Retro-Evolution – mit der Bioinformatik zu phylogenetischen Stammbäumen

Unter Phylogenie versteht man in der Biologie die Darstellung der Stammesgeschichte in Form von Stammbäumen. Die traditionelle Methode rekonstruiert Entwicklungslinien verschiedener Arten oder Gruppen aus dem Vergleich morphologischer Merkmale, also anhand des äußeren Erscheinungsbildes oder des Skelettbaus. Diese Methode blickt auf eine lange Tradition zurück, doch die Rekonstruktion solcher Stammbäume hat inzwischen eine ganz neue Stufe erreicht. Denn die von Charles Darwin und Gregor Mendel begründete Abstammungslehre ist heute zu einem großen Arbeitsfeld für Bioinformatiker geworden. Schon vor mehreren Jahrzehnten war das wissenschaftliche Rüstzeug dafür vorhanden, doch erst in den letzten zwanzig Jahren hat sich die bioinformatisch getriebene Phylogenie als Forschungsmethode rasant entwickelt. Inzwischen gilt sie weltweit als etabliert. Die Möglichkeit der Gensequenzierung war es im Verbund mit immer leistungsstärkeren Rechnersystemen, die der Methode zum Durchbruch verhalf. Sie ist aber aufgrund des gewaltigen Dateninputs, der durch den genetischen Code produziert wird, computertechnisch recht aufwändig.

Will man die Evolution bioinformatisch beschreiben, müssen zuerst einmal komplexe Computerprogramme analysieren, wie sich solches Genmaterial über viele Generationen hinweg tatsächlich verändert und neue Spezies entstehen – wie sich also Evolution in Algorithmen mit statistisch abgesicherter Aussagekraft fassen lässt. Ganz offen bleiben heute derzeit noch weitere Phänomene, deren Bedeutung für die Entwicklungsprozesse mit dieser Methode nicht quantifizierbar ist, und die sich damit der digitalen Modellierung entziehen. Dazu zählt beispielsweise die Epigenetik, von der wir heute zunehmend erkennen, dass sie im Organismus einen wichtigen Einfluss auf die Evolutionsgeschwindigkeit und -richtung hat.

Trotz vieler offener Fragen kann die bioinformatische Phylogenie in einigen Teilbereichen die ersten prognostischen Nachweisekorrekt arbeitender Algorithmen erbringen. Die Ergebnisse lassen sich heute beispielsweise schon an sich extrem schnell verändernden Organismen wie Bakterien oder Viren verifizieren, zumindest in einfachen Modellen. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass solche Analyseverfahren in Zukunft auch für die Bekämpfung des Krebswachstums einen medizinisch relevanten Beitrag leisten könnten. Diesen Ausblick jedenfalls gab mir Alexandros Stamatakis in dem hier gezeigten Skype-Interview. Der Bioinformatiker ist Leiter der Forschungsgruppe Scientific Computing am Heidelberger Institut für Theoretische Studien und zudem Professor für High Performance Computing in den Lebenswissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie.

Wie aber geht die Phylogenie bioinformatisch vor, wenn keine genetischen Daten als Input genutzt werden können? Ich habe ja zuletzt über die Entwicklung der Vögel aus den Dinosauriern berichtet. Auch Saurierforscher bringen ihre Funde inzwischen in systematische Entwicklungslinien, für die sie bioinformatische Methoden der Phylogenie, auch kladistische Analyse genannt, einsetzen. Gencodes können sie als Dateninput dafür natürlich nicht nutzen, da Gene nach rund hunderttausend Jahren zerfallen. In Fossilien aus der Dinozeit müssen daher andere, traditionell gewonnene Daten als Grundlage für den Dateninput herhalten: nämlich die morphologischen Erkennungsmerkale. Bei der bioinformatischen Phylogenie von Organismen der Kreide- und Jurazeit gibt es das Problem extremgroßer Datenmengen nicht. Denn bei Sauriern ist – genau umgekehrt! – gerade der Mangel an Daten das Problem. Wer hier nicht mit großem Expertenwissen vorgeht, läuft daher schnell Gefahr, zwar ein bioinformatisches Ergebnis, aber doch ein wissenschaftlich nicht relevantes Ergebnis zu produzieren. Der Paläoornithologe Dr. Gerald Mayr, Kurator im Senckenberg-Museum, gehört zum großen Lager derer, die bioinformatische Phylogenie mit dem klassischen Dateninput betreiben und damit auch komplexe Strukturbäume heute bekannter Saurierarten aufgrund von rein morphologischen Ähnlichkeitsbeziehungen erstellen. Allerdings sagt er auch: „Es kommt aus solchen Programmen oft Unsinn heraus“. Es sei recht einfach, diese Software anzuwenden, wenn sie aber für spezifische Fragestellungen nicht mit genügend Expertenwissen des Paläontologen aufgeladen ist, seien die Ergebnisse wissenschaftlich wertlos. So gibt es inzwischen aus der bioinformatischen Phylogenie stark divergierende Aussagen über die Entwicklungsgeschichte der Saurier. Verifizierbar sind diese Ergebnisse derzeit nicht und werden es in absehbarer Zukunft wohl auch nicht sein. Meinung steht gegen Meinung, auch wenn sich Experten wie Mayr sicher sind, die überflüssige, weil falsche Spreu vom brauchbaren Weizen trennen zu können. Andere Paläontologen dagegen – wie Professor Dino Frey, Hauptkonservator und Leiter der Geowissenschaftlichen Abteilung im Naturkundemuseum von Karlsruhe –halten von der bioinformatisch aufgepeppten Phylogenie der Saurierzeit rein gar nichts. Frey will sich bei evolutionären Prozessen keinesfalls dem Diktat von Algorithmen unterwerfen, sondern setzt auf die traditionelle Methode des Paläontologen, der die Funde durch eigene Expertise bestimmt und bewertet – und sie damit auch über konstruktionsmorphologische, funktionell begründete Ansätze in einen evolutionären Zusammenhang bringen kann. Vor Fehlinterpretationen der Daten schützt allerdings auch diese Methode nicht umfassend.

