Stimmen im Kopf – Schizophrenie und auditive Halluzinationen

Die Schizophrenie zählt zu den bekanntesten psychischen Erkrankungen. Zugleich wird das Störungsbild, an dem Betroffene einer Schizophrenie leiden, so oft falsch verstanden wie kaum ein anderes. In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Schizophrenie häufig mit einer „gespaltenen Persönlichkeit“ verwechselt – ein Mythos, der durch Filme und Popkultur stetig weitergetragen wird. Tatsächlich handelt es sich bei Schizophrenie aber nicht um eine Aufspaltung der Persönlichkeit, sondern um eine Störung der Wahrnehmung und Verarbeitung der Realität. Menschen mit Schizophrenie leiden oft stark unter den auftretenden Symptomen – darunter Wahnvorstellungen, sozialer Rückzug und Halluzinationen, wie etwa das Hören von Stimmen.

Dieses wohl höchst bekannte psychiatrische Phänomen der „Stimmen im Kopf“ ist ein besonders eindrückliches Beispiel fürHalluzinationen, wie sie bei Betroffenen von Schizophrenie und anderen psychischen Erkrankungen mit psychotischen Episoden auftreten können. Doch wie kann es sein, dass wir plötzlich etwas hören, ohne dass es einen äußeren Reiz gibt, der diese Wahrnehmung ausgelöst haben könnte? Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir auf einmal Stimmen hören, die andere nicht wahrnehmen? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, schauen wir uns in diesem Beitrag die Mechanismen hinter auditiven Halluzinationen an und wie diese mit der „Inner Speech Theory“ – der Theorie des inneren Sprechens – zusammenhängen.

Was ist Schizophrenie?

Das Wort „Schizophrenie“ stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Begriffen für „spalten“ (schízein) und „Geist“ (phren) zusammen. Doch anders als oft fälschlich angenommen, beschreibt es keine gespaltene Persönlichkeit, sondern vielmehr eine gestörte, „zerrissene“, Wahrnehmung der Realität – ein zentrales Merkmal dieser Erkrankung [10].

[Wenn du mehr über „gespaltene Persönlichkeiten“ wissen möchtest, interessiert du dich vielleicht für die „dissoziative Identitätsstörung“.]

Unter Schizophrenie verstehen wir ein komplexes Krankheitsbild aus verschiedenen positiven und negativen Symptomen. Zu positiven Symptomen, also solchen, die bei Betroffenen nicht aber bei Gesunden auftreten, gehören Halluzinationen, Wahnvorstellungen und desorganisiertes Denken und Handeln. Halluzinationen können sich in verschiedenen Wahrnehmungsformen äußern. Neben dem Hören von Stimmen, berichten Betroffene auch von Dingen, die sie sehen, riechen oder schmecken, die andere Personen nicht wahrnehmen. Negative Symptome hingegen meinen Verhaltensmuster und Fähigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der Erkrankung verschlechtern. An Schizophrenie Erkrankte zeigen etwa ein gedämpftes Emotionserleben, Motivationsschwierigkeiten, Lustlosigkeit und ziehen sich mehr und mehr aus dem Sozialleben zurück. Hinzu kommen oftmals auch kognitive Symptomatiken, wie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprobleme.

Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist in ihrem Leben von Schizophrenie betroffen [1]. Die Erkrankung ist also weiter verbreitet, als sich viele bewusst sind. Meist zeigt sie sich erstmals im frühen Erwachsenenalter, zwischen 18 und 25 Jahren, vor allem in akuten Stressphasen oder nach traumatischen Lebensereignissen. Die Betroffenen verspüren häufig einen starken Leidensdruck unter ihrer Erkrankung.

Mithilfe von Medikamenten und entsprechender psychotherapeutischer Betreuung kann Schizophrenie behandelt und Betroffenen zurück in einen einigermaßen geregelten, funktionierenden Alltag geholfen werden. Von einer vollständigen Heilung lässt sich allerdings nur in wenigen Fällen sprechen. Zwischen 70 und 80 % der Patientinnen und Patienten haben ihr ganzes Leben mit der Erkrankung zu kämpfen [3].

