Wird schon gut gehen – oder? Neurowissenschaft und Optimismus

1761 schreibt der französische Philosoph Voltaire in einem Brief: „Tatsächlich habe ich, nachdem mir vor einigen Jahren klar geworden war, dass es nichts nützt, betrübt zu sein, begonnen, etwas fröhlicher zu leben – man hatte mir gesagt, das sei gesund.“ Bis heute streitet sich die Wissenschaft jedoch über die Frage, ob man als Optimist oder Pessimist geboren wird oder ob man Optimismus, á la Voltaire, auch trainieren kann.

Eine aktuelle Studie (1) hat nun erstmals Unterschiede in den Gehirnen von Optimisten und Pessimisten gefunden. Interessant dabei: Optimisten zeigen untereinander sehr ähnliche neuronale Aktivitätsmuster, was einem geteilten, positiven Interpretationsstil entspricht. Pessimisten hingegen zeigen neuronal eher eigenwillige Repräsentationen der Zukunft. Kurz: Optimisten ähneln sich in ihrem Denkstil, Pessimisten variieren mehr.

Kann man optimistische Gehirne erkennen?

Das japanische Forschungsteam der Universität Kyoto unterzog in zwei Experimenten insgesamt 87 Probandinnen und Probanden einem fMRT Scan (Kernspin), um deren Aktivitätsmuster zu kartographieren. Zunächst erfassten die Forschenden jedoch den Optimismusgrad der Teilnehmenden mithilfe des etablierten Life Orientation Test – Revised (LOT-R). Dieser misst, wie stark jemand dazu neigt, stabile positive oder negative Erwartungen an die Zukunft zu haben (wissenschaftlich spricht man von dispositionellem Optimismus, einem Persönlichkeitsmerkmal). Auf dieser Basis erhielt jede Versuchsperson einen individuellen Optimismus-Score, es ging also nicht um eine scharfe Trennung zwischen Optimisten und Pessimisten, sondern um die Nuancen eines Spektrums.

Anschließend sollten die Probandinnen und Probanden sich, während des Hirnscans, verschiedene zukünftige Ereignisse vorstellen – positive, negative und neutrale Szenarien, wie z.B. eine Weltreise, einen Glücksspielgewinn oder den Tod. Im Zentrum der Auswertung stand der mediale präfrontale Kortex (mPFC) – eine Region, die an Selbstbezug, Zukunftsplanung und an der Bewertung emotionaler Relevanz beteiligt ist. Die Forschenden verglichen mithilfe multivariater Musteranalysen, wie ähnlich die Aktivitätsmuster zwischen verschiedenen Personen waren. Und: wie sehr diese neuronalen Muster mit dem subjektiven emotionalen Rating der mentalen Vorstellungen waren. Die Fragestellung: kann man Optimisten an ihrer Hirnaktivität erkennen?  

Das Studienergebnis

Das Ergebnis war deutlich: Optimistischere Personen zeigten im mPFC besonders konsistente neuronale Muster, wenn sie über zukünftige Ereignisse nachdachten. Ihre Gehirnaktivität unterschied klarer zwischen positiven und negativen Szenarien, was sich in der subjektiven emotionalen Bewertung widerspiegelte. Man könnte sagen: Optimistische Menschen organisieren ihr Zukunftsdenken stärker entlang einer „emotionalen Achse“ und konkretisieren das Positive, während das Negative abstrakter bleibt. Pessimistischere Personen dagegen zeigten individuellere Aktivitätsmuster, lediglich positive und negative Emotionen schienen sie weniger stark zu unterscheiden. Die Studie deutet somit an: ja, es gibt funktionale neuronale Unterschiede zwischen optimistischeren und pessimistischeren Menschen – allerdings werden diese erst deutlich, wenn man sie mit der subjektiven emotionalen Bewertung von Ereignissen verrechnet. Neuroanatomische Unterschiede gibt es also nicht, lediglich ähnliche Aktivitätsmuster, die mit Denkstilen zusammenzuhängen scheinen).

Was jetzt – wird man so geboren oder kann man Optimismus trainieren?

Auf die Frage nach der Determiniertheit von Optimismus gibt die Studie leider keine direkte Antwort. Schließlich bleibt es unklar, ob die Gehirne der Probandinnen und Probanden schon immer so waren, oder erst so wurden. Man müsste zu diesem Zweck dieselbe Studie einmal prospektiv, also über viele Jahre durchführen, um Veränderungen (oder Konsistenz) festzustellen.

