Hangry – Gibt es das?

Ich fahre mit der Bahn von Köln nach Heidelberg und bin natürlich nicht überrascht, wenn die Bahn Verspätung hat. Normalerweise bleibe ich gelassen.
Doch gestern war es irgendwie anders. Ich koche innerlich. Ich verfluche in meinem Kopf alles und jeden: Den Zug, den Schaffner, die Gleise, die Bäume, einfach alles. Alles regt mich auf und vor Wut bin ich den Tränen nahe.
In Heidelberg angekommen, esse ich erst mal ein Brötchen und die Welt ist wieder in Ordnung. Ich hatte wohl richtig Hunger und war einfach hangry. Also hungry und angry.
Warum wird man manchmal wütend, wenn man hungrig ist? Oder bildet man sich das nur ein?

Wie entsteht Hunger?

Ja, klar… indem man nichts isst. Doch wie entsteht das Hungergefühl?
Zum einen sinkt der Glukosespiegel. Der Magen produziert das Hormon Ghrelin, welches dann als Signal von Nerven an den Hypothalamus im Gehirn weitergeleitet wird. Und der Magen knurrt.

Hangry nur eingebildet?

Nein. Forschende aus Cambridge konnten zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Hunger und negativen Emotionen gibt.
Das Team befragte 76 Menschen über drei Wochen hinweg zu ihrem subjektiven Empfinden von Hunger, Wut, Irritation und Stress.
Dabei kam heraus, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Hunger und Wut gibt. Interessanterweise, können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die negativen Gefühle anhand des „Hunger-Levels“ vorhersagen.

Auch Tiere können hangry werden. Studien untersuchten zu diesem Zweck das Sozialverhalten verschiedener Tiere, typische Versuchstiere sind Fruchtfliegen und Mäuse. Die Autoren einer Übersichtsarbeit zu diesem Thema stellten die Hypothese auf, dass eine Gruppe von Nervenzellen als „soziales Kontrollzentrum“ fungiert und Umweltreize (z.B. Nahrung) und sensorische Reize (z.B. Hungergefühl) miteinander integriert. Je nach Hungerzustand kann das Sozialverhalten bei Mäusen dann zwischen neugierig zurückhaltendem Verhalten (Riechen an einem Stimulus) und aggressiv konsumierendem Verhalten wechseln (z.B. Attackieren eines Stimulus). Auch bezogen auf den Menschen wird dabei ein Modell genutzt, dass ähnlich einem Entscheidungsbaum mit mehreren Stufen, langsame Eskalation bzw. Deeskalation des Sozialverhaltens von sozial zu asozial und aggressiv beschreibt, abhängig von hierarchisch angeordneten Reizen. Einer der wichtigen beeinflussenden Reize ist Hunger, gesteuert über Nervenzellen im Hypothalamus.

Warum wird man Hangry?

Dafür gibt es mehrere Theorien, warum manche Menschen wütend werden und die Selbstbeherrschung verlieren, wenn der Magen knurrt.
Eine Theorie zeigt auf den gesunkenen Glukose Spiegel im Blut. Wenn dieser fällt, kann der Körper in Stress geraten. Er schüttet dann Hormone aus, wie Cortisol und Adrenalin. Der niedrigere Insulinspiegel, welcher durch die Bauchspeicheldrüse kontrolliert wird, sagt dem Gehirn, dass der Körper was zu essen braucht.
Der Körper unter Stress ist dann reaktionsbereiter und unter Umständen auch aggresiv.

Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nennen weitere Ideen, warum man hangry wird, wie beispielsweise „Ego depletion“. Das soll bedeuten, dass Menschen, weil sie weniger Glukose im Blut haben, somit weniger Selbstkontrolle haben und deswegen negative Gefühle auslösen.
Ein anderer Ansatz geht davon aus, dass durch Hunger starke Gefühle erregt werden. Diese Gefühle werden dann als negative Emotion, wie Wut interpretiert.

Zum Schutz der Mitmenschen

Einfach was essen. Am besten was gesundes und was lange satt hält, wie z.b. Hülsenfrüchte, Eier oder Vollkornnudeln.

