Wie die Darmflora die innere Uhr beeinflusst

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Eine gesunde Darmflora wirkt sich positiv auf unsere Verdauung und körpereigene Abwehrkraft aus. In der Hoffnung, die Ansiedlung von gesundheitsfördernden Bakterien in unserem Darm zu begünstigen, essen wir probiotischen Joghurt und achten auf eine ausgewogene Ernährung. Nun zeigen neueste Forschungsergebnisse aus Frankreich, dass die Kleinstlebewesen in unserm Darm noch mehr können: Sie beeinflussen den korrekten Takt unserer inneren Uhr!

Die zirkadianer Uhr ermöglicht eine optimale Anpassung an zyklische Umweltbedingungen

Das „richtige Timing“ ist nicht nur in unserem privaten und beruflichen Umfeld von Bedeutung, sondern auch in unserem Körper.  Alle lebenden Organismen haben eine eingebaute „innere Uhr“, die ihnen eine optimale Anpassung an die zyklischen Umweltbedingungen auf der Erde – Tag/Nacht, jährliche Änderungen von Licht und Temperatur – ermöglicht. Eine dieser angeborenen Uhren stellt sicher, dass der tägliche Rhythmus von Stoffwechselreaktionen und physiologischen Prozessen gewährleistet ist. Ihre Periodenlänge entspricht ungefähr 24 Stunden (um genau zu sein 24 Stunden und 1611 Minuten) [1] und wird daher auch zirkadian (lateinisch für circa „ungefähr“ und dies „Tag“) genannt.

Als zentrale Komponente der zirkadianen Uhr wurde in Säugetieren ein Teil des Zwischenhirns (eine evolutionär alte, in der Mitte des Gehirns liegende Struktur) identifiziert: der Nucleus suprachiasmaticus. Die Aktivität dieser Ansammlung von Nervenzellen fungiert wie ein Pendel, welches stetig in einem 24 Stunden-Rhythmus hin und her schwingt. Durch entsprechende Nervenimpulse und Ausschüttung von Hormonen steuert dieser Nucleus regelmäßig getacktet zahlreiche biochemische Prozesse. So kontrolliert er beispielsweise die Produktion des Schlafhormones Melatonin, dessen Konzentration alle 24 Stunden in unserem Blut ansteigt. Um zu vermeiden, dass wir mitten am Tag vom Schlaf übermannt werden, ist die zirkadiane Uhr mit entsprechenden externen Zeitgebern, wie dem Tageslicht, synchronisiert.   

Die Vorstellung, dass dieser Nucleus als zirkadiane Uhr einzig und alleine die gesamte zirkadiane Physiologie kontrolliert, ist veraltet. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass auch andere Körperzellen einem zirkadianen Rhythmus folgen, wie zum Beispiel die Epithelzellen des Darmes. In tagaktiven Tieren wie dem Menschen produzieren diese Zellen das Steroidhormon Corticosteron am frühen Morgen, in nachtaktiven Tieren  in den frühen Nachtstunden.

Corticosteron erfüllt zahlreiche Aufgaben in unserem Körper, als entscheidend hier sei die Gewinnung von Energie aus körpereigenen Protein- und Fettdepots genannt. Die Folgen einer vermehrten Produktion von Corticosteron sind ein erhöhter Blutzucker- und Fettspiegel im Blut. Menschen mit einer dauerhaften Überproduktion dieses Hormons (Cushing-Syndrom) leiden an Übergewicht und Diabetes. Wissenschaftler aus Straßburg fanden nun heraus, dass es zu genau einer solchen Überproduktion von Corticosteron in Labormäusen kommt, wenn diese keine Darmflora mehr besitzen [2].

