100 Jahre IQ – Charles Spearman und „g“

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Intelligenz, Sonntagskinder und Schulversager
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Bleiben wir beim Jubiläum des IQ, wagen einen weiteren Blick in die Geschichte und begeben uns ins frühe 20.Jahrhundert, noch bevor Stern den IQ erfand. Ein britischer Offizier studiert in Leipzig Psychologie. Das scheinen die zwei Faktoren zu sein, die einen Meilenstein in der Intelligenzforschung gebildet haben.

Der englische Psychologe Charles Spearman, inspiriert von den Arbeiten Galtons, widmete sich um 1900 mittels neuer statistischer Verfahren der Erforschung kognitiver Fähigkeiten, indem er viele verschiedenartige Testaufgaben konstruierte und diese von Versuchspersonen bearbeiten ließ. Und dann stürzte er sich auf die Daten und rechnete.

Spearman setzte dabei voraus, dass zur Lösung dieser unterschiedlichen Testaufgaben auch ein breites Spektrum an Fähigkeiten notwendig sei. Wenn viele Bereiche abgedeckt würden, so müssten auch viele Fähigkeiten beansprucht sein – so die durchaus logische Grundannahme. Nach Durchführung der Testungen überprüfte er das Gesamtbild der verschiedenartigen Aufgaben auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede mittels einer von ihm entwickelten Methode. Das Ergebnis dieser Faktorenanalyse, die die komplexen Daten auf im Innern zusammenhängende Faktoren untersucht, führte ihn zur Annahme der Zweifaktoren-Theorie der Intelligenz. Die Versuchspersonen schienen kontinuierlich eine Komponente, den general factor, zur Beantwortung aller sowie verschiedene Komponenten, die specific factors, zur Beantwortung spezieller Aufgaben zu benötigen.

Die Überschneidungen, die sich bei den verschiedenen Aufgabenstellungen zeigten, ließen nach Spearman nur den Schluss zu, dass alle durchgeführten Tests neben spezifischen intellektuellen Fähigkeiten ein übergreifendes Element – eben den g-Faktor – messen. Das Zweifaktorenmodell unterteilt die Intelligenz folglich in zwei hierarchische Komponenten, einen allgemeinen, sogenannten g-Faktor, und in viele verschiedene spezifische Faktoren, sogenannte s-Faktoren, die unabhängig voneinander sind. Der g-Faktor ist an allen geistigen Leistungen eines Menschen beteiligt, ganz gleich, was er denkt. Er ist sozusagen ständig im Gebrauch. Anders verhält es sich mit den verschiedenen spezifischen Faktoren, die dann wirksam werden, wenn spezielle Leistungen zusammen mit dem g-Faktor erbracht werden.

Was aber bedeutet das genau? Nach Spearman ist jeder Mensch mit einer Grundintelligenz, dem g-Faktor, ausgestattet, die an allem, was er geistig tut, beteiligt ist – je mehr er davon hat, desto mehr kann er geistig tun. Hinzu kommt eine Fähigkeit für etwas Spezielles – bspw. eine besondere sprachliche Begabung –, so dass denkbar ist, dass der betreffende sich verbal hervorragend ausdrücken kann, Geschichten und Gedichte verfasst usf. Doch auch diese Fähigkeit braucht als Komponente den allgemeinen Faktor, um Leistung zu erbringen. Individuelle Unterschiede in mentalen Leistungen sind nach Spearman auf den g-Faktor zurückzuführen. Seine Arbeiten prägten die weitere Erforschung der Intelligenz und bilden noch heute den Kern moderner Intelligenztheorien.

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Götz Müller ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und Leiter des Instituts für Kognitive Verhaltenstherapie (IKVT). Er arbeitet beratend und diagnostisch mit Familien hoch begabter Kinder und Jugendlicher. In der psychotherapeutischen Arbeit beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit dem Underachievement bei Hochbegabten, hier insbesondere bei Jugendlichen.

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