Drohne erfolgreich durch Gedanken gesteuert: in die Zukunft mit Brain-Computer-Interfaces

Manchmal hat der Journalismus ein überraschend kurzes Gedächtnis. So ging vor wenigen Wochen die Nachricht viral, dass ein vom Hals abwärts gelähmter Patient nur mit seinen Gedanken eine virtuelle Drohne in einem Videospiel steuern konnte (1). Einem Forschungsteam der Universität Stanford gelang der Erfolg durch die Implantation von 96 Elektroden in das Gehirn des Patienten, dessen elektrische Signale so in Echtzeit übertragen und von einem Computer ausgelesen werden konnten – es entstand ein Brain-Computer-Interface (BCI).
So weit so gut, preisverdächtig, würde man denken. Nur waren wir vor einer Dekade schon weiter: bereits im Jahr 2013 gelang es Forscherinnen und Forschern der University of Minnesota, eine echte Drohne gedanklich sehr präzise fernzusteuern – und zwar nicht-invasiv, nur mittels EEG (Elektroenzephalographie) (2). Hier das entsprechende Video der Uni Minnesota:
Zugegeben, das Projekt von 2013 wurde an Gesunden durchgeführt. Doch gibt eigentlich keinen Grund anzunehmen, dass echte Patientinnen und Patienten von der Methode nicht profitieren könnten. Das EEG ist eines der ältesten neurowissenschaftlichen Messinstrumente (1924 am Menschen etabliert) und ein internationaler Standard in Forschung und Medizin. Es misst die elektrischen Signale des Hirns durch Elektroden, die per Kappe an der Schädeloberfläche angebracht werden. Da hier, anders als beim virtuellen Experiment, nichts in das Gehirn gesteckt werden muss, ist das EEG als Methode völlig risikofrei.
Mir persönlich scheinen die News aus Stanford deshalb eher marketingtechnisch motiviert zu sein. Doch der Fortschritt in Sachen BCI ist längst viel weiter – so weit, dass sich gravierende ethische Fragen am Horizont abzeichnen, die früher Stoff für Science-Fiction Filme waren. Doch dazu gleich mehr. Zunächst noch ein paar Beispiele echten Fortschritts von BCIs in der Medizin.
Brain-Computer-Interfaces: alles ist denkbar
Für ein BCI benötigt man mindestens eine Schnittstelle zwischen dem Gehirn als Sender und einem Computer als auslesender Empfänger. Bestimmte Signalmuster müssen dann einfach mit dem gewünschten Output kodiert werden. Am Beispiel der Drohnen: der Gedanke an Finger- und Handbewegungen in bestimmte Richtungen wurde vom Computer als Richtung für die Drohne interpretiert. Von diesem Grundmodell aus ist jedoch alles Mögliche denkbar – man kann z.B. via Bio-Feedback oder über einen Bypass verschiedenste Systeme ansteuern: Motorik, Sensorik oder auch Sprache.
Gedanken aus dem Gehirn an die Wirbelsäule – mit WLAN?
Ein Beispiel für einen besonders kreativen Bypass ist der Fall des Gert-Jan Oskam (3). Der 40-jährige war seit einem Fahrradunfall durch Verletzungen der Wirbelsäule paralysiert, kann jedoch dank eines BCI heute wieder laufen. Ein permanentes Elektrodenimplantat im Gehirn sendet – wireless – seine Gedanken an ein weiteres Implantat, diesmal in der (gesunden) Wirbelsäule. Stellt man sich die Wirbelsäule als Kabel vor, so wurde bei Gert-Jan Oskam quasi per WLAN der kaputte Teil des Kabels übersprungen. Das Signal aus seinem Gehirn hat die Verletzung überbrückt und wurde direkt an nachgeschaltete, gesunde Nervenbahnen gesendet. Die so gelungene Heilung von der Paralyse ist ein echtes Wunder der modernen Neurowissenschaft und der Neurochirurgie.
