Schokolade, Weingummis und Co. – Gibt es eine Zuckersucht?

Der erste Monat des neuen Jahres neigt sich dem Ende zu und vielleicht hat sich ja der eine oder andere von euch als Neujahresvorsatz vorgenommen, weniger Zucker zu konsumieren. Doch das ist manchmal gar nicht so einfach, wie man denkt. Zucker wird nachgesagt, er würde neurobiologische Änderungen im Gehirn hervorrufen, auf erschreckend ähnliche Weise, wie es Drogen tun. Stimmt das? Gibt es wirklich “Zuckerjunkies”, die nach ihrer persönlichen Droge in der Süßwarenabteilung des Supermarktes um die Ecke suchen?
Sucht beschreibt ein Verlangen nach Substanzen, die einen berauschenden, sehr angenehmen, jedoch nur kurz anhaltenden körperlichen Effekt hervorrufen, der auf Dauer jedoch schädlich ist. Wenn das Verlangen so groß wird, dass man die Kontrolle verliert und weiterhin die Substanzen konsumiert, kann man von einer Abhängigkeit sprechen. Eine substanzgebundene Drogenabhängigkeit von Heroin, Kokain, LSD und Co. ist den meisten von euch vermutlich bekannt, doch einige Untersuchungen lassen nun vermuten, dass man auch von Zucker abhängig werden kann (1–3).
Das Thema ist aktueller denn je. Übergewicht, und auch daraus resultierende Krankheitsbilder wie Typ II Diabetes, spielen eine immer größer werdende Rolle weltweit, und Zucker hat maßgeblich dazu beigetragen (1,4). Nach Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation sollte man täglich nicht mehr als 50 Gramm Zucker (ca. zehn Teelöffel) zu sich nehmen – der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland lag 2022/23 jedoch bei etwa 90 Gramm pro Tag (5)! Sind wir möglicherweise alle längst zuckersüchtig, ohne es zu wissen?
Was ist Zucker?
Jeder kennt ihn, doch was genau ist Zucker eigentlich?
Saccharose, der normale Haushaltszucker, besteht aus Glucose und Fructose, und gehört zu den Kohlenhydraten. Die Glucose (griechisch „glukos“ = süß), auch Traubenzucker genannt, kommt in diversen Lebensmitteln vor und wird von unserem Körper als Energiereserve gespeichert (9). Evolutionär betrachtet haben wir eine Vorliebe für süßen Geschmack (4,6,7). Vermutlich entwickelte sich eine Präferenz für Zucker, da dieser in Pflanzen reichlich verfügbar war (6). Außerdem haben Menschen Aversionen gegenüber bitteren und sauren Geschmäckern entwickelt, die verdorbenes oder giftiges Essen angezeigt haben, was die Vorliebe für süße Nahrung ebenfalls begünstigt hat (4,8). Vielleicht mögen wir deswegen Zucker so sehr: weil unsere Vorfahren ihn zum Überleben brauchten – oder weil Gummibärchen einfach leckerer sind als Blätter und Wurzeln.
Doch die Welt hat sich verändert. Wir sind nicht mehr mühsam auf Nahrungssuche, denn im Supermarkt ist Zucker in den verschiedensten Formen jederzeit verfügbar (die Weihnachtssüßigkeiten sind ja bekannterweise auch schon im September in den Regalen zu finden). Bestimmt kennt ihr das Gefühl, nicht an der ewig langen Supermarktwand der Süßwarenabteilung vorbeilaufen zu können, ohne etwas in den Einkaufswagen zu legen. Vor lauter Angebot weiß man gar nicht, wonach man am besten greifen soll. Aber ist das denn so schlecht? Ist Zucker nicht auch wichtig für unseren Körper?
Nutzen und Gefahren von Zucker
Die Antwort darauf ist ja! Das menschliche Gehirn macht ca. zwei Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht aber ungefähr 20 Prozent der aus Glucose gewonnenen Energie. Zucker ist demnach der Hauptenergielieferant unseres Körpers und dient als lebensnotwendiger Baustein für verschiedene Moleküle im Körper (10). Außerdem sorgt die Glucose durch verschiedenste biochemische Prozesse für eine einwandfreie Kommunikation zwischen Synapsen und beeinflusst direkt die Neurotransmitterproduktion (12).
