Huntington: vom Tanz zur Bewegungsarmut

Huntington ist eine seltene, aber verheerende Erbkrankheit. Erste Anzeichen der neurodegenerativen Erkrankung sind unwillkürliche, tanzartige Bewegungen – die Chorea –, die sich später in Bewegungsarmut verwandeln. Was mit kaum wahrnehmbaren Zuckungen beginnt, wächst zu einer unaufhaltsamen Erkrankung heran, ausgelöst durch ein einzelnes Gen.

Was ist Huntington?

Huntington, auch Chorea Huntington genannt, ist eine seltene, aber schwerwiegende neurodegenerative Erkrankung. Sie ist genetisch bedingt und betrifft vor allem die Basalganglien, eine tief im Gehirn gelegene Region, die für Bewegungssteuerung, Emotionen und kognitive Funktionen verantwortlich ist (Barry et al., 2022; Arsalidou et al., 2013). Die Erkrankung zeigt sich typischerweise zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr, kann jedoch in seltenen Fällen auch früher oder später auftreten (McColgan & Tabrizi, 2018). Huntington zeigt sich durch motorische, kognitive und psychische Symptome, besonders auffällig ist dabei die Chorea mit ihren unwillkürlichen, tanzähnlichen Bewegungen (Bates et al., 2015; Duff et al., 2007). Anders als viele andere neurologische Erkrankungen, bei denen Umweltfaktoren eine Rolle spielen, ist Huntington streng genetisch determiniert (Myers, 2004).

Symptome und Verlauf

Die Bewegungsstörungen beginnen oft subtil mit unwillkürlichen Zuckungen oder Bewegungen, die als Hyperkinesie bezeichnet werden. Mit Fortschreiten der Krankheit nehmen die Bewegungen ab, und die Patienten zeigen eine Bewegungsarmut, die als Hypokinesie bezeichnet wird (Deutsche Hirnstiftung, o.J.). Schluckstörungen führen häufig zu krankhafter Abmagerung (Pizzorni et al., 2022). Aufgrund der Schluckstörungen und der eingeschränkten Beweglichkeit steigt zudem das Risiko für Lungenentzündungen (Pneumonien), die bei der Huntington-Krankheit die häufigste Todesursache sind (Heemskerk & Roos, 2012). Die durchschnittliche Lebenserwartung nach Krankheitsmanifestation beträgt etwa 15 bis 18 Jahre (Caron et al., 2020).

Psychische Veränderungen beginnen oft unauffällig mit Antriebsstörungen, die sich durch Rückzug, Apathie oder Motivationsverlust äußern können. Im weiteren Verlauf treten impulsives Verhalten, emotionale Instabilität oder depressive Symptome auf. Suizidgedanken und -versuche sind bei einigen Patienten ein ernstzunehmendes Risiko (Duff et al., 2007).

Im Frühstadium zeigen Patienten oft leichte Gedächtnisstörungen und eine langsam abnehmende geistige Flexibilität. Diese Symptome werden häufig übersehen, da sie subtil beginnen. Mit der Zeit entwickelt sich jedoch eine deutliche kognitive Einschränkung, die bis zur Demenz fortschreiten kann. Patienten verlieren zunehmend ihre Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu planen, Entscheidungen zu treffen oder soziale Signale richtig zu deuten (Deutsche Hirnstiftung, o.J.).

Ursachen und Genetik

Während viele neurodegenerative Krankheiten auf einem komplexen Zusammenspiel genetischer und Umweltfaktoren beruhen, ist die Ursache von Huntington genetisch klar determiniert.

Die Ursache liegt in einer sogenannten CAG-Triplett-Expansion im Huntingtin-Gen auf Chromosom 4 (Testa & Jankovic, 2019). Unsere DNA besteht unter anderem aus vier Bausteinen: Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C). Drei dieser Bausteine hintereinander bilden ein Triplett, das eine bestimmte Aminosäure kodiert. Im Huntingtin-Gen kommt das CAG-Triplett mehrfach hintereinander vor. Bei gesunden Menschen wiederholt es sich bis zu 26 Mal. Bei Patienten mit Huntington sind es jedoch 40 oder mehr Wiederholungen. Diese übermäßigen Wiederholungen nennt man Triplett-Expansion (Myers, 2004).

Die Länge der Expansion korreliert mit dem Erkrankungsalter: Je mehr Wiederholungen, desto früher tritt die Krankheit auf.

Huntington wird autosomal-dominant vererbt: Jeder Mensch besitzt von jedem Gen zwei Kopien – eine von der Mutter und eine vom Vater. Bei dominant vererbbaren Krankheiten reicht ein krankhaft verändertes Gen aus, um die Krankheit auszulösen. Somit besteht ein 50-prozentiges Risiko, an Huntington zu erkranken, wenn ein Elternteil die Krankheit hat (Myers, 2004).

