Ein Tag in unserem Gehirn

Unser Gehirn ist ein hochkomplexes und leistungsfähiges Organ. Tag und Nacht ist es aktiv, verarbeitet Informationen, steuert unser Verhalten und ermöglicht uns das Erleben unserer Welt. Viele dieser Prozesse laufen im Hintergrund ab, ohne dass wir ihnen viel Beachtung schenken. Und doch sind sie essenziell für unseren Alltag.

In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf einen ganz normalen Tag – aus der Perspektive unseres Gehirns. Wir beleuchten einige zentrale neurobiologischen und neurokognitive Prozesse, die sonst unbemerkt ablaufen und entdecken komplexe Mechanismen hinter banalen Alltagserfahrungen. Im Laufe des Artikels findest du außerdem immer wieder Links zu weiterführenden Artikeln unseres Blogs, in denen du viele der Themen noch einmal genauer nachlesen kannst. Natürlich kann dieser Beitrag nur einen kleinen Bruchteil der unzähligen täglichen Vorgänge des Hirns im Überblick abbilden. Dennoch gewährt dieser Artikel einen kleinen Einblick in den Alltag unseres Denkorgans.

6:30 Uhr – Der Tag beginnt

Der Wecker klingelt, du wachst auf. Noch ganz verschlafen tappst du in die Küche. Wie an so vielen Tagen, geht der erste Griff an die Kaffeemaschine. Für viele ein ganz normaler Start in den Tag. Doch das Gehirn ist längst auf Hochtouren. Während du wartest, steigt dir der vertraute Duft von frischem Kaffee in die Nase – aber was passiert dabei eigentlich im Kopf?

Wie riechen wir?

Unsere Fähigkeit zu riechen basiert auf der Chemorezeption – der Wahrnehmung chemischer Moleküle aus unserer Umgebung über Geruch und Geschmack. Wenn du den Duft des Kaffees riechst, gelangen winzige Geruchsmoleküle aus der Luft in deine Nase. Dort treffen sie auf das olfaktorische Epithel, ein spezialisiertes Gewebe im Inneren unserer Nase. Hier sitzen Millionen von Riechzellen, die mit speziellen Rezeptoren ausgestatte sind. Die Rezeptoren sind empfindlich für unterschiedliche Moleküle. Sobald ein passendes Molekül an einen Rezeptor bindet, wird ein elektrisches Signal ausgelöst. Das entstehende Signal wird in den Riechkolben (olfaktorische Bulbus) im Gehirn weitergeleitet, wo wir die Signale in die Wahrnehmung eines bestimmten Geruchs übersetzen. [1]

Im Riechkolben sind die Informationen räumlich geordnet, ähnlich wie auf einer Landkarte. In dieser „odotopischen Organisation“ aktivieren ähnliche Gerüche benachbarte Bereiche. So entsteht ein Art Geruchskarte, die unser Gehirn schließlich interpretieren kann – in diesem Fall: frischer Kaffee.

In diesem Artikel erfährst du mehr darüber, wie Kaffee auf unseren Körper wirkt.

Das Hungergefühl

Noch während der Kaffee durchläuft, meldet sich dein Magen und du machst dir ein Müsli. Dein Hirn signalisiert: Hunger! Bei der kurzfristigen Steuerung des Essverhaltens spielen in erster Linie zwei Hormone eine entscheidende Rolle. Ist der Magen leer und besteht Energiebedarf, wird dort das Hormon Ghrelin produziert. Über den Blutkreislauf gelangt es ins Gehirn und wirkt hier besonders auf den Hypothalamus – ein Struktur im inneren des Hirns, die verschiedenste Stoffwechselprozesse unseres Körpers steuert. Das Ergebnis: Wir verspüren Hunger und begeben uns auf die Suche nach etwas zu Essen. [1]

