Wie pinkeln wir – und warum nach Alkohol so viel? 

„Glück ist, wenn man nach zwei Litern Bier endlich auf Klo gehen kann“. Das war vor einigen Jahren die Antwort eines Mitschülers, als wir uns im Unterricht an einer Definition des Wortes Glück* versuchen sollten. 

Ich überlasse die inhaltliche Diskussion dieser steilen These anderen (vielleicht hast du ja Lust, einen Kommentar dazu zu schreiben?) und gehe stattdessen auf rein neurologischer Ebene der Frage nach: Warum müssen wir nach dem Trinken von Alkohol überhaupt so dringend und oft auf Toilette gehen? 

* (Wie es wirklich mit Glück aussieht, darüber hat Louisa in ihrem vergangenen Beitrag geschrieben)

Ein Bote mit vielen Namen

Es gibt im Körper einen Botenstoff, der wesentlich den Flüssigkeitshaushalt mitbestimmt. Er heißt Vasopressin, Adiuretin oder am geläufigsten einfach: ADH, das steht für Anti-Diuretisches-Hormon. 

ADH wird im Hypothalamus gebildet und dann über Axone* zur Neurohypophyse transportiert. Die Neurohypophyse ist der hintere Teil der Hypophyse, also der Hirnanhangdrüse. In dieser wird das ADH zwischengespeichert und in die Blutbahn freigesetzt. 

* (Wer nicht weiß, was ein Axon ist, dem oder der sei der Beitrag über den Aufbau von Neuronen ans Herz gelegt)

Was bewirkt ADH im Körper? 

Das Wort Diurese beschreibt in der Medizin die Ausscheidung von Urin. Ein Anti-Diuretisches-Hormon sorgt also dafür, dass weniger Urin ausgeschieden wird. 

Wie macht das ADH das?

In den Nieren werden durch das ADH Wasserkanäle eingebaut, die Wasser wieder aus der Niere zurück ins Blut befördern, bevor es in den endgültigen Harn und damit in die Blase gelangt.

Wann und warum macht das ADH das?

Wie oben geschrieben reguliert das ADH den Flüssigkeitshaushalt im Körper. Einfach gesagt: Wenn zu wenig Flüssigkeit durch die Gefäße fließt, wird ADH produziert und somit das Flüssigkeitsvolumen angehoben. Damit hält der Körper den Blutdruck ausreichend hoch, sodass wir auch etwa nach starkem Schwitzen im Sommer nicht sofort umkippen, sondern der Kreislauf stabil bleibt. 

Etwas genauer erklärt sind vor allem folgende körpereigene Mechanismen für die Produktion des ADH wichtig:

  1. Niedriges Blutvolumen: In unseren Herzvorhöfen sitzen Volumenrezeptoren. Wenn weniger Blutvolumen da ist, wird ein Signal an den Hypothalamus gesendet. Dieser produziert daraufhin mehr ADH. 
  2. Niedriger Blutdruck: Unser Körper besitzt so etwas wie ein eingebautes Blutdruckmessgerät. Dieses sitzt in den Halsschlagadern und sendet bei niedrigem Druck ebenfalls ein Signal an den Hypothalamus.
  3. Hohe Elektrolytkonzentration: In unserem Blut befinden sich verschiedene Elektrolyte innerhalb relativ streng regulierter Grenzwerte. Wenn viel Wasser ausgeschieden wird, die Elektrolytmenge im Blut aber gleich bleibt, sind als Folge mehr Elektrolyte pro Wassereinheit da. Biochemisch spricht man von einer “erhöhten Osmolarität”.  Nun ist es so, dass unser Körper ganz meditativ unterwegs ist und immer gern im Gleichgewicht sein möchte. Deshalb fließt Wasser aus den Körperzellen hinüber ins Blut, sodass die Elektrolytkonzentration (die Osmolarität) im Blut wieder etwas ausgeglichen wird. Als Folge schrumpfen die Körperzellen jedoch – sie haben schließlich Wasser verloren. Und wenn dieses Schrumpfen der Zellen im Hypothalamus passiert, dann nehmen ganz spezialisierte Zellen dieses Schrumpfen war und melden: “Ich schrumpfe, weil ich Wasser abgebe, also scheint bisher zu wenig Wasser im Blut zu sein, also sollte mehr ADH produziert werden, damit wieder mehr Wasser ins Blut gelangt”. Naja, vielleicht nicht direkt in dem Wortlaut, sondern wieder einmal über Aktionspotentiale und so weiter…aber der Grundgedanke wird denke ich klar.  

