Tindern wir bald anhand unserer Gehirnaktivität?

Nehmen wir Folgendes an: Für 400€ könntest Du Dich in eine Maschine legen und unter all den anderen Mitmachenden wird Dir der perfekte Partner oder die perfekte Partnerin für eine lange und glückliche Beziehung zugewiesen. Man müsste nicht mal etwas Bestimmtes machen, sondern legt sich einfach in die Maschine und denkt an nichts Spezielles – einfacher geht es also kaum und basiert lediglich auf unserer Gehirnaktivität. Wer würde nicht auf diese Art der Partnervermittlung zurückgreifen? Zumal 400€ doch auch eigentlich ein erschwinglicher Preis ist … 1

Gegensätze ziehen sich an?

Was sich jetzt vielleicht noch wie entfernte Zukunftsmusik anhört, könnte bald schon Realität werden. Obwohl es im Volksmund häufig heißt, dass sich Gegensätze anziehen, wissen Forscher längst, dass romantisches Begehren doch vor allem durch Übereinstimmung in psychologischen Eigenschaften ausgelöst wird. Interessanterweise korreliert die Zufriedenheit in Beziehungen jedoch nicht nur mit Ähnlichkeit in z. B. Herzlichkeit, sondern vor allem mit einer Ungleichheit im Dominanzverhalten.
Mussten bisherige Arbeiten noch auf psychologische Persönlichkeitstest zurückgreifen, kommt eine aktuelle Studie der in der Einleitung beschriebenen Maschine schon sehr nah. Doch um das besser verstehen zu können, müssen wird davor noch kurz ein paar Grundlagen klären.

Gehirnwellen und funktionale Magnetresonanztomografie

Unser Gehirn ist kein homogener Brei, sondern modular aus hoch-spezialisierten Zentren aufgebaut, welche untereinander je nach Funktion mehr oder weniger stark miteinander verbunden sind. Anhand dieser Verbindungen ist es möglich, eine Konnektivitätsmatrix des Gehirns zu erstellen. Werden bestimmte Regionen häufig zusammen benutzt, sind diese umfangreicher miteinander verknüpft. Die Gebiete des Sprachverständnisses sind beispielsweise stärker mit Arealen der Sprachsteuerung verbunden als mit Regionen für die Koordinierung der Bewegung des kleinen Zehs.


Zum Messen einer solchen Konnektivitätsmatrix muss man nicht mal bestimmte Aufgaben erfüllen. Tatsächlich bildet sich auch bei bewusstem Nichtstun ein spezifisches Aktivitätsmuster der Gehirnareale heraus.

MRT Bild eines Gehrins; DrOONeil, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
MRT Bild des Gehirns

Das auf diese Weise gemessene Netzwerk wird als Ruhezustandsnetzwerk oder wie im Englischen als Default Mode Network (DMN) bezeichnet. Das DMN ist dabei so charakteristisch für eine Person wie der eigene Fingerabdruck.


Die dafür eingesetzte Technik ist die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT). Diese Methode kombiniert die “normale” Magnetresonanztomografie (MRT) mit der Eigenschaft, dass aktive Gehirnregionen stärker sauerstoffreich durchblutet werden. Da Blut im MRT je nach Sauerstoffgehalt unterschiedliche Spezifika aufweist, kann so dynamisch die Gehirnaktivität ermittelt werden. 2
Mithilfe der Elektroenzephalografie (EEG) lassen sich innerhalb eines Gehirnareals sogenannte Gehirnwellen messen. Diese entstehen durch die synchronisierte Aktivität der dortigen Nervenzellen, wenn diese gemeinsam eine Aufgabe bewältigen.

Wie kann ich nun damit Tindern?

Was hat das nun alles mit der Anfangsfrage zutun? Eine aktuelle Studie hat es geschafft, anhand von Ähnlichkeiten im Default Mode Network die Nähe von zwei Personen in einem realen sozialen Netz (Soziogramm) vorauszusagen. Dieser Zusammenhang ist tatsächlich viel stärker als bei bisher benutzten psychologischen Metriken wie dem Big-Five-Persöhnlichkeitstest.

