Haben Spinnen wirklich mehr Angst vor uns als wir vor Ihnen?

Neulich war ich bei Freunden zu Besuch, die etwas ländlicher leben als ich. Wir kennen uns schon seit Schulzeiten und verbrachten ein paar sehr schöne Tage damit zu wandern und uns gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen. Zum Schlafen wurde mir freundlicherweise ein Gästezimmer hergerichtet, das direkt an einen alten Schuppen angrenzt, und weil die Nächte schon langsam kühler wurden, wurde auch die Heizung in diesem Zimmer angestellt. Die wohlige Wärme schien aber nicht nur mich in Richtung des Bettes zu locken, sondern auch einen ungebetenen Besucher. Einen viel zu großen, achtbeinigen Besucher, um genau zu sein. Denn über meinem Bett thronte eine gigantische Spinne.

Ich muss an dieser Stelle betonen, wie ekelig ich Spinnen finde. So eklig, dass ich trotz des warmen Zimmers einen kalten Schauer auf meinem Rücken spürte. So ekelig, dass der wahrscheinlich harmlose Zeitgenosse in meiner arachnophoben Erinnerung mittlerweile mystische Ausmaße angenommen hat. So ekelig, dass ich beim Anblick dieses Exemplars auf der Stelle kehrt machte und meinen Freund bitten musste, das Ungeheuer zu entfernen. Er hatte schließlich den für deutsche Abiturienten obligatorischen Auslandsaufenthalt in Australien absolviert und kannt sich deshalb mit der fachgerechten Entfernung dieser Kreaturen bestens aus.

Als das Ungetüm beseitigt war, versuchte er, mich im Hinblick auf die kommende Nacht, die ich nun wohl oder übel in diesem düsteren Spinnenparadies verbringen musste, zu ermutigen. „Die Spinne hat viel mehr Angst vor dir, als du vor ihr!“, sagte er in diesem Ton, in dem nicht-arachnophobe Menschen so häufig versuchen, die irrationalen Ängste der Spinnenhasser zu beschwichtigen. Doch weil ich aus fünf Jahren an der Uni einen Dachschaden mitgenommen habe, der es mir unmöglich macht, lieb gemeinte Plattitüden nicht wörtlich zu nehmen, kam ich nicht umhin, mich zu fragen: „Stimmt das?!?“.

Können Spinnen überhaupt Emotionen wie die Angst empfinden? Wie soll man das messen? Und selbst falls dies der Fall sein sollte: Wie viel Angst haben Menschen vor Spinnen? Ist es vielleicht doch mehr als die Spinnen verspüren? Werfen wir also einen Blick in die neurowissenschaftliche und psychologische Literatur, um ein für alle Mal die Frage zu beantworten: Haben die Spinnen wirklich mehr Angst vor uns als wir vor ihnen?

Das Spinnenhirn

Unser erster Schritt sollte sein, uns zumindest grundlegend mit der Neuroanatomie der Spinne vertraut zu machen. Das mag für die Spinnenphobikerinnen und –Phobiker jetzt zwar unangenehm klingen, aber Wissen über Spinnen allein kann nicht krabbeln. Und wer weiß; vielleicht kann ein besseres Verständnis der Spinne ja dabei helfen, weniger Angst vor den Biestern zu haben. Also, los geht’s. Kenne deinen Feind:

Das zentrale Nervensystem von Spinnen kann in zwei grobe Ansammlungen von Nervenzellen, in der Fachsprache Ganglien genannt, unterteilt werden. Das Supraösophagealganglion liegt oberhalb (supra-) der Speiseröhre (ösophageal-) und entspricht dem Gehirn. Es umfasst etwa 60.000 Nervenzellen und wird auch etwas griffiger als Oberschlundganglion bezeichnet. Das Spinnenhirn wird durch ösophageale Bahnen mit dem Subösophagealganglion oder Unterschlundganglion verbunden.

