Heidelberg Laureate Forum: Wie sind die jungen Wissenschaftler/-innen hierher gekommen?
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Wie sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Heidelberg Laureate Forums hierher gekommen? Im Sinne von: wie sind sie zur Mathematik oder zur Informatik gekommen? Das werde ich im Laufe der nächsten Tage weiter erkunden. Die ersten Gespräche vor der Eröffnung am Sonntag nachmittag waren jedenfalls durchaus aufschlussreich.
Neugier

Mathematiker sind selbstgenügsamer als andere Wissenschaflter. Ein Großteil der Mathematik benötigt lediglich ein waches Gehirn, vielleicht auch noch einige inspirierende Texte, aber beispielsweise kein aufwändig ausgerüstetes Laboratorium. Luciana Basualdo Bonatto aus Brasilien hat das treffend ausgedrückt: “Ich war neugierig, und Mathematik ist ein so geeigneter Ort, um neugierig zu sein!” Ihre Neugier wurde von ihren Lehrern ebenso ermutigt wie von ihrer Familie – insbesondere ihrer Großmutter, selbst Mathematiklehrerin. Luciana hat ihrerseits aber auch eine gehörige Portion an Ausdauer mitgebracht. Als sie 13 Jahre alt war, hat sie, immer wieder unterstützt von ihren Lehrern, drei Monate an einer sie interessierenden Fragestellung gearbeitet.
Luciana hat nicht nur gelernt, sondern ihren Freundinnen und Freunden auch selbst Mathematik beigebracht, seit sie rund 10 Jahre alt war. Möglich, dass sie das später auch beruflich tun möchte – aber jetzt widmet sie sich erst einmal der Forschung.
Luciana has been teaching herself, since she was about 10 years old, teaching mathematics to her friends. She might go back to teach professionally, one day, but before this, she wants to give pure research a shot.
Lehrer

Gute Lehrer können, wie man sich vorstellen macht, den entscheidenden Unterschied machen. Ujwal Gadiraju aus Indien, der derzeit an der Universität Hannover an Crowdsourcing-Mechanismen forscht, führt sein Interesse an der Mathematik auf seine Mathematiklehrerin Mrs. Isnia an der Meridian school in Hyderabad zurück, und geht dabei sogar soweit, zu sagen: “Wenn [sie] Geschichte [unterrichtet hätte], würde ich jetzt vermutlich Geschichte ebenso lieben.”
Was inspirierende Lehrer ausmacht? Mark Bugden aus Australien sagt kurz und knapp: sein Physik- und Mathelehrer sei “unashamedly enthusiastic” gewesen, unverhohlen enthusiastisch.
Bücher und mehr

Mark bringt ein weiteres Thema ins Spiel, das von mehreren der Teilnehmern genannt wird: Inspiration durch Bücher. Bei ihm hat es mit Dinosauriern begonnen, für die er sich als junges Kind (wie viele andere Kinder) sehr interessiert hat. Auf Dinosaurierbücher folgten Nachschlagewerke und anschließend viele weitere Bücher.

Auch für Vardan Oganesyan aus Russland haben Bücher eine wichtige Rolle gespielt – anfangs insbesondere auch zur Geschichte der Mathmatik. Bücher haben ihn den ganzen Weg bis zu seiner jetzigen Arbeit an Differenzialgleichungen an der Staatlichen Universität Moskau begleitet. (Sein Mathematiklehrer in der Schule, sagt er andererseits, sei “der schlechteste der Welt” gewesen.)
Vardan erinnert mich auch daran, dass eine Initialzündung natürlich nur der Anfang ist. Weiter geht es nur, wenn einen die wissenschaftlichen Inhalte als solche interessieren. Für ihn liegt ein Großteil der Faszination in der Macht der Abstraktionen: Da gibt es Objekte in anderen Welten, in “Welten, die man nicht anfassen und nicht sehen kann, aber mithilfe der Mathematik kannst du alles über diese Objekte sagen, was es zu sagen gibt.”

