Kann die Maus als Fenster zum menschlichen Immunsystem dienen?

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Ununterbrochen sind wir allergieauslösenden Reizstoffen, Bakterien und Viren ausgesetzt. Eines unser effektivstes Verteidigungssystem gegen diese körperfremden Eindringlinge ist unser Immunsystem.  Nicht immer aber schafft es das Immunsystem alleine, unsere Gesundheit aufrechtzuerhalten und wir entwickeln Krankheitssymptome. Manchmal richtet sich unser eigenes Immunsystem sogar gegen uns selbst und wir entwickeln eine Autoimmunkrankheit. In solchen Fällen brauchen wir Hilfe von außen in Form von Medikamenten und medizinischen Therapien. Um diese aber effektiv zu entwickeln, müssen zunächst die Grundlagen des Immunsystems im gesunden und kranken Organismus verstanden werden. Genau das ist das Ziel der Immunologen.

Ein Werkzeug der Immunologen ist das Tiermodel – der bevorzugte Organismus die Maus. Warum gerade ein kleiner Vierbeiner mit Fell? Nicht unbedingt augenscheinlich, aber in vielen biologischen Aspekten gleicht die Maus dem Menschen. Allein genetisch betrachtet finden sich große Gemeinsamkeiten: 99% der Gene in der Maus besitzen korrespondierende Genen im Menschen und umgekehrt. Ein weiterer großer Vorteil der Maus ist, dass heutzutage viele Techniken und Methoden zur zielgerichteten Manipulation des Maus-Genoms etabliert sind. Zum Beispiel kann man in genetisch veränderten Mäusen bestimmte Gene flexibel und gezielt „ein- und ausschalten“, um ihre Funktion in biologischen Prozessen zu untersuchen.

Die Struktur des murinen Immunsystems ist im Großen und Ganzem dem humanen ähnlich. Dies erlaubt verschiedene, beim Menschen auftretende Krankheiten in der Maus nachzuahmen und somit immunologische Mechanismen untersuchen und besser verstehen zu können. Außerdem ermöglicht es, potentielle Medikament zu testen. Eine Voraussetzung für die Zulassung eines Medikaments oder einer therapeutische Intervention für eine klinische Studie ist die erfolgreiche Bekämpfung von Krankheitssymptomen im Tiermodell. Beispielsweise wiesen tierexperimentelle Untersuchungen darauf hin, dass die Gabe von Antikörpern gegen ein Protein namens a4b1 Integrin gegen Multiple Sklerose (MS) helfen könnte. Und in der Tat führte dieses Forschungsergebnis zur Entwicklung von Tysabri. Tysabri ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der an a4b1 Integrin bindet und momentan eines der erfolgreichsten Medikamente gegen Multiple Sklerose ist.

Neben solchen Erfolgen können allerdings auch zahlreiche vielversprechende Ergebnisse, die aus Tierversuchen resultieren, nicht im Menschen reproduziert werden.

Überraschend ist dies nicht, wenn man bedenkt, dass beide Spezien vor ungefähr 65 und 75 Mio Jahren divergierten und sich unter anderem in Körpergröße und Lebenserwartung unterscheiden oder darin, dass sie verschiedene ökologische Lebensräume bewohnen.

Diese Unterschiede widerspiegeln sich im Immunsystem (für eine Übersicht siehe Mestas & Hughes, J Immunol 2004 Tabelle 1). Hier sei nur ein Beispiel genannt: Defensins sind vom Körper produzierte Proteine zur Bekämpfung von Pilzen, Bakterien und bestimmten Virenarten. Im Menschen werden sie hauptsächlich von Neutrophilen (sogenannte „Fresszellen“ des Immunsystems) produziert, wohingegen Neutrophile in Mäusen überhaupt keine Defensins herstellen können. Dafür scheiden spezialisierte Darmzellen in Mäusen mehr als 20 verschiedene Defensins aus, im Menschen dagegen nur zwei. Diese unterschiedliche Verteilung der Defensins ist höchstwahrscheinlich auf eine optimale Anpassung an die unterschiedlichen Ökosysteme zurückzuführen: Mäuse leben auf und unter der Erde; dadurch und durch Aufnahme „ungewaschener“ Nahrung hat ihr Verdauungssystem einen intensiveren Kontakt zu Pilzen und Bakterien. Ein umfangreiches Repertoire an Defensins im Darm ist daher vorteilhaft.