Nervensystem einer Weiblichen Springspinne.
Bildquelle: David Edwin Hill via Wikimedia Commons

Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den Forschenden beschweren, die sich die Namen Ober- und Unterschlundganglion ausgedacht haben. Das sind zweifelsohne die gruseligsten neuroanatomischen Bezeichnungen, die ich je gelesen habe, und sie helfen mir kein bisschen dabei, meine Spinnenangst zu überwinden; 0 von 10, would not recommend.

Aus dem Hirn entspringen vier Paare von optischen Nerven, die Informationen aus den acht Augen transportieren, und ein Paar an Nerven, die die Cheliceren, also die Kieferklauen der Spinnen, versorgen. Aus dem Unterschlundganglion entspringen die Nerven, die für den Körper der Spinnen zuständig sind. Vier Paare versorgen die Beine und diverse weitere Nerven versorgen die Organe und den Rest des Opisthosoma, also des Spinnenbauchs. Ein weiteres Paar versorgt den sogenannten Pedipalpus, ein zusätzliches Paar an Extremitäten welche neben den Kieferklauen nah am Kopf der Spinne liegen, also eine Art von Kopfbeinen. Als ob acht Beine nicht schon mehr als genug wären.

Wie ähnlich sind wir einander?

So weit, so grotesk. Dennoch komme ich nicht umhin zu bemerken, dass es zwischen dem Spinnenhirn und unserem Nervensystem auch einige Überschneidungen gibt. In beiden Fällen entspringen aus dem Hirn Nervenpaare, die die motorischen und sensorischen Funktionen des Kopfbereichs übernehmen. Und in beiden Fällen entspringen aus tiefer liegenden Anteilen des zentralen Nervensystems die Bahnen, die die Extremitäten und den Bauch versorgen. Nur versorgen die Hirnnerven bei uns eben Gesichter, die lachen, weinen und sprechen können, und bei den Spinnen so charmante Körperteile wie Kieferklauen und Kopfbeine [1].

Schauen wir allerdings noch einmal genauer auf das Spinnenhirn, so zeigt die Literatur, dass es in drei Bereiche unterteilt werden kann. Der vorderste Teil, das Tritocerebrum, enthält vor allem die Nerven der Kopfbeine und der mittlere Teil, das Deutocerebrum, enthält vor allem die Nerven der Kieferklauen. Nur im dritten und hintersten Teil des Spinnenhirns, dem Protocerebrum, finden sich die Nerven, die für unsere Fragestellung interessant sein dürften. Denn hier, so vermutet man, werden die zahlreichen sensorischen Inputs aus den Augen und Beinen integriert und die motorischen Antworten koordiniert. Hier findet die komplexe Verschaltung des Nervensystems statt.

Das stellt natürlich einen riesigen Unterschied zum menschlichen Gehirn dar, welches einen großen Teil seiner Rechenkapazität für höhere kognitive Funktionen reserviert und viel mehr Areale zur Kombination von Sinneseindrücken hergibt [2]. All diese Areale finden wir bei der Spinne aber nicht. Auch die Hirnregionen, die am wichtigsten für unsere Emotionen sind, wie die Amygdala oder der Hippocampus, fehlen bei den Achtbeinern. Dazu aber später mehr.

Können Spinnen denken?

Wir halten also fest, dass nur ein kleiner Teil des zentralen Spinnennervensystems mit höheren Funktionen betraut ist. Der absolute Großteil leitet „nur“ sensorische Informationen weiter oder verteilt motorische Befehle an die unangenehm hohe Zahl von Extremitäten. Wenn man das so sieht, dann liegt die Vermutung nahe, dass Spinnen rein reflexartig handeln. Ein Input führt zu einem eindeutigen Output: ein simpel gestrickter sensomotorischer Automat. Allerdings entspricht diese Annahme keineswegs der gängigen Meinung von Forschenden in diesem Feld.