Das Interview mit Alexandros Stamatakis war Teil der Recherche zu dieser Reportage

Vögel – Nachfahren der gefiederten Dinos

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Ich habe viele Jahre journalistisch im Bereich Wissenschaft und Technologie gearbeitet, später dann mit meiner kleinen Beratungsfirma als Medienexpertin. 2010 erfüllte ich mir meinen großen Traum und gründete den Spartensender HYPERRAUM.TV, für den ich eine medienrechtliche Rundfunklizenz erteilt bekam. Seither mache ich als One-Woman-Show mit meinem „alternativen TV-Sender“ gewollt nicht massentaugliches Fernseh-Programm. Als gelernte Wissenschaftshistorikern habe ich mich gänzlich der Zukunft verschrieben: Denn die Vergangenheit können wir nur erkennen, die Zukunft aber ist für uns gestaltbar. Wir sollten versuchen, nicht blind in sie hinein zu stolpern!

30 Kommentare

  1. Neben der Krebsbekämpfung kann mit phylogenetischen Methoden auch die Herkunft und evolutionäre Entwicklung der meisten Gene eines Organismus bestimmt werden. Wir erhalten also einen Stammbaum nicht nur von Organismen, sondern auch einen Stammbaum aller Gene. Das hilft auch beim Verständnis der Genfunktion. Die Gene, die bei einer Art neu dazugekommen sind, machen oft auch den Unterschied dieser Art im Vergleich zu ihren Vorfahren aus. Beim Mensch beispielsweise taucht erstmals eine bestimmte Form des FOXP2-Gens aus und alles spricht dafür, dass diese menschliche Form des FOXP2-Gens einen entscheidenden Beitrag zur Sprachfähigkeit leistet.

    Seit der Erst-Entschlüsselung des menschlichen Genoms sind nun schon 14 Jahre vergangen und dennoch ist die Funktion vieler essentieller Gene sowohl des Menschen als sogar vieler Bakterien immer noch nicht völlig aufgeklärt. Die Phylogenese der Gene kann zum Verständnis etwas beitragen.

  2. Nicht die Gene haben eine Funktion im Organismus, sondern die Genprodukte, also die Protein- und RNA-Moleküle, die aus den Genen entstehen. Die Gene konservieren nur die in ihnen steckende Information. Hinzu kommt, dass viele Gene mehr als nur ein einziges Produkt hervorbringen können und dass manche Genprodukte mehrere Funktionen erfüllen können. Es gibt also keine strenge Hierarchie zwischen Gen und phänotypischem Merkmal, sondern eine Heterarchie, d.h. ein Netzwerk. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass manche Genprodukte als Transkriptionsfaktoren auf die Regulation der Gene zurückwirken oder als Enzyme im genetischen Apparat selber eine Funktion haben.

    Zusätzlich zu Algorithmen für die Analyse des genetischen “Textes” (suchen und vergleichen bestimmter Wörter alias Buchstabenfolgen) braucht es Algorithmen als Expertensysteme zur Abarbeitung von tausenden logischer Beziehungen auf der Basis riesiger Datenmengen. Die Daten repräsentieren die spezifischen Merkmale sowie den Kontext der einzelnen Spezies. Sind die Daten vorhanden, können sie in vielfältiger Weise ausgewertet und aufbereitet werden. Solche Systeme sind Hilfsmittel für die Forschung, ähnlich medizinischen Diagnosesystemen. Letztlich kommt es darauf an, dass verschiedene Informationssysteme miteinander kooperieren können.

  3. Ein interessanter Artikel! Ich habe nur zwei Kleinigkeiten anzumerken.

    “Denn die von Charles Darwin und Gregor Mendel begründete Abstammungslehre”

    Darwin ja, Mendel nein. Mendel hat die klassische Vererbungslehre begründet.

    “da Gene nach rund hunderttausend Jahren zerfallen.”

