Plastik sah dem Essen zum Verwechseln ähnlich.
Mahrt und Puschmann haben ferner Anfang 2012 die Kommentare auf verschiedenen Blogportalen, in Deutschland und international, untersucht. Auffällig war dabei, dass das Sprachniveau der Kommentare weitgehend dem des Blogposts entspreche. Wer also selbst eher gehoben-fachwissenschaftlich schreibt, wird demzufolge eher gehobene, fachwissenschaftliche Beiträge erhalten. Ein einfacher Sprachstil spiegele sich hingegen auch in sprachlich einfacheren Kommentaren wider.
Alles in allem war auch das Jahrestreffen 2012 wieder ein voller Erfolg. Nachdem mir im letzten Jahr einige wenige neue Bloggerkollegen negativ aufgefallen waren, die das gesamte Portal nach ihren eigenen Wünschen umgestalten lassen wollten, war die Sphäre dieses Jahr freundschaftlich-konstruktiv, ganz wie auf den vorherigen Treffen beseelt vom Geist von Deidesheim (Warum bloggen wir eigentlich?).
Woher Bloggerinnen nehmen, wenn nicht stehlen? Bei der Abreise machte eine weibliche Kollegin den Vorschlag, bis auf Weiteres ein paar Hühner für die SciLogs zu rekrutieren. Der Vorschlag scheiterte jedoch am Widerspruch des Hahns (links oben).
Ein Wermutstropfen ist allerdings, dass das Neustädter Geheimkomitee mit beinahe allen seinen Punkten gescheitert ist: Weder konnten der Weißweindiebstahl von Deidesheim aufgeklärt werden, noch wurde die lange ersehnte Frauenquote eingeführt. Lediglich die Forderung nach einem Sonntag ohne Kopfschmerzen ging dem eher mittelmäßigen Schnapps zum Trotz in Erfüllung (an dem sich übrigens Arvid Leyh vom braincast beteiligt hat, nachdem er sich vorher noch als Weinabstinenzler dargestellt hat). Kein Problem, nächstes Jahr gibt es womöglich die Chance zu einem neuen Versuch! Für die Organisation sowie die Zusammenarbeit sei hiermit allen vom Spektrum Verlag sowie den SciLogs herzlich gedankt.
P.S. Nebenbei mein Dank an die Nederlandse Spoorwegen, die das Uploaden dieses Beitrags durch das freie und kostenlose Wireless Netwerk in ihren Inter City-Zügen möglich gemacht haben.
P.P.S. Wer die Beschreibung der Bilder ernst nimmt, ist selber schuld; man darf sich seine eigenen Gedanken machen.