Wie sich vielleicht vermuten lässt, ist das Feld der neurowissenschaftlichen Forschung zur „Gedankenwelt“ der Spinne ein eher kleiner Forschungsbereich. Nur wenige Forscherinnen und Forscher haben die Nerven aus Stahl, die es braucht, um sich tagtäglich mit unserem achtbeinigen Todesfeind, der Spinne, auseinanderzusetzen. Jedoch war ich überrascht davon, wie clever und detailliert die Forschung zur Spinnenkognition ist. Hier werden Labyrinthe gebastelt, in denen tote Beutetiere versteckt werden, um die Spinnen mental herauszufordern. Dort werden Spinnen vor die Wahl von Beutetieren gestellt und verschiedene Partnertiere zur Paarung angeboten.

An anderer Stelle werden die Lernfähigkeiten von Spinnen untersucht, indem myrmecophageale Spinnen (also Ameisenfresser) auf einer Fruchtfliegendiät aufgezogen werden. Letzteres resultiert übrigens tatsächlich in Nahrungspräferenzen, die der evolutionären Spezialisierung dieser Spinnenart widersprechen [3]. Spinnen können also dazu erzogen werden, weniger nahrhafte Nahrung zu bevorzugen… Verrückt. Eine Zusammenfassung dieses überraschend faszinierenden Bereiches findet sich in den Reviews „Spider Cognition“ und „Extended Spider Cognition“ aus den Jahren 2011 und 2017 respektive [4, 5]. In diesen Übersichtsarbeiten kommen die Autoren Jackson und Cross sowie Japyassu und Laland zu dem Schluss, dass die Komplexität des mentalen Innenlebens der Spinne lange unterschätzt wurde.

Eine beeindruckende Springspinne

Besonders gut erforscht ist dabei die Spinnenart Portia fimbriatia, eine Springspinne, die sehr gut sehen kann und besonders komplexes Jagdverhalten aufweist. Die Portia ernährt sich am liebsten von anderen, kleineren Spinnen und legt auf der Jagd nach ihren entfernten Artgenossen sehr beeindruckende Strategien an den Tag. Sie schleicht sich über Umwege an, selbst wenn sie dabei ihr Beutetier für einige Zeit aus den Augen verliert. Sie seilt sich auf die Netze der anderen Spinnen ab und imitiert dort die Vibrationen von im Netz gefangenen Beutetieren, um ihre Opfer aus der Reserve zu locken. Diese Strategie verfolgt sie manchmal über Tage hinweg, bis sie Erfolg zeigt.

Portia Fimbiata.
Bildquelle: Donald Hobern via Wikimedia Commons

In Laborexperimenten war sie in der Lage, Aussichtspunkte zu nutzen, um sich zu orientieren und den richtigen Weg zu einer Belohnung ausfindig zu machen. Dies bedeutet, dass Spinnen dazu in der Lage sind, innere Repräsentationen ihrer Umwelt zu erzeugen und auch über einige Zeit aufrecht zu erhalten. Sie können lernen und haben Zugriff auf eine Form von Aufmerksamkeit und Fokus. Dies bedeutet auch, dass sie unwichtige Dinge ausblenden können. Und was genau sie für wichtig erachten kann trainiert werden.

Achtung: Anthropomorphisierungsgefahr!

Mit diesen Informationen im Kopf könnte man nun versucht sein zu schlussfolgern, dass die Spinnen ähnlich wie wir dazu in der Lage sind, zu planen und nachzudenken. Hierbei rufen die Autorinnen und Autoren beider Übersichtsarbeiten aber zur Vorsicht auf.

Spinnen nehmen die Welt nicht auf die gleiche Weise wahr, wie wir es tun. Ihre Sinnesorgane sind sehr verschieden von den unseren. Zum Beispiel hat die Portia Sensoren auf ihren Beinen, mit denen sie schon kleineste Veränderungen im Luftstrom wahrnehmen kann. Sie fühlen Klang in der Luft, nehmen chemische Signale mit höchster Präzision wahr und spüren schon kleinste Vibrationen in ihrem Netz.