Durch die Verwendung der fMRT-Daten konnten vermutlich erstmals psychologische Variabeln (die interne Gehirnstruktur) erfasst werden, welche durch die Persönlichkeitstests nicht zugänglich sind.
Zuvor konnte, ebenfalls an fMRT-Daten, gezeigt werden, dass Freunde einen identischen Reiz (zum Beispiel das Video eines Fußballspiels) ähnlicher interpretieren als Menschen, welche im Soziogramm weit(-er) entfernt waren.

Tinder: Freunde weisen eher gleiche Gehirnverbindungen auf
Freunde weisen mit höherer Wahrscheinlichkeit ähnliche Gehirnverbindungen auf als Personen, die sich nicht kennen

Die Nähe von zwei Personen innerhalb eines sozialen Netzes lässt sich also sowohl anhand der Übereinstimmung in der Gehirnaktivität bei externen Stimuli als auch aufgrund der internen Struktur (vgl. DMN) voraussagen.


Intuitiv sind die Ergebnisse leicht nachzuvollziehen. Werden bei der Informationsverarbeitung ähnliche Strukturen des Gehirns aktiviert, bewerten die entsprechenden Personen die Information höchstwahrscheinlich auch vergleichbar. Dies resultiert nicht nur in sich ähnelnden Reaktionen, sondern führt auch zu einer gemeinsamen Verständnisgrundlage. Geht man außerdem davon aus, dass Personen, welche nah in einem Soziogramm sind, mit höherer Wahrscheinlichkeit gleiche oder ähnliche Informationen beziehen, so führt dies durch Lernprozesse langsam, aber sicher zu einer Konvergenz der internen Gehirnstrukturen.


Die fMRT-Studie wurde an älteren Menschen durchgeführt, welche auf einer abgeschiedenen Insel leben. Eine vergleichbare Studie über Schulkinder konnte jedoch noch keine Vorhersage bezüglich der Nähe im Soziogramm treffen. Das könnte einer zukünftigen Partnervermittlung leider im Weg stehen, wenn wir nicht erst kurz vor Lebensende unser perfekt passendes Gegenüber finden wollen…

Andere biologische Rhythmen

Doch auch mit den oben angesprochen EEG-Aktivitäten lassen sich Aussagen über menschliche Beziehungen treffen. Anhand der Synchronität von Gehirnwellen in frontalen Gehirnbereichen lässt sich beispielsweise gut bestimmen, welche Person in Zweierbeziehungen eine eher führende bzw. eine eher folgende Rolle einnehmen wird.
Mithilfe tragbarer EEG-Geräte konnte zudem festgestellt werden, dass der Lerneinsatz von Schülern umso stärker war, desto synchroner die EEG-Aktivität mit den Lehrkräften war. Als eine mögliche Ursache werden gleichzeitige Aufmerksamsphasen angesehen.


Andersherum synchronisieren sich jedoch auch durch bestimmte Aktivitäten biologische Rhythmen. Schon Anfang der 1970er-Jahre fand eine Untersuchung heraus, dass bei besten Freundinnen und Zimmernachbarinnen die Menstruationszeitpunkte zu ähnlicheren Zeitpunkten begannen als bei anderen Frauen. Später konnte mithilfe einer langfristigen Studie auch gezeigt werden, dass die Menstruationszyklen immer synchroner wurden, je mehr Zeit zwei Freundinnen miteinander verbrachten. Hier wird vermutet, dass die Synchronisierung durch ähnliche Expositionen von Schlüsselreizen wie Pheromonen ausgelöst wird.


Auch der Atem- oder Herzrhythmus synchronisiert sich bei interagierenden Personen, insbesondere wenn sie sich berühren. Bei Paaren geht eine Berührung zudem mit einer Synchronisation der EEG-Gehirnaktivität einher und korreliert sogar mit einer schmerzlindernden Wirkung – vielleicht liegt darin begründet, dass Kuscheln und Händehalten so wohltuend sind …

Ausblicke in die Welt von morgen

Ähnliche neuronale Aktivitäten können also nicht nur Freundschaften voraussagen, sondern es ist auch möglich, Hierarchien in Teams und Soziogrammen zu erstellen. Abseits der Dating-Welt könnte dies für all jene Situationen relevant werden, in welchen es auf eine effektive gemeinsame Aufgabenbewältigung ankommt.