Andererseits deuten Meta-Analysen und Zwillingsstudien auf einen Mix aus Genetik und Umwelt hin, mit einer stärkeren Betonung der Umwelt (2, 3, 4). Mehrere Studien wiederholen Ergebnisse in der Größenordnung ~30% Genetik und ~70% Umwelt. Allerdings sind diese Studien schon etwas älter und mittlerer Qualität. Widersprüchlich zu diesem Befund ist außerdem, dass 29 Interventionsstudien (5) aus der Positiven Psychologie darauf hindeuten, dass man mit professionellem psychologischem Training einen höheren Score auf dem oben erwähnten LOT-R erzielen kann – dass die Effekte aber stets sehr klein ausfallen. Das heißt im Klartext: womöglich werden wir mit einer Tendenz geboren, die dann aber durch die Lebensereignisse stark beeinflusst wird. Und bewusst trainieren kann man Optimismus offenbar auch. Allerdings halten sich langfristige Veränderungen durch Schulungen in Positiver Psychologie in recht engen Grenzen.

Weiß man ja eigentlich

Ganz eindeutig ist das Bild also noch nicht, es fehlt an prospektiven Studien. Wie bei vielen Themen der Psychologie reicht aber womöglich auch unser Alltagsgefühl aus, um das Phänomen adäquat zu erfassen. Das japanische Forschungsteam leitet ihren Fachartikel mit einer Anekdote aus Tolstoi’s Buch Anna Karenina (1877) ein. Das tun sie, weil Tolstoi dort die wissenschaftlichen Befunde der Studie bereits vorweggenommen hat. So entstand das in der Wissenschaft häufig zitierte Anna Karenina Prinzip, welches erst Anlass zur Studie war. Ähnlich ist es mit Voltaire, der sein Buch Candide oder der Optimismus (1759) mit dem vielleicht universellen Prinzip abschließt: ‚Das Glück ist mit den Fleißigen‘. Weiß man ja eigentlich.

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Quellen

(1) Yanagisawa, K., Nakai, R., Asano, K., Kashima, E. S., Sugiura, H., & Abe, N. (2025). Optimistic people are all alike: Shared neural representations supporting episodic future thinking among optimistic individuals. Proceedings of the National Academy of Sciences122(30), e2511101122.

(2) Schulman, P., Keith, D., & Seligman, M. E. (1993). Is optimism heritable? A study of twins. Behaviour research and therapy31(6), 569-574.

(3) van de Weijer, M. P., de Vries, L. P., & Bartels, M. (2022). Happiness and well-being: The value and findings from genetic studies. In Twin research for everyone (pp. 295-322). Academic Press.

(4) de Vries, L. P., van de Weijer, M. P., Pelt, D. H., Ligthart, L., Willemsen, G., Boomsma, D. I., … & Bartels, M. (2022). Gene-by-crisis interaction for optimism and meaning in life: the effects of the COVID-19 pandemic. Behavior Genetics52(1), 13-25. Die Autorinnen und Autoren diskutieren hier das Thema Optimismus am Rande.

(5) Malouff, J. M., & Schutte, N. S. (2017). Can psychological interventions increase optimism? A meta-analysis. The Journal of Positive Psychology12(6), 594-604.

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Veröffentlicht von

Mein Name ist David Wurzer. Ich bin Medizinstudent und Philosophiedoktorand an der LMU München, davor habe ich Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaften studiert. Besonders interessieren mich die aktuellen Forschungsergebnisse aus der Neurotechnologie, die als Schnittstelle für die zunehmende Verschmelzung von Mensch und Technik fungiert. Dabei werden spannende klinische und ethische Fragen aufgeworfen, die ich zusammen mit der interessierten Öffentlichkeit durchdenken möchte.

6 Kommentare

  1. Interessant wäre ein Vergleich mit dem IQ der Testpersonen.
    INTELLIGENTERE Menschen neigen zu Selbstzweifel, “dümmere” Menschen erkennen die Gefahren und die Probleme gar nicht.

    • Sehr richtig. Allerdings wurde in der Studie für den Faktor Intelligenz kontrolliert, d.h. auch unter Berücksichtigung von IQ-Unterschieden blieben die Ergebnisse gleich.

