Mondschuss, die zweite!

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2007 hat die X-Prize Foundationzu einem Preis mit großem Wagnis aufgerufen – und Google dafür als kapitalstarken Sponsor gefunden. Ende 2017 schließt sich das Zeitfenster, dreißig Millionen Preisgeld einzustreichen. Folgende Aufgaben müssen bis dahin erfolgreich erfüllt werden:

– die Landung eines Rovers auf dem Erdtrabanten,
– der dort mindestens 500 Meter zurücklegen und
– dabei hochaufgelöste Bilder und Videos zur Erde senden muss.

Die PT Scientists aus Berlin, eines von 17 gemeldeten Teams, liegen im selbst gesetzten Zeitplan. Heute Abend hat das Unternehmen einen weiteren Meilenstein vollzogen und mit der amerikanischen Spaceflight Inc. den Vertrag für die feste Buchung ihres Mondfluges gezeichnet. Spaceflight ist ein privater Service Provider, der sich darauf spezialisiert hat, für seine Kunden mit standardisierten Packages Flüge auf kommerziellen Lauchern zu organisieren und zu managen.

Das deutsche Mondflug-Projekt PT Scientists wurde vor knapp zehn Jahren von Robert Böhme und einer kleinen Truppe junger und begeisterungsfähiger Weltraumfreaks gegründet. Damals stand “PT” noch für “Part Time”, denn alle Teammitglieder hatten zwei „Leben“ – eines am Tage, als IT-Berater, Studenten oder Jungwissenschaftler. Des Nachts wechselten sie – „wie Dr. Jekyll und Mr. Hide“, so formuliert es Böhme selbst – in einen anderen Lebenszustand und bastelten in einer kleinen Montagehalle an ihrem großen Traum, einer Mondlandung! Seit 2015 haben sie sich mächtig professionalisiert, damals ist ihnen Audi als größter Sponsor offiziell an die Seite getreten. Die vier Ringe brachten massives technologisches Knowhow in Sachen autonomer Fahrzeuge mit – und sahen selbst die einmalige Chance für eine reichlich spacige Marketing-Kampagne. Mit dem künftigen Mond-Rover, der inzwischen ihren Namen trägt, dehnen sie den „Vorsprung durch Technik“ auf die außerirdischen Sphären aus und wollen das autonome Fahren auf dem sonst verkehrstechnisch noch kaum erschlossenen Erdtrabanten massenwirksam austesten – es sei hinzugefügt: wenn sie erst mal sicher gelandet sind! Der Landeplatz in der Gegend, in der Apollo 17 den Mond besuchte und ihn mit einem Rover erkundete, scheint mir ziemlich clever gewählt, denn diese Region ist dank der Roverfahrten visuell weitläufig dokumentiert, das unwegsame Gelände also gut bekannt.


Rover Apollo 17 auf freier Fahrt – Foto © NASA

Eine gewaltige Aufgabe für eine mächtige Vision. Die geeignete kommerzielle Startrakete zu finden und das Paket sicher auf den Weg zum Mond zu bringen, ist nicht das große Problem. Naja, es kommt natürlich auch heute noch vor, dass eine Rakete beim Start explodiert, aber dieses Risiko ist heute schon gering. Unterstellen wir auch, dass der Bau eines funktionsfähigen autonomen Mond-Rovers – zumal mit deutscher Gründlichkeit und nach Maßgabe Ingolstädter Präzisions-Ingenieure entworfen und gebaut – ebenfalls große Wahrscheinlichkeit fürs Gelingen hat.


Audi Lunar Quattro auf autonomer Entdeckungsfahrt – Foto © Audi

Dann bleibt aber immer noch eine kurze Zeitspanne mit großem Risiko, eine, die es in sich hat – und die wohl der mit Abstand schwierigste Teilabschnitt des gesamten Projektes „Mondschuss“ ist. Die kurze Zeit dazwischen: die, wenn der Lander – bei den PT Scientists „Alina“ getauft – in die Mondbahn einschwenkt, ihn mehrmals umkreist und dann zum genau richtigen Zeitpunkt und mit dem genau richtigen Tuning der Rückstoßraketen zur ultimativen Landung aus unserem Trabanten ansetzt. Die wirklich heiße Phase des gesamten Projektes Mondschuss kulminiert in diesen wenigen Minuten: wenn die Bremsraketen zünden – und der Lander bei einem Sechstel der Erdanziehung sanft auf dem atmosphärelosen Mond nieder gehen soll.


PT Scientists: “Alina has landed!” – Foto © PT Scientists

Die PT Scientists haben sich dafür Knowhow eines alten Apollo-Recken eingekauft. Berater Jack Crenshaw gilt als Meister des real-time programming im Weltraum, einer, der das Prinzip „keep it simple“ zu seiner Philosophie erhoben hat, der weiß, wie man auf unerwartete Ereignisse schnell reagieren kann, einer, der am Anfang des Raumfahrt-Zeitalters in den sechziger und siebziger Jahren wesentlichen Anteil am Gelingen der Apolloflüge hatte – auch dank unkonventioneller Ideen zur Problem-Beseitigung. Für Newcomer wie die PT Scientists ist so einer von unschätzbarem Wert, denn er kann diese wenigen entscheidenden Minuten vor der Landung mit all seinem Wissen um Defizite managen. Dank des nur geringen Zeitverzugs von wenigen Sekunden für die Datenübertragung von der Erde zum Mond und zurück könnte er im Krisenfall sogar noch manuell eingreifen und versuchen, Alina direkt gesteuert auf dem Mond aufzusetzen. Wir erinnern uns: Die erste Mondlandung brauchte auch die menschliche Hand des Astronauten, um “Eagle” manuell weich auf dem Mond zu landen.