Verschiedene Theorien zu den Ursachen

Es gibt verschiedene Ansätze, um die Ursachen der Schizophrenie zu beleuchten. Klar ist, dass genetische Risikofaktoren eine große Rolle spielen. Gibt es Familienmitglieder, die bereits an Schizophrenie erkrankt sind, ist die Wahrscheinlichkeit höher auch selbst einmal Schizophrenie zu entwickeln. Hinzu kommen verschiedenste Umweltfaktoren, die das Entstehen und Ausbrechen der Krankheit begünstigen können. Komplikationen während der Schwangerschaft, das Alter des biologischen Vaters [8]. Cannabiskonsum in der Jugendzeit sowie traumatische Lebensereignisse haben einen erheblichen Einfluss auf das Krankheitsrisiko [7]. Wichtig zu beachten ist: Eine genetische Veranlagung zur Schizophrenie bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine Person einmal erkranken wird.

Auf neurobiologischer Ebene wird vermutet, dass ein überaktives Dopamin-System eine Ursache für die Symptomatik sein könnte. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der vor allem im Belohnungssystem unseres Hirns genutzt wird und in verschiedenen Prozessen eine wichtige Rolle spielt – darunter Motivation, Bewegungssteuerung, Gedächtnis, Stimmung, Aufmerksamkeit. Gerade der Funktion im Zusammenhang mit Aufmerksamkeit und Fokussierung wird im Falle von Schizophrenie eine Bedeutung zugesprochen, da ein zu hohes Dopaminlevel dazu führen könnte, dass unwichtigen Informationen aus unserer Umgebung eine zu hohe Wichtigkeit zugesprochen wird. Das Gehirn versucht dennoch, ein sinnvolles Gesamtbild aus den falsch gewichteten Informationen zu produzieren, was Halluzinationen und Wahnvorstellungen nach sich ziehen könnte. Die Dopamin-Hypothese reicht allerdings nicht aus, um das gesamte komplexe Krankheitsbild der Schizophrenie zu erklären. Ursachen für negative Symptome bleiben offen. Zudem zeigen viele Untersuchungen Veränderungen auch in anderen Neurotransmittersystemen, ebenso wie in der Kommunikation zwischen verschiedenen Hirnarealen und anderen strukturellen Abweichungen [5].

Quelle

Die Welt der Stimmen: Auditive Halluzinationen

Menschen mit Schizophrenie berichten häufig, dass sie Stimmen hören, die sie nicht kontrollieren können. Diese Stimmen sind nicht einfach nur Einbildungen: für die Betroffenen sind die Stimmen überaus real. Die Stimmen im Kopf können freundlich, kritisch oder sogar bedrohlich wirken und stellen für viele Erkrankte eine enorme Belastung dar.

Die aktuelle Forschung vermutet, dass diese Halluzinationen mit einer fehlerhaften Verarbeitung im Gehirn zusammenhängen. Eine Schlüsselrolle spielt hierbei die sogenannte „Innere Sprache“. Die innere Sprache beschreibt keine laut ausgesprochenen Worte, sondern meint den inneren Dialog, den wir mit uns selbst führen, wenn wir in Gedanken sind, Planen, in Erinnerung schwelgen [6]. Laut der „Inner Speech Theory“ werden diese inneren verbalen Gedanken bei Personen, die unter auditiven Halluzinationen leiden, fälschlicherweise einer äußeren Quelle zugesprochen. Unser Gehirn denkt also, die gedanklich erzeugten Worte kommen von außen, und versucht den Betroffenen ein entsprechendes Wahrnehmungserlebnis zu bieten. In der Folge hören sie Stimmen, die andere Personen nicht hören können. Doch wie kann es passieren, dass unserem Gehirn ein solcher Fehler unterläuft?

Efferenzkopien: Kommunikation unter Hirnarealen

Das Gehirn ist ein Meister der Vorhersage. Ob wir sprechen, denken, sehen oder uns bewegen, unser Gehirn versucht ständig, die Konsequenzen unserer Handlungen vorherzusehen. Dieser Prozess ist entscheidend, um zwischen äußeren und inneren Reizen zu unterscheiden und eine stabile Wahrnehmung der Umwelt zu gewährleisten.

Eine Schlüsselfunktion dabei übernimmt die Corollary Discharge, auch als Efferenzkopie bekannt. Efferenzen sind Signale, die von einem bestimmten Hirnareal ausgehen und an einen andere Ort im Nervensystem geleitet werden. Immer wenn wir eine Handlung ausführen – sei es ein Blick zur Seite, das Bewegen der Hand oder das Aussprechen eines Wortes – sendet das Gehirn gleichzeitig eine Kopie des motorischen Befehls an andere Bereiche, zum Beispiel an sensorische Areale. Diese Efferenzkopie ermöglicht es dem Gehirn, die sensorischen Konsequenzen der Handlung vorherzusagen und zu dämpfen. Ein einfaches Beispiel: Wenn Sie sich selbst leicht kitzeln, löst das keine nennenswerte Reaktion aus, weil Ihr Gehirn bereits weiß, was gleich passieren wird, und die sensorische Wahrnehmung herunterreguliert. Wenn jedoch jemand anderes Sie kitzelt, fehlt diese Vorhersage – und es kitzelt tatsächlich [2, 4].

Efferenzkopien auf allen Wahrnehmungsebenen

Wichtig sind diese Efferenzkopien zum Beispiel auch in der visuellen Wahrnehmung, um ein stabiles Bild unserer wahrgenommenen Umgebung zu erzeugen. Wenn wir die Augen bewegen, muss unser Gehirn schon vorher wissen, wohin genau welche Augenbewegung führt, um tatsächlich auf die richtige Stelle zu schauen, auf die wir unsere Aufmerksamkeit lenken möchten. Die Bewegung der Augen geht zu schnell von statten, als dass diese mittendrin präzise korrigiert werden könnte. Unser Gehirn muss die Konsequenz unserer Bewegungen also vorhersagen. Noch deutlicher wird dies vielleicht, wenn wir daran denken, sich bewegende Objekte mit dem Blick zu verfolgen. Möchte ich als Zuschauerin bei einem Fußballspiel den Ball auf seiner Schusslinie beobachten, muss mein Gehirn bereits im Vorhinein eine Einschätzung treffen, welchen Weg der Ball nehmen wird, damit ich diesen nicht aus den Augen verliere [2].

Der gleiche Mechanismus greift auch bei der Sprachproduktion. Wenn wir sprechen, erzeugt unser Gehirn eine Efferenzkopie des Sprachbefehls, die es an den auditorischen Kortex sendet, der für das Hören zuständig ist. Dieser weiß nun: Ich spreche gerade. Dadurch wird die Wahrnehmung der eigenen Stimme gedämpft, und wir erkennen sie als selbst generiert. Ich habe gesprochen und kein anderer. Aber was passiert, wenn dieser Mechanismus nicht richtig funktioniert?

Wenn die Vorhersage versagt: Sensorische Störungen bei Schizophrenie

Der Mechanismus der Efferenzkopie ist nicht bloß eine theoretische Überlegung. Verschiedene experimentelle Studien konnten zeigen, dass bei Menschen mit Schizophrenie das Erstellen und/oder Weiterleiten von Efferenzkopien tatsächlich gestört ist. Infolgedessen kann das Gehirn nicht mehr zuverlässig zwischen selbst erzeugten und externen Sinneseindrücken unterscheiden. Bei verbalen Halluzinationen besonders betroffen scheint die Verarbeitung der inneren Sprache: Statt sie als eigene Gedanken zu erkennen, erleben Betroffene sie als fremde Stimmen.

Normalerweise stellt die Corollary Discharge sicher, dass unser Gehirn unser inneres Selbstgespräch als selbst generiert erkennt. Ist dieser Mechanismus fehlerhaft, wie es bei Schizophrenie-Patienten mit auditiven Halluzinationen der Fall ist, werden Vorhersagesignale entweder nicht korrekt erzeugt, fehlerhaft weitergeleitet oder falsch verarbeitet. Der auditorische Kortex dämpft in der Folge selbst erzeugte Reize nicht oder nicht ausreichend, sodass das Gehirn nicht mehr zuverlässig einordnen kann, ob ein akustischer Reiz von innen oder außen stammt.

Diese fehlerhafte Zuschreibung führt dazu, dass alltägliche Denkprozesse als äußere akustische Wahrnehmungen erscheinen. Während Gesunde ihre eigenen Gedanken mühelos als solche erkennen, ist bei Betroffenen diese Unterscheidung gestört, sodass innere Sprache fälschlicherweise als fremde Stimme wahrgenommen wird.