Referenzen

Benelam, B. (2009). Satiation, satiety and their effects on eating behaviour. Nutrition Bulletin, 34(2), 126–173. https://doi.org/10.1111/J.1467-3010.2009.01753.X
Bräcker, L. B., Siju, K. P., Varela, N., Aso, Y., Zhang, M., Hein, I., Vasconcelos, M. L., & Grunwald Kadow, I. C. (2013). Essential Role of the Mushroom Body in Context-Dependent CO2 Avoidance in Drosophila. Current Biology, 23(13), 1228–1234. https://doi.org/10.1016/j.cub.2013.05.029
Burnett, C. J., Li, C., Webber, E., Tsaousidou, E., Xue, S. Y., Brüning, J. C., & Krashes, M. J. (2016). Hunger-Driven Motivational State Competition. Neuron, 92(1), 187–201. https://doi.org/10.1016/j.neuron.2016.08.032
Livingstone, M. B. E., Robson, P. J., Welch, R. W., Burns, A. A., Burrows, M. S., & McCormack, C. (2000). Methodological issues in the assessment of satiety. Scandinavian Journal of Nutrition/Naringsforskning, 44(3), 98–103. https://doi.org/10.3402/FNR.V44I0.1776
Root, C. M., Ko, K. I., Jafari, A., & Wang, J. W. (2011). Presynaptic Facilitation by Neuropeptide Signaling Mediates Odor-Driven Food Search. Cell, 145(1), 133–144. https://doi.org/10.1016/j.cell.2011.02.008
Serotonin levels affect the brain’s response to anger | University of Cambridge. (n.d.). Retrieved November 24, 2022, from https://www.cam.ac.uk/research/news/serotonin-levels-affect-the-brain%E2%80%99s-response-to-anger
Swami, V., Hochstöger, S., Kargl, E., & Stieger, S. (2022). Hangry in the field: An experience sampling study on the impact of hunger on anger, irritability, and affect. PLOS ONE, 17(7), e0269629. https://doi.org/10.1371/JOURNAL.PONE.0269629

Weitere Links

https://www.quarks.de/gesundheit/ernaehrung/das-muss-passieren-damit-wir-satt-sind/


Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Mein Name ist Ina Mayländer und studiere zurzeit Neurowissenschaften im Masterprogramm an der Universität zu Köln. Während meines Bachelorstudiums der Biowissenschaften in Heidelberg, habe ich meine Begeisterung für das Gehirn finden dürfen. Ich möchte das Geschehen in der Wissenschaft um das hoch komplexe Organ verständlich an interessierte Leser weitergeben.

4 Kommentare

  1. William Shakespeare, The Tragedy of Julius Caesar:

    „Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, Mit glatten Köpfen, und die nachts gut schlafen.“

    Ist wohl besser solche Männer um sich zu haben für jemanden der sein Ruhe will als einen Haufen von „hangry“ men mit stechendem Blick und wildem Haar, die wie Krieger aussehen.

    David Bowie hatte ja eine Periode als Thin White Duke, in der er mehrere Jahre ein Körpergewicht von weniger als 45 Kilogramm besass. Das, was er als Thin White Duke ausstrahlte passt durchaus gut zu „hangry“ (Zitat):

    The Duke war ein hohler Mann, der Lieder der Romantik mit einer quälenden Intensität sang, während er nichts spürte, “trockenes Eis, das sich als Feuer tarnt”.[ 3] Die Persona wurde als “ein verrückter Aristokrat”,[3] “ein amoralischer Zombie”,[4] und “ein emotionsloser arischer Superman” beschrieben.

    Nun gut, Bowie war damals auch auf Amphetamin und Kokain.
    Dennoch: Als ausgehungertes Tier kann man schon aggressiver und stärker
    angry, furious, enraged, infuriated, raging, irate
    evil, angry, bad, wicked, nasty, mad
    annoyed, angry, exasperated, vexed, peeved, sore

    sein.

  2. Das wissen wir doch alles schon aus der Snickers-Werbung: “Du bist nicht du, wenn du hungrig bist” *duck und wegrenn*

  3. Bei Absinken des Blutzuckerspiegels wird man ja zitterig und fahrig (merkt jeder Diabetiker). Wenn es laenger andauert wird man aggressiv. Ich vermute ein evolutionsbedingtes Verhalten: mein Koerper will mir sagen, ich soll mal wieder ein wenig jagen um, meine Ernaehrung zeitnah zu sichern.

Schreibe einen Kommentar


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +