Übersetzte Wissenschaft: Gebärdensprache beim Heidelberg Laureate Forum

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Laureates of mathematics and computer science meet the next generation
Heidelberg Laureate Forum

Um den Vorträgen beim Heidelberg Laureate Forum zu folgen bedarf es auch unter besten Bedingungen der Konzentration. Selbst von englischen Muttersprachlern wird einiges an geistiger Anstrengung verlangt, wenn von ihnen bis dahin nicht vertrauten Konzepte die Rede ist – und die Mischung aus reiner Mathematik und Informatik beim HLF bedeutet, dass fast jeder Vortrag zumindest für einen Teil des Publikums neu und ungewohnt ist.

Für diejenigen Teilnehmer, die keine englischen Muttersprachler sind, kommt eine Sprachbarriere hinzu. Die dürfte in den meisten Fällen aber nicht sehr hoch sein. Da Englisch die Sprache der Wissenschaft und der meisten modernen wissenschaftlichen Publikationen ist, dürfte es für fast alle Nicht-Muttersprachler unter den jungen Forschern vermutlich trotzdem einfacher sein, ihre Forschung auf Englisch zu erklären als das in ihrer Muttersprache zu tun.

Und dann gibt es da noch die sprachlichen Herausforderungen, denen sich Larwan Berke, ein Doktorand für Informatik am Rochester Institute of Technology, und sein Dolmetscher-Team für die amerikanische Gebärdensprache (ASL) stellen.

Sheyla Perez mit dem Gebärdenzeichen für “Mathe” beim 5th HLF am Montag. © Heidelberg Laureate Forum Foundation / Kreutzer – 2017

Eigene Erfahrungen mit dem Übersetzen komplexer wissenschaftlicher Texte habe ich sammeln können, als ich half, populärwissenschaftliche Bücher ins Deutsche zu übertragen. Selbst dabei ist schon einiges an Kreativität gefragt; entsprechend habe ich die ASL-Dolmetscherinnen Lisa Reynolds und Sheyla Perez (Overseas Interpreting) gefragt, wie sie mit den ja doch eher speziellen Anforderungen von Mathematik- und Informatik-Vorträgen zurechtkommen.

Wie sich herausstellte, sind beide durchaus Spezial-Dolmetscher, allerdings für medizinische Themen. Die HLF-Arbeit erforderte entsprechend gründliche Vorbereitung. Sie hatten frühzeitig die von den HLF-Organisatoren zur Verfügung gestellten Kurzfassungen der Vorträge durchgearbeitet und zwischendurch immer wieder diejenigen Konzepte gegoogelt, die ihnen neu waren. Eine Reihe von Fachausdrücken haben sie auch mit ihren Kollegen in der ASL-Community diskutiert. Lisa und Sheyla sind sich einig, dass ihr Einsatz hier beim HLF Teamwork in mehr als einer Hinsicht ist. Es waren eben nicht nur sie, die sich vorbereitet haben, um für Larwan zu dolmetschen, sondern Larwand Mitarbeit war ein entscheidender Faktor. Dass er seine Kenntnisse in Informatik und Mathematik einbringen konnte war ein wichtiger Teil der Vorbereitung.

Sheyla Perez mit der Gebärde für “tief”, im Zusammenhang “Deep learning,” beim 5. HLF am Montag. © Heidelberg Laureate Forum Foundation / Kreutzer – 2017

Die übersetzten Gebärden – denn natürlich dolmetschen Lisa und Sheyla für Larwan, während wir uns in der ersten Kaffeepause am Montag unterhalten – erinnern mich an eine Situation, in der man einer unbekannten, aber doch nicht ganz fremden Sprache zuhört. Eine ähnliche Mischung aus Bekanntheit und Unvertrautheit habe ich z.B. erlebe, wenn ich mit meinen rudimentären französischen Sprachkenntnissen einem italienischen Gespräch zugehört habe. Einige Gesten kommen einem doch bekannt vor bzw. bauen offenbar auf einem gemeinsamen Repertoire weitgehend universeller Gesten auf.

Für die ASL-Dolmetscher ist Flexibilität ein Muss, wenn es um so komplexe Themen geht – und sie diskutieren regelmäßig mit Larwan über die verschiedenen Optionen für entsprechende Konzepte, um die jeweils beste Gebärde auszuwählen. Hier zeigt Lisa die Gebärden für “Verschlüsselung” und “Entschlüsselung”, auf die sie sich geeinigt haben:

Für Lisa und Sheyla ist das nicht nur intellektuell, sondern auch körperlich harte Arbeit. Deshalb arbeiten sie im Wechsel, jeweils eine von ihnen als Hauptdolmetscherin, die mit dem Gesicht zum Publikum direkt vor Larwan die Gebärdenübersetzung zeigt. Die jeweils andere unterstützt von der Seite aus, behält alles im Auge und sorgt dafür, dass keine Informationen verlorengehen. Gute Audioqualität ist ein Muss, und beide Dolmetscher tragen Headsets, die sie über das Audiosystem des Hörsaals mit Audio versorgen. Larwan wiederum muss seine Aufmerksamkeit zwischen den projizierten Folien und der Gebärdensprache aufteilen.

Mathematik und Informatik sollen universell sein, kulturell und sprachlich übergreifend, allen rationalen Menschen zugänglich. Aber in der Praxis gehört doch einiges an Arbeit dazu, diese Fächer zugänglich zu machen – das sieht man an Lisa, Sheyla und Larwan hier beim HLF.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

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