Tindern wir in Zukunft PartnerInnen anhand unserer Gehirnaktivität?
Wie können diese Erkenntnisse in Zukunft angewendet werden?

Teams könnten anhand von fMRI-Daten (z. B. DMN) so zusammengestellt werden, dass eine möglichst optimale Kommunikation vorliegt und es in jeder Gruppe nur einen “Anführer” gibt. Eine kleine Ideenliste, wo dies von besonderem Interesse sein könnte, wäre:

  • Spezialeinheiten
  • Sportmannschaften
  • Synchronspringer (Turmspringen)
  • Schulklassenzusammensetzungen für eine ideale Vermittlung der Lehrinhalte (hoffentlich nicht nur in finanziell gut aufgestellten Privatschulen)
  • OP-Teams oder Mannschaften für Seenotrettungskreuzer
  • Zuteilung von Zellen für Gefängnisinsassen

Falls diese Voraussagen wirklich auf Unterschiede in der Informationsverarbeitung aufgrund unterschiedlicher Gehirnstrukturen beruhen, könnten sich daraus auch weitere interessante Fragestellungen ableiten. Ließe sich anhand der internen Gehirnstruktur vielleicht die Stilrichtung von Künstlern voraussagen? Haben beispielsweise Expressionisten unterschiedliche Wahrnehmungsstrukturen als Impressionisten?
Ist es denkbar, Vorhersagen für bestimmte Persönlichkeitseigenschaften zu treffen?

Fazit

Trotz der zahlreichen publizierten Zusammenhänge zwischen biologischen Rhythmen und bestimmten psychologischen und sozialen Bedingungen wird es noch eine Zeit dauern, bis tatsächliche Anwendungen auf dem Markt sind. Die Erkenntnisse weisen zwar in eine Richtung, von einem einheitlichen Modell sind wir jedoch weit entfernt.
Doch gerade in schnell adaptierenden Bereichen, insbesondere dort, wo finanzielle Ressourcen eine untergeordnete Rolle spielen – wie beispielsweise beim Militär – könnten zeitnah erste Versuche eintreten.
Und bei immer steigenden Ausgaben für Partnervermittlungen könnte unter Umständen im obersten Preissegment eine Partnervermittlung bald auf fMRT-Daten basieren.
Und für all die, die das Schicksal vermissen: Keine Sorge – Ausnahmen bestätigen die Regel! ;D


1: Man frage sich, wieviel man im Laufe des Lebens während Dates für Kinoeintritte, Restaurantbesuche, Tindergold oder andere Dinge ausgibt…

2: Eine Ausführung der beiden Techniken würde leider den Rahmen dieses Artikels sprengen. Für alle, die trotzdem noch mehr wissen wollen: Das MRT beruht grundsätzlich auf der Impedanz des Kreisels, – das gleiche Prinzip, dass unser Fahrrad beim Fahren nicht umkippen lässt. 😉

Literatur

Eine vollständige Literaturliste kann hier abgerufen werden.


Ich bedanke mich bei Béla Frohn und Marcel Graetz für anregende Gespräche, aus welchen manche der Ideen im Text resultierten.

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Veröffentlicht von

Friedrich Schwarz studiert Humanmedizin und Angewandte Informatik mit Schwerpunkt Neuroinformatik. Aktuell fasziniert ihn die Theorie, dass Humor und Kreativität als Positivfaktoren in der sexuellen Selektion dazu beigetragen haben könnten, dass die menschliche Gehirngröße evolutionär zunahm. Mit dem Schreiben hier probiert er, seine Begeisterung über das Gehirn mit der Welt zu teilen – ob sie möchte oder nicht.

