Von Schlangenbeschwörern zu Python Programmierern
BLOG: Heidelberg Laureate Forum

Die Rolle von Mathe und Informatik für Entwicklungsländer.
Programmierer, die heute weltweit verteilt dazu beitragen, dass an so mancher Software rund um die Uhr – sprich rund um den Globus – programmiert wird. Man möge es mir verzeihen, dies war das erste Bild, das ich vor meinem inneren Auge hatte, als ich vom “hot topic” des HLF14 erfuhr: “Wie Mathematik und Informatik die weitere wirtschaftliche Entwicklung von Schwellenländern fördern könnten”. Anscheinend ist dies tatsächlich ein prosperierender Markt. So kostet beispielsweise diese Studie “2014 Worldwide Software Developer and ICT-Skilled Worker Estimates“, die einen weltweiten Überblick über die Verteilung von Softwareentwicklern und ausgebildeter Arbeitsleistung verspricht, fast 6000 US-Dollar.
Mathematik ist in manchen Ländern sozusagen noch eine junge Wissenschaft – zumindest wurde die erste Abteilung für Mathematik an der Escuela Politécnica Nacional in Ecuador erst in 1975 gegründet – so berichtete das Peter Benner vom Max-Planck Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme, Magdeburg.
Bis 2003 gab es keine einzige Forschergruppe in Ecuador, aber immerhin 150 Mathematiker mit Masterabschluss. Schließlich entstand in Kooperation mit der TU Berlin, an der Benner zu jener Zeit noch war, über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) die Idee, ein Doktorandenprogramm in angewandter Mathematik aufzustellen.
Hermann Mena war der erste Ecuadorianische Mathematiker, der im Rahmen dieses Programms promovierte. Mena erinnert sich an die Anfänge seiner Doktorarbeit: “Wir suchten nach einem Thema, das die Allgemeinheit wirklich interessiert.” Was die Gemüter in Ecuador zu Beginn des neuen Jahrtausends wirklich bewegte, war ein Rechtsstreit zwischen den Staaten Ecuador und Kolumbien wegen eines bestimmten Unkrautvernichtungsmittels (Glyphosat), das auf kolumbianischer Seite nahe der Grenze recht großzügig per Flugzeug versprüht wurde. Das hat zwar die Koka-Pflanzen in Kolumbien effektiv vernichtet, war auf ecuadorianischer Seite aber wegen seiner potenziellen weiteren (Neben)-Wirkungen auf Flora, Fauna und Mensch unerwünscht.

Weil das Thema politisch hoch brisant war, haben Mena und Benner nicht einen konkreten Nachweis gesucht, sondern für definierte Grenzabschnitte verschiedene Szenarien untersucht und per Computerprogramm die Ausbreitung des Unkrautvernichtungsmittels simuliert. Ergebnis: Ja, unter bestimmten Bedingungen war eine Verbreitung des Mittels auch in Ecuador möglich. Ein Puzzlestein für die weiteren Verhandlungen mit Kolumbien (mehr zum Projekt). In Folge dieser mathematischen internationalen Kooperation sind inzwischen viele mehr entstanden und inzwischen gibt es in Ecuador an drei Hochschulen Fakultäten für Mathematik und das Land zählt seit 2014 auch zur International Mathematical Union (full membership application).
Die Länderberichte weiterer begeisterter Wissenschaftler – Adamou Ibrahim aus Niger; Pheakdey Nguonphan aus Kambodscha – klangen da viel ernüchternder. Mathematik werde etwa primär nur als Fach verstanden, das man in der Schule lehre, aber nicht an Universitäten als eigenständige Forschungsgebiete. Es herrsche großer Mangel an Lehrmaterial wie Lehrpersonal. Um überhaupt Interesse zu schaffen und Aufmerksamkeit für ihre Fachgebiete zu erreichen, behelfen sie sich einfacher Mittel, wie Mathe-Quiz-Aufgabe in Zeitschriften, Mathe-Olympiaden oder Informatikfestivals.
Wie sehr Mathematik und Informatik wirtschaftlichen Aufschwung unterstützen können, belegte umgekehrt P J Narayanan vom International Institute of Information Technology im indischen Hyderabad. Er berichtete von mehreren Millionen professionellen Informatikern in Indien, von sehr gut bezahlten Arbeitsplätzen, die Menschen ihre Würde geben. Dank der Informatik sei es seinem Land gelungen, Respekt zu gewinnen. “Wir sind von Schlangenbeschwörern zu Python Programmieren mutiert.” Narayanan möchte aber noch weiter. Er beklagt, dass Informatiker in seinem Land sozusagen dem Mammon in die großen Unternehmen folgen (Google, Facebook, Twitter, Yahoo, Microsoft…) und sich in die Heerschar o.g. weltweit verteilter Programmierer einreihen. Deshalb fehle es an wissenschaftlichem Nachwuchs – allerdings bei weitem nicht so dramatisch wie in anderen Ländern.
In der abschließenden Diskussionsrunde wurden übrigens ausgerechnet das Internet und die offene Lehrstruktur als mögliche Wege für bessere und mehr Lehre genannt. Massive Open Online Courses (MOOCs), die kostenfrei heute von renommierten Universitäten wie kleinen Unternehmen angeboten werden und weitere Online-Lehrmodelle könnten zumindest für erste Schritte wirklich helfen.

credit: hlff / Kreutzer
Hier darf vielleicht zwischen der Mathematik, der Theoretischen Informatik und den Formalwissenschaften allgemein auf der einen Seite und auf der anderen Seite zur Angewandten Informatik unterschieden werden.
Der Softwareingenieur ist ein Produzent, ganz ähnlich wie jemand, der Autos zusammensetzt, dabei auch ein wenig vorher geplant hat.
—
Indien, ein großes Land, ein Geburtsgebiet der Softwareingenieure sozusagen, also dort wird sicherlich davon profitiert werden, dass lokale Kräfte global entwickeln, Mehrwert generieren, der auch im Land bleiben wird, dass sich dort diesbzeüglich auch wissenschaftlich Honig saugen lassen wird.
Kein Grund zur Klage womöglich.
Klar, es wird ‘ausgerechnet’ das Web sein, das die Bildungsstätten reformiert oder promoviert.
MFG
Dr. W
PS:
Asok fällt hier ein, 1996 emergiert, klar der war oder ist vor Ort oder hatte vor Ort zu sein, nichtsdestotrotz eine bemerkenswerte Figur des Philosophen Scott Adams.
Python heißen die Schlange und die Programmiersprache, Phyton ist jemand anders: https://en.m.wikipedia.org/wiki/Phyton
Pingback:Zahlen und Fakten zur Mathematik in Kambodscha, Niger, Indien, Bangladesh und Ecuador › Heidelberg Laureate Forum › SciLogs - Wissenschaftsblogs