Adventskalender, Tag 13: 24 Gedanken und Wünsche für Hochbegabte

BLOG: Hochbegabung

Intelligenz, Sonntagskinder und Schulversager
Hochbegabung

Der heutige Gedanke passt irgendwie zu den langen Nächten, die wir derzeit noch haben. Ich finde das Bild sehr schön, und vielleicht gefällt ja auch Ihnen der Inhalt des heutigen Türchens!

Annette schickte mir folgendes Zitat:

Reach for the moon! Even if you miss, you’ll land amongst the stars.

Ich weiß nicht mehr genau, wo ich es gelesen hatte (möglicherweise in der ZEIT); das Zitat ging etwa so, dass es den Deutschen weniger darum gehe, etwas zu gewinnen, als vielmehr darum, etwas nicht zu verlieren. Das sind zwei völlig unterschiedliche Ziele. Motivationspsychologisch betrachtet, kann man diese beiden Einstellungen im Zusammenhang motivationaler Ziele lesen. Derer gibt es zwei, die sich dann noch weiter aufgliedern:

  1. einerseits die Leistungszielorientierung: Diese basiert auf dem Vergleich mit anderen und unterteilt sich in
    • die Annäherungs-Leistungszielorientierung einerseits (besser sein als andere, zeigen, was man kann)
    • und die Vermeidungs-Leistungszielorientierung andererseits (nicht schlechter sein als andere, verbergen, was man nicht kann),
  2. andererseits in die Lernzielorientierung, die auf dem Vergleich mit sich selbst basiert. Auch hier lässt sich die analoge Unterteilung (dazugewinnen/nichts verlieren) vornehmen.

Der Wunsch hinter zu niedrig gesetzten Zielen kann also eine Vermeidungsstrategie sein – um zu vermeiden, dass man beispielsweise von anderen ausgelacht wird, wenn es dann doch nicht klappt, oder sich vor sich selbst schämt oder ärgert, dass man seinen eigenen (u. U. perfektionistischen?) Standards nicht genügt hat. Scheitern ist nie angenehm, und um die negativen Gefühle zu vermeiden, die damit einhergehen, versucht man’s unter Umständen erst gar nicht.

Andererseits: Wenn es klappt, ist es super. Und auch, wenn es nicht klappt – wer weiß, vielleicht bringt auch das vermeintliche Verfehlen von Zielen etwas Gutes mit sich? Von Thomas Alva Edison stammt das Zitat, er sei nie gescheitert, sondern habe lediglich 10000 Wege gefunden, die nicht funktionieren (“I have not failed. I’ve just found 10,000 ways that won’t work.”) – ein Paradebeispiel für die Annäherungs-Lernzielorientierung und gelebte Fehlerkultur. Diese basiert ja genau auf einer kühlen Analyse dessen, was schief gelaufen ist, mit dem Ziel, es beim nächsten Mal besser zu machen und nicht noch einmal in dieselbe Sackgasse zu laufen, die man schon kennt. Um es mit Samuel Beckett zu sagen: “Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.” Fehler machen und Scheitern ist vermutlich eher der Normalzustand, auch wenn wir es gerne anders hätten.

Was ich an dem heutigen Zitat so mag, ist aber, dass es weitere Möglichkeiten eröffnet. Sowohl bei Edison als auch bei Beckett lese ich heraus, dass sie das Ziel trotz Rückschlägen im Auge behalten und weiter verfolgen. Aber ist dieses Festhalten an Zielen immer der beste Weg – oder ist es nicht manchmal besser, sich vom Ziel zu lösen und sich ein neues Ziel zu suchen – vielleicht sogar eins, von dem man gar nicht wusste, dass es existiert? (Damit wären wir wieder bei der Theorie Brandstädters, die in einem der letzten Blogbeiträge Erwähnung fand – die Balance zu finden, wann man dranbleibt und wann man besser alternative Ziele verfolgt.)

Insofern finde ich, der heutige Gedanke des Blogs macht Mut – Mut, sein Ding zu machen, sich hohe Ziele zu setzen, ohne sich dabei von der Gefahr des Scheiterns (die natürlich immer besteht) blockieren zu lassen. Zumindest die grobe Richtung wird schon stimmen.

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Dr. rer. nat. Tanja Gabriele Baudson ist Diplom-Psychologin und Literaturwissenschaftlerin. Seit Oktober 2017 vertritt sie die Professur für Entwicklungspsychologie an der Universität Luxemburg und ist als freie Wissenschaftlerin mit dem Institute for Globally Distributed Open Research and Education (IGDORE) assoziiert. Ihre Forschung befasst sich mit der Identifikation von Begabung und der Frage, warum das gar nicht so einfach ist. Vorurteile gegenüber Hochbegabten spielen hierbei eine besondere Rolle - nicht zuletzt deshalb, weil sie sich auf das Selbstbild Hochbegabter auswirken. Zu diesen Themen hat sie eine Reihe von Studien in internationalen Fachzeitschriften publiziert. Sie ist außerdem Entwicklerin zweier Intelligenztests. Als Initiatorin und Koordinatorin der deutschen „Marches for Science“ wurde sie vom Deutschen Hochschulverband als Hochschullehrerin des Jahres ausgezeichnet. Im April 2016 erhielt sie außerdem den SciLogs-Preis "Wissenschaftsblog des Jahres".

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