Quelle

Das Müsli ist ausgelöffelt und im Bauch verschwunden – im Verdauungstrakt wird das Hormon Cholecystokinin (CCK) ausgeschüttet. Auch CCK wirkt auf den Hypothalamus. Es signalisiert nun wiederum das Sättigungsgefühl. Nach einem raschen Frühstück kann der Tag nun beginnen! [1]

7:30 Uhr – Auf zur Arbeit

Du trittst vor die Tür und wirst direkt überschwemmt von einer Fülle an Sinneswahrnehmungen: Die warme Frühlingssonne scheint dir ins Gesicht, die Vögel zwitschern und in der Luft liegt der Duft der ersten Blüten. All diese Reize fügt unser Hirn zu einem Gesamtbild zusammen, sodass wir etwa einen Frühlingsmorgen erleben können. Dieser Prozess nennt sich multisensorische Integration.

Multisensorische Integration beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, Informationen aus verschiedenen Sinnen – so wie Sehen, Hören, Riechen, Fühlen – zusammenzuführen. Erst in dieser Verknüpfung der Informationen zu einem sinnvollen Gesamtbild entsteht unser tatsächliches Erleben. Bestimmte Regionen des Hirns vor allem in den Temporal- und Parietallappen (seitlich und oben am Kopf) sind dafür verantwortlich, diese Sinneseindrücke miteinander zu verrechnen. [1]

Ein Schritt nach dem anderen – automatisches Gehen

Du machst dich auf den Weg zur Bahn, ein Schritt nach dem anderen, ohne darüber bewusst nachzudenken – aber wie funktioniert das eigentlich? Ganz automatisch tragen deine Beine dich den Gehsteig entlang. Der Automatismus des Gehens ist tatsächlich ein fest verankertes Muster in unserem Körper. Sogar Neugeborene besitzen bereits den Reflex, einen Fuß vor den anderen zu setzen, noch bevor sie sich selbst auf den Beinen halten können. Man nennt dies den Schreitreflex. [2]

Die zentrale Rolle spielt in diesem Prozess der Central Pattern Generator (CPG), ein neuronales Netzwerk im Rückenmark. Der CPG besteht aus Motoneuronen, sensorischen Neuronen und verbindenden Interneuronen. Diese bilden einen Kreislauf zwischen den Muskeln der Beine und dem Rückenmark. In einem abwechselnden Rhythmus feuern und pausieren die beteiligten Neuronen. Auf diese Weise fungiert der CPG wie eine Art Taktgeber. Abwechselndes Anspannen der entsprechenden Muskulatur, sowie kontrolliertes Entspannen führen zu einer Gangbewegung. Beim Gehen lassen wir uns also gewissermaßen dauerhaft kontrolliert nach vorne fallen und fangen uns rechtzeitig wieder auf. Dieser Rhythmus entsteht, auch ohne, dass das Gehirn jeden einzelnen Schritt steuern muss. Jedoch übernimmt es das „Fine-Tuning“ der Bewegung. [1]

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt

Als du einen Zebrastreifen überqueren möchtest, bremst ein Auto etwas zu spät und kommt gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Du erschreckst dich, dein Puls steigt rasant an, das Herz klopft. Schlagartig bist du hellwach. In Gefahrensituationen wird dein sympathisches Nervensystem ist aktiviert. Der „Sympathikus“ ist Teil des autonomen Nervensystem, dem Teil den wir nicht bewusst steuern können. Droht Gefahr, löst er eine „Fight-or-Flight“- Reaktion aus – Kampf oder Flucht. Herzfrequenz und Atmung steigen an, die Muskulatur der Extremitäten wird verstärkt durchblutet, die Pupillen weiten sich. Der Körper bereitet sich auf Aktion vor. Andere Prozesse, wie Verdauung und Immunsystem werden vorübergehend heruntergefahren, um die vorhandene Energie bestmöglich einzusetzen. [1]

Der Vorgang ist ein Schutzmechanismus, um in Gefahrensituation schnell reagieren zu können und die Gefahr abzuwenden. Wenn wir uns wieder entspannen, wird wiederum der Parasympathikus ausgelöst, der Gegenspieler der Sympathikus. Nun liegt der Fokus auf Stoffwechselprozessen und Regeneration.