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Der Mensch wird nun Teil des Internets
Um Operationen am offenen Gehirn zu vermeiden, sind mittlerweile „Stentroden“ im Einsatz, also Sensoren, die man minimalinvasiv über die Blutbahn bis in die Hirngefäße vorschiebt (4). Dort können sie dann bleiben, nah am Cortex, und Signale immer noch auslesen. Diese Signale werden dann an einen Empfänger geschickt, der beispielsweise an der Brust implantiert ist und der die Signale interpretiert. Dieser Empfänger kann dann wiederum die gedankliche Aufforderung – natürlich wieder wireless – in jeden beliebigen Output umsetzen: in einem Smarthome könnte eine paralysierte Person so das Licht an- und ausschalten, Geräte bedienen, Texte schreiben und verschicken, vielleicht gar Essen bestellen und die Pflegekraft darüber informieren. Oder via Gedanken das E-Auto aus der Garage holen.
Stentroden sind noch ziemlich experimentell. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Neurowissenschaft so weit ist, den Menschen an das Internet of things anzuschließen.
Patient erlangt seine Sprache wieder – dank Brain-Computer-Interface
Ein weiterer klinischer Fall wurde jüngst im New England Journal of Medicine publiziert (5). Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist jene paralysierende Krankheit, an der auch Stephen Hawking litt. Die Lähmung der Muskulatur dehnt sich unaufhaltsam auf immer weitere Teile des Körpers aus – bis die Patientinnen und Patienten sogar ihr Sprachvermögen verlieren. Doch mithilfe eines BCIs konnte ein Patient der University of California seine Gedanken nahezu in Echtzeit in eine computergenerierte Stimme übersetzen, die seiner eigenen nachempfunden war.
Normalerweise geht der erfolgreichen Entschlüsselung der Hirnaktivität ein langes Training des Computers voraus. Doch in Zeiten immer leistungsstärkerer Künstlicher Intelligenz minimiert sich diese Trainingsphase immer weiter. Am ersten Tag der Anwendung war die Erfolgsrate der Übersetzung der Hirnströme schon bei annähernd 100%. Nach acht Monaten und mit einem Vokabular von 125.000 Wörtern lag die Rate nach wie vor bei knapp 100%. Dem Patienten wurde seine Stimme zurückgegeben.
Medizin, Militär oder Matrix?
So schön diese medizinischen Erfolge sind, so bergen sie philosophisch und ethisch doch ein enormes Potential für inhumane Verwerfungen. Es ist ganz einfach: mit der Erfindung des Stromnetzes wurde auch der Blackout erfunden. Mit der Digitalisierung von Patientenakten wurden tausende Krankenhäuser plötzlich durch Hacker erpressbar – häufig ist die Gesundheit politischer Prominenz das Ziel solcher Hackangriffe. Nebenbei: die eben erwähnte Studie zur Sprach-Dekodierung hat das US-Verteidigungsministerium finanziert.
Philosophische Initiativen für eine Humanisierung der Digitalisierung gibt es immerhin seit ein paar Jahren (6). Unser Gehirn aber macht uns aus. In ihm ist alles enthalten, was unsere Identität prägt. Nun, da mit Elon Musk der reichste Mann der Welt und Besitzer einer BCI-Firma, NeuraLink, die US-Politik ganz offen zu Gunsten seiner Geschäftsinteressen formt, sei die ethische Frage gestattet: sollten Unternehmen mit der intimsten Information des Menschen, nämlich seiner Hirnaktivität, überhaupt Geschäfte machen dürfen?
Die Digitalisierung und die Datafizierung der Welt, das Uploaden immer sensiblerer Daten hat einen Preis. Wenn nun der Mensch demnächst seine eigene Großhirnrinde per WLAN an das Internet anschließt, dann wird das Schadenspotential – nun, sagen wir, es wird Gegenstand kreativer Überlegungen. Wenn alle möglichen Varianten von BCIs denkbar sind, mit allen möglichen Outputs, dann können auch alle möglichen Inputs denkbar werden. Wäre eine Art Matrix möglich? Ein ‚digitales Koma‘? Könnten Menschen irgendwann hackbar werden, wie im Sci-Fi Klassiker Ghost in the Shell? Oder primitiv aber effektiv: könnte man ein BCI-Gehirn rösten, einfach durch Erzeugen einer Dauer-Epilepsie? Da weder die USA noch China den neurotechnologischen Fortschritt in den nächsten Jahren regulieren werden, sollte sich Europa schnellstens einig darüber werden, wo wir die Grenze zwischen Wünschbarkeit und Machbarkeit ziehen wollen – zwischen medizinischem Wunder und technologischem Horror.
