Was machen TikTok & Co mit unserem Gehirn?

Die Social Media Plattform TikTok hat seit seines ursprünglichen Debuts 2016 stark an Popularität gewonnen. Alleine in Deutschland liegt die Zahl der monatlichen Nutzer*innen bei über 19,5 Millionen. Damit zählt TikTok zu den beliebtesten Social Media Apps. Die Popularität der App ist zunehmend auf andere Plattformen übergeschwappt, so bieten auch Apps wie Instagram oder Youtube mittlerweile ihre eigenen Versionen von extrem kurzen, leicht zu konsumierenden Videos an. Videos werden zunehmend kürzer und die erwähnten Apps ermöglichen es einem, stundenlang ein 15 Sekunden Video nach dem anderen zu konsumieren. Doch was machen Apps wie TikTok mit unserem Gehirn? Welche Auswirkungen hat diese Art von Entertainment auf unsere geistigen Fähigkeiten und unsere Psyche?

Was TikTok so besonders macht

Der Reiz TikToks liegt vor allem an den kurzen Videos, die schnell und endlos aufeinander folgen und deren Auswahl stark personalisiert ist. Auf keiner anderen App verbringen Menschen so viel Zeit wie auf TikTok. So liegt in Deutschland der Schnitt der App-Nutzung bei 23,6 Stunden pro Monat. 35% der Nutzer*innen berichten, weniger andere Medien zu konsumieren, wie z.B. TV oder Filme.

Der Algorithmus lernt uns mit jeder Minute, die wir auf TikTok verbringen, immer besser kennen und die Videoauswahl, die den Nutzenden präsentiert wird, wird immer genauer auf die Interessen der User*innen zu geschnitten. Das bindet unsere Aufmerksamkeit, denn in der Regel mögen wir, was wir sehen, immer und immer wieder. Minütlich oder gar sekündlich werden uns neue Inhalte präsentiert, die wir als belohnend empfinden. Dass ein regelmäßiger Konsum solcher neuen Medien wie TikTok Auswirkungen auf unser Gehirn hat, ist naheliegend. Die bunten, spannenden Videos fangen unsere Aufmerksamkeit förmlich ein, und der ständig neue Inhalt verlangt ein schnelles Wechseln und Neuorientieren, jedoch keine lange Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit. Die Belohnung, die wir immer wieder erfahren, kommt direkt und ohne Aufschub. Die Aufmerksamkeitsspanne verkleinert sich und uns juckt es in den Fingern, erneut die positiven Gefühle, die durch das Öffnen der App so leicht verfügbar sind, wieder aufzusuchen, bis eine Abhängigkeit entsteht, die problematisch werden kann.

TikTok und unsere Aufmerksamkeit

Die selektive Aufmerksamkeit beschreibt unsere Fähigkeit, unseren Fokus komplett auf relevante Reize zu richten und dabei irrelevante, störende Reize ausblenden zu können. Das bedeutet, dass wir bei dem Konsum jeglicher Medien externe Reize, wie unsere Umgebung, aber auch interne Reize, wie störende Gedanken oder Grübelschleifen, ausblenden können. Dies passiert meist unbewusst und automatisch. In unserem Gehirn sammelt der Thalamus, eine Struktur des Zwischenhirns, alle auf uns einwirkenden Sinneseindrücke und entscheidet dann, welche Reize im Besonderen fokussiert und wahrgenommen werden sollen. Unser präfrontaler Kortex sorgt als Zentrale unserer Exekutivfunktionen unter anderem dafür, dass die Aufmerksamkeit für die erforderliche Zeit auch aufrechterhalten werden kann. Und tatsächlich wurde in einer Studie gezeigt, dass die personalisierten Videos TikToks die Hirnregionen, die die Aufmerksamkeit komplett auf die Videos fokussieren, stärker aktivieren als eine Sammlung belangloser Videos.