Andere immunologische Unterschiede zwischen Labormäusen und Menschen ergeben sich klar aus der Haltung von Labortieren. Labormäuse werden durch Inzucht vermehrt und sind daher innerhalb eines Stammes genetisch identisch. Sie werden in einer speziellen, keimfreien Umgebung bei konstanter Temperatur, Luftfeuchtigkeit und konstantem Nahrungsangebot und Tag-Nacht-Rhythmus gehalten. Wohingegen kein Mensch – eineiige Mehrlinge ausgenommen – genetisch einem anderen gleicht. Außerdem sind Menschen verschiedenen Krankheitserregern ausgesetzt, die das Immunsystem ein Leben lang individuell formen. Auch Ernährung und Stress beeinflussen das Immunsystem. Die Kombination dieser und weiterer Faktoren ist für jeden Menschen unterschiedlich und verleiht somit jedem Individuum ein „einzigartiges“ Immunsystem.

Diese individuumsspezifische Komplexität des menschlichen Immunsystems lässt sich an dem bereits oben erwähnten Medikament Tysabri verdeutlichen. Obwohl Tysabri in Tierversuchen erfolgreich war und der großen Mehrheit der MS Patienten ein wertvolles Medikament ist, zeigt eine Minderheit von MS Patienten tödliche Nebeneffekte. Warum? Tysabri greift in die Mechanismen des Immunsystems ein, um die Krankheitsverlauf von MS zu verlangsamen. Allerdings ermöglicht es auch einem ansonsten „schlafenden“ Virus aktiv zu werden. Vermutlich ist die Hälfte der Bevölkerung mit dem sogenannten JC Virus infiziert ohne irgendetwas davon zu merken, da ihr Immunsystem das Virus gut unter Kontrolle hat. Die Gabe von Tysabri ändert die immunologische Umgebung im Körper so, dass zwar die MS-Symptome bekämpft werden, der Virus vom Immunsystem aber nicht mehr kontrolliert werden kann. Daher sind bereits mehrere JC-infizierte MS Patienten während einer Behandlung mit Tysabri verstorben. Dieses Ergebnis war nicht vorherzusehen, da Labormäuse in der Tieranstalt einem solchen Virus in der Regel nicht ausgesetzt sind.

Dennoch, stellt das Mausmodel für die immunologische Forschung ein wichtiges Werkzeug dar. Aus Sicht vieler Forscher überwiegt der Nutzen die möglichen Unwägbarkeiten. Es ist notwenidg, dass sich Forscher der Grenzen des Tiermodelles bewusst sind und (a) genaue Kenntnis über die Unterschiede zwischen murinem und humanem Immunsystem haben, und (b) wenn möglich humanisierte Mäuse einsetzen, sowie zusätzlich zu den Mausdaten (c) Ergebnisse aus dem Einsatz von menschlichen Immunzellen heranziehen.

Viele Forscher arbeiten bereits daran: Kenntnisse über die Unterschiede zwischen den Immunsystemen von Maus und Mensch werden zusammengetragen und systematisch gegenübergestellt, humanisierte Mäuse kommen zum Einsatz und Forschergruppen schließen sich zu internationalen Konsortien zusammen um menschlichen Immunzellen besser zu untersuchen.

Speziell die Untersuchung von humanen Immunzellen ist eine Herausforderung. Sie lassen sich nur außerhalb des Körpers (in vitro) untersuchen und dies erfordert die Zusammenarbeit von Forschern, Medizinern, Patienten und gesunden Spendern. Da jeder Mensch mit einem individuellen Immunsystem ausgerüstet ist, muss eine große Anzahl von individuellen Proben miteinander verglichen werden um die zur Entstehung einer Krankheit beitragenden Faktoren zu identifizieren. Wie z.B. im letzten Monat im Fachmagazin Nature Genetics berichtet, verglich das „International Multiple Sclerosis Genetics Consortium“ DNA aus Immunzellen von 14802 MS Patienten und 26703 gesunden Kontrollen. Sie entdeckten 48 Regionen auf der DNA, die sich in den beiden Gruppen unterschieden. Möglicherweise spielen diese DNA Regionen eine wichtige Rolle in der MS.  Um den Effekt dieser DNA-Bereiche auf die Entstehung und den Krankheitsverlauf zu analysieren sind allerding weitere Untersuchungen nötig, unter anderem auch durch den Einsatz von Mausmodellen.

