Infrarot-Augen fürs autonome Fahren

Lidars arbeiten nach dem Prinzip des Radars, nur in einem anderen Frequenzbereich, nämlich im Infrarot. Nach übereinstimmender Aussage von Analysten gehört ihnen die Zukunft, denn es ist eine Schlüsseltechnologie des autonomen Fahrens. Bei Goldman Sachs glaubt man, dass solche Lidaraugen schon 2030 ein Marktvolumen von 35 Mrd. Dollar haben werden. Ihre Bedeutung reicht zudem weit über dieses Marktsegment hinaus, denn Lidars braucht auch das „Internet of Things“ ganz generell. Immer dann, wenn Maschinen, Roboter oder Software-Algorithmen für ihr Tun gut „sehen“ müssen. Gegenüber dem Stereo-Sehen mit zwei Augen ist das Lidarauge ein alternatives Konzept dreidimensionaler Wahrnehmung basierend auf Laserlicht. Auf der lichtüberfluteten Erde hat es sich nach unserem derzeitigen Wissen bei biologischen Wesen nicht durchgesetzt, wahrscheinlich nicht einmal in Ansätzen entwickelt. Am nächsten kommt es dem „Sehen“ von Fledermäusen, die Ultraschallwellen aussenden und aus der Reflexion des Schalls ihre Umgebung sogar im Dunklen wahrnehmen zu können. Die irdische Biologie hat vor allem auf das Zwei-Augen-Prinzip gesetzt, das vielfach Teil einer komplexeren Wahrnehmung unterschiedlicher Sinnessensoren ist und erst im Gehirn zu einer einheitlichen der Welt umgesetzt wird. Augen sind passive Sensoren: Sie nehmen das von den Objekten im Raum reflektierte Sonnenlicht wahr, das sie daher nur zweidimensional abbilden können. Aus den perspektivisch verschobenen Daten der Stereosicht wird die Entfernung zu den wahrgenommenen Objekten berechnet.

Beim Lidarauge als aktivem Sensor liefern die Laufzeitunterschiede der reflektierten Lasersignale die Entfernung. Um ein gesamtes Bild der sich stetig ändernden Realität zu erhalten, muss der Laser seine Umgebung sequenziell mit großer Geschwindigkeit abtasten. Will man Lidars beispielsweise für autonomes Fahren nutzen, dann braucht es für ein brauchbares Abbild der Umgebung jede Sekunde bis zu 1 Million ausgesendeter Signale. Das so erzielte Ergebnis ist immer noch weit von der Präzision entfernt, die ein menschliches Auge die Realität abbildet. Gesichter kann das Lidarauge mit dieser Auflösung nicht erkennen. Um aber Verkehrssituationen richtig zu analysieren, reicht es, Menschen als Objektklasse eindeutig erfassen zu können. Die Steuerung des Laserscans in dieser Geschwindigkeit ist technologisch anspruchsvoll und wird heute noch ganz konventionell mit Mini-Motoren gemacht. Diese mechanischen Teile machen Lidars allerdings störanfällig und auch teuer in der Herstellung. Je nach Ausführung muss man bis zu mehreren zehntausend Euro pro Stück hinblättern. Das eignet sich für autonome Testfahrzeuge, ist aber keinesfalls massentauglich, noch dazu, da fürs Fahren ohne menschlichen Fahrer ein einzelner Lidar im Auto gar nicht ausreicht. Es sind mehrere dieser Lidars im Parallelbetrieb erforderlich: Nahbereichs- und Fernbereichslidar, sowohl vorne wie hinten am Fahrzeug.

In Entwicklungs- und Forschungslaboren wird deshalb weltweit ganz massiv an der Zukunft des Lidars gearbeitet. Ein Start Up aus München mit 35 Mitarbeitern, das sich den Firmennamen „Blickfeld“ gegeben hat, könnte inzwischen das Tor zur nächsten Generation von Lidars aufgestoßen haben – mit einem, wie die jungen, aus der Roboterforschung migrierten Gründer sagen, „disruptiven Ansatz“. Florian Lenz, den ich vor kurzem zu einem Gespräch besucht habe, ist eigentlich promovierter Quantenphysiker und heute bei Blickfeld für Finanzen und Personal verantwortlich. Er meint stolz: „Die Idee hat man, oder man hat sie eben nicht.“ Die Idee, die die Gründer Mathias Müller, CEO des Unternehmens, der Robotiker Florian Petit und Rolf Wojtech entwickelt haben, ist die „Entrümpelung“ des Innenlebens von allen mechanischen Teilen. Statt derer kommt jetzt eine elegante MEMS-Siliziumtechnologie zum Einsatz, wobei MEMS für „Micro Electromechanical Systems“ steht.


