Einblicke in die neuronale Stammzellforschung
Ärztinnen und Ärzte werden regelmäßig mit Krankheiten konfrontiert, deren Grausamkeit ans Gemüt geht. Epidermolysis Bullosa ist so eine Krankheit: die Haut der unheilbar Erkrankten reagiert bereits auf leichteste Kontakte und Reize mit Blasenbildung und Abschälung, sodass Infektionen, Narben und Schmerzen zum ständigen Begleiter werden. Die meisten Betroffenen sterben noch im Kindes- und Jugendalter. Umso erstaunlicher war 2021 die Meldung im renommierten New England Journal of Medicine, dass erstmals ein 7-jähriger Junge von seiner Krankheit geheilt werden konnte (1). Die Heilung: eine Retransplantation seiner eigenen Stammzellen.
Stammzelltherapien sind auf dem Vormarsch
Die Krankheitsursache bei Epidermolysis Bullosa liegt in fehlerhaften Genen, die den Proteinaufbau der Haut nicht mehr leisten können. Die Stammzelltherapie setzte dort an. Indem dem kleinen Patienten seine Stammzellen entnommen und ihnen gesunde Gene eingesetzt wurden (mittels der als ‚Genschere‘ geläufigen Methode CRISPR-Cas). Die modifizierten Stammzellen konnten ihm sodann retransplantiert werden. Im eigenen Körper produzierten sie dann gesunde, stabile Hautzellen – Blasen, Ablösungen und Schmerzen waren passé, der Patient geheilt.
Dies war nicht erste Fall, in dem Stammzellen eine schwierige Erkrankung heilen konnten. Bei der Sichelzellanämie legen Stammzellen, ähnlich wie bei Epidermolysis Bullosa, ein Gewebe falsch an. Nur sind es statt Hautzellen die roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Diese werden sichelförmig statt elliptisch gebaut, sodass sie sich verheddern, verklumpen und somit die Blutzirkulation stören und Infarkte auslösen können. Wie im Fall des hautkranken Jungen, konnte vor einigen Jahren am Uniklinikum Regensburg experimentell eine Patientin von ihrer Anämie geheilt werden. Auch ihr wurden eigene Stammzellen entnommen, modifiziert und wieder eingesetzt. Jüngst veröffentlichten die Regensburger eine Studie (2), bei der 29 von 30 Patientinnen und Patienten durch so geheilt werden konnten.
Hinsichtlich der Effektivität von Stammzelltherapien drängt sich für unzählige Patientinnen und Patienten die Frage auf: wäre eine neuronale Stammzellen als Therapie für Erkrankungen des Nervensystems auch möglich? Können wir so bald Alzheimer oder Parkinson heilen?
Was sind Stammzellen?
Um das Potential und die Perspektiven einer neuronalen Stammzelltherapie, z.B. für Alzheimer oder Parkinson richtig einordnen zu können, muss man einerseits die Funktion von Stammzellen im Allgemeinen und andererseits die Besonderheiten des Nervengewebes berücksichtigen.
Stammzellen definieren wir als Zellen, die noch nicht auf einen Gewebetyp festgelegt (determiniert) sind, sich also noch zu einer Vielzahl von Spezialzellen differenzieren können. Doch Stammzelle ist nicht gleich Stammzelle. Wir unterscheiden die omni- oder totipotenten Stammzellen von den pluri- und multipotenten Stammzellen. Aus einer omni- bzw. totipotenten Stammzelle kann ein vollständiger Organismus erwachsen, ein Beispiel wäre die befruchtete Eizelle. Pluripotente Stammzellen können sich noch in alle Gewebetypen differenzieren. Multipotente Stammzellen hingegen nur noch in die spezialisierten Zellen eines Gewebetyps wie z.B. Haut- oder Blutzellen. Ein letzter relevanter Typ sind die Oligopotenten Stammzellen, die sich nur noch in wenige Zelltypen eines Gewebetyps differenzieren können. Die meisten verbleibenden Zellen sind unipotent oder post-mitotisch, können also nur noch Zellen ihres eigenen Typs hervorbringen oder sind gar nicht mehr teilungsfähig.
In den meisten Körperregionen und Organen verfügt auch der ausgewachsene Mensch über Depots adulter, multipotenter Stammzellen, welche dafür sorgen, dort das Gewebe neu zu reproduzieren. Auch bei Verletzungen spielen sie eine wichtige Rolle, um verloren gegangenes Gewebe zu ersetzen. Wenn man sich nun neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer als ‚Verletzungen des Gehirns in slow-motion‘ vorstellt, dann ist die Frage vieler Patientinnen und Patienten, ob nicht neuronale Stammzellen helfen könnten, verständlich. So einfach ist es jedoch nicht.
