Diabetes Typ II : Schalter im Kopf


Diabetes vom Typ II gilt inzwischen als Volkskrankheit. Fettleibigkeit ist ein wichtiger Auslöser dieser Stoffwechsel-Erkrankung, bei der in der Bauchspeicheldrüse zwar genügend Insulin erzeugt wird – im Gegensatz zu Diabetes vom Typ I -, aber durch eine Störung des Stoffwechsels ist das Insulin in den Zellen von Organen und Muskeln nicht funktionsfähig.

Da das Gehirn selbst das Hormon für die Energiegewinnung nicht benötigt und auch durch die Neuro-Glia von den Blutbahnen entkoppelt ist, waren Mediziner früher davon ausgegangen, dass die Rolle des Gehirns bei dieser Stoffwechselkrankheit eine eher untergeordnete Bedeutung hat. Seit dem Anfang des neuen Jahrtausends ist aber durch Versuche an Mäusen klar geworden: Das Gehirn spielt bei der Entstehung von Diabetes vom Typ II eine zentrale Rolle. Denn auch im Gehirn gibt es Insulin-Rezeptoren, und zwar nicht, um Energie zu erzeugen, sondern den Hormongehalt zu messen. Verantwortlich dafür sind unter anderem die sogenannten Astrozyten in der Neuro-Glia, die die Blutbahnen mit tentakelartigen Fortsätzen umschließen. Hielt man sie früher für weitgehend passive Support-Zellen des Gehirns, unter anderem mit verantwortlich für die Energiezufuhr, ist inzwischen klar geworden, dass sie für die von der Blutbahn isolierten Neuronen als Mittler zu den dortigen Vorgängen fungieren. Mit einem Insulin-Rezeptor messen sie den Insulingehalt im Blut und geben diesen dem Gehirn weiter – und damit einen wichtigen Einblick in den Status der Energiezufuhr im Körper. Zwar wird dem Gehirn auch direkt aus Organen und Muskeln der Energiestatus gemeldet, aber diese „Eigenmessung“ des Insulin-Gehaltes in den Astrozyten hat für das Gehirn große Bedeutung.

Cristina Gárcia Cáceres, deren Forschungen ich in dieser Reportage vorstelle, ist eine junge Neurobiologin am Helmholtz Zentrum München. Mit ihrer interdisziplinären Gruppe aus Hirnforschern, Neurobiologen und Genetikern forscht sie an der Entstehung von Fettleibigkeit bei Mäusen und befasst sich dabei speziell mit den Wirkungsmechanismen der Astrozyten im Gehirn. „Wir nehmen heute an, dass Insulin für das Gehirn ein direkter Sensor für den Zuckergehalt im Körper ist. Denn er ist genau dann hoch, wenn viel Insulin im Körper ist, beides hängt ja im gesunden Körper direkt zusammen. Die Astrozyten signalisieren den umliegenden Neuronen, wir messen viel Insulin, also ist der Zuckergehalt hoch und es wurde viel Nahrung aufgenommen. Für das Gehirn bedeutet diese Information: Es gibt genug Nahrung im Körper. Das Gehirn aktiviert daraufhin Schaltkreise, die Sättigungsgefühl auslösen und die Nahrungsaufnahme stoppen.“

Forschern wie Cristina ist es möglich, den Insulin-Rezeptor in den Astrozyten, und nur dort, bei Mäusen ganz gezielt auszuschalten. Der Aktivitätszustand der für das Sättigungsgefühl verantwortlichen Neuronen kann heute in Mäusen sichtbar gemacht werden. Bei Tieren, die in der Glia das Insulin nicht mehr richtig messen können, zeigte sich eine deutliche Verzögerung des Sättigungsgefühls. Cristina geht sogar so weit zu sagen, dass man Diabetes vom Typ II „wohl besser als eine Hirnerkrankung einstufen könnte“.

DZF-Vorstand Hans-Ulrich Häring ist ein Pionier der Hirnforschung in Sachen Typ-II-Diabetes und ist seit Jahrzehnten auf der Suche nach deren Ursachen im Organismus. Als Mediziner befasst er sich in interdisziplinären Teams auch mit neurologischen Untersuchungen an Menschen. Dabei arbeitet er mit speziellen Magnet-Enzephalographen, kurz MEG. Sie zeichnen die schwachen elektrischen Ströme aktiver Nervenzellen beim Denken auf. Zwar kann die Medizin damit heute nicht die Aktivität einzelner Neuronen messen, aber den Ursprung der Signale im Gehirn recht genau lokalisieren. So ist es möglich, die neuronalen Aktivitäten den unterschiedlichen Hirnregionen genau zuzuordnen. Auch hier lässt sich nachweisen, dass die Insulin-Resistenz des Körpers zu einer Verzögerung des Sättigungsgefühls führt. Die Untersuchungen von Häring reichen bis zu Föten in den Mutterleib. Mit einer nicht repräsentativen Studie an 300 Schwangeren mit Diabetes vom Typ II glaubt er festgestellt zu haben, dass sogar die Ungeborenen in den Hirnströmen bereits neuronale Abweichungen von der Norm zeigen. Häring meint, es könnte sein, dass „eine Prädisposition für die Krankheit schon in der Schwangerschaft entsteht.“ Diese Vermutung soll nun in einer groß angelegten Langzeitstudie weiter untersucht werden. Hier nun zur Reportage oben der ergänzende Talk mit ihm.