Der präfrontale Kortex ist auch noch für andere mentale Fähigkeiten zuständig, wie z.B. die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, das Einstellen auf Neues, das Treffen von Entscheidungen oder auch planvolles Handeln. Das Erlernen dieser Fähigkeiten ist eine laufende Entwicklungsaufgabe für unser Gehirn, die für unseren Alltag ausgesprochen relevant ist. Ein unterentwickelter präfrontaler Kortex wird unwillentlich weniger gute Entscheidungen treffen und mehr Probleme bei der langfristigen Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit haben. Genau hier liegt ein mögliches Problem: Unser präfrontaler Kortex ist bis zum 25. Lebensjahr nicht fertig ausgebildet und auch darüber hinaus passt sich unser Gehirn immer sehr flexibel neuen Reizen und Umgebungen an. Wir lernen und verlernen schnell, nach dem Motto „use it or lose it“ („benutze es oder verliere es“) zieht unser Gehirn regelmäßig Bilanz und stärkt die jenen Fähigkeiten, die wir in unserem Alltag am Meisten gebrauchen, die anderen werden unweigerlich vernachlässigt und bilden sich zurück. Besonders das Gehirn junger Menschen und folglich ihre Entwicklung wird durch dieses Prinzip nachhaltig geprägt. Für ihren noch nicht endgültig entwickeltes Frontalhirn ist es also einfacher, kurze, ansprechende Videos zu konsumieren als z.B. ein Buch zu lesen. Mit dem Konsum von TikTok-Inhalten trainieren wir unser Gehirn auf einen ständigen, schnellen Wechsel und bringen uns damit selbst bei, dass es weniger notwendig ist, unsere Aufmerksamkeit langfristig aufrechterhalten zu müssen. Unsere Aufmerksamkeitsspanne schrumpft, was unter anderem direkte Auswirkungen auf akademische Leistungen haben kann. Die reale Welt wird vor allem für junge Nutzer*innen als reizarm empfunden, denn sie ist bei weitem nicht so schnelllebig wie TikTok & Co es uns zeigt. Wir suchen ständig nach neuen Reizen, Probleme in der Aufrechterhaltung unserer Aufmerksamkeit in einer reizärmeren Umgebung führen zu Problemen im Alltag, wir erleben Stress, der sich wiederum negativ auf unsere Gesundheit auswirken kann.

Wie Süßes fürs Gehirn: Das Belohnungssystem

Der Algorithmus sozialer Medien stellt sicher, dass wir möglichst immer nur das gezeigt bekommen, das uns interessiert. Wenn wir durch endlose Feeds scrollen, bekommen wir immer und immer wieder Videos gezeigt, die wir mögen, durch die wir an etwas Spannendem teilhaben können, die uns zum Schmunzeln bringen oder durch die wir etwas Neues lernen. Soziale Medien, die sich auf ihre Nutzenden einstellen und ihnen personalisierte Inhalte anbieten, sind so eine positive Erfahrung. Positive Erfahrungen, verknüpft mit angenehmen Emotionen, verstärken das Verhalten, das zu ihnen geführt hat, so dass wir dieses wiederholen und uns immer wieder belohnen können. Dopamin ist der wichtigste Botenstoff des Belohnungssystems unseres Gehirns und wird vor allem in Erwartung auf eine Belohnung ausgeschüttet. Wenn wir z.B. in einem guten Restaurant essen und wissen, dass es hier unser Lieblingsessen gibt, dann wird das ausgeschüttete Dopamin dafür sorgen, dass wir uns dieses auch wirklich bestellen und uns mit dem tollen Geschmack und schönen Gefühlen belohnen. Auch bei sozialen Medien kommt Dopamin diese Rolle zu. Wir erwarten von den Apps belohnende Erfahrungen und so suchen wir sie immer wieder auf. Wir verbringen immer mehr Zeit mit ihrer Nutzung. Und das klappt, denn unser Verlangen nach neuen Erfahrungen wird sekundenschnell befriedigt. Unser Gehirn lernt, dass es durch Apps wie TikTok schnell belohnt wird, denn gerade personalisierte Videos aktivieren unser Belohnungssystem stärker und effektiver als andere Inhalte. Dadurch entsteht nicht nur die Gefahr der Abhängigkeit bis hin zur Internet-Sucht, wir verlernen auch, Belohnungen aufzuschieben oder für diese härter zu arbeiten, z.B. indem wir unsere Aufmerksamkeit lange aufrechterhalten müssen. Einen Film schauen oder ein Buch zu lesen, das finden wir deutlich weniger attraktiv als eine Stunde auf TikTok zu verbringen, wo wir doch direkt finden, wonach wir suchen. Die Notwendigkeit für langfristige selektive Aufmerksamkeit sinkt weiter, der leichte Zugriff, gelenkt durch schlechtere Impuls- und Selbstkontrolle, die mit häufiger Nutzung von Handys einhergeht, kann schnell zu exzessivem Konsumverhalten führen, das wiederum weiteren Einfluss auf die erwähnten mentalen Fähigkeiten nimmt. Es entsteht ein Kreislauf, Nutzende tauchen immer weiter in die App ein, die ihnen immer mehr personalisierte Videos zur Verfügung stellt, wodurch die Aufmerksamkeit sinkt, wir positive Erfahrungen machen, die wir so nicht im Alltag machen können, auch weil normale Aufgaben zunehmend anstrengender werden, also suchen wir noch mehr Ablenkung in den Apps.

