Freies Nachdenken macht am meisten Spaß

BLOG: Heidelberg Laureate Forum

Laureates of mathematics and computer science meet the next generation
Heidelberg Laureate Forum
Einer der Nachwuchswissenschaftler, die am HLF teilnehmen: Juniorprofessor Wolfgang Mulzer in seinem Büro.

Hallo Wolfgang, Du bist Computerwissenschaftler und einer von 200 international ausgewählten Nachwuchsforschern, die am Heidelberg Laureate Forum teilnehmen dürfen. Wie bist Du auf das HLF aufmerksam geworden?

Wolfgang Mulzer: Unser Studiendekan hatte mir davon erzählt. Ich weiß nicht genau, ob er das in seiner Funktion als Studiendekan gemacht hat oder als Vertrauensdozent der Gesellschaft für Informatik. Ich fand das Konzept interessant, vor allem die Möglichkeit, diese ganzen berühmten Leute kennenzulernen. Einige habe ich zwar schon mal auf Konferenzen gesehen, aber dann eher in meinem Fachgebiet und nicht aus der allgemeinen Informatik. Außerdem finde ich es spannend, andere Nachwuchswissenschaftler in meinem Alter kennenzulernen und zu sehen, was die so machen. Vielleicht ergibt sich ja sogar eine Zusammenarbeit. Auf jeden Fall habe ich mich beworben und es hat geklappt!

Gibt es unter den Laureaten Vorbilder für Dich?

WM: Ja, unter den Theoretikern sind einige wirklich ganz große dabei. Einem davon, Robert Endre Tarjan, bin ich vorher schon einmal begegnet. Ich habe in Princeton studiert und dort meinen Doktor gemacht. Tarjan war zwar nicht mein Betreuer, aber ich habe Vorlesungen bei ihm gehört und er war in meinem Promotionskommittee.

Ein anderes Vorbild ist für mich ein weiterer theoretischer Informatiker, Richard Karp. Und natürlich blicke ich auch über den Tellerrand und freue mich auf Vertreter anderer Fachgebiete, wie Vinton Gray Cerf mit denen ich sonst eigentlich nichts zu tun habe.

Wie läuft eigentlich Deine Arbeit als Computerwissenschaftler ab, was machst Du konkret?

WM: Da ich ja Theorie mache, kann ich meine Forschungszeit relativ frei nutzen. Dabei sitze ich nicht unbedingt an einem Computer, sondern denke eher mit einem einfachen Blatt Papier und Stift in der Hand über bestimmte Probleme nach, die ich gerne lösen möchte. Dieses freie Nachdenken macht mir am meisten Spaß. Und natürlich lese ich viele wissenschaftliche Arbeiten anderer, bekomme so neue Ideen mit. Ich kann mich mit den Problemen beschäftigen, etwas ausprobieren und sehen, ob es funktioniert. Parallel dazu gibt es den klassischen Uni-Alltag: Ich komme morgen ins Büro, beantworte meine E-Mails. Ich betreue Studenten und halte Vorlesungen.

Woran arbeitest Du gerade?

WM: Momentan beschäftige ich mich zum Beispiel mit sogenannten Distance-Oracles. Hier möchte man eine Datenstruktur haben, die für einen gerichteten Graphen für zwei Knoten schnell sagen kann, ob es einen Pfad von dem einen Knoten zu dem anderen gibt. Am schnellsten lässt sich diese Frage beantworten, wenn man das vorberechnet und für jedes Knotenpaar speichert. Allerdings ist der Speicherbedarf für diese Lösung groß. Alternativ kann man jedes Mal einfach einen Pfad vom ersten Knoten aus suchen, wobei man im schlechtesten Fall den ganzen Graphen durchsucht, was sehr lange dauern kann. Wir suchen eine Lösung dazwischen, die sozusagen etwas vorberechnet, was wenig zusätzlichen Speicher erfordert und dennoch eine vollständige Suche vermeidet. Das Ganze wollen wir letztlich dynamisch machen, das heißt, der Graph ändert sich und bei jeder Änderung können wir die gespeicherten Daten aktualisieren. Für ungerichtete Graphen gibt es schon viele Lösungen, aber für allgemeine gerichtete Graphen gibt es eigentlich gar nichts. Da das relativ schwierig zu sein scheint, schauen wir uns jetzt erst Mal solche Graphen an, die geometrisch darstellbar sind. Insbesondere sind in letzter Zeit sogenannte Disc-Graphen populär. Diese sind gegeben durch Punkte in der Ebene und jeder Punkt ist der Mittelpunkt einer Scheibe (Anm.: Disc) mit einem Radius, der von Punkt zu Punkt verschieden sein kann. Man sagt jetzt, der eine Punkt kann den anderen erreichen, wenn dieser in seiner Scheibe enthalten ist.

