Willkommen zu einer interessanten Nicht-ganz-Diskussion über wissenschaftliches Publizieren

Mit Diskussionsrunden ist das so eine Sache. Zu Beginn der Diskussionsrunde des Heidelberg Laureate Forum zum Thema wissenschaftliches Publizieren sah es so aus, als hätten die Organisatoren die Diskussionspartner recht einseitig zusammengestellt. Gerard Meijer (Direktor des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin) brachte das Thema Open Access auf den Tisch, das nach wie vor ein zentrales Problem beim wissenschaftlichen Publizieren ist: Sollte wissenschaftliche Forschung, die aus Steuergeldern finanziert wird, nicht allen zugänglich sein? Insbesondere: Nicht hinter den Paywalls (kommerzieller) Verlage versteckt? Aber warum hatten die Organisatoren bei der Diskussion dieses Themas dann nicht wenigestens einen Teilnehmer eingeladen, der die Verlage vertrat?

Eine Frage des Framings

Letztlich war ich da ein Opfer irreführenden Framings geworden. Die Organisatoren, so erfuhr ich später, hatten die Diskussion gerade nicht um die Open-Access-Frage kreisen lassen wollen. Stattdessen sollte es um die Ansprüche der Wissenschaft an zukünftige Publikationspraktiken gehen. Mit dieser Information nahm ich die Debatte dann rückblickend deutlich anders wahr als während des direkten Zuhörens. Ich beschränke mich hier entsprechend auf diejenigen Teile der Debatte, die nichts mit Open Access zu tun hatten – mit einer subjektiven Auswahl an Themen, die angesprochen wurden.

Was sollen wir überhaupt veröffentlichen? Wer an dieser Stelle nur an Fachartikel denkt, denkt nicht weit genug. Gabriele von Voigt (die auf eine vielseitige Karriere sowohl in der Wissenschaft als auch in der Industrie zurückblicken kann; heute Professorin für Computational Health Informatics an der Universität Hannover) erweiterte die Diskussion flugs auf wissenschaftliche Daten (und die damit verbundenen Metadaten). Details dazu findet man auf der FAIR-Website – und ich bin auf alle Fälle aus astronomischer Sicht sehr dafür: Ja, ich möchte, dass die wissenschaftlichen Daten, die mich interessieren, findbar sind, das “F” in “FAIR”, mit geeigneten Metadaten, die in durchsuchbaren Ressourcen aufgelistet sind. Ich möchte, dass sie, “A”, accessible, über ein einfaches Protokoll zugänglich sind. Ich möchte, dass die Daten “I” sind, interoperabel. Als Astronom habe ich mich daran gewöhnt, dass Bilddaten beispielsweise im Standard-FITS-Format vorliegen, aber solche Standardformate sind offenbar noch nicht in allen Wissenschaftsbereichen gängig. Und sie sollten “R”, reusable, also wiederverwendbar sein. Das setzt insbesondere adäquate Dokumentation voraus.

Julie Williamson von der University of Glasgow ging mit dem “Was” noch einen Schritt weiter: Wir müssen auch Artefakte erhalten. Klingt sinnvoll: Wenn es beispielsweise um die Hardwareentwicklung geht, müssen wir mehr als nur die Publikationen und Beschreibungen bewahren, sondern beispielsweise auch Prototypen.

Die Schere zwischen Einreichungs- und Gutachterzahlen

Williamson sprach noch einen weiteren wichtigen Punkt an. Klaus Hulek, Chefredakteur des “Zentralblattes der Mathematik” (eine kommentierte Datenbank von Mathematikpapieren, auf die Wissenschaftler anderer Bereiche neidisch sind), hatte im Open-Access-Teil der Debatte die veränderte Rolle der Verlage beschrieben: weniger zur Verbreitung würden sie gebraucht (jetzt, da das Internet die Verbreitung so viel einfacher gemacht hat), sondern immer mehr für die Qualitätskontrolle. Aber, wie Williamson betonte, sei die Zahl der Einreichungen neuer Fachartikel um 10% pro Jahr gestiegen, während die Zahl der potenziellen Gutachter*innen nur um 2% wachse. Wir haben ein Problem.