14 Kommentare

  1. Wenn wir andere Menschen wahrnehmen, dann reaktivieren wir immer sofort vergleichbare eigene Erfahrungen aus dem Gedächtnis. Auf Grundlage dieser reaktivierten EIGENEN Erfahrungen können wir verstehen, was wir erleben – und auch sofort angemessen reagieren.
    Dies ist unser wichtigster Überlebensmechanismus (fachbegriff: predictive coding).
    Eine ´Erfahrung´ besteht in unterschiedicher Intensität aus den vernetzten Komponenten: a) Fachwissen, b) Körper-Reaktion, c) Immunsystem-Reaktion, d) Sinnes-Reaktion und e) Emotionen

    Dabei kann unsere erste Reaktion durchaus falsch – ein Vorurteil – sein, da sie nur auf Grundlage unseres eigenen Wissens erfolgt. (Müssen wir nicht sofort reagieren, dann kann diese erste Reaktion nochmals überdacht und korrigiert werden. Prof. Kahnemann beschreibt diese beiden Arbeitsweisen des Gehirns mit ´thinking fast and slow´.)

    Diese Arbeitsweise funktioniert, weil wir uns dabei mit dem beobachteten Erleben synchronisieren. D.h. Je besser die Synchronizität, um so besser verstehen wir, was wir erleben.
    z.B. Schon lernt ein Baby indem es versucht, ein beobachtetes Verhalten nachzumachen indem es sein eigenes Verhalten dazu synchronisiert (soweit dies möglich ist). Damit erstellt es eine Kopie von beobachtetem Verhalten, die es dann als eigenes Lern-Wissen im Gedächtnis abspeichern kann

  2. Manche Baseball- und Tennissspieler berichten, dass sie den heranfliegenden Ball wie in Zeitlupe erlebten – und dann besonders perfekt reagieren konnten *): Zeitlupeneffekt, slow motion perception

    Hier kann man bewusst erleben, wie das Gehirn Wahrnehmung und Denken zu synchronisieren versucht. Dabei passiert folgendes.

    1) Das Auge registriert den heranfliegenden realen Ball. Dazu wird eine vergleichare Erfahrung aus dem Gedächtnis reaktiviert – und wir nehmen nun den reaktivierten Ball aus unserem Gedächtnis(!) als erlebte Wirklichkeit wahr.
    2) Dann vergleicht das Gehirn den reaktivierten Ball mit dem realen Ball – aber weil der reale Ball mittlerweile weitergeflogen ist: stimmen der reaktivierte und der reale Ball nicht mehr überein.
    3) Das Gehirn merkt diesen Fehler und konzentriert sich nun so intensiv auf die weitere Reizverarbeitung, dass wir diese Aktivität bewusst als Zeitlupeneffekt wahrnehmen können. (D.h. die Arbeitsweise des Gehirns ist nun der bewussten Wahrnehmung zugänglich)

    Dieser ganze Ablauf wird so oft wiederholt, bis der Sportler den Ball zurückschlägt. Jeder Zyklus dauert ca. 125 Millisekunden = 8 Hz – dies erklärt, warum der Ballflug in Zeitlupe zu fliegen scheint.

    Per Google-suche [Kinseher NDERF denken_nte] ist eine PDF zu finden – wo auf Seite 4 das DENKEN als Mustervergleichsaktivität mit drei einfachen Regeln beschrieben wird. Das sind die Regeln für die Zeitlupenwahrnehmung.

    (Auch die ´Nahtod-Erfahrung´ (NTE) ist nichts anderes, als der Versuch des Gehirns, einen unverständlichen Reiz zu verarbeiten. NTEs entstehen in dem Versuch des Gehirns, eine zu einem neuen Reiz passende Erfahrung zu reaktivieren: d.h. sich zu synchronisieren.)