    Gene bzw. die DNA können Millionen Jahre überdauern

    • Ja, je tiefer die Temperatur, desto länger bleibt die DNA erhalten. Gemäss Ancient DNA gilt:

      Die DNA verschlechtert sich gemäss einem exponentiellen Zerfallsprozess. Nach ihrem Modell [ Zerfallsmodell von Allentoft et al. aus den DNA in Moa-Knochen extrapoliert] wird die mitochondriale DNA nach 6.830.000 Jahren bei -5 ° C auf eine durchschnittliche Länge von 1 Basenpaar abgebaut. Die Zerfallskinetik wurde mit beschleunigten Alterungsexperimenten gemessen, die den starken Einfluss von Lagertemperatur und Feuchtigkeit auf den DNA-Zerfall zeigten. Nukleare DNA verschlechtert sich mindestens zweimal so schnell wie mtDNA. Als solche können frühe Studien, die die Wiederherstellung vieler älterer DNA, z. B. von Kreide-Dinosaurier-Resten, berichtet haben, aus einer Kontamination der Probe stammen.

      Es gibt nun sehr viele Dinosaurierfunde (war schliesslich eine lange Zeitperiode in der sie lebten und dominierten) und man fand sogar schwangere Dinos und Kollagen und Blut von Dinos. Doch Dino-DNA konnte bis jetzt nicht sichergestellt werden und wird es wohl auch nie.

    • Danke fürs Kommentieren.

      Bei Mendel bleibe ich schon dabei, dass man’s so formulieren kann, aber ich verstehe natürlich, was Sie meinen!

      Es ist selbstverständlich richtig, dass Gene im Permafrost überdauern können. Aber bei der Evolution von Sauriern (in diesem Zusammenhang erwähnt und daher ausschließlich auf diesen Kontext bezogen) hat das praktisch halt keine Bedeutung, da die Wahrung der kompletten Kühlkette erforderlich ist. Das hätte man noch ergänzen können – hiermit getan!

  4. Danke für den Beitrag, der auf die Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion des Evolutionsverlaufs (Entstehung der Arten) hinweist.

    Beim zweiten Absatz verstehe ich etwas nicht. Zunächst geht es dort um Evolution, doch dann wechseln Sie zu „Entwicklungsprozessen“, womit vermutlich die Ontogenese gemeint ist, denn Sie kommen auf die Epigenetik zu sprechen. Dann aber meinen Sie, dass die Epigenetik „im Organismus einen wichtigen Einfluss auf die Evolutionsgeschwindigkeit und -richtung hat.“

    Wie passt das zusammen?

    Bei der Epigenetik handelt es sich definitionsgemäß um Phänomene, bei denen es keine Veränderungen in den Basensequenzen der Gene gibt.

    Andererseits sprechen wir gerade dann von Evolution, wenn sich über Generationen hinweg Allelfrequenzen in den Populationen ändern, d. h., wenn sich in Allelen die Basensequenz durch Mutation verändert hat.

    Insofern können epigenetische Faktoren doch gar keinen besonderen Einfluss auf die „Evolutionsgeschwindigkeit“ haben.

    • Ob und wie Epigenetik und Genetik evolutionär zusammen spielen, ist ein aufkommendes Forschungsgebiet. Wir fangen erst an zu verstehen, dass es diese Wechselwirkung überhaupt gibt. Vielleicht ist das von mir beim Wort “Einfluss” genutzte Adjektiv “wichtig” deshalb in der Tat etwas voreilig formuliert. Ich nehme es hiermit zurück!

      • @Susanne Päch

        Danke für die Antwort!

        Wenn „Epigenetik und Genetik evolutionär zusammen spielen“ sollen, dann kann das ja nur bedeuten, dass epigenetische Mechanismen letztlich die Erbinformation, sprich Basensequenz der Gene oder Allele, verändern (ob nun zufällig oder gezielt, sei mal dahingestellt), was dann eine Veränderung der Allelfrequenz in der Population zur Folge hat.

        Ich hielte das für eine ziemlich abenteuerliche Theorie, wenn es denn eine solche gäbe.

        Was allerdings denkbar und möglich ist, ist, dass epigenetische Effekte das Überleben der Individuen der Nachfolgegenerationen fördern oder behindern, was sich dann auch auf den Fortpflanzungserfolg und somit auf die Weitergabe der Geninformation auswirkt. Aber das ist ja nun, vom Prinzip her, beileibe nichts Neues.

        (Es kann natürlich auch sein, dass ich die neuere Literatur, die den Zusammenhang von Epigenetik und Evolution untersucht, nicht kenne. Haben Sie einen Tipp?)

        • Mir scheint, Sie verwechseln hier etwas. Die Mutation eines Gens bzw. Allels ist nicht äquivalent mit der Änderung der Allelverteilung. “Allelfrequenz” erscheint mir hier als irreführende Bezeichnung, obwohl sie allgemein benutzt wird. Die Allelverteilung kann sich ohne Mutationen verändern, z.B. durch Veränderung von Populationen infolge einer Naturkatastrophe, wie gegenwärtig durch großräumige Überschwemmungen. Betroffene Allele scheiden dann aus der Evolution aus. Selbstverständlich liefert eine Mutation ein neues Allel, das künftig die Allelverteilung mitbestimmt.