Doch auch wenn Zucker essenziell für uns ist, kann ein übermäßiger Zuckerkonsum schädlich sein und zu ernsthaften Krankheitsbildern führen. Forscher fanden heraus, dass zu viel Zucker nicht nur zu veränderter Stimmung und Nervenschädigungen führt, sondern auch Depressionen und Angststörungen fördern kann (13,14). Durch das Verstopfen von Synapsen und einer somit verlangsamten Signalweiterleitung sei auch das Erinnerungs- und Gedächtniszentrum im Gehirn betroffen (14). Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass ein übermäßiger Zuckerkonsum mit einem höheren Pankreaskrebsrisiko in Verbindung steht (15).
Das mesolimbische Belohnungssystem
Doch was genau passiert, wenn wir Zucker aufnehmen, und noch wichtiger: Kann man süchtig danach werden?
Die Geschmacksknospen unserer Zunge nehmen süßliche Aromen wahr und leiten die Informationen mittels Aktionspotentialen über die sensorischen Bahnen weiter in das Gehirn, wo ein kompliziertes Netz aus verschiedenen Arealen aktiviert wird, die die Geschmacksinformationen verarbeiten (16).
Ob wir einen Geschmack als angenehm oder ungenießbar wahrnehmen, wird hauptsächlich durch das mesolimbische Belohnungssystem gesteuert (4). Das Belohnungssystem ist ein großflächiges Verschaltungsareal im Gehirn, welches unter anderem an Lernen, Motivation und besonders an Belohnungen beteiligt ist, indem Neurone der ventralen tegmentalen Area Dopamin in den Nucleus Accumbens ausschütten (17–19). Dopamin ist ein Neurotransmitter, also ein Botenstoff, der bei der Signalweiterleitung von einer Synapse (Präsynapse) zu einer weiteren Synapse (Postsynapse) in den sogenannten synaptischen Spalt ausgeschüttet wird. Die Menge der Ausschüttung von Dopamin spielt eine zentrale Rolle im Belohnungs- und Verstärkungslernen und ist vielen auch als „Glückshormon“ bekannt (20). Die meisten Drogen fördern die Dopaminausschüttung bzw. verzögern dessen Abbau im synaptischen Spalt, wodurch das durch Dopamin ausgelöste Glücksgefühl länger bestehen bleibt (22).

Wieso können wir nur schwer Zucker widerstehen?
Und auch Zucker scheint Einfluss auf die Dopaminausschüttung im Gehirn zu haben. Studien zufolge kommt es bei einem übermäßigen Zuckerkonsum zu Veränderungen der Aktivität des mesolimbischen Belohnungssystems (1,23). Untersuchungen ergaben, dass es bei Probanden mit einem stärkeren Verlangen nach Zucker zu einer erhöhten Dopaminausschüttung im Gehirn kam (1,12). Studien an Ratten zeigten, dass Zucker das Belohnungssystem sogar stärker aktiviert als Kokain und Ratten das Zuckerwasser dem Kokain vorgezogen haben (27,28)!
Bedingt durch den evolutionären Hintergrund wird von unserem Gehirn Zucker ebenfalls als Belohnung („natural reward“) eingestuft und es kommt zu einem positiven Feedback-Loop (29). Zucker verstärkt unsere Motivation, die süße Versuchung erneut zu wählen, indem vermehrt Dopamin ausgeschüttet wird, was zu weiterem Zuckerkonsum führt (12,21). Mit anderen Worten: Wir greifen immer wieder zu, essen mehr und mehr (oder wer von euch hat schon mal nur einen Schokobon gegessen?). Zuckerkonsum scheint stark verstärkende Effekte auf die Ausschüttung von Dopamin zu haben, was mit suchtähnlichem Verhalten verglichen werden kann (26–28).
Aber ist das jetzt Beweis genug, dass es eine Zuckersucht gibt?