    *) eine perfekte Reaktion entsteht, weil eine reaktivierte ´Erfahrung´ aus mehreren Komponenten besteht – wozu auch die b) Körper-Reaktion gehört

  3. Wenn man sein eigenes Verhalten zu dem anderer Menschen synchronisiert, spricht man auch von Mimikry.
    DOI: 10.1177/0956797617727121 Disentangling the sources of mimicry: Social analysis of the link between mimicry and liking
    Wenn man andere Menschen beim Kennenlernen nachahmt – synchronisiert man sich mit dieser Person. Damit kann man sich beliebt machen – sofern dieses Mimikry nicht übertrieben wird. Übertreibt man die Synchronisation, kann sich die andere Person als verspottet empfinden.

    DOI: 10.1016/j.toxocon.2016.04.044 Deeper than skin deep – The effect of botulinum toxin-A on emotion processing
    Werden Gesichtsmuskeln mit Botox gelähmt, dann wird das Verständnis der Emotion anderer Personen behindert – weil zur Beobachtung passende eigene Erfahrungen nicht richtig reaktiviert werden können.

  4. Würde von kompatiblen Partner sprechen und nicht von perfekten Partner, das suggeriert ein deterministisches Weltbild, auch würde ich das gegensätze ziehen sich an nicht per se ausschließen, einerseits spielen biologische Faktoren dort mit hinein (z. B. Monatszyklen) andererseits Persönlichkeitsmerkmale (Offenheit). Auch ist die Frage wie sehr sich fest solche Muster sind und ob sie sich durch z. B. Extreme Ereignisse etc anpassen können bzw. Wie konstant diese sind.

    • Das perfekt ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen und als Stilmittel der Alliteration 😉
      Auch die Anziehung der Gegensätze wird nicht ausgeschlossen, nur konkretisiert.

      Die Frage über die zeitliche Konstanz ist in der Tat eine spannende, insbesondere unter dem Wissen, dass die Korrelationen zur Nähe im Soziogramm im Schulalter noch nicht gegeben sind.
      Auch kann ich mir vorstellen, dass das eine oder andere einschneidende Lebensereignis in der Tat sich auf die Gehirnstrukturen auswirkt und sich ggf. in Scheidungsraten oder ähnlichen Proxys wiederfinden könnte.
      Hier wären vermutlich Läsionsstudien auch sehr interessant …

  5. Sind Partnerschaft/Liebe oder die gemeinsame Aufgabe Synchronballett?
    Mein Verdacht: Partnerschaft und Hingezogenheit zu einem anderen Menschen basiert tatsächlich auf der Bereitschaft und Fähigkeit mitzuleben und sich in den anderen Hineinversetzen zu können. Doch das bedeutet nicht unbedingt, dass beide die gleichen Dinge tun oder lieben zu tun. Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir etwa waren geistig ein Leben lang verbunden, hatten aber ziemlich andere Lieblingsbeschäftigungen. So liebte Sartre etwa Ausflüge in die Berge, de Beauvoir aber überhaupt nicht. Das Denken beider war aber verbindungsfähig, wenn man so sagen kann.

    Ich denke tatsächlich, dass es eine gemeinsame Basis geben muss, dass aber weitgehende Gleichheit in Reaktionen, Gefühlen und Lieblingsbeschäftigungen sogar zum Problem werden kann, denn ist es nicht so, dass der andere immer auch eine Erweiterung von einem selbst ist? Gerade dass der andere bestimmte Dinge anders will und anders sieht, ist doch eine Chance die eigene Sicht zu überdenken, vielleicht sogar zu klären und zu schärfen. Trotzdem würde ich dem Spruch „Gegensätze ziehen sich an“ nicht ungeteilt zustimmen, sondern eher sagen, dass Gegensätze in einzelnen Bereichen gut sind für eine Partnerschaft, weil sie die Welt der beiden reicher und interessanter machen.

    Das gilt nicht nur für Paare, sondern sogar noch mehr für Gruppen von Menschen, die sich der gleichen Aufgabe widmen. Wenn alle gleich sind und ohne Differenz das gleiche mit den gleichen Mitteln und genau den gleichen Ideen und der gleichen Sprache angehen, dann gibt es ein echtes Problem, denn dann kämpfen auch alle um die gleiche Rolle und die gleiche hierarchische Stellung in der Gruppe. Viel besser ist es, wenn sich zwar alle verstehen, aber jede/jeder davon überzeugt ist, seine ganz persönliche Fähigkeiten und Interessen auf besonders gute Weisen einbringen zu können.