Stoffwechselvorgänge in Darmepithelzellen werden in einem zirkadianen Rhythmus von Darmbakterien über einen Rezeptor des Immunsystems gesteuert

Was aber haben darmbesiedelnde Mikroorganismen mit der zirkadianen Ausschüttung von Corticosteron zu tun? Die Forscher entdeckten, dass Darm-Mikroben das Uhrwerk der zirkadianen Darmepithel-Uhr beeinflussen und somit für ein reibungsloses Ineinandergreifen der Zahnräder sorgen. Die Zahnräder dieses Uhrwerkes bestehen aus Proteinen, die von „Uhr-Genen“ kodiert werden. Zwei dieser Uhr-Gen-Produkte heißen RORα und RevErbα (siehe Abbildung). Beide Proteine stoßen eine Kaskade von biochemischen Prozessen in den Epithelzellen an, wobei sie aber zu keinem Zeitpunkt gemeinsam wirken, sondern sich viel mehr alle 24h abwechseln: Ist RORα aktiv wird wenig Corticosteron ausgeschüttet, ist allerdings RevERbα aktiv kommt es zu einer hohen Ausschüttung. RORα reguliert jedoch nicht nur die Ausschüttung von Corticosteron, sondern reguliert auch die Präsentation von speziellen Rezeptoren, die auf der Oberfläche der Epithelzellen präsentiert werden, den Toll-like-Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind Teil des angeborenen Immunsystems und signalisieren der sie präsentierenden Zelle die Präsenz von Mikroorganismen im umgebenden Medium.

Im Darm befinden sich die Mikroorganismen in unmittelbaren Kontakt zu den Epithelzellen, welche als einzellschichtige Barriere die Darmflora bzw. den Darminhalt vom Rest des Körpers trennt.  Wenn nun Mikroorganismen im Darm mit Toll-like Rezeptoren interagieren, werden in Epithelzellen Prozesse gestartet, die die Produktion eines Proteins namens PPARα niedrig halten. PPARα wiederum kontrolliert die Funktion des oben beschriebenen RevERbα, wodurch sich ein Kreislauf schließt. Das Entscheidende ist allerdings, dass in Mäusen, die keine Darmflora besitzen, die durch Mikroorganismen vermittelte Hemmung von PPARα entfällt und die zirkadiane Uhr somit aus dem Takt kommt: die Aktivität von PPARα steigt und es kommt zu einer von den Wach- und Schlafphasen entkoppelten, stetig hohen Ausschüttung von Corticosteron mit den oben angesprochenen Symptomen.

Von einem immunologischen Standpunkt betrachtet demonstriert diese Studie eindrucksvoll die positive Wirkung von Mikroorganismen auf den Wirtsorganismus. Über einen für das Immunsystem entscheidenden, eigentlich zur Erkennung und somit Abwehr von Mikroorganismen zuständigen Rezeptor, bewirken „erwünschte“ Mikroorganismen eine reibungslose Taktung des zirkadianen Rhythmus.

Damit diese Forschungsergebenisse einen Weg in die direkte Therapieanwendung finden können, muss jedoch das Uhrwerk noch genauer unter die Lupe genommen werden: Welche Darmbakterien spielen genau eine Rolle? Welche indirekten Auswirkungen haben Antibiotika in diesem Zusammenhang? Da Toll-like-Rezeptoren auch Fette erkennen können, stellt sich außerdem unmittelbar die Frage, welchen Einfluss die Nahrungsaufnahme auf die Ausschüttung von Corticosteron ausübt.

 

Quellen:

[1] “Stability, Precision, and Near-24-Hour Period of the Human Circadian Pacemaker” von Czeisler et al., Science 1999

[2] “Homeostasis in Intestinal Epithelium Is Orchestrated by the Circadian Clock and Microbiota Cues Transduced by TLRs” von Mukherji et al., Cell 2013

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Veröffentlicht von

ImmunoLogisch Verena Brucklacher-Waldert ist promovierte Immunologin und arbeitet an einem Forschungsinstitut für biomedizinische Forschung in Cambridge, UK. Dort erforscht sie vor allem welche Faktoren zur Entwicklung von Autoimmunerkrankungen führen.

3 Kommentare

  1. Ihre Periodenlänge entspricht ungefähr 24 Stunden (um genau zu sein 24 Stunden und 16 Minuten) [1] und wird daher auch zirkadian (lateinisch für circa “ungefähr” und dies “Tag”) genannt.

