Peter Naur und das Jennifer-Aniston-Neuron

Peter Naur beim Heidelberg Laureate Forum 2015 © HLF / Christian Flemming
Peter Naur beim Heidelberg Laureate Forum 2015 © HLF / Christian Flemming

Peter Naur hat eine beeindruckende Biographie. Als Programmiersprachen-Pionier war er an entscheidender Stelle dabei, als es um den Übergang vom direkten Programmieren mithilfe elementarer Recheninstruktionen (“nahe an den Elektronen”) zu abstrakteren, höheren Sprachen ging – damals alles andere als selbstverständlich.

Aber die Ideen, die Naur auf dem diesjährigen HLF vorstellte, schienen mir doch sehr zur zweiten Hälfte des Einstein zugeschriebenen Zitats zu gehören, dass man die Dinge so einfach wie möglich machen sollte, aber nicht einfacher. Naur stellte sein einfaches Modell vor, wie das Gehirn funktioniert: Neuronen, verbindende Synapsen und eine eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen Neuronen und Konzepten (in seinem Beispiel war der Audrey-Hepburn-Knoten über Synapsen mit Konzepten wie “Schönheit” und “Schauspielerin” verbunden). Seine Behauptung: So einfach ist das Gehirn wirklich. Die dem Gedächtnis gewidmeten Beiträge in der Encyclopedia of the Neurological Sciences von 2003 wurden mit Titel aufgelistet und dann mit “Was in diesen Artikeln steht, ist nur Verwirrung” (“What is in these articles is merely confusion”) beiseitegewischt.

Beweis für das ein-Neuron-ein-Konzept-Modells: Die Entdeckung des Jennifer-Aston-spezifischen Neurons, von der Naur in National Geographic (dänische Ausgabe Nr. 2/2014) gelesen hat. Dieses spezifische Neuron, so erzählt er, feuerte genau dann und dann, wenn die Versuchsperson Bilder von Jennifer Aniston gezeigt bekam. Wie in Naurs einfachem Modell: ein Knoten, ein Konzept.

(Naurs Gedanken dazu sind auch in dem 2008 im Eigenverlag erschienenen Buch zum Thema nachzulesen, abrufbar auf naur.com.)

Das gute an Konferenzen mit Internetzugang ist, dass man während der Vorträge direkt googlen kann, was man nicht ganz versteht oder wozu kan direkt mehr wissen möchte. Im Falle des Jennifer-Aniston-Neurons (dem medienwirksamen Spätabkömmling dessen, was 1969 noch Großmutter-Neuron hieß) bin ich zunächst auf diesen New Scientist-Artikel gestoßen, dessen Zahlen es mir doch sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass jemand auf die beschriebene Weise, mit so vergleichsweise wenigen Neuronen und gezeigten Bildern, ein Jennifer-Aston-Neuron hätte finden können. Weitere bedenkenswerte Dinge finden sich in diesem schönen Text von Robert Krulwich. Hier ist eine Beschreibung eines neueren Experiments mit abweichenden Ergebnissen; die Abweichungen könnten mit verschiedenen Stufen der Speicherung von Gedächtnisinhalten zusammenhängen.

Anscheinend ist die Angelegenheit eben doch nicht so einfach, wie Naur uns erzählt. Ich hätte mir an dieser Stelle wirklich einen Vortrag gewünscht, der diese Informationen – und was man bei einfachem Googlen findet, ist ja erfahrungsgemäß eher die Spitze des Eisbergs – mit vermittelt. Oder, allgemeiner: Ich wünsche mir zwar, dass die HLF-Vorträge die Dinge so einfach darstellen wie möglich. Aber nicht einfacher.

Ein Video von Naurs Vortrag ist hier zugänglich.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

10 comments

  1. Die Arbeit zu ´Granmother cell/Jennifer Aniston neuron´ ist – DOI: 10.1038/nature03687 ´Invariant visual representation by single neurons in the human brain´.
    Heute geht man aber davon aus, dass ein Konzept (z.B. die Vorstellung ´Jennifer Aniston´) durch ein Netzwerk von ca. 2 Millionen Neuronen repräsentiert wird. D.h. wenn Jennifer Aniston als neuer Reiz wahrgenommen wird, reicht es aus, dass man die Aktivität einer dieser Neuronen messen kann – um ein ´Jennifer Aniston Neuron´ zu erkennen. D.h. das ein-Neuron-ein-Konzept-Modell ist längst Wissensstand von vorgestern.

  2. Peter Naur hat mit seiner Synapse-State Theory of Mental Life das Feld der Empirie verlassen und etwas Spekultatives zu einem allgemeinen Prinzip des Mentalen erhoben. Dies gilt sogar dann, wenn man Jennifer Aniston Neuronengruppen gefunden hat, denn damit ist noch lange nicht gesagt, wie wichtig solche Neuronengruppen als Erklärungsmodell für das Mentale sind.
    Naurs Wissenschaftsauffassung wird in der Wikipedia folgendermassen charakterisiert:

    Naur can possibly be identified with the empiricist school, that tells that one shall not seek deeper connections between things that manifest themselves in the world, but keep to the observable facts.

    Seine übervereinfachte Theorie des Mentalen entspricht vielleicht seinen eigenen empirischen Einblicken in die Funktionsweise des Hirns, denn die dürften sehr schmal sein, hat er doch nicht auf diesem Gebiet gearbeitet.

  3. Als ich das zum ersten Mal gehört habe, hat es mich ernsthaft begeistert. Ich war zwar nicht überzeugt, das da was dran sei – in genau der Weise, wie erklärt. Aber man kann das als eine Grundsystematik nehmen und dann Abweichungen davon selektieren.