          Die Epigenetik betrifft pauschal hauptsächlich die Genregulation, bspw. durch Methylierung von DNA-Abschnitten, auf denen Promotoren oder Gene liegen. Diese Methylierung wird jedoch von einer Generation zur nächsten entfernt. Insgesamt ist die Epigenetik aber deutlich komplexer und kann Auswirkungen auf die nächsten Generationen haben, wie nachgewiesen werden konnte. Bekannt sind die Auswirkungen von Hungersnöten auf die Nachkommen. Möglich sind auch Rückwirkungen der Epigenetik auf den genetischen Apparat, z.B. durch Induzierung von Transposons.

          • @anton reutlinger

            »Die Mutation eines Gens bzw. Allels ist nicht äquivalent mit der Änderung der Allelverteilung.«

            Habe ich auch nicht behauptet. Aber wenn sich Allele (oder Gene) unterscheiden, liegt es an vorausgegangenen Mutationen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Häufigkeiten bestimmter Allele in der Population mit der Zeit ändern können, durch was auch immer. Und auch dafür, dass Bioinformatiker phylogenetische Stammbäume konstruieren können.

            Epigenetik hat per Definition mit alledem nichts zu tun.

  5. @Balanus;

    Mit der “Allelfrequenz” haben Sie in dieser Formulierung natürlich recht. Man kann aber die Epigenetik nicht so kategorisch von Veränderungen der DNA bzw. von Mutationen abkoppeln. Nach meinem Beitrag habe ich noch ein wenig recherchiert und bin auf diese Quelle gestoßen:

    DNA-Methylierung und Evolution
    http://www.biospektrum.de/blatt/d_bs_pdf&_id=1044155

    Man darf nicht vergessen, dass die Epigenetik Rückwirkungen auf den genetischen Apparat haben kann, denn etliche Genprodukte sind selber wiederum an der Transkription und Translation von Genen beteiligt. Schließlich sind auch Modifikationen im Verlauf der Genexpression zu beachten. Ein Gen kann verschiedene Proteine erzeugen, durch alternatives splicing, durch Gen-Editierung oder posttranslationale Modifikationen. Auch daran sind wieder Genprodukte als Enzyme rückwirkend beteiligt, deren Konzentration epigenetisch variiert werden kann.

  6. Der Mensch erbt von der Mutter nicht nur das Genom, sondern die gesamte Eizelle. Darin sind außer den Mitochondrien viele Substanzen und Informationen enthalten, die notwendig sind, um die Zellfunktionen mit Genexpression und Zellteilung zu erhalten bzw. die embryonale Entwicklung in Gang zu setzen. Das bleibt sehr häufig unberücksichtigt. Das Genom liefert hochkonservierte, statische Information, die Epigenetik liefert dynamische Informationen dazu aus der Umwelt und individuellen Entwicklung.

    Insgesamt ist die Genetik sehr viel komplizierter als in der allgemeinen Öffentlichkeit auf Grund populärer Publikationen angenommen, indem die für die Entwicklung notwendige Information auf das Genom reduziert wird. Gene haben keine Information über die Funktion ihrer Produkte! Diese Information ergibt sich erst aus der Retrospektive, d.h. aus der physiologischen Untersuchung der organischen Substanzen. Erst aus der Kenntnis vieler Proteinstrukturen kann vom Gen prospektiv auf Funktionen geschlossen werden. Neue Erkenntnisse ergeben sich aus der Kooperation oder Integration von Entwicklungsbiologie und Evolutionsbiologie (EvoDevo, DST).

    • “Der Mensch erbt von der Mutter nicht nur das Genom, sondern die gesamte Eizelle.”

      ???
      Der Mensch? Sie wollten sicherlich schreiben, “weibliche Embryonen”, nicht wahr? Denn dass Männer Eizellen in sich beherbergen würden – das wäre nun wirklich …. da müsste man ja die gesamte Biologie neu schreiben. 🙂

      Außerdem “erben” weibliche Föten nicht eine “gesamte Eizelle” sondern nur die sogenannten “Eimutterzellen” (Oozyten). Diese enthalten noch einen diploiden Chromosomensatz. Die Eizellenbildung selbst hin zu einem haploiden Chromosomensatz erfolgt erst später.

      • @sherfolder;
        Da haben Sie offenbar etwas missverstanden. Der Mensch entsteht aus der befruchteten Eizelle der Mutter, der Zygote. Sowohl Eizelle als auch Spermium sind haploid, so dass die Zygote diploid ist. Vom Spermium wird praktisch nur der Zellkern mit dem Chromatin übernommen. Die Organellen, Substanzen und Informationen in der Zygote, neben den väterlichen und mütterlichen Chromosomen, setzen die Entwicklung des Embryos in Gang, selbstverständlich auch männlicher Embryonen.

        • Okay ; vielleicht können wir uns ja darauf einigen, dass Sie sich etwas missverständlich (Sie schrieben zunächst von “Eizelle” meinten aber “Zygote” ) formuliert haben und ich infolgedessen Ihren Beitrag missverstanden habe.