    Verschiebt sich die innere Uhr dadurch nicht gegenüber einem 24h-Tag? Oder gibt es da so etwas ähnliches wie ein “Schaltjahr”?

    [ANTWORT: Lieber Martin, der menschliche zirkadiane Rhythmus beträgt ungefähr 24 Stunden +/- einige Minuten (von Mensch zu Mensch verschieden), wenn die Uhr völlig frei von externen Einflussen ticken kann – dies ist aber eigentlich nie dier Fall. Licht, Temperature und Nahrung sind nur einige externe Zeitgeber, die bei unserer internen Uhr regelmässige den „reset“ Knopf drücken, um sie mit unserer Umgebung zu synchronisieren. Verena Brucklacher-Waldert].

  2. Noch eine andere Frage. Ich nehme an bestimmte Krankheiten haben Einfluß auf die Darmflora. Dann müßte das doch auch Einfluß auf die innere Uhr haben, oder?

    [ANTWORT: Lieber Martin, theoretisch ja. Praktisch gibt es dafür aber noch keinen Beweis, höchstens Anhaltspunkte:
    Bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wurde eine Reduktion in der Vielfalt von Darmbakterien festgestllt (Ott et al., Gut 2004). Interessanterweise fand eine andere Studie heraus, dass bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen die Menge von Proteinen, die für die Produktion von Corticosteron in Darmepithelzellen verantwortlich sind, verändert sind im Vergleich zu gesunden Patienten (Coste et al., PNAS 2007). Die Ausschüttung von Corticosteron wurde hier nicht direkt analysiert, aber beide Studien lassen vermuten, dass eine veränderte Darmflora bei Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung Einfluss auf die zirkadian-regulierte Ausschüttung von Corticosteron haben könnte.
    Ein weiterer Anhaltspunkt ist die Tatsache, dass manche Antibiotika Schlaflosigkeit hervorrufen. Antibiotika reduzieren die Menge von Darmbakterien und Schlaflosigkeit kann als Störung des zirkadianen Rhythmus interpretiert werden. Diese Hypothese ist etwas weiter hergeholt aber bisher ist der genaue Mechanismus, der bei Antibiotikabehandlungen zu Schlaflosigkeit führt, nicht bekannt. Verena Brucklacher-Waldert]

  3. Hallo und willkommen bei den SciLogs 🙂

    Schöner Artikel, kleine Korrektur: IIRC und wenn ich es im Paper nicht falsch gelesen habe, hat der humane “circadiane Schrittmacher” eine Periodenlänge von 24.18 Stunden, d.h. also 24:10 Minuten 😉

    Ich freue mich über die kommenden Artikel über Autoimmunerkrankungen, und das hat einen ganz und gar eigennützigen Grund: obwohl ich praktisch noch nichts darüber im Blog vermerkt habe, arbeite ich selber an einem Morbus-Bechterew-assoziierten MHC-Klasse-I-Protein (HLA-B27:05 und :09) und versuche das mit NMR dynamisch zu charakterisieren. Traditionell hat mein Blog eher nicht den Fokus „Forschungsblog“, aber vielleicht sind ja die ImmunoLogischen Artikel Inspiration genug, die zahlreichen angefangenen Artikel über MHC-Proteine und NMR wieder hervorzuholen …

    Viele Grüße & großen Erwartungen
    Martin

    [ANTWORT: Lieber Martin, in der zitierten Studie wurden die Periodenlänge der menschlichen zirkadianen Uhr von hauptsächlich männlichen Probanten analysiert. Wie sich zeigte ist die Periodenlänge für jedes Individum unterschiedlich und schwankt von 23h52min bis 24h25min. Aber Du hast recht, die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die mittlere Periodenlänge von allen Probanden einen Wert von 24.18 Stunden hat, also ca. 24h und 11min. Danke für den Hinweise, die Angabe habe ich im Text korrigiert. Freu mich schon von Dir über MHCs und NMR zu lesen. vbw]

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