Kurzum: Die Welt einer Spinne ist selbst in ein und derselben Umgebung eine andere als die unsere. Das gilt natürlich für die allermeisten Tierarten, weshalb der Vergleich zwischen unserer Innenwelt und dem von Tieren immer hinkt. Wird das übersehen, so spricht man von der Anthropomorphisierung, also Vermenschlichung von Tieren, und dies wollen die Spinnenforscher natürlich vermeiden. Die Art und Weise, in der eine Spinne etwa einen Weg zu ihrer Beute in ihrem winzigen Gehirn behält, ist also höchstwahrscheinlich ganz grundsätzlich von unserer Art zu planen verschieden. Dennoch finden diese Prozesse statt.

Wir haben nun gelernt, dass Spinnen zu komplexeren mentalen Prozessen in der Lage sind, als einmal vermutet wurde. Spinnen haben anscheinend ein inneres Bild ihrer Umwelt, auch wenn dieses Bild unserer Wahrnehmung der Welt grundlegend fremd ist.

Wie sieht es nun mit der Angst aus?

All das ist ganz zweifellos sehr spannend, sagt uns allerdings noch nichts darüber, ob Spinnen Emotionen wie die Angst tatsächlich empfinden. Leider konnte ich auch keine Studien finden, die sich spezifisch mit den Emotionen der Spinne beschäftigen. Was es aber gibt, sind Forschungsteams, die sich mit der emotionalen Welt anderer, wirbelloser Tierarten auseinandersetzen.

Ein wirbelloses Tier, welches wahrscheinlich besser erforscht wurde als alle anderen zusammen, ist die Drosophila. Wir alle kennen sie, falls wir schon mal im Sommer unser Obst zu lange an der frischen Luft gelassen haben, denn der essigartige Geruch faulender Früchte zieht die Drosophilae in großen Schwärmen an. Die Rede ist natürlich von der gemeinen Fruchtfliege. Wegen ihrer kurzen Fortpflanzungsdauer ist sie ein äußerst beliebter Modellorganismus in der Genetik und auch in den Neurowissenschaften. Sie wird häufig zur Klärung von Fragestellungen in der Grundlagenforschung genutzt; wie etwa bei Fragestellungen zu den molekularen Mechanismen von Emotionen.

Beispielsweise ist es gut dokumentiert, dass Fruchtfliegen angstkonditioniert werden können. Dies bedeutet, dass man ihnen beispielsweise die Vermeidung bestimmter Gerüche antrainieren kann, indem man diese Gerüche wiederholt mit leichten Elektroschocks kombiniert. Außerdem flüchten die Fliegen verlässlich, wenn man große Objekte über ihnen hinwegbewegt – wahrscheinlich, weil dies den Reiz eines herbeifliegenden Vogels simuliert.

Zählt das schon als Angst?

Allerdings merken die Neurowissenschaftler Ralph Adolphs und David Anderson in ihrem Lehrbuch The Neuroscience of Emotion zurecht an, dass Vermeidungsverhalten noch nicht zwangsläufig einen unterliegenden emotionalen Zustand impliziert. Stattdessen könnte Fluchtverhalten durch eine direkte neuronale Verschaltung zwischen den Sinnessystemen und dem für die Flucht notwendigen Bewegungsapparat kontrolliert sein [6]. Wie sie erklären, ist dies bei der Fruchtfliege auch zumindest teilweise der Fall, denn das Hirn der Drosophila ist mit einem großen Interneuron verbunden, welches über elektrische Synapsen eng mit den Bewegungsnerven verschaltet ist und so die rapide Reaktionszeit ermöglicht, die es so schwierig macht, die nervigen Tierchen wegzuscheuchen.