Fehlfaltung

Die CAG-Tripletts kodieren für die Aminosäure Glutamin. Durch die Expansion entstehen im Huntingtin-Protein lange Glutaminketten. Diese führen zu einer Fehlfaltung des Proteins, die wiederum die Funktion der Nervenzellen beeinträchtigt. Fehlgefaltete Proteine neigen dazu, sich in der Zelle anzusammeln und sogenannte Proteinaggregate zu bilden, die toxisch für die Zellen sind. Ein ähnlicher Mechanismus wird auch bei Parkinson beobachtet, dort sind es vor allem fehlgefaltete α-Synuclein-Proteine. Bei Huntington ist die Hauptauswirkung dieser Fehlfaltung die Degeneration bestimmter Neuronen im Striatum, insbesondere im Putamen (Morigaki & Goto, 2017).

Auch bei Parkinson kommt es zu fehlgefalteten Proteinen, mehr dazu findest du hier.

Anatomie

Das Striatum, ein Teil der Basalganglien, ist das Zentrum für Bewegungssteuerung, Motivation und Belohnungsverarbeitung. Innerhalb des Striatums ist besonders das Putamen betroffen (Morigaki & Goto, 2017). Der Verlust der Neuronen in dieser Region erklärt die typischen Bewegungsstörungen wie die Chorea sowie die später auftretende Bewegungsarmut (Guo et al., 2012). Auch kognitive und psychische Symptome lassen sich durch die Degeneration im Striatum und seinen Verbindungen zu anderen Gehirnregionen, wie dem präfrontalen Kortex, erklären (Montoya et al., 2006). Diese Verbindung ist entscheidend für Planung, Arbeitsgedächtnis und Impulskontrolle.

Therapie

Zur Kontrolle der Bewegungsstörungen werden vor allem sogenannte Dopaminantagonisten oder VMAT2-Inhibitoren eingesetzt, die die unwillkürlichen Bewegungen reduzieren können (Koch et al., 2020). Psychische Symptome wie Depressionen oder Angstzustände werden mit Antidepressiva oder anderen Psychopharmaka behandelt.

Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie sind wichtige Bestandteile der Behandlung. Sie helfen Patienten, ihre Beweglichkeit zu erhalten, die Sprech- und Schluckfähigkeit zu verbessern und den Alltag besser zu bewältigen. Kognitive Trainingsprogramme können das Fortschreiten von Gedächtnisstörungen etwas verlangsamen.

Mehr zu Huntington, Parkinson und Kreativität hier.

Quellen

Arsalidou, M., Duerden, E. G., & Taylor, M. J. (2013). The centre of the brain: Topographical model of motor, cognitive, affective, and somatosensory functions of the basal ganglia. Human Brain Mapping, 34(11), 3031–3054. https://doi.org/10.1002/hbm.22124

Barry, J., Bui, M. T. N., Levine, M. S., & Cepeda, C. (2022). Synaptic pathology in Huntington’s disease: Beyond the corticostriatal pathway. Neurobiology of Disease, 162, 105574. https://doi.org/10.1016/j.nbd.2021.105574

Bates, G. P., Dorsey, R., Gusella, J. F., Hayden, M. R., Kay, C., Leavitt, B. R., Nance, M., Ross, C. A., Scahill, R. I., Wetzel, R., Wild, E. J., & Tabrizi, S. J. (2015). Huntington disease. Nature Reviews Disease Primers, 1, 15005. https://doi.org/10.1038/nrdp.2015.5

Caron, N. S., Wright, G. E. B., & Hayden, M. R. (2020). Huntington disease. In M. P. Adam, J. Feldman, G. M. Mirzaa, et al. (Eds.), GeneReviews® [Internet]. University of Washington, Seattle. Retrieved September 27, 2025, from https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK1305/

Deutsche Hirnstiftung. (o. J.). Huntington-Krankheit: Symptome, Ursachen, Behandlung. Abgerufen am 27. September 2025, von https://hirnstiftung.org/alle-erkrankungen/huntington-krankheit/

Duff, K., Paulsen, J. S., Beglinger, L. J., Langbehn, D. R., & Stout, J. C.; Predict-HD Investigators of the Huntington Study Group. (2007). Psychiatric symptoms in Huntington’s disease before diagnosis: The Predict-HD study. Biological Psychiatry, 62(12), 1341–1346. https://doi.org/10.1016/j.biopsych.2006.11.034

Guo, Z., Rudow, G., Pletnikova, O., Codispoti, K. E., Orr, B. A., Crain, B. J., Duan, W., Margolis, R. L., Rosenblatt, A., Ross, C. A., & Troncoso, J. C. (2012). Striatal neuronal loss correlates with clinical motor impairment in Huntington’s disease. Movement Disorders, 27(11), 1379–1386. https://doi.org/10.1002/mds.25159

Heemskerk, A.-W., & Roos, R. A. C. (2012). Aspiration pneumonia and death in Huntington’s disease. PLoS Currents, 4, RRN1293. https://doi.org/10.1371/currents.RRN1293

Koch, J., Shi, W. X., & Dashtipour, K. (2020). VMAT2 inhibitors for the treatment of hyperkinetic movement disorders. Pharmacology & Therapeutics, 212, 107580. https://doi.org/10.1016/j.pharmthera.2020.107580

McColgan, P., & Tabrizi, S. J. (2018). Huntington’s disease: A clinical review. European Journal of Neurology, 25(1), 24–34. https://doi.org/10.1111/ene.13413

Montoya, A., Price, B. H., Menear, M., & Lepage, M. (2006). Brain imaging and cognitive dysfunctions in Huntington’s disease. Journal of Psychiatry & Neuroscience, 31(1), 21–29. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1325063/

Morigaki, R., & Goto, S. (2017). Striatal vulnerability in Huntington’s disease: Neuroprotection versus neurotoxicity. Brain Sciences, 7(6), 63. https://doi.org/10.3390/brainsci7060063

Myers, R. H. (2004). Huntington’s disease genetics. NeuroRx, 1(2), 255–262. https://doi.org/10.1602/neurorx.1.2.255

Pizzorni, N., Ciammola, A., Casazza, G., Ginocchio, D., Bianchi, F., Feroldi, S., Poletti, B., Nanetti, L., Mariotti, C., Mora, G., & Schindler, A. (2022). Predictors of malnutrition risk in neurodegenerative diseases: The role of swallowing function. European Journal of Neurology, 29(8), 2493–2498. https://doi.org/10.1111/ene.15345

Testa, C. M., & Jankovic, J. (2019). Huntington disease: A quarter century of progress since the gene discovery. Journal of Neurological Sciences, 396, 52–68. https://doi.org/10.1016/j.jns.2018.09.022

The Huntington’s Disease Collaborative Research Group. (1993). A novel gene containing a trinucleotide repeat that is expanded and unstable on Huntington’s disease chromosomes. Cell, 72(6), 971–983. https://doi.org/10.1016/0092-8674(93)90585-E

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Mein Name ist Ruzica Sedic und ich studiere Neurowissenschaften im Master an der Universität Düsseldorf. Während meiner Ausbildung zur biotechnologischen Assistentin und meinem Bachelor in Biologie habe ich meine Liebe zur Zellbiologie entdeckt. Deshalb finde ich den Zusammenhang zwischen zellulären Prozessen und neurologischen Phänomenen besonders spannend. Außerdem fasziniert mich, wie unser Gehirn im Alltag funktioniert und welche unglaublichen Leistungen es vollbringt - oft ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.

1 Kommentar

  1. Gentherapie durch Micro-RNA
    NATURE hat vor kurzem einen Artikel zur Verlangsamung der Huntington Krankheit veröffentlicht:

    Eine einmalige Gentherapie kann das Fortschreiten der Huntington-Krankheit deutlich verlangsamen und möglicherweise den Weg für die erste Behandlung ebnen, um den Verlauf dieser seltenen, vererbten Gehirnerkrankung zu verändern.

    In einer kleinen Studie mit 29 Menschen, die sich in den frühen Stadien des Huntington-bedingten Niedergangs befanden, sahen Teilnehmer, die eine hohe Dosis der Therapie direkt in ihr Gehirn erhielten, die Krankheit über drei Jahre hinweg um 75 % verlangsamt, verglichen mit denen in einer Kontrollgruppe.

    Im Fall der Gentherapie von uniQure verwendet die Behandlung ein harmloses Virus, um das Rezept für die Herstellung einer kurzen RNA-Sequenz, die als MikroRNA bekannt ist, direkt in Zellen in den betroffenen Teilen des Gehirns zu liefern. Die microRNA wurde entwickelt, um das defekte Huntingtin-Gen zu “mundtoten” – und die Zellen zu stoppen, die das fehlerhafte Protein produzieren – indem es die molekularen Anweisungen blockiert, die von dem Gen, das als mRNA bekannt ist, kodiert werden. Nach der Lieferung verbleiben die viruscodierten Anweisungen in den Zellen, die weiterhin die therapeutische MikroRNA produzieren.

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