Fazit

TikTok und ähnliche Apps aktivieren in unserem Gehirn unser neuronales Belohnungssystem, das Botenstoffe ausschüttet, die den weiteren Konsum motivieren. Die kurzen Videos trainieren unser Gehirn, sich schnell wechselnden Umgebungen anzupassen. Die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit langfristig und in reizärmeren Umgebungen aufrechterhalten zu können, verliert so an Relevanz. Unsere Aufmerksamkeitsspanne schrumpft ebenso wie unsere Geduld. Was genau der Konsum von TikTok & Co mit unserem Gehirn macht und wie es sich langfristig auf unsere neuronalen Strukturen, vor allem die von Kindern und Jugendlichen auswirkt, muss aber noch weiter und genauer erforscht werden. Prinzipiell wissen wir, dass soziale Medien abhängig machen können und daher mit Grenzen genossen werden sollten. TikTok selbst hat die Möglichkeit, die Screenzeit zu begrenzen, man kann sich seines Konsums bewusster werden. Es könnte bereits hilfreich sein, bei der Wahl digitaler Inhalte auch jene Medien zu berücksichtigen, die unsere Aufmerksamkeit länger binden. Dazu zählen z.B. Filme, längere YouTube-Videos oder auch Podcasts. Oder warum nicht öfter Mal das Handy weglegen und Zeit mit Freund*innen verbringen, in die Natur gehen oder Sport machen? Unser Gehirn wird es uns danken.

Quellen

Aufmerksamkeit. In Spektrum (Ed.), Lexikon der Neurowissenschafthttps://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/aufmerksamkeit/1072

Brosig, G. (2022). TikTok 2022: Kennzahlen und Statistiken Aus Deutschland und Der welt. Social Media Listening and Analytics Blog – Digimind Bloghttps://blog.digimind.com/de/tiktok-2022-kennzahlen-und-statistiken-aus-deutschland-und-der-welt#:~:text=TikTok%20hatte%20im%20September%202021,aktive%20Nutzer%20in%20den%20USA)

Jargon, J. (2022). TikTok brain explained: Why some kids seem hooked on social video feeds. The Wall Street Journal. https://www.wsj.com/articles/tiktok-brain-explained-why-some-kids-seem-hooked-on-social-video-feeds-11648866192

Paul, J. A., Baker, H. M., & Cochran, J. D. (2012). Effect of online social networking on student academic performance. Computers in Human Behavior28(6), 2117–2127. https://doi.org/10.1016/j.chb.2012.06.016

Su, C., Zhou, H., Gong, L., Teng, B., Geng, F., & Hu, Y. (2021). Viewing personalized video clips recommended by TikTok activates default mode network and ventral tegmental area. NeuroImage237(118136). https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2021.118136

Wilmer, H. H., & Chein, J. M. (2016). Mobile technology habits: Patterns of association among device usage, intertemporal preference, impulse control, and reward sensitivity. Psychonomic Bulletin & Review23(5), 1607–1614. https://doi.org/10.3758/s13423-016-1011-z

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Mein Name ist Lea Anthes und ich studiere Klinische Psychologie und Psychotherapie im Master an der Goethe-Universität in Frankfurt. Ich interessiere mich schon lange für Themen rund um das menschliche Gehirn und konnte mich während meines Bachelorstudiums der Psychologie sowohl umfangreich mit der kognitiven Neurowissenschaft auseinandersetzen als auch praktische Erfahrung im Bereich der klinischen Neuropsychologie sammeln. Gerne teile ich diese Begeisterung mit interessierten Leserinnen und Lesern.