Für einen emotionalen Zustand wie die Angst, welche ja eine ganze Reihe von neuronalen und körperlichen Systemen moduliert, bräuchte es aber so etwas wie ein zentrales Verarbeitungssystem für bedrohliche Reize. Ein ebensolches System war lange nicht bekannt, allerdings weist eine Studie aus dem letzten Jahr auf einen möglichen Kandidaten hin!

Ein emotionales Zentrum im Insektenhirn?

Eine Gruppe von Forschenden aus Taiwan fand nämlich eine kleine Population von Neuronen im Protocerebrum der Fruchtfliegen, die auf leichte Elektroschocks reagieren. Wir erinnern uns, ein Protocerebrum finden wir auch im Gehirn der Spinne. Diese Neuronen im Protocerebrum werden nicht für die direkte, reflexhafte Fluchtreaktion gebraucht. Werden sie gehemmt, so flieht die Fliege unverändert rasch vor dem Schock. Stattdessen brauchten die Fliegen diese Hirnregion, um auf den Schock hin chemische Signale zu produzieren, die wiederum andere Fliegen vor den Schocks warnten, und somit eine Art soziales Lernen ermöglichen.

Interessanterweise war die Aktivität dieser Neurone auch bei Zuschauerfliegen, die selbst keinem Schock ausgesetzt waren notwendig, um die chemischen Signale der geschockten Fliegen richtig zu interpretieren und die Warnsignale zu verstehen. Dies weist also stark darauf hin, dass es so etwas wie ein primitives emotionales Zentrum auch bei wirbellosen Tieren gibt, und dass dieses Zentrum negative Reize auch in Abwesenheit einer direkten Bedrohung interpretieren kann [7].

Nun wurden diese Ergebnisse bei Spinnen noch nicht wiederholt. Allerdings haben die meisten Spinnen ein größeres Gehirn als die Fruchtfliege. Außerdem ist die chemische Kommunikation zwischen Spinnen ebenfalls üblich und auch die Angstkonditionierung mit Elektroschocks funktioniert bei Spinnen [8]. Eine primitive Version von Angst, im Sinne eines zentral vermittelten Zustands des Nervensystems, der Vermeidungsreaktionen und Vermeidungslernen kontrolliert, könnte es also durchaus auch geben.

Kleiner Exkurs:

Spannenderweise sind die Neurotransmitter, die wirbellose Tiere für die Vermittlung dieser „emotionalen“ Signale nutzen, oft dieselben, die sich auch in unseren Hirnen finden lassen. Dopamin, Serotonin und GABA finden sich bei Arthropoden ebenso wie beim Menschen. Nur anstelle von Noradrenalin haben sie den Transmitter Octopamin.

Das hat zur Folge, dass psychoaktive Substanzen, die beim Menschen wirken, auch Effekte auf Insekten und Spinnen haben. GABAerge Beruhigungsmittel wie Valium machen Fliegen ruhiger, und LSD führt bei Spinnen zum Bau von sehr chaotischen Netzen.

Die Angst vor Spinnen

So weit, so gut. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass Spinnen eine Spinnen-Version von Angst empfinden können, und da die allermeisten Spinnen leicht von einem Menschen zerquetscht werden könnten, ist es auch naheliegend, dass unsere Präsenz diese Angstreaktion auslösen kann. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie deshalb mehr Angst vor uns haben als umgekehrt. Um das zu erörtern, müssen wir uns ansehen, wie groß die menschliche Angst vor den Achtbeinern ist.

Erstmal muss man feststellen, dass kaum eine Angst vor Tieren so häufig ist wie die Angst vor Spinnen. Etwa 2 bis 6 % der Bevölkerung haben eine voll ausgeprägte Phobie vor Spinnen. Darüber hinaus schätzten in allen mir bekannten Studien der Großteil der Befragten, die keine klinisch relevante Spinnenangst haben, Bilder von Spinnen dennoch als angsteinflößender ein als andere Krabbeltiere oder sogar als erheblich gefährlichere Säugetiere, wie etwa den Bären.