  6. Anmerkungen zu Aufbau/Funktion von Partnerbörsen.

    1) Partnerbörsen sind nur dazu da, um mit zahlenden Abo-Kunden Geld zu verdienen.
    Finden sich unter den Mitgliedern Paare, dann bedeutet dies, dass man zwei zahlende Kunden verliert. Das ist eigentlich schlecht für das Geschäft – aber wenn diese Paare herum erzählen, dass sie sich über eine Partnerbörse kennengelernt haben, dann ist dieser ´Erfolg´ zumindst eine kostenlose Werbung

    2) für Partnervermittlungen braucht man keine komplizierte Algorithmen. Ein einfaches Sortierprogramm reicht auch.

    Z.B. unter allen in Deuschland lebenden Menschen
    – melden sich nur solche kostenpflichtig in einer Partnerbörse an, die aus irgendeinem Grund Partner suchen = dies ist eine erste Vorauswahl
    – gibt man das Geschlecht der gewünschten Person ein = die zweite Vorauswahl
    – gibt man den gewünschten Altersbereich ein = die dritte Vorauswahl
    – gibt man die Wohnregion einer gewünschten Person ein = die vierte Vorauswahl
    – gibt man wichtige Wertvorstellungen bzw. Persönlichkeitsmerkmale ein, auf die man Wert legt = ist jede Angabe eine weitere Vorauswahl

    Duch dieses einfache Auswahlverfahren sortiert man sehr viele Personen von vorne herein aus. Es bleibt zum Schluss nur eine begrenzte Menge an Personen übrig.
    Hier trifft man eine weitere Vorauswahl indem man das Gesicht betrachtet, ob es gefällt oder nicht.

    Wenn man dann ausgewählte Personen kontaktiert, dann hat man durch diese vielen Stufen des simplen Aussortierens seine Chancen deutlich erhöht, eine Person zu finden, die in das eigene Beuteschema passt.
    Jetzt hängt es davon ab, ob man in das Beuteschema der anderen Person passt.

    Kurz gesagt. Ein einfaches Sortierprogramm reicht völlig aus, um die Anzahl von Menschen sehr stark einzugrenzen, die für eine Partnersuche in Frage kommen.

    Messungen per EEG oder fMRT bringen eigentlich keine wirklich höhere Erfolgsquote mehr – kosten aber viel Zeit/Geld; da die Auswertung und das Speichern der Daten sehr kostenintensiv ist. Deswegen sind diese Messmethoden für Partnerbörsen nur dann von Interesse, wenn die Kunden gut dafür zahlen.

  7. Menschen versus Kognitive digitale Zwillinge
    Motto (Joscha Bach): Künstliche Intelligenz kann uns helfen uns selbst zu verstehen

    In der Industrie 4.0 spricht man aktuell von digitalen Zwillingen und von kognitiven digitalen Zwillingen.

    Ein digitaler Zwilling ist das digitale Replika einer Maschine oder eines ganzen technischen Systems, das im Idealfall synchron mit dem realen, dem replizierten System läuft und dementsprechend neben der Physik des replizierten „Apparats“ die ganze technische Nutzgeschichte abbildet. Daneben können aber auch Ausnahmefälle und viele andere Szenarien auf dem digitalen Zwilling simuliert werden.

    Kognitive digitale Zwillinge sind eine Erweiterung bestehender digitaler Zwillinge mit zusätzlichen Kommunikations-, Analyse- und Intelligenzfunktionen. Ein kognitiver digitaler Zwilling kann also Auskunft geben über sich selbst und damit indirekt über die vom digitalen Zwilling replizierte „Apparatur“. Der kognitive Zwilling kann damit Gründe angeben für Irregularitäten, für die (fehlende) Performance und er kann nötige Wartungsarbeiten empfehlen oder prognostizieren.. Mit anderen Worten: der kognitive Zwilling versteht das System, das er selbst repliziert bis zu einem gewissen Grade.

