Digitale Globalisierung: Ein Gedankenaustausch mit D. R. Reddy

BLOG: Heidelberg Laureate Forum

Laureates of mathematics and computer science meet the next generation
Heidelberg Laureate Forum

Nach meinem Gespräch mit Stephen A. Cook am Dienstag stand heute mit Dabbala Rajagopal (“Raj”) Reddy ein zweiter Turing-Preisträger auf meiner HLF-Interviewliste. Es entspann sich ein für mich sehr interessantes Gespräch, in dem Reddy sich die Zeit nahm, seine (sehr positiven) Visionen und Hoffnungen für die weltweite Informationsgesellschaft der Zukunft zu skizzieren.

Dabbala Rajagopal Reddy
@HLFF, Christian Flemming

Daballa Rajagopal (Raj) Reddy hat 1994 (gemeinsam mit Edward Feigenbaum, einem weiteren in Heidelberg anwesenden Laureaten) den Turing Award in Anerkennung seiner richtungsweisenden Leistungen im Forschungsgebiet der Künstlichen Intelligenz (KI) verliehen bekommen. Nach bahnbrechenden Ergebnissen im Bereich der Erkennung und Verarbeitung natürlicher Sprache (ein Forschungszweig, welchen Reddy über Jahrzehnte bis heute weiter verfolgt hat), war er Ende der 1970er Gründungsvater des heute weltbekannten Robotikinstituts der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, PA (USA), sowie Mitbegründer und etwas später Präsident der heutigen Association for the Advancement of Artificial Intelligence (TB: deutsch “Vereinigung zur Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz“), einer weltweiten KI-Organisation mit mehr als 6000 Mitgliedern. Heute beschäftigt sich Reddy schwerpunktmäßig unter anderem mit Problemen der Mensch-Maschine-Interaktion, Methoden und Technologien für digitale Onlinebibliotheken (wie, zum Beispiel, dem Universal Digital Library Project (TB: deutsch “Universale Digitale Bibliothek Projekt“), welches darauf abzielt, das gesamte weltweit verfügbare Wissen im Internet zu sammeln und koordiniert zugänglich zu machen), und sozialen Fragen rund um Kommunikationstechnologie und das Internet. So erhielt er 2005 auch den Honda Prize für seine Pionierarbeiten im Gebiet der Robotik und Informatik, sowie deren erwartete positive Auswirkungen auf gesellschaftsrelevante Gebiete wie Medizin, Gesundheitsvorsorge, Ausbildung, und Katastrophenhilfe.

Da Reddy zweifelsohne einer der bekanntesten Experten und Visionäre für Themen im Bereich “Technology in Service of Society” (TB: deutsch “Technologie im Dienste der Gesellschaft“) ist, eröffnete ich das Interview mit einer Beobachtung, welche ich in der Vergangenheit immer wieder bei akademischen Großereignissen gemacht habe, und welche auch beim Heidelberg Laureate Forum bestätigt wurde: Obwohl beim HLF junge WissenschaftlerInnen aus fast 50 Ländern vertreten sind, herrscht doch eine starke Ungleichheit zwischen den Ursprungskontinenten und -regionen. So sind zwar zahlreiche Europäer und Nordamerikaner vertreten, aber bspw. bereits beim Blick auf die Teilnehmerzahl aus Südamerika, sowie dem indischen und asiatischen Raum, ist ein signifikanter Rückgang bemerkbar – von der Quote an afrikanischstämmigen TeilnehmerInnen ganz zu schweigen. Dieser Effekt ist umso dramatischer, behält man nun noch die tatsächlichen Verhältnisse der jeweiligen Bevölkerungszahlen im Hinterkopf, sind dann doch Europäer und Nordamerikaner umso stärker überrepräsentiert.