7 Kommentare

  1. Was machen TikTok & Co mit unserem Gehirn?“
    Die Frage muß denkmodellunabhängig lauten: „Was machen TikTok & Co mit unserer Psyche?“
    Das Gehirn ist Hardware, so wie ein Computer. Somit beziehen sich – einfach ausgedrückt – „Selber machen und machen lassen“ auf „laufende“ Applikationen, die wiederum auf algorithmisch definierten (vorprogrammierten) Verknüpfungen basieren. Hand aufs Herz: »Gehirn« ist eine Blackbox mit immens vielen freien Parametern und unverstandenen Wechselwirkungen. Fragmentarische Analysen mittels ausgewählter Denkmodelle ergeben analytisch betrachtet stets stark reduzierte Abbilder, die nicht wirklich zu einem Verständnis über das Gehirn führen.
    Am Rande bemerkt: TikTok & Co bemühen und fördern einen grenzenlosen Narzissmus der “User”, der keine Grenzen des „guten Geschmacks“ und der Empathielosigkeit kennt, siehe als sehr trauriges und sehr bedenkliches Beispiel einen Twitterbeitrag zu Auschwitz….

  2. @Lea Anthes “Oder warum nicht öfter Mal das Handy weglegen und Zeit mit Freund*innen verbringen, in die Natur gehen oder Sport machen?”

    Mal konkret, das ist auch nur Bewusstseinsbetäubung zur herkömmlich-gewohnten Pflege unserer gleichermaßen unverarbeiteten (rest)instinktiven Bewusstseinsschwäche in Angst, Gewalt und egozentriertem “Individualbewusstsein” seit Mensch erstem und bisher einzigen geistigen Evolutionssprung (die “Vertreibung aus dem Paradies”, in Konfusion und geistiger Stillstand mit wettbewerbsbedingter Symptomatik).

    Das ganzheitlich-ebenbildliche Wesen Mensch, braucht Befreiung zur Fusion von wirklich-wahrhaftigen Bewusstseinsentwicklung. Befreiung vom Druck der erpresserischen Abhängigkeiten in materialistischer “Absicherung”. Nur eine Gemeinschaft in globalem Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik, kann ihre funktional-illusionäre Beschränktheit überwinden.

  3. @Freyling: “Hand aufs Herz: »Gehirn« ist eine Blackbox mit immens vielen freien Parametern und unverstandenen Wechselwirkungen.”

    Gleichermaßen unverarbeitete Bewusstseinsschwäche in Angst, Gewalt und egozentriert-wettbewerbsbedingtem “Individualbewusstsein”, was unser Gehirn zunehmend degenerieren läßt, “UNVERSTANDEN”!? 👏😎 👋🥴👍

  4. Danke für diesen interessanten Beitrag! An dieser Stelle sollte allerdings auch unbedingt erwähnt werden, dass die gefundenen Zusammenhänge zwischen Dopamin- bzw. Belohnungssystem und Social Media korrelativer Natur sind.

  5. Ich habe zwei Kinder im Alter von 11 und 14, von denen insbesondere meine elfjährige Tochter gerne und -meines Ermessens zu viel- in TikTok unterwegs ist. Für viele Erwachsene ist es schwer vorstellbar, dass man einem guten Buch, einem Hobby oder Zeit mit Freunden lieber Zeit mit TikTok vorzieht. So schauen dann auch viele von uns Eltern ratlos zu, wenn ein Kind sich einmal wieder gegen das Buch oder die Verabredung mit Freunden entscheidet und lieber auf der Coch mit TikTok chilled. Dieser Artikel hilft uns sicher zu verstehen, was diese Entscheidung und diese Sehnsucht nach TikTok auslöst. Danke dafür an die Autorin. Ich werde bei nächster Gelegenheit mit meinen Kinder darüber sprechen, kann mir aber vorstellen, dass diese sich für “meine” Meinung diesbezüglich weniger interessieren, gehöre ich doch zu einer Generation, die in den Augen meiner Kinder das Internet eh nicht versteht. Es wäre daher sicher gut, wenn jemand “junges”, beispielsweise die Autorin selbst oder jemand, der sehr aktiv im Internet ist (es muss ja nicht unbeding ein(e) Influencer(in) sein)., diesen Artikel kindgerecht übersetzt. Dennoch hilft dieser Artikel zumindest Jugendlichen und Erwachsenen die Zusammenhänge und Implikationen rund um TikTok & Co zu verstehen. Danke hierfür. Ich bin froh, dass meine Kinder viel und regelmässig Sport in einem Verein machen, hält sie das doch von TikTok & Co weg. Noch besser wäre es jedoch, wenn sie auch in deren Zeit außerhalb von Schule und Sport freiwillig mehr Zeit für andere Dinge verwenden und TikTok als eine Aktivität von vielen benutzten. Dies müssen wohl die Kinder als auch wir Eltern erst noch lernen. Dafür war und ist die Entwicklung des world wide webs einfach zu schnell.

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