Williamsons Lösungsvorschlag: Wir sollten weniger, aber dafür bessere Artikel veröffentlichen. Das bedeutet allerdings auch, alternative Kriterien dafür zu finden, wie man wissenschaftliche Leistungen etwa bei der Vergabe von Jobs bewertet. Derzeit geht ja vielfach auch die Zahl der Artikel, bzw. der Artikel mit Erstautorenschaft, in die Bewertung ein. (Fields-Medaillist Efim Zelmanov sagte pessimistisch vorher, dass die großen Universitäten selbst dann, wenn man die üblichen Indizes und Wertungsalgorithmen ändern würde, noch einen Weg finden würden, das System zu überlisten. Joseph Konstan von der University of Minnesota, Co-Vorsitzender des Publications Board der Association for Computing Machinery, wies seinerseits darauf hin, anstatt auf Algorithmen sollten sich Institute doch besser auf die eigenen Experten verlassen.)

Wie Meijer anmerkte: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat ihre Regeln vor einiger Zeit geändert, um beim Trend zu möglichst vielen Veröffentlichungen gegenzusteuern. Seitdem dürfen Wissenschaftler*innen in bestimmten Teilen eines DFG-Antrags nur noch ihre fünf besten Artikel (der letzten Jahre) auflisten. Ein Prozess, der Wissenschaftler*innen belohnt, die weniger, aber bessere Arbeiten veröffentlichen und diejenigen benachteiligt, die Quantität auf Kosten der Qualität anstreben. Ein paar weitere Informationen hat die DFG anschließend hier via Twitter geliefert:

…anscheinend geht die Praxis auf 2010 zurück!

War diese Veranstaltung, die ich in diesem Blogbeitrag sowohl vom Inhalt als auch von der Form her abzubilden versucht habe, eine Diskussionsrunde? Wahrscheinlich nicht im engeren Sinne des Wortes. Es war definitiv interessant, aber eher eine Art Brainstorming-Sitzung. Echte, konstruktive Podiumsdiskussionen sind vermutlich schwieriger umzusetzen als man meinen könnte.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

9 comments

  1. Warum eigentlich sollten eventuelle Fachkonkonkurrenten eines Wissenschaftlers dessen wissenschaftliche (Erst-) Veröffentlichung schon im absuluten Vorfeld “wegzensieren” , d. h. dessen Veröffentlichung im Vorab verhindern dürfen?

    Und wer oder was gibt “Mitarbeitern” eines kommerziellen “Verlages” eigentlich das wissenschaftstheoretische bzw. das “juristische ” Recht dazu ?

    Ein wissenschaftlich einigermaßen “sauberes” bzw. sinnvolles “Peer Review” kann doch eigentlich nur darin bestehen, dass unabhängige Kontrollgruppen versuchen , die anstehenden “Ergebnisse” des Wissenschaftlers zu falsifizieren bzw. wenigsten auf ehrliche Weise zu reproduzieren.

    Dazu aber müssen zunächst mal alle Rohdaten einschließlich des kompletten Experimentaldesigns völlig transparent vorliegen bzw. veröffentlicht sein. (Wie es auch die erste Vortragende offensichtlich gefordert hat)

    Wie stehen Sie dazu ?

  2. Fachkonkurrenten: Eine Kulturfrage. Habe bei meinen eigenen Artikeln beides gehabt – eindeutig feindselig-unkonstruktive Reviews und sehr hilfreiche. Solange es genügend unterschiedliche gute Zeitschriften gibt, bei denen man einreichen kann, sollte das funktionieren. Und eine gewisse Qualitätssicherung bietet Peer Review eben doch.

    Keine Ahnung, wen Sie mit “Mitarbeitern” meinen. Für den Peer Review werden die Gutachter ja nicht bezahlt.