Bildquelle: Pixabay

Zudem ist die Angst nicht die einzige negative Emotion, die Spinnen bei uns bewirken, denn eine ähnlich häufige Reaktion auf den Anblick der Krabbelbiester ist der Ekel. Eine Gruppe von Forschenden, die sich besonders häufig mit der Angst vor Spinnen auseinandersetzen, ist die Forschungsgruppe des tschechischen Ökologen Daniel Frynta. Hier wird die Spinnenangst an beeindruckend großen Stichproben psychologisch evaluiert.

Es zeigte sich dabei, dass die Angst die stärkere der beiden Reaktionen ist und wahrscheinlich den Ekel nach sich zieht. Die Angst geht wahrscheinlich davon aus, dass Spinnen als giftig und deshalb potentiell gefährlich wahrgenommen werden. Der Ekel, so vermutet man, stammt daher, dass Spinnen mit der Übertragung von Krankheiten assoziiert werden [9].

Woher kommt diese Angst?

Wie Frynta und sein Team allerdings immer wieder hervorheben, sind beide Emotionen technisch gesehen nicht begründet. Nur 0,5 % der Spinnen können dem Menschen gefährlich werden und auch für die Übertragung von Krankheiten gibt es keinen Beleg. Im Gegenteil können Spinnen uns sogar vor Schädlingen schützen. Dennoch, wie meine Mitbewohnerin gerne sagt: „Sie sind vielleicht keine Schädlinge, aber sie schaden unserer Seele!“ Trotz mangelndem biologischen Rückhalt fürchten wir die Biester mehr als andere Krabbeltiere.

In einer Studie aus dem Jahr 2021 zeigten Frynta und sein Team, dass Bilder von Spinnen mehr Angst und Ekel hervorrufen als Bilder von anderen Tieren in der gleichen Familie. Kakerlaken, Krabben, Tausendfüßler; Kaum ein Tier setzt uns so sehr zu wie die Spinne. Sie ziehen in Aufmerksamkeitstests unseren Fokus auf sich und lenken uns von der eigentlichen Aufgabe ab, wenn Bilder von ihnen am Rande unseres Blickfeldes eingeblendet werden. Sie bestärken unsere Ängste in Angstkonditionierungsexperimenten und rufen schon bei kleinen Kindern starke Reaktionen hervor. Man kann sogar zeigen, welche Körperteile der Spinne es sind, die uns zum Schütteln bringen. Die Kieferklauen (I knew it), der Bauch und lange Beine. All das steigert die Angst-Ratings, wenn sie auf Bildern vergrößert werden, und grundsätzlich gilt: je dicker und haariger, desto ekliger [9, 10].

Sind Skorpione die eigentlichen Übeltäter?

In Fryntas Team vermutet man, dass die Spinnenangst auf einen engen Verwandten der Spinne zurückgehen könnte: den Skorpion. Skorpione sind sehr viel gefährlicher als Spinnen, sind ihnen aber in vielerlei Hinsicht recht ähnlich. In einer anderen Studie zeigten Frynta und Kollegen, dass wir Skorpione als ähnlich fruchteinflößend einschätzen wie Spinnen, wenn auch als etwas weniger ekelig. Die Hypothese besagt nun, dass die Spinnenangst quasi eine über die Generationen hinweg generalisierte Skorpionangst ist. Dies ist zwar nicht abschließend belegt, ist aber dennoch ein spannender Gedanke.

Aber wer hat jetzt mehr Angst?!?