Im Entwicklungslabor von Blickfeld

Details zur Halbleiter-Lösung gibt es allerdings nicht, weil all das streng geheim und selbstverständlich auch mit etlichen Patenten geschützt ist. So gab es für mich beim Besuch auch präzise Anweisungen, welche herum liegende Hardware in den Laboren ich filmen darf – und welche Objekte eben auch nicht. Kein Wunder bei einer Entwicklung, die den High-End-Preis um den Faktor hundert auf wenige hundert Euro drückt.

Dass die Blickfeld GmbH vielleicht auf dem Sprung zu Großem ist, dokumentieren nicht nur etliche Preise, die das junge Unternehmen erhalten hat. Relevanter ist wohl, dass die Industrie schon vorstellig wurde, und die etablierten Zulieferer wie auch Automobilhersteller das leistungsfähige Mini-Lidar bereits in Prototypen testen. Blickfeld jedenfalls ist sicher: Trotz der massiven Entwicklungen in den USA und in China – das Lidarauge made in Bavaria ist nicht nur der preiswerteste, sondern auch der qualitativ beste Prototyp, der derzeit weltweit zu haben ist.

Zum Stand der Entwicklung von Blickfeld und den Perspektiven der Technologie, die bis zur Robotik und Anwendungen in der Sicherheit reicht, mehr in meiner hier gezeigten Sendung.

Den Sprechertext der Reportage gibt’s bei HYPERRAUM.TV.

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Ich habe viele Jahre journalistisch im Bereich Wissenschaft und Technologie gearbeitet, später dann mit meiner kleinen Beratungsfirma als Medienexpertin. 2010 erfüllte ich mir meinen großen Traum und gründete den Spartensender HYPERRAUM.TV, für den ich eine medienrechtliche Rundfunklizenz erteilt bekam. Seither mache ich als One-Woman-Show mit meinem „alternativen TV-Sender“ gewollt nicht massentaugliches Fernseh-Programm. Als gelernte Wissenschaftshistorikern habe ich mich gänzlich der Zukunft verschrieben: Denn die Vergangenheit können wir nur erkennen, die Zukunft aber ist für uns gestaltbar. Wir sollten versuchen, nicht blind in sie hinein zu stolpern!

12 Kommentare

  1. Ja, LIDAR liefert direkt hochaufgelöste 3D-Information im “Blickfeld” – und das unabhängig von der Beleuchtung, von Tag, Dämmerung oder Nacht.
    “Blickfeld”‘s MEM-Lösung ist sicher die Zukunft, aber kommt für viele Automobilfirmen, die um 2020 herum ihre autonomen Fahrzeuge auslierfern wollen, wohl etwas zu spät. BMW jedenfalls setzt auf das LIDAR der israelischen Firma Innoviz, welche bereits ein fertiges Produkt anbietet mit einer Winkelauflösung von 0.15°(horizontal)x0.3°(vertikal), einem Blickfeld von 73°x20° Grad, 20 Bildern pro Sekunde (73x66x165mm) und bis 150 Metern Reichweite. Innoviz arbeitet scheinbar nicht mit MEM’s um den Lichtstrahl in alle Richtungen zu senden, sondern mit einem bewegten Spiegel.

  2. Nachtrag: Hier der Vergleich von “Blickfeld” mit Innoviz:
    Sichtfeld: “Blickfeld”: 20° x 30° Grad; Innoviz: 73°x20°Grad
    Reichweite: “Blickfeld”: > 120 Meter; Innoviz: 150Meter
    Bildfrequenz: “Blickfeld”: 10-100 Bilder pro Sekunde; Innoviz: 20 Bilder pro Sekunde
    Winkelauflösung: “Blickfeld” 0.1°; Innoviz: 0.15°(horizontal)x0.3°(vertikal)
    Bildabmessungen: “Blickfeld”: 100 x 60 x 35 mm; Innoviz: 73x66x165mm

    Die Werte sind also vergleichbar, im gleichen Bereich. Dooch Innoviz liefert ihr Produkt schon aus, “Blickfeld” hat scheinbar erst Prototypen.