Was für eine stressige Situation! Hier erfährst du mehr über die neurobiologischen Grundlagen von Emotionen. Wenn wir Angst haben, spielen nämlich noch andere Hirnbereiche wie die Amygdala eine entscheidende Rolle.

Neuronales Netzwerk der Tagträume

Endlich in der Bahn schaust du aus dem Fenster, lässt die Gedanken baumeln, versinkst in einem kurzen Tagtraum. In solchen Momenten, wenn du nicht gerade aktiv im Kopf planst oder dich fokussierst, schaltet sich das Default Mode Network (DMN) ein. Dies ist ein Netzwerk verschiedener Hirnregionen, das bei Tagträumen, inneren Monologen und Gedankenspielerein aktiv wird. Früher noch als Zeitverschwendung abgetan, wissen wir heute, dass diese Momente für das Gehirn wichtig zur Selbstreflexion und Verarbeitung emotionaler Prozesse sind.

8:00 Uhr – Lernen, Denken, Konzentrieren

Ob auf der Arbeit, in der Schule oder im Hörsaal: Jeden Tag lernen wir neue Dinge und konzentrieren uns. Beim Lernen und Denken laufen zahlreiche Prozesse gleichzeitig ab – vom Kurzzeitgedächtnis bis zur langfristigen Speicherung neuer Informationen im Langzeitgedächtnis. Speichern, Vergessen, Abrufen von Erinnerungen, ja selbst das kurzfristige Behalten von Informationen basiert im Grunde auf zellulären Prozessen im Gehirn.

Das Gehirn ist stetig im Wandel

Die Nervenzellen des Hirns sind über Synapsen miteinander verbunden, die über die Ausschüttung von Neurotransmittern Signale weiterleiten. Die Stärke der synaptischen Verbindungen verändert sich mit dem Lernen. Werden Bindungen häufig aktiviert, so werden diese gestärkt. Diese Fähigkeit zur Anpassung der synaptischen Verbindungen an die jeweiligen Anforderungen nennen wir synaptische Plastizität. Eine Form der Plastizität ist die eben beschriebene Langzeitpotenzierung (LTP). Der Mechanismus stärkt die Signalübertragung zwischen Neuronen und trägt so zur Festigung von Erinnerungen bei. Umgekehrt sorgt die Langzeitdepression (LTD) dafür, dass überflüssige oder irrelevante Verbindungen abgeschwächt werden. Diese dynamische Veränderung der neuronalen Verbindungen ermöglicht es uns, neue Informationen zu speichern und alte Erinnerungen bei Bedarf abzurufen. [1]

Das Gedächtnis können wir nicht nur auf zellulärer sondern auch auf kognitionspsychologischer Ebene betrachten. Wenn du mehr über die Struktur unseres Gedächtnisses erfahren möchtest, liest du hier mehr über das Gedächtnis allgemein und besonders das Vergessen. Und in diesem Artikel geht es um das Phänomen falscher Erinnerungen.

Aufmerksamkeit und Fokus

Wenn wir uns konzentrieren, müssen wir immer wieder unwichtige Informationen aus unserer Wahrnehmung ausblenden, um uns auf die relevanten Teile des Wahrnehmungsfeldes zu fokussieren. Diese Fähigkeit zu Filtern ist das, was wir als Aufmerksamkeit bezeichnen. Aufmerksamkeitsmechanismen haben starke Auswirkungen auf unsere Wahrnehmungsprozesse. Reize, auf die wir unsere Aufmerksamkeit lenken, werden von unserem Hirn genauer verarbeitet und so verstärkt wahrgenommen – wie ein Zoom-Effekt im Kopf. Starke, unerwartete Reize können unsere Aufmerksamkeit allerdings auch ohne unser Zutun einnehmen, zum Beispiel wenn wir einen plötzlichen Knall hören. [1]