    Menschen dagegen sind keine kognitiven Zwillinge, sondern kognitive Unikate – oder meinen es mindestens. Doch Menschen können bei Bedarf die Rolle eines kognitiven Zwillings annehmen, denn genau das mein man mit Empathie/Einfühlung. Nämlich, dass man sich in den anderen, in die andere hineinversetzen kann.

    Ein Paar bleibt wohl nicht lange ein Paar, wenn dieses sich in den anderen Hineinversetzen beim einen oder anderen fehlt oder wenn die Bereitschaft verschwindet das noch zu tun.

  8. Wenn die Eltern den Ehepartner aussuchen, dann ist das Bevormundung, wenn ein Computerprogramm den Ehepartner aussucht, dann ist das Computerhörigkeit.

    Anmerkung: und das im 11 Sekunden-Takt !

    • Ich denke, dass man hier zwischen Zwangsheirat und arrangierter Ehe unterscheiden muss. Da bei der arrangierten Ehe beide beteiligte Personen ihre Zustimmung geben, wird meinem Verständnis nach dies nicht unbedingt als Bevormundung verstanden.

      Da so sowohl die arrangierte Ehe als auch das fMRT-Tindern beides auf einer freiwilligen Basis wäre, ist es vermutlich ok weder von Bevormundung noch von Gehörigkeit zu sprechen.

  9. Wenn eine Partnerbörse viele Daten erhebt um eine/n Partner/in zu finden, dann reicht dazu eine einfache Datenbank aus (wie ich im vorherigen Beitrag geschrieben habe), mehr braucht es nicht – den Rest der von Kunden erhaltenen Informationen kann man für andere Zwecke verwenden/verkaufen.

    Diese Art der Datensammelei wurde schon vor 40 Jahren auf einer Industrie-Messe verwendet. Dort musste man an einem Stand einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen (Name, Adresse, Firmengröße, Position/Funktion, Ausbildung/Titel, Anzahl der Untergebenen, Branche, usw.) – und in einem vorgegebenen Feld von der Größe einer Visitenkarte unterschreiben. Dann bekam man eine vom Computer erstellte Bewertung der eigenen Persönlichkeit.

    Ich habe zwei Fragebögen ausgefüllt – im ersten habe ich eine große über das ganze Feld verteilte Unterschrift abgegeben, im zweiten habe ich in kleiner Schrift links oben unterschrieben.
    Die Bewertung war entprechend – bei der ersten Auswertung war ich ein selbstbewusster Mensch, in der zweiten Auswertung war ich ein vorbildlich pflichtbewusster Mensch (ein Pedant) – jeweils mit einer Liste von Eigenschaften.

    Die Firma hatte aber mit den ausgefüllten Fragebögen viele Kontaktdaten für den Vertrieb/Verkauf

  10. Wie groß sind denn nun die Effekte?!

    P.S. Ich erinnere daran, dass der Marketing-Professor Willem Verbeke, Universität Rotterdam, einmal vorhersagte, man würde in zwei bis drei Jahren Stellenbewerber mit dem fMRT-Scan auswählen. Das war 2009. Wie so oft: Gut, dass wir darüber geredet haben.

    • Die Autoren haben die durch das Modell vorausgesagten Entfernungen (Partial Least Squares Regression) mit den tatsächlichen (technisch gesehen ebenfalls modelliert …) Entfernungen korreliert. Durch ihr Modell konnten sie eine Korrelation von r=0.502 (Pearson) mit p=1,323*10^-16 erzielen. Gemeinhin wird diese Korrelation als moderat bis stark interpretiert.

      Gerne verweise ich auch auf die Abbildung 3 im Originalpaper: hier.

      Ergänzend kann man noch anfügen, dass die Versuchsgruppe ziemlich homogen bezogen auf die demografischen Merkmale ist.

      Das mit der Einstellung über das fMRT passt ja zur Zusammenstellung von Teams 😉

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