Apollo 11: „Eagle has landed“ – Foto © NASA

Diese kurze Zeitspanne also ist echt eine Herausforderung – selbst im Zeitalter von Spirit und Konsorten. Wer es nicht glauben wollte, der wurde vor wenigen Wochen eines Besseren belehrt: als die große Weltraumorganisation ESA ihren Marslander Schiaparelli auf dem roten Planeten ziemlich blamabel im Vollcrash in den Sand setzte. Was die etablierte Behörde mit ungezählten Experten nicht schaffte, will jetzt eine kleine Truppe von Begeisterten hin kriegen. Mut zum Scheitern ist da eine wichtige Voraussetzung – und irgendwie kam zumindest für die PT Scientists das ESA-Malheur zur rechten Zeit. „Wenigstens kann man uns jetzt nicht mehr auslachen, wenn’s schief gehen sollte“, sagte mir einer der Verantwortlichen. Klar, die Chance, dass die Landung gut geht, liegt wahrscheinlich nicht höher als fünfzig Prozent.

Dieser „Moon Shot“ ist Teil eines Aspektenwechsels, in dem sich die Weltraumfahrt gerade befindet. Man mag zu Google stehen, wie man will, und auch die Schattenseiten des Silicon-Riesen sehen, eines muss man ihm zubilligen: Er ist mit den Zukunftsprojekten stets ein Trigger für den sich ändernden Puls der Zeit – in diesem Fall: das Einläuten der Kommerzialisierung des planetaren Raums. Es ist sicherlich kein Zufall, dass das Wort Kommerzialisierung jüngst auch bei ESA-Verantwortlichen und der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt DLR immer mehr in Mode kommt. Bis vor kurzer Zeit sind die Verantwortlichen sehr vorsichtig mit solchen Begrifflichkeiten umgegangen. Doch der Bann ist gebrochen. Die Granden sprechen jetzt auf breiter Front von Space 4.0 – in Anlehnung an Industrie 4.0 -, gar von einem „neuen Zeitalter“, von Kolonialisierung und Kommerzialisierung als wäre das schon immer der eigene Sprachgebrauch. Man lese beispielsweise das programmatische Interview mit ESA-Chef Jan Wörner, das die DLR als PR-Aktion in Sachen Innovation hier vor wenigen Tagen gepostet hat.

Der „New Space“ wie die Amerikaner das Phänomen nennen, wird – wie immer bei solchen gravierenden Umbrüchen – nicht von den traditionellen Playern getrieben, den großen Weltraumorganisationen wie NASA oder ESA eben. Es sind die Entrepreneure, die es wagen, weil sie nichts zu verlieren haben. Es sind jene wie der Robotik-Professor Red Whittaker, der mit seinem Unternehmen “Astrobotic Technologies” auch im Rennen um den Mondschuss mit dabei ist und der die zugrunde liegende Denkwelt auf dem World Economic Forum 2015 mit der schlichten Formel offenbarte: „Man muss nicht unbedingt der Beste sein, sondern nur der Erste!“

Mehr zum Thema Kommerzialisierung des planetaren Raums mit den Aspekten des Weltraumrechts auch in meiner Story bei Telepolis hier

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Ich habe viele Jahre journalistisch im Bereich Wissenschaft und Technologie gearbeitet, später dann mit meiner kleinen Beratungsfirma als Medienexpertin. 2010 erfüllte ich mir meinen großen Traum und gründete den Spartensender HYPERRAUM.TV, für den ich eine medienrechtliche Rundfunklizenz erteilt bekam. Seither mache ich als One-Woman-Show mit meinem „alternativen TV-Sender“ gewollt nicht massentaugliches Fernseh-Programm. Als gelernte Wissenschaftshistorikern habe ich mich gänzlich der Zukunft verschrieben: Denn die Vergangenheit können wir nur erkennen, die Zukunft aber ist für uns gestaltbar. Wir sollten versuchen, nicht blind in sie hinein zu stolpern!

1 Kommentar

  1. Mit SpaceX, Blue Origin und anderen hat die Ära der privaten Raumfahrt in den USA bereits begonnen. Platformen wie die Cubesat-Spezifikation haben den Weltraum und die Erdbeobachtung zudem für Universitäten und Startups geöffnet. Wettbewerbsplatformen wie der Lunar XPrice schliesslich haben den Mond für Tüftler und Raumfahrtenthusiasten geöffnet.
    All das ging von den USA aus. Es stimmt schon, dass der neue ESA-Chef Jan Wörner Visionen vom europäischen Monddorf oder jetzt von Space 4.0 entwickelt hat. Mir scheint aber, wenn er davon spricht bei der ESA soll die Komerzialisierung der Raumfahrt und die Public-Private-Partnership sogar deutlich über den Stand in den USA hinausgehen, dann verspricht er etwas für das die Voraussetzungen in Europa schlechter sind als in den USA, zumal das was Jan Wörner sagt, Absichten sind, während es in den USA immer mehr zur Realität wird.

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