Messbare Unterschiede in der Verarbeitung selbst-erzeugter Reize

Diesen Mechanismus konnten Forschende bereits in experimentellen Studien beobachten und messen. Dafür wurde eine Gruppe gesunde Personen und eine Gruppe von Schizophrenie Betroffener zu einem Versuch eingeladen. Beide Gruppen führten zwei Aufgaben durch, bei denen sie einmal selbst einen Text einsprachen und einmal der Aufnahme ihrer eigenen Stimme zuhörten. Während beider Aufgaben wurde die Aktivität der Hirnareale für Sprachproduktion und auditive Verarbeitung gemessen [2].

Bei den gesunden Teilnehmenden konnten die Forschenden im Vergleich der Sprech- und Höraufgabe eine geringere Aktivität im auditorischen Kortex während des Sprechens feststellen. Die Efferenzkopie scheint somit erfolgreich erzeugt und weitergeleitet worden zu sein. Das Gehirn erkannte die eigene Sprachproduktion und dämpfte die zugehörigen akustischen Signale.

Anders verhielt es sich bei den Schizophrenie-Patientinnen und Patienten. Ihre Hirnaktivität unterschied sich nicht zwischen den beiden Aufgaben. Ihr auditorischer Kortex behandelte die eigene Stimme genauso wie einen äußeren Reiz, was darauf hindeutet, dass die Efferenzkopie fehlerhaft oder gar nicht weitergeleitet wurde. Dies betraf allerdings nur Patientinnen und Patienten, die auch tatsächlich unter auditorischen Halluzinationen litten. Die anderen zeigten ähnliche Muster wie die Personen ohne Schizophrenie, was den Zusammenhang der fehlerhaften Efferenzkopien mit den Halluzinationen noch weiter bestärkt. Zusätzlich fiel bei den Betroffenen eine mangelnde Synchronisation zwischen den für Sprache und Gehör zuständigen Hirnregionen auf – ein weiteres Indiz für die fehlerhafte Zusammenarbeit dieser Bereiche [2]. Auf neuronaler Ebene konnten Untersuchungen diese Defizite bereits bei Mäusen beobachten, die einen genetischen Risikofaktor für Schizophrenie in sich tragen [9].

Wahnvorstellungen – das Gefühl von äußeren Mächten kontrolliert zu sein

Die fehlerhafte Verarbeitung von Efferenzkopien spielt womöglich nicht nur bei auditiven Halluzinationen eine Rolle, sondern auch bei einem zentralen Symptom der Schizophrenie: dem Gefühl, von außen kontrolliert zu sein. Betroffene mit solchen Wahnvorstellungen berichten häufig davon, dass ihre Gedanken, Bewegungen oder Handlungen nicht von ihnen selbst, sondern durch eine fremde Macht oder Person gesteuert werden. Dieser Kontrollverlust kann tiefgreifende Ängste und Unsicherheiten auslösen und trägt maßgeblich zur psychischen Belastung der Erkrankten bei.

Auch dieses Phänomen könnte sich durch die Störung der Efferenzkopien erklären lassen. Normalerweise ermöglicht es die Corollary Discharge, zwischen selbst-erzeugten und externen Bewegungen oder Gedanken zu unterscheiden. Ist dieser Mechanismus gestört, kann es passieren, dass das Gehirn eigene Handlungen nicht mehr korrekt als selbst-erzeugt erkennt. Die Betroffenen erleben ihre eigenen Gedanken oder Bewegungen als fremdgesteuert, da das Vorhersagesystem des Gehirns nicht wie gewohnt arbeitet.

Defizite auch in der Verarbeitung sensorischer Reize

Bisherige Studien konnten aufzeigen, dass Menschen mit Schizophrenie in Experimenten, die die motorische Kontrolle untersuchen, oft eine abgeschwächte oder fehlerhafte Vorhersage der eigenen Bewegungen aufweisen. Diese Erkenntnis stammt unter anderem aus Experimenten, in denen die Probandinnen und Probanden mit dem Finger genauso stark zurückdrücken sollten, wie Druck auf ihren Finger ausgeübt worden war. Gesunde Teilnehmende überschätzten ihre eigene Kraft im Schnitt, vermutlich da die motorischen Signale dieser selbst-erzeugten Handlung abgeschwächt wurden. Betroffene von Schizophrenie hingegen waren besser darin, die gleiche Kraftintensität auszuüben, die zuvor erlebt worden war. Die sensorischen Reize – ob von außen oder durch eigene Motorbefehle erzeugt – schienen nicht erheblich anders verarbeitet zu werden. Die Signale durch eigene Bewegungen wurden bei ihnen nicht abgeschwächt. Diese Dysfunktion führt dazu, dass selbst erzeugte Reize nicht als solche identifiziert werden, wodurch das Gefühl entstehen kann, dass eine externe Kraft Kontrolle über den eigenen Körper oder Geist hat [2].