Die allgemeine Aufmerksamkeit, das Arousal, wird maßgeblich vom noradrenergen System gesteuert. Dieses entspringt im „Locus coeruleus“, einem Punkt im Hirnstamm, wo Noradrenalin produziert wird. Noradrenalin ist ein Neurotransmitter, der in diesem Zusammenhang im noradrenergen System Arousal, Lernen, Gedächtnis und Motivation mit beeinflusst. [1]

Aber im Alltag funktioniert nicht immer alles wunderbar. Viele Menschen heutzutage erleben einen großen Alltagsstress. Dauerhaftes erreichbar Sein, Deadlines ohne Ende und dann kommt noch der Freizeitstress. Das geht auch an unserem Körper nicht ohne Weiteres vorüber. Mehr über die inneren Vorgänge in einer stressigen Arbeitswoche liest du hier.

12:30 Uhr – Mittagspause mit dem Team

Der Hunger ruft und gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen gehst du beim Imbiss um die Ecke essen. Einer deiner Kollegen erzählt von seinem Wochenende, das er sehr aktiv verbracht hat. Töpferkurs, Radtour, abends Konzert. Viele schöne Unternehmungen eigentlich, doch an seiner Stimme merkst du, dass er nicht nur froh darüber ist. Vielleicht hätte er auch gerne etwas Zeit zum Entspannen gehabt.

Menschen kommunizieren zu einem großen Teil über die Sprache. Zur Sprachwahrnehmung und -produktion haben wir spezialisierte Hirnareale, insbesondere das Broca-Areal (für Sprachproduktion) und das Wernicke-Areal (für Sprachverständnis), die in der linken Hirnhälfte lokalisiert sind. [1, 3]

Bei der Kommunikation kommt es allerdings nicht nur auf das an, was gesagt wird. Auch wie etwas gesagt wird, trägt maßgeblich zur Bedeutung bei. Die Prosodie – Sprachmelodie, Rhythmus, Betonung, Tempo – übermittelt Informationen über die emotionale Färbung des Gesagten. So können wir „zwischen den Zeilen lesen“ und Bedeutungsebenen im Dialog verstehen, die nicht direkt in den Worten stecken. So können wir auch erahnen, dass das Wochenende des Kollegen, so schön es war, wohl nicht ganz seinen Vorstellungen entsprochen hat. [5]

Arbeitsteilung bei der Sprachwahrnehmung

Während die Netzwerke zur Sprachverarbeitung und -produktion überwiegend in der linken Hirnhälfte zu verorten sind – etwa Broca- und Wernicke-Areal – wird die Prosodie stärker in der rechten Hemisphäre verarbeitet. Das Gehirn nimmt hier eine Art Arbeitsverteilung vor. Bei der Sprachverarbeitung müssen sowohl zeitliche als auch frequenzbezogene Informationen entschlüsselt werden. Es geht also um den Rhythmus und die Abfolge von Lauten (zeitlich) ebenso wie um Tonhöhen und Klangfarben (frequenziell). Da unser Gehirn diese beiden Dimensionen nicht gleichzeitig präzise auflösen kann, hat sich eine Spezialisierung der beiden Hirnhälften entwickelt. Die linke Hemisphäre ist besonders gut darin, zeitliche Veränderungen zu analysieren. Die rechte Hemisphäre hingegen ist besser darin, Tonhöhen und Melodien zu verarbeiten. In Kombination ermöglicht uns diese Spezialisierung, Sprache sowohl inhaltlich, als auch in ihrer emotionalen Bedeutung zu erfassen. [4]

15:00 Uhr – Nachmittagstief

Nach dem Mittag sinkt bei vielen die Energie. Konzentration fällt schwer, die Augenlider werden schwer. Manche machen einen Spaziergang, trinken Kaffee – oder greifen ganz automatisch zum Handy. Eine Runde TikTok, Instagram oder YouTube – und schon sind zehn Minuten (oder mehr) vergangen.