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Quellen
(1) Willsey, M. S., Shah, N. P., Avansino, D. T., Hahn, N. V., Jamiolkowski, R. M., Kamdar, F. B., … & Henderson, J. M. (2024). A real-time, high-performance brain-computer interface for finger decoding and quadcopter control. bioRxiv, 2024-02.
(2) LaFleur, K., Cassady, K., Doud, A., Shades, K., Rogin, E., & He, B. (2013). Quadcopter control in three-dimensional space using a noninvasive motor imagery-based brain–computer interface. Journal of neural engineering, 10(4), 046003.
(3) Lorach, H., Galvez, A., Spagnolo, V., Martel, F., Karakas, S., Intering, N., … & Courtine, G. (2023). Walking naturally after spinal cord injury using a brain–spine interface. Nature, 618(7963), 126-133.
(4) Minimally Invasive Technology Offers Paralyzed People Greater Function
(5) Card, N. S., Wairagkar, M., Iacobacci, C., Hou, X., Singer-Clark, T., Willett, F. R., … & Brandman, D. M. (2024). An accurate and rapidly calibrating speech neuroprosthesis. New England Journal of Medicine, 391(7), 609-618.
(6) Was ist digitaler Humanismus – und was bedeutet er in Zeiten von generativer KI? | bidt DE
Sehr interessanter Beitrag, hatte letztens darüber etwas recherchiert und war auch verwundert dass die neueren Artikel zu dem Thema alte (und äußerst beeindruckende) Errungenschaften vernachlässigt haben.
Zum ethischen Aspekt denke ich, dass man diese Technologien definitiv fördern sollte, der mögliche medizinische Nutzen ist einfach zu groß (zumindest bis die regenerative Medizin weit genug fortgeschritten ist um z.B. schwerwiegende Wirbelsäulenverletzungen wieder zu heilen). Man müsste aber definitiv Richtlinien einführen (und vor allem auch stringent kontrollieren) dass Daten von nicht-medizinischen Applikationen entweder nur lokal und verschlüsselt gespeichert werden dürfen, oder überhaupt nicht.
Was mögliches “Brain hacking” angeht denke ich dass dies zumindest bei nichtinvasiven Techniken kein großes Problem sein sollte, das EEG misst ja meinem Kenntnisstand nach in erster Linie. Wobei das natürlich nicht auf z.B. Neuralink zutreffen würde.
Eine Frage die ich noch hätte, wie steht es bei den nicht-invasiven Methoden um die Tragbarkeit bestellt (sowohl der Messvorrichtung als auch der notwendigen Computer zum Auswerten plus adäquate Energiequelle)?
Zur Tragbarkeit: zumindest das EEG ist hier sehr flexibel, es gibt schon seit einigen Jahren kabellose EEGs, besonders viel Strom benötigt man dazu nicht. Das Auswerten erfolgt in der Forschung an ganz normalen Rechnern, theoretisch sollte für Patienten im Alltag auch ein Smartphone reichen. Bei den invasiven Implantaten ist die Herzschrittmacherlösung realistisch: alle paar Jahre die Batterie wechseln.
ADM.
Sehen Sie eine Möglichkeit die Linse mittels WLAN anzusteuern? Gibt es bereits einen Ansatz für das Handycap AMD?
Sie meinen eine Maculadegeneration? Da hier die Retina betroffen ist, wäre die Linse irrelevant. Die Retina wiederum ist theoretisch Teil des Gehirns, wäre also prinzipiell neurotechnologisch ansteuerbar, ja. Ob ein BCI hier hilfreich wäre, übersteigt mein Wissen. Es gibt aber bereits erste Erfolge mit optogenetischen Therapien der Retina – hier könnte mittelfristig der größte therapeutische Nutzen liegen.
Ja, mir scheint, die Tendenz geht in Richtung nicht-invasives oder minimal-invasives BCI mindestens für die Gesunden, die Normalbevölkerung. Augmented Reality wird die Hauptanwendung sein. Dazu benötigt man nur eine spezielle Brille, die Dinge in das eigene Gesichtsfeld einblendet. Und über Augen- oder Fingerbewegungen kann man dann auch Aktionen auslösen. Auch viele paralysierte Patienten könnten irgendwann von dieser „augmented reality“ Technologie profitieren. Und das ohne Operation.
Kurzum: Je invasiver die Brain-Computer-Interface Technologie desto kleiner der Anwendungskreis. Zudem sind Drähte im Hirn Veränderungen unterworfen, sie verändern mit der Zeit ihre Position oder/und werden von Zellen umhüllt, die ihre Verbindung zu Nervenzellen schwächen. Dazu kommen noch Probleme des „Hirnhacking‘s“. Die Zukunft gehört deshalb minimal-invasiver BCI-Technologie. Mindestens für den Normalanwender.
So beindruckend die vorgestellten Experimente auch sind – was dazu fehlt ist leider immer die Hintergrundinformation, wie lange die Versuchspersonen in der Lage waren, gedanklich Steuerungen auszuführe:
A) Wie lange pro Arbeitssequenz konnt eine Aktivität ausgeführt werden
B) Wie lange blieben eingepflanzte Elektroden aktiv nutzbar
Vor den echten Experimenten wurden virtuelle Trainingssessions durchgeführt. Dieses Training dauerte etwa drei Monate, im Mittel gute fünf Stunden pro Tag, wobei die Einzelversuche je drei Minuten dauerten und mindestens vier Einzelversuche direkt hintereinander stattfanden.
Die finalen Experimente mit der echten Drohne bestsanden in 6-15 Einzelversuchen pro Tag, drei Tage lang, die Einzelversuche dauerten je vier Minuten.
In dieser (wie ich finde der bedeutendsten) Studie wurde das Signal ja über EEGs hergestellt, war also non-invasiv ohne Implantate. In den anderen Studien variiert die Verweildauer der Elektroden sehr, generell gibt es hier natürlich ein Infektionsrisiko falls Kabel involviert sind und Batteriewechsel falls kein Kabel benötigt wird. Implantate können prinzipiell solange nutzbar bleiben, bis ihre Lebensdauer nach Jahren oder Jahrzehnten endet, was wie beim Herzschrittmacher oder anderen Geräten vom jeweiligen Hersteller abhängt.
@Wurzer
Danke für die ausführliche Antwort.
Ihre Antwort zeigt sehr deutlich ein grundsätzliches Problem auf: Weil wir überhaupt nicht in der Lage sind, uns gedanklich längere Zeit auf eine bestimmte Aufgabe voll zu konzentrieren – konnte jeder dieser Einzelversuche nur eine Dauer von 3-4 Minuten haben.
Wenn wir uns längere Zeit nur auf eine bestimmte Aktivität konzentrieren – führt dies zu einer geistigen Erschöpfung. Dies schränkt die praktische Nutzbarkeit von BCIs sehr stark ein.
Ein weiteres Problem ist, wie lange man Geräte nutzen kann, bevor man sie neu einstellen muss. Dazu gibt es eine Erfolgsmeldung.
Forscher mussten verwendete Geräte bisher nach 1-2 Tagen neu einstellen – jetzt ist es gelungen, die Nutzungsdauer auf 7 Monate zu erweitern:
http://www.sciencedaily.com/releases/2025/03/250306153135.htm
Paralyzed man moves robotic arms with his thoughts
Zu Gehirnimplantaten habe ich gelesen, dass einzelne im Gehirn eingesetzte Elekroden schon nach wenigen Wochen nutzlos werden können, wenn sie in einer Abwehrrreaktion des Körpers biologisch eingekapselt werden
Man könnte zwei nicht-invasive Methoden kombinieren.
Die Elektroenzephalografie und die Nahinfrarotspektroskopie.
Die Nahinfrarotspektroskopie hat eine bessere räumliche Auflösung,
und eine schlechtere zeitliche Auflösung, als die Elektroenzephalografie.
Die Nahinfrarotspektroskopie zeigt die genauere Herkunft der Signale
der Elektroenzephalografie an.