Dieses Empfinden, nicht der eigene Urheber der Gedanken oder Handlungen zu sein, kann schwerwiegende Folgen haben: Es kann das Vertrauen in das eigene Erleben erschüttern und Wahnvorstellungen von Manipulation oder Gedankeneingriff begünstigen. Das Gehirn versucht stets aus dem Erlebten ein koherentes Gesamtbild zu weben und Erklärungen für die komischen Erfahrungen zu finden. Die gestörte Efferenzkopie könnte daher nicht nur für die Entstehung auditiver Halluzinationen verantwortlich sein, sondern auch eine Erklärung für das Empfinden externer Kontrolle liefern – eine zentrale Problematik vieler Menschen mit Schizophrenie.

Im Falle von Wahnvorstellungen zeigt sich womöglich außerdem noch der Einfluss anderer neurologischer Abweichungen bei Schizophrenie. Wie bereits beschrieben, kann ein Dopaminüberschuss dafür verantwortlich sein, dass unwichtige Informationen überbewertet werden und schließlich aus den Fehlinterpretationen des Hirns Wahnvorstellungen erwachsen. [5]

Die Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen

Das Hören von Stimmen kann für Menschen mit Schizophrenie extrem belastend sein. Manche Stimmen sind kritisch oder bedrohlich und verstärken Ängste und Unsicherheiten. Andere geben Befehle, die Betroffene manchmal zu einem risikoreichen Verhalten verleiten, mit dem sie sich selbst in Gefahr bringen. Doch auch „neutrale“ Stimmen, die Verhalten und Erleben der Person kommentieren, können das tägliche Leben erschweren, da sie ständige Ablenkung und Unruhe verursachen.

Die Erkenntnisse über gestörte Efferenzkopien und sensorische Vorhersagen geben Hoffnung, dass wir immer mehr die Mechanismen hinter dem komplexen Krankheitsbild der Schizophrenie sowie sonstig auftretenden Psychosen verstehen. Dies eröffnet nach und nach neue uns bessere Behandlungsansätze, um Betroffene gezielt und ursächlich behandeln zu können. Bis wir die Ursachen der Erkrankung aber richtig verstanden haben, ist noch einiges an Forschung von Nöten.

Fazit

Zusammenfassend deuten die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse darauf hin, dass auditive Halluzinationen und das Gefühl externer Kontrolle bei Schizophrenie auf grundlegende Störungen in der Verarbeitung von Efferenzkopien zurückzuführen sind. Normalerweise ermöglicht dieser neuronale Mechanismus eine klare Unterscheidung zwischen selbst erzeugten und externen Reizen, doch bei Schizophrenie-Patienten ist dieser Mechanismus gestört. Dadurch können innere Sprache und eigene Bewegungen als fremd wahrgenommen werden, was sowohl das Hören von Stimmen als auch das Erleben von Fremdsteuerung nach sich ziehen kann.

Dies zeigt, wie komplex und zugleich fragil die Prozesse sind, die uns helfen, zwischen Innenwelt und Außenwelt zu unterscheiden. Wenn diese Prozesse aus dem Gleichgewicht geraten, können unsere eigenen Gedanken zu etwas Fremdem werden – eine Erfahrung, die Betroffene als tief beunruhigend erleben. Die Wissenschaft ist auf einem guten Weg, dieses Rätsel weiter zu entschlüsseln und damit neue Hoffnung für die Behandlung von Schizophrenie zu schaffen.

Quellen

[1] Amsalem, D., Yang, L. H., Jankowski, S., Lieff, S. A., Markowitz, J. C., & Dixon, L. B. (2021). Reducing Stigma Toward Individuals With Schizophrenia Using a Brief Video: A Randomized Controlled Trial of Young Adults. Schizophrenia Bulletin, 47(1), 7–14. https://doi.org/10.1093/schbul/sbaa114

[2] Bansal, S., Ford, J. M. & Spering, M. (2018). The function and failure of sensory predictions. Annals Of The New York Academy Of Sciences, 1426(1), 199–220. https://doi.org/10.1111/nyas.13686

[3] Comer, University Ronald J. (2016). Fundamentals of abnormal psychology (8th ed.). W.H. Freeman.

[4] corollary discharge. (2004, 4. August). Lexikon der Neurowissenschaft. https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/corollary-discharge/2412#:~:text=corollary%20discharge%20%5BE%5D%2C%20Parallelentladung,ausgef%C3%BChrte%20Handlung%20verglichen%20werden%20kann

[5] Gründer, G. & Cumming, P. (2016). The Dopamine Hypothesis of Schizophrenia. In Elsevier eBooks (S. 109–124). https://doi.org/10.1016/b978-0-12-801829-3.00015-x

[6] innere Sprache. (2004, 4. August). Lexikon der Neurowissenschaft. https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/innere-sprache/6099#:~:text=innere%20Sprache%2CEinner%20speech%2C%20inner,und%20Verdichtung%20der%20syntaktischen%20Gliederung

[7] Janoutová, J., Janácková, P., Serý, O., Zeman, T., Ambroz, P., Kovalová, M., Varechová, K., Hosák, L., Jirík, V., & Janout, V. (2016). Epidemiology and risk factors of schizophrenia. Neuro endocrinology letters37(1), 1–8.

[8] Khachadourian, V., Zaks, N., Lin, E., Reichenberg, A., & Janecka, M. (2021). Advanced paternal age and risk of schizophrenia in offspring – Review of epidemiological findings and potential mechanisms. Schizophrenia research233, 72–79. https://doi.org/10.1016/j.schres.2021.06.016

[9] Rummell, B. P., Bikas, S., Babl, S. S., Gogos, J. A., & Sigurdsson, T. (2023). Altered corollary discharge signaling in the auditory cortex of a mouse model of schizophrenia predisposition. Nature communications14(1), 7388. https://doi.org/10.1038/s41467-023-42964-2

[10] Schizinfo. (2022, 28. Februar). Herkunft des Begriffs «Schizophrenie» – Schizinfo. https://schizinfo.com/de/krankheit/herkunft-des-begriffs-schizophrenie/

Beitragbild: Foto von David Herlianto

Antonia Ceric

Veröffentlicht von

Ich heiße Antonia Ceric und studiere im Master Neurowissenschaften an der Uni Frankfurt. Während ich in meinem Psychologie-Bachelor die neuronalen und psychologischen Grundlagen der Wahrnehmung und unseres Gehirns kennenlernen durfte, konnte ich mich parallel im Kunststudium an der HfG Offenbach dem Bereich auch aus einer philosophischen Perspektive nähern. Durch meinen interdisziplinären Hintergrund interessieren mich besonders Grenzbereiche, wo die Neurowissenschaft auf andere – etwa geisteswissenschaftliche und kreative – Felder trifft oder das Verständnis unseres Hirns plötzlich im Alltäglichen überrascht.

3 Kommentare

  1. @Hauptartikel

    „Wenn diese Prozesse aus dem Gleichgewicht geraten, können unsere eigenen Gedanken zu etwas Fremdem werden – eine Erfahrung, die Betroffene als tief beunruhigend erleben.“

    Hört sich wirklich interessant an. Wenn man wieder besser zwischen Selbsterzeugtem und von außen Erzeugtem unterscheiden kann, bessert sich ja auch der Zustand wieder entscheidend. Die meiste Zeit ist man mit einer Schizophrenie ja dennoch ganz gut dabei, die Krisenzeiten sind eher in der Minderheit.

    Einen gewissen Konflikt mit dem, was in unterschiedlichen Bereichen des eigenen Gehirns produziert wird, hat man allerdings auch als Gesunder. Das kann ziemlich konfliktreich sein, was zu einem konkretem Thema an internen Sichtweisen zusammenkommt. Das zu integrieren und zu einem konsequentem Schluss und einer eindeutigen Reaktion auf der Handlungsebene zu bringen, kann Tage oder Monate brauchen. Oder in dauerhafter Ratlosigkeit verbleiben.