    Reproduzieren/falsifizieren (oder aber: erweitern, verbessern, anderweitig darauf aufbauen) ist dann der nächste Schritt.

    Rohdaten und Experimentaldesign: Ja, da bin ich sehr dafür, die neuen Möglichkeiten zu nutzen (z.B. das gesamte eigene Auswertungsskript samt Container und Daten online stellen, so dass die Auswertung auf Knopfdruck reproduzierbar ist).

  3. Die Fragen, die ich mir bei FAIR stelle sind:
    *Einige Interumente (z.B. moderne Rastertransmissionselektronenmikroskope) erzeugen große Datenmengen (so eine Terabyte Festplatte pro Tag). Es heißt, bei uns in der Uni wird überlegt, diese Messdaten auf Festplatten durch die Degend zu tragen, und nicht über das (interne) Netz zu verschicken, weil die Datenmengen einfach zu groß werden. (Dabei entsteht dann vermutlich auch eine Menge Ausschuss (oder zumindest denkt man, es sei Ausschuss)).
    *Wenn die Daten anderen zugänglich gemacht werden sollen, dann steigt der Aufwand für die Dokumentation der Daten, insbesondere wenn selbstgebaute Messgeräte verwendet werden. Unabhängig davon, ob man solche “Betriebsgeheimnisse” überhaupt verraten möchte (und bei kommerziellen Geräten dies auch darf), müsste das jemand machen (also dafür bezahlt werden)

    Wurde da über das wie gesprochen? Astronomen und Planetenforscher scheinen mir da etwas weiter zu sein, was Daten austausch etc. angeht, vielleicht, weil man die meisten Experimente zumindest prinzipiell wiederholen könnte, bei Beobachtungen oder Vorbeiflüge von Raumsonden ist das aber etwas schwerer…

  4. @ Qisum und zum Folgenden

    “…*Wenn die Daten anderen zugänglich gemacht werden sollen, dann steigt der Aufwand für die Dokumentation der Daten, insbesondere wenn selbstgebaute Messgeräte verwendet werden…” ( Zitatende)

    Ich danke Ihnen für diesen außerordentlich nützlichen Hinweis zur Verbesserung der sozialen Lage größerer Bevölkerungsschichten.

    Denn mit “selbstgebauten Messinstrumenten” könnten (prekäre) Mieter alljährlich ihre Heizkosten auf ein für sie tragbares Maß reduzieren.

  5. @little Louis, ich denke, da wird das Eichamt etwas dagegen haben; in der Wissenschaft werden auch weniger Standardgeräte, wie Ampèremeter selbst gebaut, sondern eher z.B. Verstärker zur Messung sehr kleiner Ströme (zw nA und pA). Außerdem werden kommerzielle Geräte modifiziert. Wenn man Grundlagenforschung betreib, dann tut man ja per definitionem etwas, was vorher noch niemand gemacht hat, und wofür es nicht notwendigerweise passende Messgeräte gibt. Z.B. gibt es Transmissionselektronenmikroskope schon lange, die Möglichkeit eine Spannung an die Probe anzulegen, um hoffentlich irgendwann mal Transistoren beim Schalten zuzusehen, muss man trotzdem selber bauen/ extra in Auftrag geben.

  6. @Quisum: Die geeigneten Speichermöglichkeiten wären eine Aufgabe für eine nationale Datenstruktur, wie sie ja derzeit gerade geplant wird. Bei besonders datenintensiven Anwendungen, etwa Teilchenbeschleunigern, ist das aber in der Tat ein Problem.

    @little Louis: Dass die selbstgebauten Instrumente richtig kalibriert sind muss in den entsprechenden Fachartikeln natürlich nachgewiesen werden, sonst haben die Experimentatoren schlechte Arbeit geleistet.

  7. Markus Pössel schrieb (25.09.2019, 20:45 o’clock):
    > […] eine nationale Datenstruktur, wie sie ja derzeit gerade geplant wird.