Auf einer rationalen Ebene würde ich sagen nun nach meiner Recherche sagen, dass die Ausgangsfrage dieses Blogbeitrags nicht wirklich zu beantworten ist. Zumindest nicht ohne eine unzulässige Vermenschlichung der Spinnen vorzunehmen. Aber weil ich in diesem Monat ohnehin konstant mit meinen emotionalen Impulsen ringen musste, um durch die Recherche zu kommen, nehme ich mir jetzt einmal heraus, ein weniger valides Fazit zu ziehen: Mehr Hirn, mehr Emotionen! Dementsprechend hier meine Nachricht an meinen wohlmeinenden Freund aus dem ersten Absatz: Siehst du Jules; Spinnen haben, wenn überhaupt, nur primitive Vorformen von Emotionen. Mir hingegen stimmen Tausende von tschechischen Probandinnen und Probanden zu. Menschen haben mehr Angst vor Spinnen als andersherum! Destroyed with facts and logic.

Um nun noch einmal auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen, habe ich aber auch noch ein paar kühlere Gedanken. Die Erforschung von Emotionen bei wirbellosen Tieren zeigt, wie komplex selbst die kleinsten Hirne sind und wie weit die evolutionäre Entwicklung zurückgeht, die uns die Primatenhirne beschert hat, die uns jetzt ermöglichen, über dieses Thema nachzudenken. Das ist faszinierend.

Ebenso faszinierend ist es, dass genau dieser Prozess des Nachdenkens der beste Weg sein kann, um gegen die Angst vor Spinnen vorzugehen. In der Studie von Zvarikova et al., die die furchteinflößendsten Teile der Spinnenantomie identifizierten, gab es nämlich ein weiteres beeindruckendes Ergebnis: Probandinnen, die einen Hintergrund in der Biologie hatten, hatten im Schnitt bedeutend weniger Angst vor Spinnen als diese, die sich nicht mit Biologie auskannten. Es scheint also so, als sei es das beste Mittel gegen die Angst vor Spinnen, die Spinnen besser verstehen zu lernen. Oder das Biostudium ist ein Sammelhaufen für Menschen ohne Spinnenangst. Eins von beidem 😉

Literaturverzeichnis

[1]   Babu K. S., Barth F. G.: Neuroanatomy of the central nervous system of the wandering spider, Cupiennius salei (Arachnida, Araneida). Zoomorphology 104, 344–359 (1984).

[2]   Steinhoff P. O. M., Harzsch S., Uhl G.: Comparative neuroanatomy of the central nervous system in web-building and cursorial hunting spiders. The Journal of comparative neurology 532, e25554 (2023).

[3]   Pekár S., Cárdenas M.: Innate prey preference overridden by familiarisation with detrimental prey in a specialised myrmecophagous predator. Die Naturwissenschaften 102, 1257 (2015).

[4]   Jackson R. R., Cross F. R.: Spider Cognition: Spider Physiology and Behaviour – Behaviour. Elsevier 2011.

[5]   Japyassú H. F., Laland K. N.: Extended spider cognition. Animal cognition 20, 375–395 (2017).

[6]   Adolphs R., Anderson D. J.: The neuroscience of emotion. A new synthesis. Princeton University Press, Princeton, New Jersey 2018.

[7]   Wu M.-S., Liao T.-W., Wu C.-Y., Hsieh T.-H., Kuo P.-C., Li Y.-C., Cheng K.-C., Chiang H.-C.: Aversive conditioning information transmission in Drosophila. Cell reports 42, 113207 (2023).

[8]   Peckmezian T., Taylor P. W.: Electric shock for aversion training of jumping spiders: towards an arachnid model of avoidance learning. Behavioural processes 113, 99–104 (2015).

[9]   Landová E., Janovcová M., Štolhoferová I., Rádlová S., Frýdlová P., Sedláčková K., Frynta D.: Specificity of spiders among fear- and disgust-eliciting arthropods: Spiders are special, but phobics not so much. PloS one 16, e0257726 (2021).

[10]  ZvaríkováM., ProkopP., ZvaríkM., JežováZ., Medina-JerezW., FedorP.: What Makes Spiders Frightening and Disgusting to People? Frontiers in Ecology and Evolution 9 (2021).