Und wie kommt jetzt der Alkohol ins Spiel?

Es gibt verschiedene weitere Faktoren, die die ADH-Ausschüttung beeinflussen können. Während wir schlafen wird zum Beispiel mehr ADH ausgeschüttet. Das sorgt dafür, dass wir während der Schlafenszeit, in der wir meist nichts trinken, trotzdem nicht dehydrieren. Und als Nebeneffekt nicht so oft oder bestenfalls gar nicht aufs Klo müssen. 

Trinken wir hingegen Alkohol, gelangen dieser bzw. dessen Abbauprodukte über die Blutbahn ins Gehirn. Dort angekommen hemmt Alkohol die Ausschüttung von ADH. Und wenn die Anti-Diurese gehemmt wird, dann resultiert eine verstärkte Diurese – also eine verstärkte Ausscheidung von Urin. Das ist der simple Grund, weshalb wir nach Alkohol oft und viel pinkeln müssen. Die Folge ist eine Dehydratation des Körpers, die dann typische Kater-Symptome wie Kopfschmerz oder Müdigkeit mitverursacht.  

20 Liter Urin am Tag – wenn die Regulation falsch läuft

Wie jede Regulierung im menschlichen Körper kann auch die ADH-Ausschüttung aus dem Ruder laufen. Die Folgen davon sind lästig bis lebensgefährlich. 

Fehlt die Wirkung von ADH, so scheidet der Körper quasi ungebremst Wasser über die Nieren aus. Und das bis zu 20 Liter am Tag! Betroffene verspüren als Folge einen ständigen starken Durst und trinken literweise Flüssigkeit. 

Ursache für das Problem sind eine fehlende ADH-Produktion im Hypothalamus oder eine fehlende Ausschüttung aus der Hypophyse. Beides kann z.B. nach Operationen, durch Infektionen, Tumoren oder angeborene Gendefekte auftreten. 

Eine weitere Möglichkeit ist, dass zwar genügend ADH vorhanden ist, die Niere selbst aber nicht mehr darauf anspricht. Häufigste Ursache hierfür sind bestimmte Medikamente, vor allem Lithium. 

Das Krankheitsbild hat übrigens den Namen Diabetes insipidus. Das heißt übersetzt soviel wie “geschmackloser Durchfluss” und steht damit im Kontrast zum bekannteren Diabetes mellitus (der “Zuckerkrankheit”), der sich als “honigsüßer Durchfluss” übersetzen lässt. Woher die Namen kommen, muss ich wohl nicht weiter erläutern. Ich bin einfach mal froh, erst jetzt im 21. Jahrhundert Medizin zu studieren… 

“Vergiftung” mit Wasser?

Doch auch das Gegenteil ist möglich: Eine verstärkte ADH-Ausschüttung. Dieses Phänomen tritt häufig als Begleitung eines Lungenkrebses auf und nennt sich Schwartz-Bartter-Syndrom oder auch SIADH: Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion.

Durch die krankhaft erhöhte Ausschüttung von ADH findet eine starke Anti-Diurese statt: Viel Wasser wird im Körper zurückgehalten, wenig Wasser wird ausgeschieden. Dieser Zustand kann sehr kritisch werden. Stellt euch vor, ihr kocht eine Suppe und habt diese so gesalzen, dass sie euch schmeckt. Nun kippt irgendjemand noch einen Liter Wasser in den Topf dazu – die Suppe schmeckt durch die Verdünnung gar nicht mehr salzig. 

