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Sunday Scaries: Immer wieder sonntags

Wer kennt es nicht. Es ist Sonntagabend, die Sonne geht unter und langsam aber sicher breitet sich eine wohl bekannte und zutiefst unerwünschte innerliche Unruhe aus. Bis vor einer Minute schwelgte man noch in den schönsten Erinnerungen an das vergangene Wochenende wie beispielsweise den längst überfälligen Besuch der guten Freunde, das leckere gemeinsame Essen mit der Familie oder die stimmungsgeladene Party. Und obwohl man mit der Ausschüttung von Dopamin nicht gespart hat, kann man plötzlich nicht einschlafen. Dieses Mal ist es sogar noch schlimmer. Es ist der Sonntag aller Sonntage – der Sonntag nach der Urlaubswoche. Der Sommer geht. Und obwohl der goldene Herbst auch nicht schlecht, der Job ja immer noch derselbe und das nächste Wochenende wirklich nur maximal fünf Tage entfernt ist, gelangen ganz bestimmte Gedanken immer wieder in das Bewusstsein. Die Rede ist von den sogenannten „Sunday Scaries“.

„Nicht noch so ein hipper neuer Name für solche Nichtigkeiten, die zudem genauso wenig real sind wie fliegende Goldfische…“, wird vielleicht der ein oder andere jetzt denken. Dabei können sich Sunday Scaries neben der bereits genannten Unruhe sehr real in Form von Bauchschmerzen, Reizbarkeit, Panikattacken und allgemeinem Unwohlsein äußern. Etwa 90 % aller befragten Millennials einer im Jahr 2018 online durchgeführten US-amerikanischen Studie kennen dieses Gedankenkarussell.

Sunday scaries - die Angst vor der Arbeitswoche.
Sunday Scaries: Immer wieder sonntags

Erwartungsangst

Man kann diesem Gefühl auch einen bekannteren Namen geben. Es ist eine Form der Erwartungsangst (engl. anticipatory anxiety). Der bloße Gedanke an den Stress der bevorstehenden Woche löst demzufolge eine echte körperliche Stresssituation aus, obwohl noch nichts davon tatsächlich eingetreten ist oder jemals eintreten wird. Grund dafür ist das Einsetzen eines prähistorischen Alarmzustandes des Gehirns und die damit verbundene Aktivierung der Amygdala, welche unter anderem für die Freisetzung von Stresshormonen verantwortlich ist und dem limbischen System angehört (siehe auch „Die Macht der Mandel“).  

Das große Problem an diesem Angstzustand ist, dass man sich selbst immer wieder mit dem Worst-Case-Szenario von bevorstehenden Situationen konfrontiert. Dadurch wird ein Gefühl der vermeintlichen Kontrolle erzeugt. In Zeiten der Jäger und Sammler mag dieses Verhalten durchaus hilfreich gewesen zu sein, um vor Gefahren für Leib und Seele besser gewappnet zu sein. In der heutigen Zeit fällt mir leider kein einziger Vorteil dafür ein. Es gleicht einem Nullsummenspiel, denn das Ausbleiben des Worst-Case-Szenarios wird die bereits durchlebte Stressreaktion des Körpers nicht ungeschehen machen.

Gedankliche Umstrukturierung

Hier sind ein paar Tipps für alle, die sich durch Sunday Scaries nicht mehr den Ausklang des Wochenendes oder des gesamten Sommers verderben lassen wollen. Einfach mal ausprobieren kann!

  1. 15 min Zeit nehmen, um die Dinge, die einen am Sonntagabend so beschäftigen aufzuschreiben und sie dabei in die drei Kategorien einteilen: „Aufgaben, die erledigt werden müssen“, „Aufgaben, die warten können“ und „Aufgaben, für dessen Erledigung man Hilfe benötigt“. Das schafft Platz und Ordnung im Kopf.
  2. Den gedanklichen Fokus auf die Dinge lenken, die man am Wochenende tatsächlich geschafft hat, anstatt zu bereuen, was alles liegen geblieben ist. Positiv denken wird mit positiven Gefühlen belohnt.
  3. Regelmäßiges Einplanen von etwas „Schönem“ am Montag, dass Freude bereitet (z.B. Mittagessen mit Freunden, Sport am Abend, einem Hobby nachgehen). Erwartungsfreude auf den Montag kann ein echter Gegner der Erwartungsangst sein.

Dass es sich bei den genannten Tipps nicht nur um gut gemeinte Ratschläge hält und die Umstrukturierung alter gedanklicher Muster bei Erwartungsangst wirklich etwas bewirkt, zeigt eine Studie aus Schweden. Diese liefert überzeugende Hinweise dafür, dass die physische Struktur und die neurofunktionale Reaktion der Amygdala durch kognitive Verhaltenstherapie verändert wird. Dies wiederum kann zu einer spürbaren Angstreduktion führen. Der erste Schritt dabei ist die Wahrnehmung dieser destruktiven Gedankenmuster. Bei erfolgreicher Implementierung positiver Gedanken gegenüber bevorstehenden Arbeitswochen, steigt demnach die Wahrscheinlichkeit, dass das negative Amygdala-gesteuerte Gedankenkarussell stoppt und man wieder besser einschlafen kann.

Zum Abschluss

Mein persönlicher und wohl am schwierigsten umzusetzender Vorschlag um die Erwartungsangst zu lindern, ist, die Erwartung an sich selbst in der ersten Woche nach dem Sommerurlaub herunterzuschrauben. Nicht alle Aufgaben müssen „asapissimo“ erledigt werden. Besonders hilfreich finde ich außerdem die Vorstellung mit einem Freund über meine Sunday Scaries zu sprechen. Von dem liebevoll entgegengebrachten Verständnis kann man sich meistens eine Scheibe abschneiden. Und wie wahrscheinlich ist es, dass unsere Sorgen und Ängste bezüglich der kommenden Woche wirklich alle eintreten werden?

Autorin des Artikels ist Lale Carstensen.

Quellen

https://sohosstudies.wordpress.com/author/sohosstudies/ [16.09.21]
https://www.healthline.com/health/anticipatory-anxiety#symptoms [16.09.21]
https://scilogs.spektrum.de/hirn-und-weg/die-macht-der-mandel/ [24.09.21]
Månsson, K., Salami, A., Frick, A. et al. Neuroplasticity in response to cognitive behavior therapy for social anxiety disorder. Transl Psychiatry 6, e727 (2016). https://doi.org/10.1038/tp.2015.218
https://www.hearsay.org.au/wp- content/uploads/2018/01/Neuroplasticity_and_Implications_for_Mental_Health.pdf [24.09.21]

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Ab und zu gibt es auch Gastbeiträge im Blog, die neben dem Team der Hertie-Stiftung aktuell verfasst werden von Carolin Haag, M.Sc. in Molekularbiologie, Doktorandin am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen, Lale Carstensen, M.Sc. in Chemie, promoviert am Institut für Wasserchemie der Technischen Universität Dresden und Ronja Völk, M.Sc. in Molekulare Biotechnologie und ehemalige Autorin bei Hirn und Weg. HIRN UND WEG ist der Neuroblog der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung , der die Bandbreite und Facetten eines der faszinierendsten Organe zeigen, Erkenntnisse aus Wissenschaft einfach und gut erklären und geistreich und unterhaltsam begeistern möchte. Neben der Informationsvermittlung gehören die Förderung von Exzellenz und die Schaffung von Strukturen in den Neurowissenschaften zu den Zielen des Programmbereichs "Gehirn erforschen" der Stiftung.