Soziale Medien mit ihren kurzen, schnell wechselnden Inhalten aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn – insbesondere durch die Ausschüttung von Dopamin. Das Hormon wird dann ausgeschüttet, wenn wir etwas als spannend, belohnend oder neuartig empfinden. Unser Gehirn liebt Belohnungen, vor allem, wenn sie unvorhersehbar sind. Der ständige Reizwechsel auf TikTok und Co. führt dazu, dass wir immer auf den nächsten „Kick“ warten – ein Mechanismus, der süchtig machen kann und unsere Aufmerksamkeitsspanne beeinträchtigt. Mehr dazu: Können Handys süchtig machen?

Statt am Handy zu Scrollen, entscheidest du dich also lieber für eine weitere Tasse Kaffee und etwas frische Luft. Mit frischer Energie geht es weiter und dem Feierabend entgegen.

17:30 Uhr – Zeit für Sport, Hobbies und Entspannung

Der Arbeitstag ist vorbei – endlich ist Zeit für dich. Auch wenn du nun Pause hast, dein Gehirn ist weiterhin am Arbeiten! Je nachdem wie du deine Freizeit gestaltest, beeinflusst du tatsächlich auch aktiv dein mentales Wohlbefinden und zugleich die Funktion deines Gehirns.

Ein Spaziergang, ein Workout oder eine Runde Tischtennis mit deiner Freundesgruppe – jede Form der Bewegung bringt nicht nur dein Herz-Kreislauf-System in Schwung. Auch dein Gehirn wird es dir danken. Die Durchblutung und somit die Versorgung des Hirns mit Sauerstoff und Nährstoffen wird gefördert. Zudem wird die Bildung des Proteins BDNF angeregt, des Brain-Derived Neurotrophic Factor. Dieser schützt Nervenverbindungen und stimuliert das Wachstum neuer Nervenzellen und Synapsen. Sport hält also auch den Geist fit [1]. In diesen Artikeln erfährst du noch mehr darüber, wie Freizeitaktivitäten wie Sport oder Musizieren, sich auf das Denkorgan auswirken.

20:00 Uhr – Couchabend

Nach dem Abendessen liegst du erschöpft mit deinem Lieblingsmenschen auf der Couch, um vor dem ins Bett gehen noch etwas zu entspannen. Vielleicht seid ihr im Gespräch, kuschelt oder genießt einfach nur die Nähe des anderen. Diese Momente der Nähe und Geborgenheit sind nicht nur schön, sondern auch neurobiologisch interessant.

Beim Kuscheln oder körperlicher Nähe wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Es stärkt soziale Bindungen, senkt den Cortisolspiegel – Cortisol ist das „Stresshormon“ – und fördert Vertrauen und Empathie zu unseren Liebsten. Ebenso wird vermehrt Serotonin ausgeschüttet, welches die Stimmung stabilisert. [1]

22:30 Uhr – Ab ins Bett

Nach einem langen Tag legst du schließlich müde ins Bett. Für die Müdigkeit verantwortlich ist das Hormon Melatonin. Es wird in der Zirbeldrüse, auch Epiphyse genannt, hergestellt. Die Produktion ist, solange wir Licht ausgesetzt sind – also am Tag – gehemmt. Ist es dunkel, trifft also kein Licht mehr auf die Netzhaut, wird dieser Vorgang unterbrochen und die Zirbeldrüse beginnt Melatonin auszuschütten. Das Hormon signalisiert in einem anderen Teil des Hirns, dass es Zeit ist zu schlafen: dem suprachiasmatischen Nucleus (SCN) des Hypothalamus. Der SCN ist sozusagen die zentrale innere Uhr unseres Körpers.  Er steuert den circadianen Rhythmus – die täglich wiederkehrenden Vorgänge des Körpers, so auch der Schlaf. [1]