    Entsprechend wissen wir uns auch auf vielen Gebieten gar nicht gut eingerichtet, und meiden dann auch einfach bestimmte Situationen und gehen bestimmten Entscheidungen nach Möglichkeit aus dem Weg.

    Entsprechend desorientiert auf wesentlichen Gebieten kann man auch mit psychischer Gesundheit sein.

    Die Dynamik von Paarbeziehungen etwa überfordern uns doch regelmäßig. Oder gerade wenn jetzt im Alter von 27 bis 35 Jahren eine endgültige Berufsfestlegung ansteht, wird es wirklich schwierig.

    Ebenso ist Lebensbedrohliches auch schwer belastend, für die meisten Menschen, in mehr oder weniger allen Lebenslagen.

    Dass hier akuter Megastress akute Psychosen fördert, ist ja nun auch bekannt. Ich denke, dass es auch auf die Integrationsleistung ankommt, mit der man eben fertig werden kann oder auch gerade dann nicht.

    Die Medikamente helfen meistens ganz gut, reichen aber öfter nun mal leider nicht. Warum, ist jetzt auch keine einfache Frage.

  2. Danke für diese Darstellung des Hintergrunds von Fehlwahrnehmungen bei aktuell an Schizophrenie erkrankten. Tatsächlich lässt sich Schizophrenie nicht auf eine neurohormonelle Störung reduzieren, sondern es handelt sich um ein äusserst komplexes Bild, wobei auch eine Entwicklungsstörung des Hirns eine Rolle spielen könnte, was dann etwa die Häufigkeit einer ersten schizophrenen Episode im frühen Erwachsenenalter miterklären könnte.
    Mir scheint, es sollten noch mehr Untersuchungen im Zusammenhang mit der These einer gestörten Efferenzkopie und des Corollary Discharge durchgeführt werden um besser zu verstehen was ihre Rolle bei einem Schizophrenischub ist. Interessant wäre etwa eine Untersuchung bei Patienten mit Halluzinationen ohne Schizophrenie. Es gibt nämlich ansonsten gesunde Personen, die immer wieder unter starken Halluzinationen leiden, die aber wissen, dass es Halluzinationen sind, die sich also nicht täuschen lassen. Die Fragestellung könnte hier sein, ob auch bei diesen Fällen eine gestörte Efferenzkopie eine Rolle spielt oder ob bei diesen Patienten ein anderer Mechanismus am Werk ist.

    • Danke für Ihren Kommentar und es freut mich, dass Ihnen der Artikel gefallen hat. Viele Fragen bleiben im Zusammenhang mit Schizophrenie, aber auch Psychosen jeglicher Art weiterhin offen. Und da es sich um ein so vielseitiges, komplexes Krankheitsbild handelt, ist es unwahrscheinlich, dass sich die zahlreichen Symptome durch einen einzigen Mechanismus erklären lassen. Hormonelle Aspekte können hier sicherlich eine Rolle spielen, wenn auch nicht alles erklären. Spannenderweise kommen einige Erkenntnisse hierüber aus Beobachtungen dazu, wie bestimmte Medikamente wirken, die sich auf das dopaminerge System auswirken. Der Zufall hat bei diesen Entdeckungen also wohl auch eine gewisse Rolle gespielt. Es herrscht viel Einigkeit darüber, dass Schizophrenie im Zusammenhang einer gestörten neurologischen Entwicklung betrachtet werden kann. Ebenso scheint es Abnormalitäten in der Konnektivität verschiedener Hirnbereiche zu geben. All diese Ansätze können aber nicht das gesamte Bild der Erkrankung erklären – oftmals erklären sie nur Teile der positiven Symptomatik, nicht aber negative Symptome. Hier ist noch sehr viel Forschung notwendig, um all dies genauer zu verstehen und Betroffene gezielter behandeln zu können. Schon jetzt wurden – wie im Artikel beschrieben – Unterschiede zwischen Patienten mit und ohne Halluzinationen beobachtet. Offen bleibt auch, welche neurologischen Unterschiede zwischen aktiven psychotischen Episoden und anderen Phasen bestehen, was natürlich schwieriger zu beobachten ist, da die entsprechenden Episoden abgepasst werden müssen. Auch auf neuronaler und molekularer Ebene sind weiterhin viele Fragen offen, ebenso viel wird aber auch an Lösungen gearbeitet. Es bleibt abzuwarten.

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +