Das Böse in Uns – Was Hirnscans über unser Verhalten aussagen

In der Debatte darüber, ob der Mensch von Natur aus kriminell ist oder nicht, wird darüber gestritten, was ihn dazu bringt, ein Verbrechen zu begehen. Historisch gesehen ist die Seite, auf der der Konsens liegt, stark von den politischen und soziologischen Ansichten der jeweiligen Zeit geprägt. Doch mit dem technischen Fortschritt haben sich auch die Instrumente und Methoden der Kriminalitätsforschung weiterentwickelt. Der Einzug der Gehirnscans in die Gerichtssäle hat eine neue Perspektive auf das menschliche Verhalten eröffnet. Diese Technologie wirft eine faszinierende Frage auf: Ist es möglich, aus bloßen Hirnscans auf das Verhalten und das “Böse in uns” zu schließen? Kann man so einen potenziellen Mörder erkennen?

Woher kommt die Idee der Assoziation von Arealen mit Eigenschaften?

Franz Joseph Gall entwickelte im 19. Jahrhundert die Phrenologie, eine Theorie, die heute als Pseudowissenschaft gilt. Damals glaubte man, dass die geistigen Fähigkeiten eines Menschen, die sogenannten Vermögen, in bestimmten Bereichen des Gehirns lokalisiert seien. Gall behauptete, dass man diese Bereiche anhand der Form des Schädels erkennen könne.

Abbildung 1: Phrenologie
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:PhrenologyPix.jpg

Laut Gall gab es 27 solcher “Organe” im Gehirn, von denen jedes für eine bestimmte Fähigkeit oder Eigenschaft zuständig war. Zum Beispiel war das erste Organ für den Fortpflanzungsinstinkt verantwortlich, das siebte für Besitzgier und das sechsundzwanzigste für den Gottesglauben. Auch wenn die Phrenologie heute widerlegt ist, inspirierte Galls Theorie die weitere Forschung zur Lokalisation von Gehirnfunktionen.

Von Phrenologie zur Anatomie – Was ist die Großhirnrinde?

Der Cortex cerebri (Großhirnrinde), kurz Cortex oder Großhirnrinde genannt, ist die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 bis 5 mm dick, reich an Nervenzellen (graue Substanz) und stark gefaltet.
Der frontale Cortex ist der größte der vier Lappen der Großhirnrinde und seine Funktionen sind entsprechend umfangreich. Der vordere Teil, der so genannte präfrontale Cortex, ist für komplexe Handlungsplanungen (so genannte Exekutivfunktionen) zuständig, die auch unsere Persönlichkeit prägen. Seine Entwicklung dauert bis zu 30 Jahre und ist auch dann noch nicht vollständig abgeschlossen.

Abbildung 2: von Johns Hopkins Medicine: https://www.hopkinsmedicine.org/health/conditions-and-diseases/anatomy-of-the-brain

Was ein MRT ist und was es über das Gehirn verrät

Wer schon mal in der Röhre eines Magnetresonanztomographen (MRT) lag, kennt die Geräuschkulisse gut. Doch was passiert eigentlich, während das Gerät hämmert? In der Wand der Röhre befinden sich elektrische Spulen. Sie erzeugen ein sehr starkes Magnetfeld mit pulsierenden Radiowellen. Die Kerne der Wasserstoffatome in unserem Körper richten sich durch dieses Magnetfeld aus: Wie eine Kompassnadel, die man mit einem Magneten ausrichten kann. Radiowellen sorgen dafür, dass sich diese Ausrichtung der Atomkerne kurzzeitig ändert und erzeugen je nach Gewebezusammensetzung unterschiedliche Signale. Ein Computer wandelt die verschiedenen Signale dann in Schwarzweißbilder um. Es eignet sich besonders gut weiche Gewebe, wie das Gehirn, darzustellen, da diese große Mengen an Wasser und damit Wasserstoffatomen enthalten. Durch Vergleiche von MRT-Scans können Veränderungen und Anomalien am Gehirn festgestellt werden.

Mehr zur Magnetresonanztomographie erfahrt ihr hier.

Woran man einen Mörder erkennt

Vorweg: Man kann einen Mörder weder durch Hirnscans noch durch Diagnosen eindeutig identifizieren. Dennoch zeigen Gewalttäter häufig sowohl anatomische Gemeinsamkeiten (5) als auch bestimmte Diagnosen (6). Die direkte Zuordnung bestimmter Störungen zu negativen Verhaltensweisen ist jedoch problematisch und kann diskriminierend sein.

Abbildung 3: Alle nicht-mordenden Straftäter (n = 605) im Vergleich zu mordenden Straftätern (n = 203). Bereiche, in denen Mörder eine verringerte Dichte der grauen Substanz im Vergleich zu Nicht-Mördern aufweisen, sind blau/grün hervorgehoben (5).

Die graue Substanz des Gehirns enthält die Nervenzellkörper, die Reize aufnehmen und verarbeiten, während die weiße Substanz aus Zellfortsätzen besteht, die Informationen im Nervensystem weiterleiten. Eine Studie mit Magnetresonanztomographie (MRT) hat gezeigt, dass bei Mördern im Vergleich zu nicht mordenden Straftätern weniger graue Substanz in den Hirnregionen vorhanden ist, die an der Verarbeitung von Emotionen, der Verhaltenskontrolle, den exekutiven Funktionen und der sozialen Kognition beteiligt sind. Soziale Kognition umfasst unter anderem Empathie und moralisches Urteilsvermögen.

So wurden beispielsweise Verkleinerungen im verschiedenen Bereichen des präfrontalen Cortex (rot) gefunden, der unter anderem für die Planung zukünftiger Handlungen, Problemlösung, Emotionsregulation und Selbstkontrolle zuständig und an subjektiven Bewertungen, moralischen Urteilen und Empathie beteiligt ist. 

Darüber hinaus wurde ein geringeres Volumen im orbitofrontalen Kortex festgestellt, der direkt über der Augenhöhle und unter dem präfrontalen Kortex liegt. Er ist verantwortlich für die Ausführung von Verhaltensweisen, für das Erleben von Bedauern über das eigene Verhalten und für effektive moralische Entscheidungen.

Die Unterschiede blieben auch dann bestehen, wenn Faktoren wie Alter, IQ, Psychopathie, Substanzmissbrauch oder Haftdauer berücksichtigt wurden.

Fazit

Die zitierte Studie zeigte Unterschiede im Hirnvolumen zwischen Mördern und nicht mordenden Straftätern. Zum Mörder wird man jedoch erst, wenn man tatsächlich einen Mord begeht. Die “Natur” des Menschen, sei es die Anatomie, die Genetik oder die Psyche, kann nicht alles erklären. Ebenso wichtig ist es, das sozioökonomische Umfeld zu berücksichtigen. Nur wenn wir alle relevanten Aspekte berücksichtigen, können wir das Verhalten eines Menschen vollständig verstehen. Der Einsatz von Hirnscans zur Erklärung menschlichen Verhaltens muss behutsam und verantwortungsvoll erfolgen, um ethische Risiken wie Stigmatisierung und Diskriminierung zu vermeiden.

Quellen

  1. Ackerknecht, E. H. (n.d.). Deutsche Biographie – Gall, Franz Joseph. https://www.deutsche-biographie.de/sfz19813.html
  2. Dasgehirn.info 3D-Gehirn. (n.d.). 3D-Gehirn. https://3d.dasgehirn.info/#brainPath=anatomie,grosshirnrinde
  3. Was ist eine Magnetresonanztomographie (MRT)? (n.d.). Stiftung Gesundheitswissen. https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/gesundes-leben/koerper-wissen/was-ist-eine-magnetresonanztomographie-mrt
  4. Sajous-Turner A, et. al. Aberrant brain gray matter in murderers. Brain Imaging Behav. 2020 Oct;14(5):2050-2061. doi: 10.1007/s11682-019-00155-y.
  5. Seidl H, Nilsson T, Hofvander B, Billstedt E, Wallinius M. Personality and Cognitive Functions in Violent Offenders – Implications of Character Maturity? Front Psychol. 2020 Jan 28;11:58. doi: 10.3389/fpsyg.2020.00058.
  6. Siddiqui SV, Chatterjee U, Kumar D, Siddiqui A, Goyal N. Neuropsychology of prefrontal cortex. Indian J Psychiatry. 2008 Jul;50(3):202-8. doi: 10.4103/0019-5545.43634.
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Mein Name ist Ruzica Sedic und ich studiere Neurowissenschaften im Master an der Universität Düsseldorf. Während meiner Ausbildung zur biotechnologischen Assistentin und meinem Bachelor in Biologie habe ich meine Liebe zur Zellbiologie entdeckt. Deshalb finde ich den Zusammenhang zwischen zellulären Prozessen und neurologischen Phänomenen besonders spannend. Außerdem fasziniert mich, wie unser Gehirn im Alltag funktioniert und welche unglaublichen Leistungen es vollbringt - oft ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.

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