    Haben diese Planungen einen bestimmten Projekt-Namen ?
    (Aus den gegenwärtigen Google- bzw. Wikipedia-Treffern für das bloße Stichwort “nationale Datenstruktur” erschließt sich mir das jedenfalls nicht.)

    Wird diese geplante “nationale Datenstruktur” auch Daten zur Graben-Überschreitfähigkeit bzw. zum Fall- und Flug-Verhalten von Kettenfahrzeugen beinhalten ? Wird sie Antworten auf Fragen zur Bedeutung und Bezeichnung von Koordinaten (die Ereignissen zugeordnet werden können) bereitstellen; oder zu Fragen, die sich im Zusammenhang mit Vorschlägen Koordinaten-freier Darstellungen folgendermaßen stellen:

    Chrys schrieb (26.09.2019, 14:00 Uhr):
    > […] das Verhältnis von Eigenlänge zu […]
    > Die Eigenlänge ist durch ein invariantes Integral definiert, das nicht von einer Wahl von Koordinaten abhängt.

    Wie lautet das entsprechende Integral explizit ?
    Und sofern dieses Integral als [[Riemannsches Integral]] aufzufassen sein soll, also als Grenzwert bestimmter Folgen von sogenannten Riemannschen Zwischensummen (für “durchwegs immer feinere” Zerlegungen):
    Wie ist jeweils jeder einzelne endliche Summand einer solchen Riemannschen Zwischensumme definiert ?

    > zu Radarlänge des Gespanns.

    Sofern “Radarlänge des Gespanns” eine Koordinaten-abhängige Größe ist (die womöglich auf [[Radar coordinates (Lass coordinates)]] beruht), lässt sich eine manifest invariante Größe gegenüberstellen:
    “Ping-Dauer (jeweils eines der beiden Gespann-Enden, bzgl. des anderen)”.

    Zu beachten ist allerdings, dass für beschleunigte Gespann-Enden die Ping-Dauern i.A. nicht gegenseitig gleich sind.
    (Das erinnert übrigens an eine Bemerkung über [[Born_coordinates#Radar_distance_in_the_large]]:

    »Thus, while radar distance has a simple operational significance, it is not even symmetric. «

    Es erscheint daher fragwürdig, dass ein Gespann insgesamt jeweils durch nur einen einzigen Wert zubeschreiben wäre.

    p.s.
    > […] ob die uniform beschleunigte Bewegung der Spaceships unter den Annahmen der ursprünglichen Problemstellung betrachtet wird.

    Jedenfalls lassen sich die Fälle unterscheiden

    – dass die Ping-Dauern jeweils eines bestimmten Endes bzw. des anderen konstant bleiben (und die jeweils konstanten/uniformen/hyperbolischen Beschleunigungen der beiden Enden entsprechend ungleich sind),

    – oder: nicht mal das.

  8. Herr Senf schrieb (27.09.2019, 10:38 o’clock):
    > hat sich der Kommentar verlaufen?

    Was meine in erster Linie an (unseren langjährigen Mit-Kommentator) Chrys gerichteten Fragen und Bemerkungen betrifft:
    Die sind (bis auf weiteres) hier gelandet, nachdem sie vor knapp einem Tag anderswo mit
    »Dein Kommentar befindet sich in Moderation.«
    zwar zunächst einigermaßen sachlich empfangen, aber Stunden später offensichtlich davongescheucht wurden; ohne mit irgendeiner weiteren Rückmeldung verbunden zu sein, oder gar mit einer Einladung zum Verfassen eines (im Sinne des “(Verfassungs-)Prinzip der Praktischen Konkordanz” vernünftig ausgleichenden) entsprechenden SciLog-Gastbeitrags.

    Für jene, die vernünftig und (deshalb auch) Barriere-frei über Geometrie und Kinematik und “Stäbe” usw. korrespondieren möchte, bieten sich bis auf Weiteres eben die Kommentare dieses SciLog-Artikels an.

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