Losgelöst von prinzipiellen Fragen zur Rechtfertigung von Tierversuchen bleibt abschließend zu sagen, dass der Schlüssel für viele humane Erkrankungen weiterhin im Mauskäfig zu finden sein wird – aber eben nicht nur! Momentan kann sich ein möglichst klares Bild des menschlichen Immunsystems am zuverlässigsten durch das Zusammentragen von Erkenntnissen aus Tiermodellen und humanen in vitro Daten ergeben.

 

Begriffserklärung:

Murin bedeutet die Maus bzw. Ratte betreffend.

Multiple Sklerose ist eine Autoimmunkrankheit bei der Immunzellen bestimmte Bestandteile von Nervenzellen des Gehirns und Rückenmarks zerstören. Dies führt zu verschiedenartigen Symptomen, wie Müdigkeit, Sehstörungen, Muskelschwäche, Lähmungen, Koordinations- und Empfindungsstörungen. Die genaue Ursache dieser Krankheit ist bis heute nicht bekannt.

Humanisierte monoklonale Antikörper. Humanisiert bedeutet, dass Antikörper, die von einem nicht-menschlichen Organismus stammen, so verändert wurden, dass sie menschlichen Antikörpern ähneln. Monoklonal bedeutet, dass die Antikörper alle von einer Immunzelle stammen, also Klone sind.

Humanisierte Mäuse werden durch das injizieren von humanen hämatopoetische Stammzellen hergestellt um ihnen ein „menschliches“ Immunsystem zu verleihen.  Hämatopoetische Stammzellen können alle Zellen des Blutes bilden, zu denen eben auch Immunzellen zählen.

 

Quellen und weiterführende Literatur:

Vergleich von Maus- und Menschgenom: Chinwalla et al., Nature 2002

Unterschiede im Immunsystem zwischen Maus und Mensch: Mestas & Hughes, J Immunol 2004; Haley, Toxicology 2003

Tysabri: Yednock, Nature 1992; Miller, N Engl J Med 2003; Chataway & Miler, Neurotherapeutics 2013

Probleme und Lösungsansätze für die immunologische Forschung: Hayday & Peakman, Nat Immunol 2008

 

 

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Veröffentlicht von

ImmunoLogisch Verena Brucklacher-Waldert ist promovierte Immunologin und arbeitet an einem Forschungsinstitut für biomedizinische Forschung in Cambridge, UK. Dort erforscht sie vor allem welche Faktoren zur Entwicklung von Autoimmunerkrankungen führen.

4 Kommentare

  1. Humanisierte Mäuse sind ja Chimären. Es erstaunt, dass eine solche Hybridisierung wie man bei Pflanzen und Autos sagen würde, überhaupt möglich ist. Scheinbar mit ganz verschiedenen Zelltypen. Kürzlich geisterte die Meldung durch die Presse, Mäuse mit humanen Astrozyten seien verglichen mit ihren unbehandelten Artgenossen Intelligenzbestien.
    Wenn das so weitergeht sind zukünftige Labormäuse halb Mensch und halb Maus

  2. Guten Tag ,

    Was halten Sie von einem homöopathischen Mittel , aus den Haarwurzeln von Krebspatienten gegen HIV ?

    MfG Alexander Kirschner

    • Lieber Alexander Kirschner,

      die Existenz eines solchen Mittels ist mir nicht bekannt, daher kann ich dazu nichts sagen.

      MfG vbw

      • hallo ,

        mir auch nicht … ich habs getraeumt und meine freundin hat gesagt ich solls “bloggen” ……. :/ 🙂 🙁

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