  2. Jeder Pessimist hat als seine je eigenen Gründe pessimistisch zu sein. Und weil ja eine optimistische Grundhaltung mit einem längeren Leben bei mehr Gesundheit verbunden ist, neigt man dann schnell einmal dazu Pessimismus als Abweichung vom richtigen Pfad zu sehen: jeder Pessimist ist quasi auf dem Holzweg und zwar auf seinem je eigenen Holzweg.
    Interessant scheint mir ohnehin, dass es diese Persönlichkeits-Kategorien Optimismus und Pessimismus schon sehr lange gibt. Optimismus und Pessimismus sind beides Zukunftsorientierungen, sie erfassen damit einen wichtigen Teil unserer Gedanken, unserer persönlichen Fiktionen. Denn Gedanken über die Zukunft und Erwartungen an die Zukunft sind ja per se fiktiv und man könnte vielleicht sogar eine Beziehung zur Literatur herstellen. Im Englischen unterscheidet man ja bei Büchern zwischen Fiction und Non-Fiction.
    Gemäss google-KI ist der Zweck von Fiction meist Unterhaltung und Eskapismus, etwas was durchaus einleuchtet, denkt man an die unzähligen Netflix-Serien, die durchaus aus eskapistischen Gründen konsumiert werden. Jedenfalls zeigt das Phänomen, dass wir zur Unterhaltung und zur Flucht vor der Wirklichkeit uns gerne in fiktive Welten begeben und dass wir dabei viele Anregung finden bedeutet wohl, dass Menschen von Beginn weg damit vertraut sind, in ihren Köpfen quasi Simulationen der Wirklichkeit abspielen zu lassen. Der philosophische Begriff der „Vorstellung“ wie er von den Empiristen, aber auch etwa von Schopenhauer geschaffen und verwendet wurde, geht übrigens in die gleiche Richtung indem die Vorstellung als geistige Rekonstruktion und Entsprechung zur sinnlichen Wahrnehmung interpretiert wird. Auf die Spitze getrieben könnte man sagen, dass Denken an und für sich die Beschäftigung mit Fiktivem ist und der einzige Unterschied zwischen Fiction und Non-Fiction wäre dann, dass Fiction die Verwurzelung in der Wirklichkeit fehlt, während Non-Fiction eine Fiktion über Wirkliches ist. Es könnte auch sein, dass Optimisten weniger stark zwischen Fiction und Non-Fiction unterscheiden, dass sie quasi die Wirklichkeit in einem schönen, märchenhaften Licht sehen.

    • Martin Holzherr,
      Was ist die Wirklichkeit aus der Sicht eines Pessimisten ?
      Mathematisch gesehen ist sie eine Funktion, die überall stetig ist , aber nirgends differenzierbar. Der erste, der diese Funktion entdeckt hat, war übrigens Bolzano.

      Für den Optimisten ist die Wirklichkeit überall stetig aber auch (fast)überall differenzierbar. d.h. berechenbar.

      Es gibt noch einen dritten Typ, den Ignorant. Der passt irgendwie nicht in die Einteilung Optimist und Pessimist, der gestaltet die Zukunft selbst.

      • @Mensch: “… den Ignorant. Der passt irgendwie nicht in die Einteilung Optimist und Pessimist, der gestaltet die Zukunft selbst.”

        Die ignorant-arroganten Zeitgenossen, die ihren Optimismus aus extremer Möglichkeiten von Bewusstseinsbetäubung und Egoismus ziehen, haben derzeit auch Hochkonjunktur die sie sicher selbst fast nicht fassen können – Bei Merz z.B. hatte ich früher oft den Eindruck von Frust bis zur Depression.

      • Zitat: Was ist die Wirklichkeit aus der Sicht eines Pessimisten ?“ oder eines Optimisten
        Antwort: Ja, für Optimisten wie Pessimisten ist die momentane Wirklichkeit ein Punkt auf einer Funktion, die keiner versteht, weder der Optimist, noch der Pessimist. Wer nicht versteht muss glauben. Der Optimist glaubt, die Zukunftswerte der Funktion würden alle im „habitablen Bereich“ lieben, der Pessimist glaubt das Gleiche, nur mit dem Unterschied, dass „habitabel“ für den Pessimisten bedeutet, das gleiche als schrecklich empfundene Leben, das er jetzt schon führt, auch in Zukunft zu führen.

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