Adulte Neurogenese – und Atombomben
Neurone sind in aller Regel post-mitotische Zellen, was bedeutet, dass sie sich überhaupt nicht mehr teilen. Theoretisch stirbt ein Mensch also mit der Anzahl an Neuronen, mit der er oder sie geboren wurde (abzüglich eines gewissen Zellverschleißes – riskante Kopfbälle beim Fußball sind ja aktuell wieder ein Thema). Lediglich die Synapsen haben das Potential, sich ständig neu zu vernetzen.
Obwohl sich diese Auffassung lange hielt, ist es mittlerweile Konsens, dass im Hippocampus, also dem für unser Gedächtnis maßgeblichen Areal, bis ins hohe Alter Neurogenese stattfindet, sich also neuronale Stammzellen weiter in Neurone differenzieren. Genau genommen etwa 1400 Zellen pro Tag, wie man durch die Atomwaffentests in der Zeit des Kalten Kriegs weiß.
Ein schwedisches Forschungsteam hatte nämlich die Gehirne von Verstorbenen aus der Zeit des Kalten Kriegs untersucht (3). In dieser Zeit reicherte sich die Atmosphäre wegen der Atomwaffentests mit dem radioaktiven Isotop C14 an, bekannt aus der Radiocarbonmethode aus der Archäologie, mit der durch die Zerfallsdauer rückberechnet werden kann, wie alt ein Fund ist. Nachdem C14 also durch die Atombomben verstärkt emittiert und von Menschen aufgenommen wurde, konnten die Forscherinnen und Forscher das Isotop in der DNA der Hippocampusneurone identifizieren und, wie bei einem archäologischen Fund, berechnen, wann die jeweiligen Neurone ihren ‚Geburtstermin‘ hatten. Die Schichtung zeigte, dass pro Tag etwa 700 Zellen pro Hirnhälfte (Hemisphäre) neu generierten. Für Patientinnen und Patienten in der Neuromedizin lautet die gute Nachricht demnach: Adulte Neurogenese findet tatsächlich alltäglich statt und wird beforscht.
Können neuronale Stammzelen therapeutisch genutzt werden?
Die schlechte Nachricht: 700 Zellen pro Hirnhälfte ist beim menschlichen Gehirn mit seinen 80-200 Milliarden Neuronen alles andere als viel, einen Hirntumor kompensiert man so jedenfalls nicht. Und da dieses Stammzellwunder vermutlich auf den Hippocampus begrenzt ist, nützt es bei Erkrankungen, die wie Alzheimer den gesamten Kortex erfassen, auch nichts. Die Transplantation solcher ‚Nischen-Stammzellen‘ wurde sogar an Mäusen versucht – ohne Erfolg. Wurden die Stammzellen außerhalb des Hippocampus verpflanzt, arbeiteten die daraus differenzierten Zellen nicht adäquat und starben häufig. Die Vorstellung, dass wir diese Neurogenese einfach ausweiten oder verstärken können, ist deshalb wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt.
Ein Hoffnungsschimmer aber bleibt: besser sieht es nämlich bei fetalen neuronalen Stammzellen und bei den nobelpreisgekrönten, im Labor induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC) aus, welche schon seit einiger Zeit Erfolge in der Grundlagenforschung an Mäusen verzeichnen. Um diese Erfolge und die Potential zukünftiger Therapien wird es in einem zweiten Artikel gehen.
Quellen
(1) Kueckelhaus, M., Rothoeft, T., De Rosa, L., Yeni, B., Ohmann, T., Maier, C., … & Hirsch, T. (2021). Transgenic epidermal cultures for junctional epidermolysis bullosa—5-year outcomes. New England Journal of Medicine, 385(24), 2264-2270.
(2) Frangoul, H., Locatelli, F., Sharma, A., Bhatia, M., Mapara, M., Molinari, L., … & Grupp, S. A. (2024). Exagamglogene Autotemcel for Severe Sickle Cell Disease. New England Journal of Medicine, 390(18), 1649-1662.
(3) Spalding, K. L., Bergmann, O., Alkass, K., Bernard, S., Salehpour, M., Huttner, H. B., … & Frisén, J. (2013). Dynamics of hippocampal neurogenesis in adult humans. Cell, 153(6), 1219-1227. https://doi.org/10.1016/j.cell.2013.05.002
Abbildung: Erceg Ivkošić, I., Fureš, R., Ćosić, V., Mikelin, N., Bulić, L., Dobranić, D., … & Primorac, D. (2023). Unlocking the Potential of Mesenchymal Stem Cells in Gynecology: Where Are We Now?. Journal of personalized medicine, 13(8), 1253.