  3. Soweit ich aus der Branche erfahren habe, testen Automobilhersteller sowie große Zulieferer den Prototypen bereits. Aber klar, ist Blickfeld noch nicht im Markt. Allerdings haben sie gegenüber Innoviz den langfristig großen Vorteil der MEMS-Technologie: Wie in der Reportage ausgeführt, gibt es dabei keine mechanischen, beweglichen Teile mehr. Und erst damit ist es möglich, ein robustes Produkt für den Massenmarkt preiswert anzubieten. Ich war vor kurzem auf der Autonomous Traffic, ein Mobility-Branchentreff im Münchner Bölkow-Campus, über den ich auch eine Sendung gemacht habe (kommt hier in Kürze). Alle anwesenden Experten waren sich übrigens einig, dass autonome Fahrzeuge (wir reden von Level 4!) genau wegen der heutigen Nicht-Verfügbarkeit massentauglicher Sensoren (unabhängig von dem weiteren Problem völlig unausgereifter Software) gar nicht hergestellt werden könnten. More to come …

  4. @Susanne Päch (Zitat): Alle anwesenden Experten waren sich übrigens einig, dass autonome Fahrzeuge (wir reden von Level 4!) genau wegen der heutigen Nicht-Verfügbarkeit massentauglicher Sensoren (unabhängig von dem weiteren Problem völlig unausgereifter Software) gar nicht hergestellt werden könnten.
    Ja, deshalb gibt es ja nur Waymo, welches selbstfahrende Taxidienste anbietet – und dann nichts mehr. Waymo’s LIDAR stammt von Velodyne und kostete 8’000 Dollar. Doch Velodyne hat den Preis kürzlich halbiert. Neu sind es nur noch 4’000 Dollar. 4’000 Dollar ist aber immer noch zu teuer. Zudem ist der Velodyne gross und hässlich und muss auf dem Dach des Autos montiert werden.

    Eine Alternative zu LIDAR gibt es aber schon: Es ist die Kombination von Kameras, hochauflösendem Radar und Ferninfrarotkameras. Die Ferninfrarotkamera ist dabei das Wichtigste, denn sie liefert praktisch bei jeder Aussenbeleuchtung gute Bilder.
    AdaSky ist die Firma, die mit Ferninfrarotkameras den Markt der autonomen Autos erobern will.

  5. @Susanne Päch (Zitat): Alle anwesenden Experten waren sich übrigens einig, dass autonome Fahrzeuge (wir reden von Level 4!) genau wegen der heutigen Nicht-Verfügbarkeit massentauglicher Sensoren (unabhängig von dem weiteren Problem völlig unausgereifter Software) gar nicht hergestellt werden könnten.
    Ja, deshalb gibt es ja nur Waymo, welches selbstfahrende Taxidienste anbietet – und dann nichts mehr. Waymo’s LIDAR stammt von Velodyne und kostete 8’000 Dollar. Doch Velodyne hat den Preis kürzlich halbiert. Neu sind es nur noch 4’000 Dollar. 4’000 Dollar ist aber immer noch zu teuer. Zudem ist der Velodyne gross und hässlich und muss auf dem Dach des Autos montiert werden.

    Eine Alternative zu LIDAR gibt es aber schon: Es ist die Kombination von Kameras, hochauflösendem Radar und Ferninfrarotkameras. Die Ferninfrarotkamera ist dabei das Wichtigste, denn sie liefert praktisch bei jeder Aussenbeleuchtung gute Bilder.
    AdaSky ist die Firma, die mit Ferninfrarotkameras den Markt der autonomen Autos erobern will.

  6. Martin Holzherr: Danke für die weiterführenden Infos. 4.000 Dollar ist allerdings gegenüber Blickfeld immer noch ein stolzer Preis. Blickfeld bsagt, dass der Preis ihres Produktes auf wenige hundert Dollar fallen wird. Mal sehen. Den Ansatz Optik-IR-Radar finde ich tatsächlich spannend. Auf dem Sensoren-Feld ist im Moment viel Dynamik.

  7. Ein einziger Sensortyp genügt nicht für autonomes Fahren. LIDAR kann beispielsweise nicht unterscheiden ob eine Ampel auf “Grün” oder “Rot” steht, denn LIDAR sieht nur die reflektierten Lichtstrahlen, die es vorher selbst ausgesendet hat, es reagiert nicht auf das Umgebungslicht.
    Mit LIDAR allein können sie auch Autotypen kaum auseinanderhalten und sind nicht in der Lage die Gesten eines Verkehrspolizisten zu erkennen.
    Über Radar verfügt jedes autonom verkehrende Fahrzeug, denn Radar operiert auch bei schlechtem Wetter. Radar kann mühelos die Distanz zum nächsten Fahrzeug ermitteln, vor Auffahrgefahr von hinten warnen und die unmittelbare Umgebung des Fahrzeugs auf auch nicht unmittelbar sichtbare Objekte untersuchen. Radar liefert aber nur sehr grob aufgelöste Information.
    Doch selbst die Kombination von LIDAR, Radar und Kameras ist nicht allwettertauglich (und damit nicht auf Autonomiestufe 5 (menschliches Fahrvermögen)), denn LIDAR versagt bei Nebel, starkem Regen und Schneefall. LIDAR hat zudem eine wichtige Schwäche: Es vermag nicht über eine Distanz von 150 bis 250 Meter hinaus zu sehen, weil es auf Reflektion von selbst ausgesandten Lichtstrahlen angewiesen ist und die reflektierten Strahlen irgendwann zu schwach sind um noch empfangen werden zu können.Für Schlechtwetter und grosse Distanzen könnten aber Nachtsichtkameras, die fernes Infrarot erkennen, einspringen. Kameras wie die von AdaSky, welches über eine relativ hochauflösende passive Infrarotkamera verfügt, wobei die Auflösung der AdaSky-Kamera aber immer noch wesentlich niedriger ist als die einer typischerweise im sichtbaren Bereich arbeitenden Kamera.

    Eines kann man mit Sicherheit sagen: Sicheres autonomes Fahren benötigt Sensoren die heute alles andere als billig sind und es benötigt zudem noch anspruchsvolle Software. Die erste Generation der voll autonomen Fahrzeuge wird deshalb im Luxusautobereich zu finden sein.

  8. Zitat: Lidars arbeiten nach dem Prinzip des Radars, nur in einem anderen Frequenzbereich, nämlich im Infrarot.
    Ja, LIDAR arbeitet bei viel höherer Frequenz als Radar. Das ist aber nicht der einzige Grund, dass LIDAR eine viel bessere Auflösung hat – also viel detailliertere Information liefert – als Radar. Es ist auch die heute noch verwendete einfache, nicht an LIDAR heranreichende, Technologie, die die praktische Auflösung des heutigen hochfrequenten Radars (70 bis 90 GigaHerz) deutlich schlechter ausfallen lässt als die theoretische maximal mögliche.
    Zukünftige Radargeräte für autonome Fahrzeuge werden heutige im Auflösungsvermögen deutlich übertreffen, werden aber wohl auch teurer sein.
    Radar bietet gegenüber LIDAR vor allem folgende Vorteile: Schlechtwettertauglichkeit höher, Messung der Geschwindigkeit von Fahrzeugen möglich, höhere Reichweite.

    Allgemein gibt es heute viele Technologien, die in ihrer praktischen Leistungsfähigkeit weit hinter der theoretisch maximal möglichen Leistungsfähigkeit zurückbleiben. Erst eine erhöhte Nachfrage nach höherer Präzision, höherer Leistungsfähigkeit wie sie jetzt im Sensorbereich durch die autonomen Vehikel entsteht, führt dann zum grossen Sprung in der Leistungsfähigkeit, führt dann dazu, dass die Möglichkeiten bis zum letzten ausgereizt werden. Inzwischen gibt es eigene Konferenzen, die sich nur um das Thema Sensoren für autonome Vehikel drehen wie etwa die Autonomous Vehicle Sensors Conference 2018

    • @Karl Bednarik: Danke für die Grafik, gibt eine Vorstellung davon. Irgendwie muss der Laserstrahl ja gelenkt werden, aber ist halt alles Mini-Mini. Aber Sie haben natürlich recht, trotzdem mechanisch. Der Antrieb erfolgt allerdings ohne mechanischen Motor, wenn ich das richtig verstanden habe. Darauf reduziert wäre es dann vielleicht die scharfe Formulierung?

  9. Lidar, Kameras und Radar der nächsten, speziall auf AV’s (auto Vehicel) abgestimmten Generation, werden heutige um Längen übertreffen. Zukünftige Radars fürs autonome Automobile werden in der Lage sein in einem gewählten Punkt vor dem Fahrzeug eine so hohe Auflösung zu erreichen, dass Fahrzeugtyp und Fahrgeschwindigkeit bestimmt werden können. Dies erreichen sie durch gesteuerte Strahlablenkung und -formung ähnlich dem phased array – Verfahren (Strahlrichtung wird durch Überlagerung von phasenverschobenen Einzelstrahlen bestimmt). Metawave ist so eine Firma. Metawaves 77 GHz-Radar names WARLORD (W-band Advanced Radar for Long-range Object Recognition and Detection) benutzt dazu Metamaterialien, die den Strahl ablenken und formen. Mit WARLORD können auch weit entfernte Objekte erkannt und klassifiziert und ihre Geschwindigkeit bestimmt werden – und das bei jedem Wetter.

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