Notiz: Nucleus ist das lateinische Wort für Kern. Nuclei beschreiben zusammengehörige Ansammlungen von Neuronen, die gemeinsam spezialisierte Aufgaben erfüllen. Im Gehirn finden sich zahlreicher solcher Nuclei. Um sich das besser vorstellen zu können, ist es wichtig, sich die einzelnen Areale und Teile des Hirns nicht als gesonderte Elemente vorzustellen. Vielmehr besteht das Hirn aus unzähligen Nervenzellen, die in einer bestimmten Form verschalten und angeordnet sind, woraus sich bestimmte Strukturen erkennen lassen, die die Neurowissenschaften benannt haben.

Der circadiane Rhythmus wird zwar von externen Zeitgebern, wie dem Tageslicht, beeinflusst. Das Besondere ist jedoch, dass ein ungefähr 24-Stunden-Takt auch ohne diese äußeren Einflüsse weiterhin bestehen bleibt. Über den circadianen Rhythmus werden verschiedene physiologische und Verhaltensprozesse geregelt. Erkennen können wir ihn beispielsweise an sich über den Tag verändernden Hormonspiegeln, Körpertemperatur, und viele mehr. Sogar Schmerzempfinden und Reaktionszeit sind nicht den ganzen Tag gleichbleibend. [1]

Schlafphasen und Träume

Für dich ist der Tag vorbei, doch in deinem Gehirn gehen noch immer einige Dinge von statten. Während du langsam einschläfst, verändert sich die Art und Weise wie dein Gehirn arbeitet. Diese Veränderungen lassen sich sichtbar machen – etwa mithilfe des EEG. Mehr zu dieser neurowissenschaftlichen Methode liest du hier. Die neuronale Aktivität unseres Hirns erzeugt je nach Bewusstseinszustand verschiedene Wellenmuster. Im wachen Zustand, wenn wir denken und uns konzentrieren, sind vor allem die Beta-Wellen zu beobachten. Diese schmal, schnell und eher zackig, was auf eine höhere mentale Aktivität hindeutet. Wenn du zur Ruhe kommst, beginnen sich diese Wellen zu verlangsamen. Beim Einschlafen verändert sich die Hirnaktivität und geht in langsamere, größere Wellen mit hoher Amplitude über – Delta- und Theta-Wellen. [1]

Der Schlaf ist kein einheitlicher Zustand, sondern verläuft in mehreren Phasen, die sich im Laufe der Nacht mehrmals wiederholen. Besonders spannend ist dabei die sogenannte REM-Phase – Rapid Eye Movement. Diese heißt so, da unsere Augen sich in dieser Schlafphase unter den Lidern schnell hin und her bewegen. Das Gehirn ist nun fast so aktiv wie im Wachzustand. In dieser Phase haben wir meisten und lebhaftesten Träume. [1]

Manche Menschen erleben in dieser Phase sogar „luzide Träume“. In diesen Träumen sind sie sich bewusst, dass sie träumen, und können das Geschehen teilweise aktiv beeinflussen. Wenn du ehr darüber wissen möchtest, was es mit diesen besonderen Bewusstseinszuständen auf sich hat, schaue dir doch diesen Artikel an.

Während des Schlafs finden allerdings auch wichtige physiologische Prozesse statt. Das Gehirn nutzt die Nacht unter anderem dazu, Abfallstoffe und überflüssige Stoffwechselprodukte aus dem Gehirn zu entfernen, welche sich tagsüber angesammelt haben. Zuständig ist hierfür das „glymphatische System“. Die Reinigungsprozesse spülen auch potentiell schädliche Substanzen wie das Beta-Amyloid aus unserem Denkorgan. Dieses wird mit Alzheimer in Verbindung gebracht. Schlaf ist daher auch für die Gesundheit unseres Hirns überaus wichtig. Mehr über das glymphatische System erfährst du hier.