Ein Disc-Graph, der durch die farbigen Scheiben definiert wird.
Bild © Wikimedia, gemeinfrei

In einem anderen Projekt hier in der Arbeitsgruppe beschäftigen wir uns mit der Ähnlichkeit von Formen, dem sogenannten Fréchet-Abstand.

Bleiben wir bei den Disc-Graphen. Gibt es dafür interessante Anwendungen oder ist das reine Theorie?

WM: Natürlich gibt es eine Motivation, die dahinter steckt. Anwendung finden könnte unsere Theorie in sogenannten Sensornetzen, also Netzen von kleinen Sensorchips, die per Funk kommunizieren. Hier entspricht jeder Punkt einem Sensor. Jede Scheibe ist das Gebiet, das der jeweilige Sensor per Funk erreichen kann. Wenn jetzt ein Sensor einem anderen eine Nachricht schicken will, stellt sich zunächst die Frage, ob überhaupt eine Verbindung zwischen diesen beiden Sensoren aufgebaut werden kann. Dazu müssen sich die beiden Sensoren nicht direkt erreichen, sondern andere Sensoren können als Zwischenstation genutzt werden. Das könnte künftig auch dynamisch geschehen, weil sich die Sensoren bewegen können. Aber soweit sind wir noch nicht.

Ob das letztlich konkret angewendet wird, ist zudem eine andere Frage. Insbesondere weil in der Anwendung noch weitere Probleme auftreten. Zum Beispiel kennt jeder Sensor nur seine unmittelbare Nachbarschaft. Eine mögliche Verbindung kann daher nicht zentral bestimmt werden, sondern muss von den einzelnen Sensoren durch Kommunikation verteilt berechnet werden.

Was sind denn Deine weiteren Karriereziele? Ist Berlin ein guter Standort für die wissenschaftliche Laufbahn?

WM: Ich bin jetzt mitten in der Halbzeit der Juniorprofessur und muss mich in den nächsten Jahren nach einer Professur umschauen. Das ist aber alles schwer planbar und ich werde sehen, was es für Optionen gibt.

Berlin ist schon ideal mit den drei Unis und dem Zuse-Institut, wo es überall starke Gruppen gibt, zwischen denen auch eine ziemlich gute Zusammenarbeit besteht. Außerdem gibt es die gemeinsamen Graduiertenkollegs und die Berlin Mathematical School und das Matheon. Das erzeugt durchaus eine kritische Masse. Ein großer Vorteil von Berlin ist auch, dass hier viele studieren und es daher relativ einfach ist, gute Leute für Masterarbeiten oder auch Doktoranden zu finden.

Hast Du spezielle Hobbies? Es gibt ja das Klischee, dass Forscher und Theoretiker verschrobene Hobbies haben.

WM (lacht): Nein, nichts Spektakuläres. Ich gehe schwimmen, ich lese gern, ich kann Klavier spielen. Kein Paragliding oder so.

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ist promovierter Mathematiker und forscht in der Abteilung Optimierung des Konrad-Zuse-Instituts in Berlin. Dort leitet er die Arbeitsgruppe Energie, die sich vor allem mit Optimierungsproblemen für Gasnetze befasst. Zum Bloggen für das HLF kam er als Klaus-Tschira-Preisträger für verständliche Wissenschaft “KlarText!”.

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