Bücher und inspirierende Lehrer haben auch Lashi Bandara aus Australien zur Mathematik gebracht – und, mit vielen Zwischenstationen, an die Universität Göteborg, wo er sich mit den Verbindungen zwischen Geometrie und Analysis beschäftigt. Kein Lehrer aus seiner Schule allerdings – in der Schule hat Lashi die Mathematik mit dem langweiligen, mechanischen Herumrechnen, das ihm präsentiert wurde, regelrecht gehasst. Er erinnert jetzt noch, wie eine Nachfrage seinerseits nach den Hintergründen einer bestimmten Rechnung damit abgebügelt wurde, das sei nicht Gegenstand der Abschlussprüfung.
Vorlesungen
An der Universität studierte Menaka zunächst parallel Darstellende Kunst und Informatik an der Monash University. Eine Vorlesung der Mathematikerin Maria Athanassenas änderte seine negative Einstellung zur Mathematik: bei Athanassenas’ Ausführungen zur Geometrie erkannte er, wie der Lehrstoff ihn packte. Später, während er im Nebenjob als Schuhputzer arbeitete, war es dann ein bestimmtes Buch, das seine Aufmerksamkeit fesselte: Topology von James Munkres (er fügt hinzu, es müsse aber unbedingt die zweite Ausgabe des Buches sein). Eine Anfrage an Athanassenas, ob er ein “honours project”, ein studentisches Forschungsprojekt bei ihr durchführen könnte, setzte ihn dann auf seinen bis heute weiter verfolgten Pfad. Die Schule, sagt er, habe dabei nicht geholfen.

Lashi ist nicht der einzige, dessen Laufbahn durch richtig gute Vorlesungen geändert wurde. Felix Lenders aus Deutschland hatte zunächst Physik studiert – die hatte seinen Schulerfahrungen nach “mehr Fleisch dabei” als die Mathematik. Als er in Heidelberg studierte, hörten die Physikstudenten allerdings dieselben Vorlesungen wie die Mathematikstudenten. Die klaren und systematischen Einführungsvorlesungen von Winfried Kohnen und Otmar Venjakob brachten Felix dann doch noch die Vorzüge der Mathematik als solche nahe. Nach Physik- und Mathematikdiplom ist er jetzt Doktorand am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen der Universität, und entwickelt mathematische Optimierungsverfahren für Kontrollprozesse, wie sie z.B. bei Wärmepumpen für zukünftige Elektrofahrzeige zum Einsatz kommen können.
Mathematik von Haus aus

Dass Luciana dank ihrer Großmutter mit Mathematik im Hause aufwachsen konnte, nimmt sich noch zahm aus gegen die Kindheit der serbischen Mathematikerin Ana Djurdjevac, die in einer Familie voller Mathematiker groß eworden ist. Ana kann sich nicht erinnern, wann sie zum ersten Mal mit Mathematik in Kontakt kam – die Mathematik war einfach immer schon da. Und sie hat nicht nur gerne Geschichten über Mathematik gehört, sondern auch über Mathematikerinnen und Mathematiker. Besondere Förderung und die Teilnahme an Wettbewerben begannen dann in der Grundschule, und setzten sich auf dem auf Mathematik spezialisierten Gymnasium fort. Nach Berlin ist Ana für ihre Doktorarbeit nicht zuletzt gekommen, um einmal zu sehen, wie andernorts Mathematik gemacht wird.
Insgesamt zeigen sich bei den Gesprächen Unterschiede ebenso wie Gemeinsamkeiten. Lehrer, Bücher – sind es dann in ein paar Jahren Webseiten oder YouTube-Videos? – und Vorlesungen sind gute Inspirationsquellen. Biografisches und historisches zur Mathematik spielte bei zwei der Young Researchers in meiner (kleinen, unsystematischen) Stichprobe eine Rolle. Sicher werden Talent und Persönlichkeit auch eine wichtige Rolle spielen, aber diese Faktoren lassen sich im kurzen Gespräch nicht so einfach herauszuarbeiten. Meine Neugier durch die sehr angeregten Gespräche ist jedenfalls geweckt, und ich werde die Frage, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des HLF eigentlich zur Mathematik gekommen sind, über die nächsten Tage noch weiter verfolgen.
Mathematiker verführen also Jugendliche zur Mathematik. Das tun sie als Lehrer oder Autoren von Büchern.
Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass mathematische Lehrmittel Schüler zur Mathematik bringen könnten. Sie müssten nur anders aufgebaut sein als heutige Lehrmittel. Vielleicht würde es schon genügen, zu jedem Kapitel ein Hintergrundskapitel zu schreiben, eine Art mathematischer Garten für die Selbstexploration.