Alltag in unserem Gehirn – dauerhaft im Einsatz

Unser Gehirn ist wohl das vielseitigste Organ unseres Körpers – es ist ein unermüdlicher und dauerhaft im Einsatz. Dabei erfüllt es die unterschiedlichsten Aufgaben, ohne dass wir davon großartig etwas mitbekommen würden. Ein ganz normaler Tag offenbart uns schon, welche komplexen Prozesse stetig im Hintergrund unseres Alltags ablaufen. Natürlich konnten wir in diesem Beitrag nur an der Oberfläche kratzen. Aber vielleicht hat dieser kleine Einblick gezeigt, wie viel in unserem Kopf wirklich passiert – und wie lohnenswert es ist, ab und zu mal genauer hinzuschauen. Denn je mehr wir über unser Gehirn wissen, desto besser verstehen wir nicht nur, wie wir funktionieren, sondern auch, wie wir gut für uns selbst sorgen können und wie wir die Welt um uns wahrnehmen.

Quellen

[1] Bear, M., Connors, B. & Paradiso, M. A. (2020). Neuroscience: Exploring the Brain, Enhanced Edition: Exploring the Brain, Enhanced Edition. Jones & Bartlett Learning.

[2] Dominici, N., Ivanenko, Y. P., Cappellini, G., D’Avella, A., Mondì, V., Cicchese, M., Fabiano, A., Silei, T., Di Paolo, A., Giannini, C., Poppele, R. E. & Lacquaniti, F. (2011). Locomotor Primitives in Newborn Babies and Their Development. Science, 334 (6058), 997–999. https://doi.org/10.1126/science.1210617

[3] Hickok, G., Poeppel, D. The cortical organization of speech processing. Nat Rev Neurosci 8, 393–402 (2007). https://doi.org/10.1038/nrn2113

[4] Albouy, P., Benjamin, L., Morillon, B. & Zatorre, R. J. (2020). Distinct sensitivity to spectrotemporal modulation supports brain asymmetry for speech and melody. Science, 367(6481), 1043–1047. https://doi.org/10.1126/science.aaz3468

[5] Sammler, D., Grosbras, M., Anwander, A., Bestelmeyer, P. E. & Belin, P. (2015). Dorsal and Ventral Pathways for Prosody. Current Biology, 25(23), 3079–3085. https://doi.org/10.1016/j.cub.2015.10.009

Quelle Beitragsbild

Antonia Ceric

Veröffentlicht von

Ich heiße Antonia Ceric und studiere im Master Neurowissenschaften an der Uni Frankfurt. Während ich in meinem Psychologie-Bachelor die neuronalen und psychologischen Grundlagen der Wahrnehmung und unseres Gehirns kennenlernen durfte, konnte ich mich parallel im Kunststudium an der HfG Offenbach dem Bereich auch aus einer philosophischen Perspektive nähern. Durch meinen interdisziplinären Hintergrund interessieren mich besonders Grenzbereiche, wo die Neurowissenschaft auf andere – etwa geisteswissenschaftliche und kreative – Felder trifft oder das Verständnis unseres Hirns plötzlich im Alltäglichen überrascht.

5 Kommentare

  1. Was für ein faszinierender Einblick in die tägliche Arbeit unseres Gehirns! 🧠 Danke für die verständliche Erklärung – ich habe einiges gelernt.

  2. Sehr schöner Artikel! Bei mir verläuft der Tag (allerdings) etwas anders. Ich bin (u.a. buddhistisch geprägter) Rentner (ohne Lieblingsmensch). Aber im Prinzip schon sehr zutreffend ge-/beschrieben …

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