Natürlich war sich Reddy dieses Problems schon lange bewusst, zeigte sich aber überaus hoffnungsfroh, dass sich diese Ungleichheit in den nächsten 50 bis 100 Jahren ausgleichen werde. Dabei wird das Internet, gepaart mit Technologien aus der KI, eine entscheidende Rolle spielen: In seinen Augen geht das angesprochene Ungleichgewicht auf zwei Faktoren zurück, zum einen auf die ökonomischen Unterschiede, welche eine Teilnahme für viele JungwissenschaftlerInnen aus ärmeren Ländern trotz Unterstützung von Seiten des HLF unmöglich machen, zum anderen aber auch zu großen Teilen auf die verschiedenen Ausbildungslevel zwischen den jeweiligen Nationen und Regionen. Und gerade bezüglich des zweiten Punktes ist Reddy überzeugt, dass eine grundlegende Verschiebung bevorsteht. Als Beispiel verwendete er hierbei die Verfügbarkeit von Kursen und Ausbildungsmaterialien im Internet, so etwa via YouTube oder von Seiten der jüngst entstandenen Onlineuniversitäten.

Die Schlüsselrolle der Künstlichen Intelligenz für die weitere Entwicklung dieser Medien erklärt sich dabei aus den zusätzlichen Möglichkeiten, welche zu den ursprünglichen Materialien hinzugefügt werden. Zwar sind zahlreiche Vorlesungen bereits jetzt kostenlos online verfügbar, jedoch haben Studierende aus nicht englischsprachigen Ländern häufig entscheidende Nachteile und Probleme schlicht und einfach aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten. Hier kann automatische Spracherkennung und -übersetzung Wunder leisten: Ende 2012 wurde beispielsweise bei einer Veranstaltung in China erstmals ein Echtzeitsystem zur Übersetzung eines englischsprachigen Vortrags ins Chinesische vorgestellt und erfolgreich eingesetzt. Sobald diese Systeme größere Verbreitung erreichen, so Reddy, werden zahlreiche Hürden, welche sich für StudentInnen aus ärmeren Regionen der Welt im Zusammenhang mit Onlinekursen (und somit dem freien Zugang zu hochwertigen Bildungsmöglichkeiten auch bei eingeschränkter Universitätsinfrastruktur vor Ort) im Moment noch stellen, der Vergangenheit angehören – wovon mittelfristig das Ausbildungsniveau im jeweiligen Land dramatisch profitieren werde.

Auf meine Frage, ob er denn dann langfristig auch das (technologiebedingte) Entstehen einer “globalisierten Kultur”, also das Verschmelzen der verschiedenen Traditionen und Hintergründe in eine weltumspannende Gemeinschaftskultur ohne lokale Differenzen erwarte, musste Reddy schmunzeln. Seine Vorhersage ist eine andere: Hatte ich angenommen, dass die gemeinsame Technologie und der dadurch bedingte Austausch zu einer Annäherung und Vermischung der einzelnen Kulturen führen werde, geht er stattdessen davon aus, dass jede Kultur zwar die gleichen technischen Möglichkeiten haben, diese aber spezifisch in den jeweiligen kulturellen Hintergrund einfügen werde – also statt einer Dekontextualisierung durch Technik eine Rekontextualisierung der jeweiligen Technologien stattfinden werde. Jede Gesellschaft werde ihre eigenen Wege finden, Technikartefakte zu nutzen, wodurch zwar Schnittstellen und Interoperabilität erhalten bleiben, aber sich zugleich auch immer eine Nische für den Erhalt von Ursprüngen und Traditionen ergeben werde. Und er hatte dafür auch ein schönes Beispiel: So habe die Erfindung des Tonbandgerätes (und in kurzer Folge des Kassettenrekorders) dazu geführt, dass in gewissen Regionen die traditionelle dreitägige Totenklage nicht mehr (wie früher) durch extra hierfür angeworbene Klagende ausgeführt werde, sondern anstelle dessen ein Tonband die Klagegesänge abspielt. Die Tradition wird bewahrt, die Technologie wird in den kulturellen Kontext integriert.


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arbeitet als PostDoc zu verschiedenen Themen aus dem Dunstkreis "Künstliche Intelligenz und Künstliche Kreativität" am Institut für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück. Vor seiner Promotion in Kognitionswissenschaft hatte er Mathematik mit Nebenfach Informatik studiert, und ein einjähriges Intermezzo als "Logic Year"-Gaststudent an der Universität Amsterdam verbracht. Neben seiner eigentlichen Forschungsarbeit engagiert er sich als Wissenschaftskommunikator (zweiter Gewinner des 2013er Falling Walls Lab "Young Innovator of the Year"-Preises), Mitveranstalter von Wissenschaftsevents und gelegentlicher Autor des Analogia-SciLogs-Blog tätig.

3 comments

  1. Da bin ich genau der gleichen Ansicht wie Reddy: Die zukünftige Globalisierung wird eine Globalisierung der Ideen sein, nicht aber eine Verflachung und Vereinheitlichung der Kulturen. Im Gegenteil. Schon bald wird es dank sehr guten Simultanübersetzungen, die an die Qualität von menschlichen Simultandolmetschern herankommen, keinen zwingenden Grund mehr geben eine lingua franca (wie Englsich oder Chinesisch) als universelles Kommunikationsmittel einzusetzen und darum zu lernen.

    Es ist also zu erwarten, dass Lernsoftware sich in Zukunft weitgehend selber lokalisiert, dass sie wirklich interaktiv wird und individuelles Lernen mit individuellen Aufgabenstellungen und Rückmeldungen unterstützt.

    In 20 Jahren, wenn das soweit ist, werden Katalanen nicht mehr Spanisch lernen, denn Software wird bei Bedarf Spanisch in Katalanisch übersetzen und umgekehrt und selbst Münchner werden sich nicht mehr allzu grosse Mühe geben perfektes Hochdeutsch zu lernen, denn das macht ihr Assistent, den sie ständig mit sich herumtragen.

  2. Hatte ich angenommen, dass die gemeinsame Technologie und der dadurch bedingte Austausch zu einer Annäherung und Vermischung der einzelnen Kulturen führen werde, geht er stattdessen davon aus, dass jede Kultur zwar die gleichen technischen Möglichkeiten haben, diese aber spezifisch in den jeweiligen kulturellen Hintergrund einfügen werde – also statt einer Dekontextualisierung durch Technik eine Rekontextualisierung der jeweiligen Technologien stattfinden werde

    Und er hatte dafür auch ein schönes Beispiel: So habe die Erfindung des Tonbandgerätes (und in kurzer Folge des Kassettenrekorders) dazu geführt, dass in gewissen Regionen die traditionelle dreitägige Totenklage nicht mehr (wie früher) durch extra hierfür angeworbene Klagende ausgeführt werde, sondern anstelle dessen ein Tonband die Klagegesänge abspielt.

    Hmm, hmm, Herr Tarek Richard Besold, was leisten denn Kulturen I.E. so? – Isses I.E. eher die Arbeit am Gerät, entsprechende Vorarbeit vorausgesetzt, oder der Umgang mit demselben?

    Wie ist denn das hier – ‘dass jede Kultur zwar die gleichen technischen Möglichkeiten haben’ – zu interpretieren von Ihrer Seite aus – vom falsch platzierten Plural mal abgesehen?

    Und wie stellen Sie sich eine Vermischung von Kulturen vor, durch die Genetik bemühendes Umsetzen?

    MFG
    Dr. W

    • Meine Interpretation wäre diejenige, dass jeder Kultur die gleichen technischen Grundlagen (sowohl theoretischer, als auch praktischer und fertigungstechnischer Natur) zugänglich sein werden, jedoch physikalisch identische Artefakte in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Verwendungen (sowohl Anwendungen, als auch Anwendungskontexte) finden werden.

      Eine “Vermischung” von Kulturen kann in meinen Augen verschiedene Facetten annehmen, wo zwei (von möglicherweise mehreren) Extremen wären:
      – Entweder die Kombination ganzer Bausteine aus der einen Kultur, mit ganzen Bausteinen aus der anderen, wären (stark vereinfachtes Beispiel: Wir nehmen das Hochzeitsritual von Kultur A, kombinieren es mit dem Totenritual von Kultur B, und der spirituellen Tradition von Kultur C).
      – Oder die Synthese zweier Kulturräume, welche keinerlei Originaltraditionen beibehält, sondern (mehr oder minder) äquivalente Bausteine der jeweiligen Ausgangskulturen konsistent zusammenführt und in eine neue Praktik weiterführt.

      …und was die Grammatik des Originalsatzes anbelangt: Meines Dafürhaltens sollte diese korrekt sein; “zwar die gleichen technischen Möglichkeiten haben, diese aber jeweils (…) einfügen, werde” – oder? 😉

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