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Mein Name ist Florian Walter und ich studiere Neurowissenschaften im Master an der Uni Frankfurt. Während meines Bachelors in Psychologie und in meinen klinischen Praktika habe Ich ein großes Interesse an Fragestellungen rund um das Gehirn entwickelt. Am meisten interessieren mich die Bereiche der Psychopharmakologie und der klinischen Neurowissenschaft. Ich hoffe über diesen Blog etwas von meiner Begeisterung mit euch teilen zu können!

6 Kommentare

  1. Danke!
    Ich sammle solche Texte u.a. Deswegen um mein Buch zu Tierrechten zu “füttern”.
    Es wird immer leichter, allen Tieren Emotionen und gewisse Kognition zu zusprechen (und schwerer für die ‘Gegenseite’, sie zu verleugnen).
    🙂

    • Hallo, das ist wirklich ein super cooles finding.
      Es erinnert mich an dieses Paper, bei dem biphasischer Schlaf bei Oktopussen gezeigt wurde!
      Liebe Grüße,
      Florian Walter

  2. Interessant und informativ, sogar für jemanden, der sich selbst zuletzt recht viel mit Spinnenkognition befasst hat. Danke.
    Zwei Gedanken dazu:
    1. Vielleicht muss man Angst unterscheiden in das Angstgefühl und die rationale Bewertung. Es gibt ja Menschen, die keine oder weitgehend dysfunktionale Amygdalae haben und daher keine Angst fühlen. Aber diese Leute gehen trotzdem nicht bei halsbrecherischen Abenteuern drauf, weil sie kognitiv weiterhin gut einschätzen können, welche Tätigkeiten gefährlich sind. Letzteres könnte man auch einfach “Vorsicht” nennen, aber von außen sieht es aus wie Angst. In diesem Sinne ist es vermutlich tatsächlich schwer zu sagen, ob der Mensch oder die Spinne mehr Angst fühlt. Vielleicht ist die Frage auch sinnlos, denn wie will man Angst quantifizieren? Aber die Spinne hat jedenfalls mehr Grund zur Vorsicht.
    2. Ich bin ja selbst auch Arachnophobiker, bemühe mich aber seit vielen Jahren mit etwas Erfolg, das in den Griff zu bekommen. Eklig sind Spinnen für mich jedenfalls nicht. Und die Beschäftigung mit ihren faszinierenden Fähigkeiten hilft enorm, sie zu respektieren, zu schätzen, und in gewissem Maße auch zu mögen. Ich muss sie dazu ja nicht in die Hand nehmen . . .
    Ich hoffe, ich darf bei der Gelegenheit auf mein gerade erschienenes Buch “Das Bewusstsein der Tiere” hinweisen. Da geht es auch um Spinnen. Und um alle anderen Tiere auch.

    • Besonders viel Sinn ergibt die Frage auf jeden Fall nicht. Aber sie taugt mmn. als guter Aufhänger um mehr über die Hirne von Spinnen zu lernen.
      Es freut mich sehr, dass sie meinem Beitrag etwas abgewinnen konnten. Noch viel Erflog mit Ihrem Buch!
      LG,
      Florian Walter

  3. Das Leid ist eine intensive Größe wie zum Beispiel die Konzentration einer
    Substanz, und keine extensive Größe, wie zum Beispiel eine Substanzmenge.
    Intensive Größen sind nicht additiv, extensive Größen schon.
    Daher hat ein Mensch mit starkem Leid den ethischen Vorrang vor einer
    großen Anzahl von Menschen mit schwachem Leid, obwohl die letzteren
    rein rechnerisch auf eine größere Gesamtmenge von Leid kommen würden.
    —–
    Wenn man einen leicht verletzten Menschen mit einer schwer verletzten
    Spinne vergleicht, dann sind beim Menschen mehr Nervenzellen davon
    betroffen, als bei der Spinne.
    Bei der Spinne ist aber ein viel größerer Anteil ihrer Nervenzellen
    betroffen, als beim Menschen.
    Deshalb ist die Spinne ärmer.

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