Fazit
Alles in allem ist sich die Wissenschaft noch nicht einig, ob es eine Zuckersucht gibt, besonders, da „Sucht“ von jedem anders definiert wird. Es gäbe zwar Hinweise darauf, dass Zucker im Gehirn ähnliche Veränderungen wie Drogenkonsum bewirke (3,12,23,27), doch trotzdem bedarf es noch intensiver Forschung (1,3). Zucker jedoch mit einer erwiesenermaßen süchtig machenden Substanz wie Kokain oder Heroin zu vergleichen, ist nach aktuellem Stand der Dinge noch nicht gerechtfertigt. Trotzdem ist festzuhalten, dass übermäßiger Zuckerkonsum gesundheitliche Konsequenzen mit sich bringt und man sich bewusst sein sollte, dass Zucker nicht so harmlos ist, wie seine Süße einem vielleicht vorschwindeln mag.

Daher gilt: Weniger ist mehr. Man sollte besonders auf versteckte Zuckerquellen im Alltag achten, die vielen nicht bewusst sind. Denn auch in Lebensmitteln, von denen man es zuerst nicht ahnt, kann sich eine ganze Menge Zucker verstecken. Dazu gehören unter anderem Ketchup, löslicher Cappuccino, Fruchtjogurt, Gurken aus dem Glas, Rotkohl, Joghurtdressing und auch Sekt.
Zucker testet nicht nur unseren Geschmackssinn, sondern auch unsere Selbstbeherrschung. Wenn man die richtige Dosierung findet, dürfen Süßigkeiten unbedenklich genossen werden, und wie bei so vielem im Leben ist eine ausgewogene Balance die Lösung.
Tipps zum Schluss
Falls du jetzt auf der Suche nach Ersatzprodukten von Zucker bist, schau doch mal hier vorbei. Ansonsten zeigt dieser Artikel, wie man eine Dopaminausschüttung im Körper ohne die Aufnahme von Zucker anregen kann. Hilfreiche Tipps, weniger Zucker zu essen, findest du hier.
Außerdem findest du weitere spannende Informationen zu Sucht und Glückshormonen in unseren Blogbeiträgen “Sucht – Alle Macht den Drogen” und “Die Depression und das Serotonin“.
Literatur
1. De Jong JW, Vanderschuren LJ, Adan RA. The mesolimbic system and eating addiction: what sugar does and does not do. Curr Opin Behav Sci. 1. Juni 2016;9:118–25.
2. DiNicolantonio JJ, O’Keefe JH, Wilson WL. Sugar addiction: is it real? A narrative review. Br J Sports Med. 1. Juli 2018;52(14):910–3.
3. Westwater ML, Fletcher PC, Ziauddeen H. Sugar addiction: the state of the science. Eur J Nutr. 1. November 2016;55(2):55–69.
4. Kral TVE, Rauh EM. Eating behaviors of children in the context of their family environment. Physiol Behav. 14. Juli 2010;100(5):567–73.
5. BLE – Pressemitteilungen – Versorgungsbilanz: Weniger Zucker verbraucht [Internet]. [zitiert 17. Januar 2025]. Verfügbar unter: https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/240207_Zucker.html
6. Higginson AD, McNamara JM, Houston AI. The starvation-predation trade-off predicts trends in body size, muscularity, and adiposity between and within Taxa. Am Nat. März 2012;179(3):338–50.
7. Ramirez I. Why do sugars taste good? Neurosci Biobehav Rev. 1. Juni 1990;14(2):125–34.
8. Beauchamp GK. Why do we like sweet taste: A bitter tale? Physiol Behav. 1. Oktober 2016;164:432
9. Breslin PAS. An Evolutionary Perspective on Food and Human Taste. Curr Biol. 6. Mai 2013;23(9):R409–18.
10. Vannucci SJ, Maher F, Simpson IA. Glucose transporter proteins in brain: delivery of glucose to neurons and glia. Glia. September 1997;21(1):2–21.
11. Mergenthaler P, Lindauer U, Dienel GA, Meisel A. Sugar for the brain: the role of glucose in physiological and pathological brain function. Trends Neurosci. Oktober 2013;36(10):587–97.