Den Sprechertext der Reportage gibt’s wie immer bei HYPERRAUM.TV.

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Ich habe viele Jahre journalistisch im Bereich Wissenschaft und Technologie gearbeitet, später dann mit meiner kleinen Beratungsfirma als Medienexpertin. 2010 erfüllte ich mir meinen großen Traum und gründete den Spartensender HYPERRAUM.TV, für den ich eine medienrechtliche Rundfunklizenz erteilt bekam. Seither mache ich als One-Woman-Show mit meinem „alternativen TV-Sender“ gewollt nicht massentaugliches Fernseh-Programm. Als gelernte Wissenschaftshistorikern habe ich mich gänzlich der Zukunft verschrieben: Denn die Vergangenheit können wir nur erkennen, die Zukunft aber ist für uns gestaltbar. Wir sollten versuchen, nicht blind in sie hinein zu stolpern!

5 Kommentare

  1. Hier geht es um die biomolekulare und neurologische Grundlagen der Diabetes 2 – Entstehung. Dieses Wissen könnte in die Entwicklung von neuen Medikamenten oder auch „Glucose/Ernährungs-Schrittmachern“, also Geräten, die das Sättigungsgefühl und den Appetit steuern, einfliessen.
    Diabetes 2 ist ja eng gekoppelt mit Übergewicht und hat zugleich eine starke genetische Grundlage. Einfach gesagt neigen genetisch zu Diabetes 2 Prädisponierte zu erhöhter, vorsorglicher Nahrungsaufnahme auch wenn sie kalorisch gar nicht unterversorgt sind. Eine Welt in der man an jeder Ecke essen kann ist für zu Diabetes Prädisponierte die wahre Hölle, denn dann futtern sie zuviel, bekommen Altersdiabetes und erhöhen damit ihr kardiovaskuläres und Alzheimer-Risiko. Wahrscheinlich sind aber neue Medikamente nicht die wichtigste Lösung dieses Problems, sondern eine Ernährunsumstellung. Hier tut sich im Moment auch viel. Immer mehr zeigt sich dass unser heutiger Ernährungsstil mit 3 Hauptmahlzeiten und Snacks zwischendurch selbst ein Risikofaktor ist. Tendenziell sollte man weniger Snacks essen und sogar intermittierend Fasten (viele Stunden nichts essen), dann verbessert sich die Stoffwechselsituation und das Risiko für die Entwicklung von Diabetes sinkt.

  2. Nicht nur das Übergewicht, auch zunehmendes Alter scheint den Ausbruch von Diabetes Typ 2 zu begünstigen. Jeder vierte über 80 Jahre alte Deutsche ist Diabetiker obwohl die 80-jährigen im Schnitt weniger adipös sind als die 60 bis 70 jährigen.
    Allerdings spielt das Gewicht eine wichtige Rolle: Starkes Abnehmen nach der Diagnose heilt Diabetes Typ 2 gar nicht so selten. Selbst bei Normalgewichtigen mit Erstdiagnose Altersdiabetes führt eine Gewichtsreduktion recht häufig zur Blutzuckernormalisierung.

  3. Diabetes Typ II und Gewicht

    Die Medizin ist komplex und Ausnahmen bestätigen die Regel: Ein Bekannter, sportlich überaus aktiv und leichtgewichtig (Deutschlandlauf, 1203km/17Tage) erlebte in seinen Fünfzigern einen Leistungseinbruch. Die Ärzte waren erst ratlos. Schließlich war die Diagnose klar: Diabetes.

  4. @Karl Mistelberger: Ja, Diabetes Typ 2 gibt es auch bei Normalgewichtigen und bei ihnen wird die Diagnose oft spät gestellt. Häufig haben diese Diabetiker aber ein metabolisches Syndrom gekennzeichnet durch
    Abdominelle Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Insulinresistenz
    wobei 2 bis 3 dieser 4 Faktoren für die Diagnose metabolisches Syndrom genügen.
    Es könnte also sein, dass der Bekannte, einen hohen Blutdruck und eine Fettstoffwechselstörung hatte.
    Es muss aber nicht so sein. Diabetes Typ 2 (kritisch hohe Insulinresistenz) kann auch ohne andere Faktoren auftreten.

  5. Wann mit der “Nahrungsaufnahme” aufhört, bestimmt man ganz alleine. Wenn man dann noch kein Sättigungsgefühl hat, aber weiß, dass jetzt Schluss sein soll, dann ist eben Schluss. Oder ist man willenlos?

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