    Eine Frage wäre nämlich, ob das Neuron auch dann noch feuern würde, wenn die Frau vergessen oder tot ist. Muß der Probant wissen, wer die Frau ist?
    Das immer etwa das gleiche Assambly aktiv feuert, wenn das gleiche Bild gesehen wird, ist aber wohl weniger angezweifelt? Was passiert, wenn man dem Probanten das Bild 5000 Mal zeigte?

    Wenn man dem Konzept “Meme” vertraute, dann ist die These des ein Neuron/Assambly ein Konzept nicht ganz so weit von der Realität entfernt. Aber ich glaube eben nicht,dass dieses Neuron das für immer so tun muß. Was dann nicht das Jennifer Anniston Neuron wäre, sondern ein Neuron, das derzeit genau dieses sei und später einmal eine andere Person oder ein anderes Mem erzeugen wird können.

    Mal davon abgesehen, dass ein Neuron wahrscheinlich seine Information gar nicht bis ins Bewusstsein dringen lassen könnte. Soviel “Stille” ist nämlich eher unwahrscheinlich. Oder sehe ich da was falsch?

    • 1) Ein Neuronennetzwerk, welches z.B. für das Gesamtkonzept Jennifer Aniston steht, wird diese Information lebenslang enthalten.
      Wir können uns lebenslang bewusst an Erlebnisse ab dem 5. Schwangerschaftsmonat erinnern – und zwar in der gleichen Reihenfolge, wie sich die Sinne entwickeln: Fühlen > Hören > Sehen. Dies belegt, dass bestimmte Informationen beständig im Gedächtnis bleiben und nicht überschrieben werden.
      2) Das Konzept Jennifer Aniston dürfte allerdings auch Teil-/Unterkonzepte enthalten, z.B. Schauspielerin, Filmdarstellerin, Amerikanerin, usw. Derartige Unterkonzepte können auch mit den Unterkonzepten anderer Menschen/Filmstars gemeinsame Schnittmengen bilden.
      3) Aus Experimenten weiß man, dass es im Gehirn/Gedächtnis Teilbereiche gibt. Z.B. Teilbereich ´Menschen´ > Teilbereich ´Schauspieler´. Wenn wir uns gedanklich nur auf einen Teilbereich konzentrieren – dann braucht das Gehirn nicht sein gesamtes Wissen zu durchsuchen, sondern nur diesen speziellen Teilbereich. Durch diese selektive Arbeitsweise kann das Gehirn z.B. ein Objekt messbar schneller erkennen. nach 200 Millisekunden (statt 300 Millisekunden)
      siehe http://www.mpg.de/1060839/Erwartung-Wahrnehmung ´Erwartung beschleunigt bewusste Wahrnehmung´.

      • zu 3.

        Der erste Teilbereich wird “Mensch” sein, der nächts relevante “Geschlecht”.

        Das Meme weitergegeben werden, widerlegt sie aber nicht. Besser wäre aber erklärt, dass Meme versucht werden “aufzuopktroyieren”. Also alternativlos gestellt; exklusiv als Existent dargestellt. Geben und Nehmen dabei aber die falsche Vision sei. Ideologiekritisch muß man erklären, dass jede Information aufgezwungen wird. Missionsstrategie.

    • Nachtrag
      Die Vorstellung, dass Ideen/Konzepte als ´Meme´ existieren und sich verbreiten – ist sehr sehr fragwürdig.
      Ideen/Konzepte verbreiten sich nicht von selbst, sondern werden von Menschen/Tieren entwickelt und weitergegeben.
      Ich würde deshalb den Begriff ´Mem´ nicht verwenden.

      • “werden entwickelt” ist so eine zielsetzende Aussage – ich glaube nicht daran, dass es so deutlich planbar sein soll. Auch wenn Starkult zuweilen maximal fourciert wird, weiß man vorher nicht genau, was dabei herauskommen wird. Meme werden eher in einem chaotisch kollektivem Prozess entstehen. Der ist auch dann chaotisch/zufällig, wenn es eine “Hauptperson” gibt – eine zentrale Idee. (obwohl es rein theoretisch den “Zufall” nicht gibt). Diese Hauptperson ist ja nicht die Ursache, sondern das Ergebnis. Identität ist je mehr eine, desto mehr Menschen sie erkennen. Im Starkult ist zwar viel selbsterfüllende Idee enthalten, aber wie diese bei denen, die Identitäten erst (an)erkennen sollen, ankommt und was sie daraus machen, ist oder wird immer weniger erfolgreich selbsterfüllend sein werden. Was das ganze viel ehrlicher macht, als es früher war.

        Die meinst, das es lebenslang das sein wird, was es einmal erinnert? Wahrschenlich nur dann, wenn das Netzwerk dazu bestehen bleibt – individuel in jedem Gehirn. Dann wäre es zwar nicht Lebenslang im Sinne des menschen, aber im Sinne des individuellen Netzwerkes. ok, …

  4. Ich hatte den Vortrag nicht so verstanden, dass Konzepte und Neuronen 1:1 abgebildet sind. Es kam ja nach dem Vortrag auch eine Nachfrage in der Richtung und Naur meinte, dass die abgebildeten Neuronen nicht physischen Neuronen entsprechen, sondern ganzen Komplexen (bei 39:00 im Video).

    • Ich habe es sowohl im Vortrag als auch im (sehr ausführlichen) Abstract so verstanden, und auch aus der (leider etwas vagen) Antwort auf die erwähnte Nachfrage so entnommen. Andernfalls macht auch der Verweis auf das Jennifer Aston-Neuron (wo in dieser Hinsicht ja auch nicht differenziert wurde – und wo die Behauptung der Forscher selbst ja in der Tat auf ein einzelnes Neuron hinauslief) in der dortigen Form keinen rechten Sinn.

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