12. Wiss DA, Avena N, Rada P. Sugar Addiction: From Evolution to Revolution. Front Psychiatry [Internet]. 7. November 2018 [zitiert 8. Januar 2025];9. Verfügbar unter: https://www.frontiersin.org/journals/psychiatry/articles/10.3389/fpsyt.2018.00545/full
13. Baumann M. Luzerner Zeitung. 2017 [zitiert 8. Januar 2025]. ERNÄHRUNG: Was Zucker mit unserem Gehirn anstellt. Verfügbar unter: https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/ernaehrung-was-zucker-mit-unserem-gehirn-anstellt-ld.82483
14. Murakami T, Yoshida T, Matsui T, Ohki K. Wide-field Ca2+ imaging reveals visually evoked activity in the retrosplenial area. Front Mol Neurosci [Internet]. 8. Juni 2015 [zitiert 18. Januar 2025];8. Verfügbar unter: https://www.frontiersin.org/journals/molecular-neuroscience/articles/10.3389/fnmol.2015.00020/full
15. Larsson SC, Bergkvist L, Wolk A. Consumption of sugar and sugar-sweetened foods and the risk of pancreatic cancer in a prospective study2. Am J Clin Nutr. 1. November 2006;84(5):1171–6.
16. Avery JA, Liu AG, Ingeholm JE, Riddell CD, Gotts SJ, Martin A. Taste Quality Representation in the Human Brain. J Neurosci. 29. Januar 2020;40(5):1042–52
17. Salamone JD, Correa M. Dopamine/adenosine interactions involved in effort-related aspects of food motivation. Appetite. 1. Dezember 2009;53(3):422–5.
18. Neuron-type-specific signals for reward and punishment in the ventral tegmental area | Nature [Internet]. [zitiert 17. Januar 2025]. Verfügbar unter: https://www.nature.com/articles/nature10754
19. Dayan P, Niv Y. Reinforcement learning: The Good, The Bad and The Ugly. Curr Opin Neurobiol. 1. April 2008;18(2):185–96.
20. Breedlove SM, Watson NV. Behavioral neuroscience. International eighth edition. New York Oxford: Sinauer Associates, Oxford University Press; 2018. 643 S.
21. Avena NM, Rada P, Hoebel BG. Evidence for sugar addiction: Behavioral and neurochemical effects of intermittent, excessive sugar intake. Neurosci Biobehav Rev. 2008;32(1):20–39.
22. Edwin Thanarajah S, DiFeliceantonio AG, Albus K, Kuzmanovic B, Rigoux L, Iglesias S, u. a. Habitual daily intake of a sweet and fatty snack modulates reward processing in humans. Cell Metab. 4. April 2023;35(4):571-584.e6.
23. Spangler R, Wittkowski KM, Goddard NL, Avena NM, Hoebel BG, Leibowitz SF. Opiate-like effects of sugar on gene expression in reward areas of the rat brain. Mol Brain Res. Mai 2004;124(2):134–42.
24. Lenoir M, Serre F, Cantin L, Ahmed SH. Intense Sweetness Surpasses Cocaine Reward. PLoS ONE. 1. August 2007;2(8):e698.
25. Kelley AE, Berridge KC. The neuroscience of natural rewards: Relevance to addictive drugs. J Neurosci. 2002;22(9):3306–11.
26. Liu WW, Bohórquez DV. The neural basis of sugar preference. Nat Rev Neurosci. Oktober 2022;23(10):584–95.
27. Schneider LH. Orosensory self-stimulation by sucrose involves brain dopaminergic mechanisms. Ann N Y Acad Sci. 1. Januar 1989;575:307–19; discussion 319-20.
28. Thanarajah SE, Backes H, DiFeliceantonio AG, Albus K, Cremer AL, Hanssen R, u. a. Food Intake Recruits Orosensory and Post-ingestive Dopaminergic Circuits to Affect Eating Desire in Humans. Cell Metab. 5. März 2019;29(3):695-706.e4.
29. Lüscher C, Malenka RC. Drug-evoked synaptic plasticity in addiction: from molecular changes to circuit remodeling. Neuron. 24. Februar 2011;69(4):650–63.
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Meine Mutter findet den Artikel sehr interessant, vielen Dank für den Beitrag.
LG Torben