  7. @anton reutlinger

    Danke für den Link zu dem Artikel, in dem die Bedeutung epigenetischer Effekte für den evolutionären Wandel ja doch recht nebulös bleibt.

    Sie schreiben, man dürfe nicht vergessen, „dass die Epigenetik Rückwirkungen auf den genetischen Apparat haben kann“,

    Ja, aber in welcher Form? Wie Sie schreiben, ist die Genexpression ein hochkomplexer, raumzeitlich genau regulierter Prozess. Allerdings, die Information dafür liegt in den Genen selbst. Der epigenetische „Apparat“ ist letztlich auch nichts weiter als ein Genprodukt, geschaffen u. a. dafür, um auf bestimmte Umweltfaktoren entsprechend reagieren zu können (bildlich gesprochen).

    Das heißt, die „Rückwirkungen“ betreffen typischerweise nicht die Basensequenz, denn dann würden wir nicht mehr von Epigenetik sprechen, sondern von Genetik (eine methylierte Base fällt m. E. bereits in das Gebiet Genetik). Es mag Ausnahmen von dieser Regel geben, aber auf keinen Fall handelt es sich, nach den bisherigen Erkenntnissen, bei epigenetischen Vorgängen um einen weiteren allgemeinen Evolutionsmechanismus (wie z. B. Mutation, Selektion, Drift).

    Wenn die Autoren des verlinkten Aufsatzes schreiben:

    Die menschliche Kultur hat in den letzten 50.000 Jahren unser Genom möglicherweise stärker geformt als die Biologie,

    .
    dann lässt das tief blicken. Genome werden immer durch biologische Prozesse geformt, auch dann, wenn die Umwelt kulturell geprägt ist.

    • @Balanus;
      Die Wechselwirkungen von Genetik und Epigenetik sind noch nebulös, das ist zutreffend. Einige Funktionen sind aber schon wohlbekannt. Epigenetische Mechanismen wie die Methylierung von DNA-Abschnitten wirken auf die Genregulation und damit Genexpression. Solche Markierungen können vererbt werden, das ist nachgewiesen. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass epigenetische Markierungen auch genetische Mutationen beeinflussen können. Für die Evolution ist die Epigenetik nicht mehr zu vernachlässigen, indem dynamische Informationen aus der Umwelt und der individuellen Lebensweise die Evolution, sowohl Variation als auch Selektion, beeinflussen können. Das darf jedoch nicht mit dem Lamarckismus verwechselt werden, wie es manchmal in fachfremden Medien zu lesen ist. Somit ist die Epigenetik durchaus als zusätzlicher Evolutionsmechanismus zu werten.

      Der Organisms umfasst etwa 250 Zelltypen, aber jede Zelle hat dasselbe Genom. Es muss also Mechanismen geben, die zwischen den Zelltypen unterscheiden und die Genexpression zellspezifisch steuern können. Diese Information kann folglich nicht im Genom selber codiert sein. Sie kann nur im Verlauf der embryonalen Entwicklung entstehen, als Bootstrapping-Prozess, einer Form von Selbstorganisation.

      Der genetische Apparat besteht hauptsächlich aus Genprodukten selber, aus RNA und Proteinen. Es gibt also ein Henne-Ei-Problem, im Sinne des Wortes sogar. Die Zygote enthält deshalb bereits einige mütterliche mRNA-Moleküle und die Ribosomen, die für die erste Genexpression notwendig sind. Grundsätzlich ist die genetische Information allein nicht ausreichend für die Entwicklung des Organismus. Deshalb ist die Phylogenie so schwierig.

      Bei meinen Recherchen bin ich nebenbei auf eine Studie gestoßen, die den Ursprung der Homosexualität mit epigenetischen Markierungen in Verbindung bringt und Korrelationen festgestellt hat. Bekanntlich gibt es eineiige Zwillinge, von denen einer homosexuell ist, der andere jedoch nicht.

      • @anton reutlinger

        Also, ich weiß ja nicht. Die transgenerationale „Vererbung“ epigenetischer Markierungen könnte doch nur dann für den Wandel der Arten von Bedeutung sein, wenn diese wirklich dauerhaft wären. Sind sie aber nicht, und das ist auch gut so, nicht umsonst werden sie bei der Gametogenese (fast) alle entfernt. Wo das (im Tierreich) nicht geschieht, drohen Einschränkungen in der Vitalität und Fortpflanzungswahrscheinlichkeit (was selbstredend evolutionär bedeutsam ist, aber nicht in dem Sinne, wie es die Verfechter der These, dass epigenetische Faktoren zugleich Evolutionsfaktoren sind, es in aller Regel meinen).

        Dass Umweltbedingungen die Individualentwicklung beeinflussen, ist ein alter Hut. Ebenso, dass dies Einfluss auf die Reproduktionschancen haben kann. Natürlich ist der Phänotyp mit seinen evolvierten Merkmalen relevant im Evolutionsgeschehen, aber Merkmale, die nicht auf Erbinformationen (Basensequenzen) beruhen, sind wie gesagt nur insoweit relevant, wie sie die Reproduktionschancen des Individuums beeinflussen. Evolution zeigt sich nun mal in der Veränderung der genetischen Information.

        »Es muss also Mechanismen geben, die zwischen den Zelltypen unterscheiden und die Genexpression zellspezifisch steuern können. Diese Information kann folglich nicht im Genom selber codiert sein. Sie kann nur im Verlauf der embryonalen Entwicklung entstehen, als Bootstrapping-Prozess, einer Form von Selbstorganisation.«

        Schauen Sie sich die Zygote an, sie enthält alles an Information, was zur Entwicklung des Embryos gebraucht wird. Die Mechanismen, die zwischen den Zelltypen unterscheiden, resultieren aus der genetischen Information. Die Genprodukte selbst besitzen keine Information über das, wofür sie synthetisiert wurden, sie verhalten sich gemäß ihrer molekularen Struktur, die von der genetischen Information bestimmt wird (selbstverständlich z. B. auch dann, wenn die mRNA nach der Transkription bearbeitet wird).

        Alles, was zum sogenannten „epigenetischen Apparat“ gezählt wird, fällt unter die Rubrik ‚phänotypisches Merkmal‘. Nur darin liegt die Bedeutung der Epigenetik für die Evolution. Ohne einen funktionierenden Phänotyp gäbe es auch keinen Genotyp. Einen neuen Ansatz für evolutionstheoretische Überlegungen liefert die umweltgetriggerte Genregulation namens „Epigenetik“ mitnichten. Bislang jedenfalls.

        Abschließend noch eine Frage zu diesem Satz:

        »Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass epigenetische Markierungen auch genetische Mutationen beeinflussen können.«

        Wären diese Mutationen dann den üblichen zufälligen Mutationen gleichzusetzen, oder wären es vom Organismus gezielt herbeigeführte, um die Vitalität zu erhalten oder zu verbessern.

        • @Balanus;
          Die Auswirkungen der Epigenetik auf die Evolution sind bisher noch nebulös, damit muss man vorerst noch leben. Eine scharfe Trennung von Genetik und Epigenetik ist meiner Ansicht nach jedoch nicht angebracht. Es gibt deutliche Mechanismen der Kopplung mit Auswirkungen auf die Evolution, so z.B. das Gene-Imprinting.

          Wie es aussieht, können epigenetische Marker bestimmte Mutationen verhindern, das hängt mit Eigenschaften von Cytosin-Guanin-Basenpaaren zusammen. Auch die Verhinderung von Mutationen ist ein Beitrag zur Evolution. Generell sind Mutationen nicht zielgerichtet, der Import von Informationen aus der Umwelt über epigenetische Markierungen kann jedoch die Richtung der Evolution beeinflussen, besonders die Selektion, in positiver wie in negativer Richtung.

          Zufällige Mutationen betreffen jeweils nur ein Individuum. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sich eine solche Mutation in der Population durchsetzen kann. Viel wahrscheinlicher sind die Auswirkungen von solchen Mutationen, die eine ganze Population betreffen. Genau hier könnte die Bedeutung der Epigenetik liegen, denn sie importiert spezifische Informationen über Klima oder Nahrungsangebote in die DNA bzw. das Chromatin von Organismen im betreffenden Habitat. Ob dadurch das Genom verändert wird, das ist noch ungewiss, da gebe ich Ihnen recht. Es gibt jedoch Hypothesen dazu.

          Hier noch ein informativer und aktueller Link:
          Epigenetische Möglichkeiten und Notwendigkeiten (2017)
          https://www.molgen.mpg.de/3755947/research_report_10892470

          • “Zufällige Mutationen betreffen jeweils nur ein Individuum. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sich eine solche Mutation in der Population durchsetzen kann.”

            Mutationen werden sich immer dann in Populationen durchsetzen, wenn sie Merkmale ihrer Träger so verändern, dass diese dadurch Überlebensvorteile im Vergleich zu Nichtmutanten haben und also mehr Nachkommen als diese produzieren.

            Ein Beispiel für eine solche Mutation ist die Laktosetoleranz, die sich fast in der gesamten nordeuropäischen Bevölkerung durchsetzen konnte, eben weil sie ihre Träger in die Lage versetzte, auch noch im Erwachsenenalter Milchzucker aufzuspalten zu können und diesen Vorteil an die Kinder weiter vererbte.

  8. @S. Päch
    “Bei Mendel bleibe ich schon dabei, dass man’s so formulieren kann, aber ich verstehe natürlich, was Sie meinen!”

    Mendel hat mit der Abstammungslehre nichts zu tun – aber Sie sind trotzdem der Auffassung, “dass man’s so: ‘Denn die von Charles Darwin und Gregor Mendel begründete Abstammungslehre‘ – formulieren kann” ?
    – nein, das kann man eben nicht.

    Eine etwas merkwürdige Auffassung und Einstellung zur wissenschaftlichen Wahrheit.

  9. @sherfolder;
    Ja, das ist schon klar. Aber damit eine Mutation erfolgreich sein kann, muss sie einige Bedingungen erfüllen. Die wichtigste ist, dass sie in die Keimbahn gelangt und ein Gen trifft. Nur wenige Prozent der DNA kodieren für Gene. Dann sind die meisten Mutationen schädlich oder funktionslos. Alles in allem dürfte die Erfolgswahrscheinlichkeit einer individuellen Mutation sehr gering sein.

    Anders würde es aussehen, wenn eine Mutation eine ganze Population beträfe, weil sie bestimmten Bedingungen des Klimas oder des Nahrungsangebots ausgesetzt ist. Genau das könnte durch epigenetische Mechanismen geschehen.

    Die Frage ist natürlich, ob und wie epigenetische Merkmale in das Genom kommen können. Allerdings ist der ganze genetische Apparat sehr viel plastischer und flexibler als vor einigen Jahren noch angenommen wurde.

  10. @ anton reutlinger

    Im zuletzt verlinkten Artikel aus der Max-Planck-Forschungsgruppe Epigenomics wird deutlich, wo das Problem liegt, wenn epigenetische Phänomene im Individuum mit Evolutionsprozessen in Verbindung gebracht werden sollen: Die gewollte Trennung von Genetik und Epigenetik muss ein Stück weit aufgehoben werden, damit die biologischen Voraussetzungen für den Bezug zur Evolution erfüllt sind. Ohne die genetische Information (DNA Basensequenz) geht’s halt nicht.

    Das Dumme ist nur, alle zellulären Prozesse, die die Funktion und Integrität der DNA (Transkription, Reparaturmechanismen, Verhinderung von bestimmten Mutationen) sowie die Fortpflanzungsfähigkeit des Individuums betreffen sind so gesehen für die Evolution von Bedeutung.

    Woraus man schließen darf: Fast immer, wenn Epigenetiker (nebulös) auf die Bedeutung epigenetischer Prozesse für das Evolutionsgeschehen zu sprechen kommen, geht es primär um das Aufpeppen der eigenen Forschungsarbeit.

    • @ anton reutlinger

      Noch hierzu:

      » Alles in allem dürfte die Erfolgswahrscheinlichkeit einer individuellen Mutation sehr gering sein. «

      Für die Entstehung der rezenten Arten hat’s offenkundig gereicht.

      »Anders würde es aussehen, wenn eine Mutation eine ganze Population beträfe, weil sie bestimmten Bedingungen des Klimas oder des Nahrungsangebots ausgesetzt ist. Genau das könnte durch epigenetische Mechanismen geschehen.«

      Etwa in dem Sinne, dass epigenetische Mechanismen Mutationen genau an dem Genort in der Population hervorrufen oder fördern, wo sie gebraucht werden, damit die notwendigen Genprodukte synthetisiert werden können?

      Das würde die bisherigen Evolutionstheorien total auf den Kopf stellen (@fegalo könnte einer solchen Vorstellung vielleicht etwas abgewinnen).

      • @Balanus;
        Mir scheint, Sie haben ein sehr vereinfachtes Verständnis von Genetik und Evolution. Einige Beispiele für die noch zu lösenden Schwierigkeiten der Genetik zeigt folgender Link:
        Nicht-codierende DNA: Mehr als “Schrott und Müll”?
        http://www.wissensschau.de/genom/nicht_codierende_dna.php

        Die Unterstellung, es gehe den Forschern nur um das “Aufpeppen der eigenen Forschungsarbeit” ist polemisch und dient nicht der eigentlich faszinierenden und anspruchsvollen Thematik.

        Der Begriff der “zufälligen” Mutationen führt zu vielen Missverständnissen. Besonders die Schlussfolgerung daraus, die Evolution wäre rein zufällig, ist falsch und wird von Gegnern der Evolutionstheorie (wie @fegalo) gerne als Argument benutzt. Ebenso falsch wäre die Annahme einer Zielgerichtetheit der Evolution. Die Evolution ist eine selbstregulative Reaktion der organismischen Entwicklungsprozesse auf die dynamischen Gegebenheiten der Umwelt.

        • @ anton reutlinger

          Danke für den aufschlussreichen Link! Die Diskussion um die Junk-DNA ist mir bekannt. Wichtig dabei ist, dass nur solche DNA als Junk bezeichnet wird, die nicht für funktionale Genprodukte codiert. Das ENCODE-Projekt hat da einiges an Verwirrung gestiftet.

          Was darf ich mir unter einer „selbstregulativen Reaktion der organismischen Entwicklungsprozesse [auf die Umwelt]“ vorstellen? Eine Spezies verschwindet und macht einer anderen Platz, die besser mit der gegebenen Umwelt (oder den veränderten Umweltbedingungen) klarkommt?

          Oder geht es dabei um aktive Anpassungsprozesse?

  11. @Balanus;
    Das Leben ist ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess, von der Verschmelzung der Gameten bis zum Tod. Selbstverständlich sind die Entwicklungsprozesse nicht immer gleich intensiv. Das Wesentliche dabei ist, dass im Verlauf der Entwicklung Information von außerhalb des Organismus zugeführt wird: von den Gameten, über die Nabelschnur, mit der Nahrung und schließlich mit den Sinnesorganen. Der Organismus wird aber nicht von außen bestimmt, sondern reguliert sich selbst, anhand der verfügbaren, verinnerlichten Information. Der Genotyp bestimmt den Phänotyp nur unzureichend und die Gene bestimmen nicht den Funktionszweck der Genprodukte.

    Die Entwicklungsprozesse sind auch Anpassungsprozesse des Organismus an die dynamische Welt, andernfalls wäre er nicht lebensfähig. Die Anpassung betrifft weniger das Individuum als vielmehr eine Population oder sogar eine ganze Art. “Anpassung” ist überhaupt ein missverständlicher, ungeeigneter Begriff, denn Anpassung würde einen Zielzustand implizieren, an den man sich anpasst, z.B. einen höheren Meeresspiegel oder eine neue Nahrungsquelle. Vielmehr handelt es sich um eine kontinuierliche Interaktion zwischen Organismen einer Population und der veränderlichen Welt, um Erfahrung und Lernen, um Reaktionen auf Veränderungen. Dabei wirken die Organismen auf die Welt zurück, Stichwort “niche construction”.

    • Dazu fällt mir noch eine wichtige Frage ein: wie kann die Evolutionstheorie mit Selektion und Mutation die Höherentwicklung der Lebewesen, bzw. den zunehmenden Umfang und die zunehmende Komplexität der DNA, erklären? Weder Selektion noch (Punkt)Mutationen noch die Rekombination verändern den Umfang der DNA. Es muss also noch einen anderen Mechanismus geben. Können Chromosomenmutationen (Genduplikationen, Transposons) oder kann die Epigenetik, oder beide zusammen, die Frage beantworten?

      Die Evolution auf Selektion und zufällige Mutationen zu reduzieren, wie es in fachfremden Medien häufig zu lesen ist, ist eine drastische und unzulässige Vereinfachung, die es den Gegnern der Evolutionstheorie allzu leicht macht.

  12. anton reutlinger // 17. September 2017 @ 20:27

    »Das Leben ist ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess, …«

    Im Falle des individuellen Lebens trifft der Begriff „Entwicklung“ tatsächlich zu. Damit diese Entwicklung nicht vorzeitig zum Ende kommt, muss sie in der passenden Umgebung stattfinden. Und was da „entwickelt“ wird, was sich da „entfaltet“, wird im Wesentlichen durch die „Erbanlagen“, das vorgegebene, artspezifische genetische „Programm“ gesteuert.

    „Angepasst“ an eine gegebene Umwelt oder ökologische Nische sind alle Individuen einer Art. Eben weil die Angepasstheit im Erbgut festgeschrieben ist. Dort ist auch festgelegt, inwieweit der Phänotyp in Reaktion auf Umwelteinflüsse modifiziert werden kann, damit er weiterexistieren und sich reproduzieren kann. Der ganze Zirkus des individuellen Lebens dient letztlich ja ohnehin nur der Weitergabe des Erbguts.

    Individuelle „Erfahrungen“ und deren Weitergabe an die nächste Generation können sich auf den Reproduktionserfolg auswirken. Insofern ist diese Form der epigenetischen Vererbung durchaus für die Evolutionsbiologie relevant.

    Sie schreiben:

    »Der Genotyp bestimmt den Phänotyp nur unzureichend und die Gene bestimmen nicht den Funktionszweck der Genprodukte.«

    So ganz komme ich nicht dahinter, wie Sie das mit dem „unzureichend“ und dem „bestimmen“ meinen.

    Wenn z. B. eine Pflanze wie der Löwenzahn bei Wasser- und Substratmangel klein und mickrig bleibt, dann doch nur, weil die „Fähigkeit“ zu diesem Minderwuchs im Genom verankert ist. Eine andere Pflanze, die genetisch bedingt höhere Ansprüche an den Standort stellt, würde in der gleichen Situation einfach absterben.

    Was, wenn nicht das Gen, könnte die Basen- bzw. Aminosäuresequenz des Genprodukts „bestimmen“? Und was, wenn nicht die AS-Sequenz, könnte die Struktur und Funktion der Proteine bestimmen?

    Die Frage nach einer Erklärung für den „zunehmenden Umfang und die zunehmende Komplexität der DNA” im Laufe der Evolution verstehe ich auch nicht. Meines Wissens gibt es keinen Zusammenhang zwischen Genomgröße (DNA-Menge) und der „Komplexität“ einer Art. Wenn das Genom besonders groß ist, dann ist eben besonders viel funktionslose DNA vorhanden, sei es bei Einzellern, Plattwürmern, Säugetieren oder Zwiebeln.

    Bei T.R. Gregory findet man zum sogenannten „C-value paradox“ eine Grafik:

    http://www.genomesize.com/statistics.php

    Evolutionsbiologie und Populationsgenetik sind keine einfachen Fächer. Man darf die gängigen Theorien zur Evolution gerne kritisieren, das ist Teil des wissenschaftlichen Prozesses. Aber wer die Evolution als solche ablehnt, ist einfach nur ignorant. Hier auf SciLogs ist mir noch kein waschechter Kreationist begegnet.

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