Ähnliches passiert beim SIADH im Körper. Der Natriumspiegel im Blut sinkt durch die Verdünnung mit Wasser stetig ab. Für das Funktionieren des Körper ist es allerdings enorm wichtig, dass Elektrolyte wie Natrium oder Kalium in engen Grenzen gehalten werden. Beim SIADH kann es deshalb im schlimmsten Fall zu einer Wasserintoxikation, also einer Art “Vergiftung” mit Wasser kommen. Um das zu verhindern ist es wichtig, dass Betroffene ihre Trinkmenge stark begrenzen und auf die Kochsalzzufuhr zu achten. 


Für alle Gesunden gilt aber, vor allem in der aktuell anhaltenden Hitzewelle: Ausreichend trinken, am besten ungesüßte Getränke wie Wasser oder Kräutertees. Und wenn es doch mal Alkohol wird, dann zumindest hinterher und nebenbei ausreichend Wasser trinken. Tut euch selbst den Gefallen. 😉

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Martje Sältz studiert seit 2016 Humanmedizin am UKE in Hamburg und promoviert zum Einfluss der Ernährung auf die Halsgefäße. Medizin auf Italienisch lernte sie in ihrem Auslandssemester in Palermo kennen. Sie möchte wissenschaftliche Themen verständlich und spannend beschreiben und damit mehr Menschen für Gesundheit und ihren Körper begeistern.

3 Kommentare

  1. Martje Sältz schrieb (19. Aug 2022):
    > […] 1. […] Blutvolumen: In unseren Herzvorhöfen sitzen Volumenrezeptoren.

    Merkwürdig, dass (bestimmte, eingrenzbare) Rezeptoren so unmittelbar mit einer extensiven (Mess-)Größe verbunden wären …

    Geht es womöglich an sich z.B. eher um Rezeptoren für Gewebedehnung, die nur mittelbar mit Blutvolumen im (jeweiligen) Herzvorhof und wiederum mittelbar mit Blutvolumen im gesamten Kreislauf zusammenhängt ?

    p.s. — Um die Einladung am Anfang des obigen SciLogs-Artikels dankend und Sujet-gerecht aufzunehmen:

    “Glück ist, sich da kratzen zu können, wo’s einen juckt.”

  2. Das Anti-Diuretische Hormon (ADH) fördert also die Wiederverwendung von Wasser, das gerade den Prozess des Ausscheidens in der Niere durchläuft, indem es die Rückresorption von Wasser aus dem Primärharn deutlich verbessert. Damit wird es Tieren möglich, längere Zeit mit wenig Wasser auszukommen, einfach indem sie weniger ausscheiden und dazu mehr ADH produzieren. Das Zielorgan von ADH ist also die Niere. Das bedeutet auch, dass eine krankhaft verstärkte Wasserausscheidung, also ein Diabetes insipidus nicht nur über einen Mangel an ADH entstehen kann, sondern auch über ein vermindertes Ansprechen der Niere auf ADH.

    Ferner ist die Niere eines der Organe, das schneller altert als andere. Die glomeruläre Filtrationsrate nimmt im Alter ab und die Funktion der Tubuli (Ausscheidungskanäle) verschlechtert sich mit verminderter Homöostase von Natrium, Tendenz zur Hyperkaliämie und einer verminderten Toleranz für plötzlich grosse Zufuhren von Natrium, Kalium oder sauren Stoffen.
    Am meisten muss die Niere dann arbeiten, wenn zu wenig Wasser vorhanden ist und dementsprechend der ADH-Spiegel gross ist und Wasser zurückgewonnen wird. Im Alter kann die Niere in einer solchen Situation schneller an ihre Grenzen kommen. Das alles zusammen erklärt dann, warum man älteren Menschen empfiehlt eher zu viel als zu wenig zu trinken.

  3. Danke für die Erklärung. Ich hätte das bisher ja immer hydrodynamisch erklärt. Wenn wir von einer 600ml fassende Blase ausgehen, die immer eine Restfüllung von einem Drittel hat und bei 2/3 sich ein Harndrang einstellt, dann ist es kein Wunder, wenn ich einen Liter reinkippe, dass sich spätestens beim 2. Bier ein Harndrang einstellt und es ist kein Wunder, dass wenn ich dann noch mehr reinschütte (um etwa auf die 2l zu kommen), sich der Harndrang immer öfters einstellt. Weil ich bei einem normalen Gang zur Toilette niemals die Mengen hinausbefördern kann.

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