Coronas Feldzug ins Gehirn

Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche wollt ihr zuerst?
Die Schlechte ist: „Corona gelangt in geringen Mengen ins Gehirn.“ Doch die gute Nachricht ist: „Corona ist und bleibt eine Lungenerkrankung. Der Erreger ist nicht darauf ausgelegt ins Gehirn zu wandern. Der Befall kann eher als Begleiterscheinung gesehen werden und der Erreger möchte auch eigentlich nicht im Gehirn sein.“

Ein Verdacht bestätigt sich:

Image by Engin Akyurt from Pixabay

Schon zu Beginn der Pandemie wurde bei etwa 1/3 der Fälle über den Verlust von Geruch- und Geschmacksinn oder Kopfschmerzen berichtet1,2.
Habt ihr euch schon mal gefragt, warum dies eine Begleiterscheinung ist, obwohl Covid-19 primär eine Lungenerkrankung ist?
Diese Frage haben sich zu Beginn der Pandemie, als noch wenig über das SARS-CoV-2 Virus bekannt war, viele Forscher und Forscherinnen gestellt. Wenn Geruchsmoleküle an die Rezeptoren des Riechnervs binden, entsteht ein Signal, was entlang des Nervs bis in unser Gehirn wandert. Dort kann dann der Geruch wahrgenommen werden. Wenn der Riechnerv, der bis ins Gehirn reicht, vom Virus befallen wird, liegt auch der Verdacht nahe, dass das Virus das Gehirn befallen könnte. Zudem ist bekannt, dass auch andere Atemwegserreger wie herkömmliche Influenza A Grippeviren im Gehirn nachgewiesen werden können3.

Wie das Virus ins Hirn gelangt:

Eine Forschungsgruppe an der Berliner Charité hat diese These nun überprüft und zu Beginn des Jahres publiziert4. 
Die Forscher und Forscherinnen isolierten den Riechnerv mit dem interessanten Namen (Bulbus olfactorius) aus totem Gewebe. Sie konnten Virus RNA sowie Virus Eiweiße und Virus Partikel entlang des gesamten Nervs entdecken. Die Viruslast nimmt Richtung Hirn immer weiter ab, ist jedoch stets nachweisbar.

Ein Virus benutzt eine Zelle als einen vorübergehenden Aufenthaltsort und um sich zu vermehren. Wenn der Virus genug Nachkommen entwickelt hat, zieht er weiter, um neue Zellen zu befallen. Dabei zerstört er die Zelle. Die Forschungsergebnisse zeigen eine Reduzierung der Nervenzellen durch den Befall, was den Geruchsverlust erklärt4. Jedoch gehören unsere Riechzellen zu den sich am besten regenerierenden Nervenzellen, weshalb der Geruchsverlust häufig nur vorübergehend ist. Allein, wenn zu viele Vorläuferzellen, aus denen sich die Riechzellen regenerieren, zerstört werden, kann der Geruchsverlust chronisch werden vermuten die Forscher und Forscherinnen.

Warum der Gehirnbefall vielleicht nur ein Versehen ist:

Viren können sich über Rezeptoren vereinfachten Zutritt in die Zelle verschaffen. Die Rezeptoren sitzen auf ihrer Oberfläche, um normalerweise Stoffe wie Hormone in die Zelle aufzunehmen. Corona nutzt diesen Effekt aus und betritt in der Lunge, den Nieren und im Darm die Zellen durch Bindung an den ACE2 Rezeptor oder das TMPRSS2 Enzym. Im zentralen Nervensystem fehlen ACE2 und TMPRSS2 jedoch bzw. wurden noch nie nachgewiesen4.
Dies legt nahe, dass das Nervensystem eigentlich kein bevorzugter Angriffspunkt für das SARS-CoV-2 Virus ist. Es kann davon ausgegangen werden, das SARS-CoV-2 kein Virus ist, welches sich in den Nerven festsetzt und irgendwann wieder hervorkommt, anders als rückkehrende Viren wie Herpes und Windpocken. Schlussfolgernd kann man sagen, dass eine Infektion im Gehirn eher eine Begleiterscheinung ist. Vielleicht aufgrund der räumlichen Nähe des Gehirns zum Riechnerv.

Folgen eines Hirnbefalls:

Das Team an der Berliner Charité hat unter anderem getestet, wie das Immunsystem auf das Corona Virus im Gehirn reagiert. Es scheint, dass das Immunsystem überreagiert, stärker sogar als bei HIV oder einer Sepsis. Oftmals leiden Long Covid Patienten an Konzentrationsschwächen oder Gedächtnisstörungen. Im Gehirnwasser von Long Covid Patienten wurden deutliche Immunmarker gefunden, die eine Entzündung im Gehirn belegen. Auch wird mittlerweile allgemein vermutet, dass Long Covid nicht durch das Virus selbst, sondern indirekt durch das überschießende Immunsystem getriggert wird.
Wenn wir die Effektkaskade einer SARS-CoV-2-Infektion besser verstehen, könnte man mit immun-modulatorischen Methoden das Immunsystem gezielt dämpfen oder den Transport ins Hirn verhindern. Vielleicht könnte das negative Folgen wie Long Covid verhindern.

Quellen:

References

1.    Conde Cardona G, Quintana Pájaro LD, Quintero Marzola ID, Ramos Villegas Y, Moscote Salazar LR. Neurotropism of SARS-CoV 2: Mechanisms and manifestations. Journal of the Neurological Sciences. 2020;412:116824. doi:10.1016/j.jns.2020.116824.

2.    Huang C, Wang Y, Li X, et al. Clinical features of patients infected with 2019 novel coronavirus in Wuhan, China. The Lancet. 2020;395(10223):497-506. doi:10.1016/S0140-6736(20)30183-5.

3.    Hosseini S, Wilk E, Michaelsen-Preusse K, et al. Long-Term Neuroinflammation Induced by Influenza A Virus Infection and the Impact on Hippocampal Neuron Morphology and Function. J Neurosci. 2018;38(12):3060-3080. doi:10.1523/JNEUROSCI.1740-17.2018.

4.    Meinhardt J, Radke J, Dittmayer C, et al. Olfactory transmucosal SARS-CoV-2 invasion as a port of central nervous system entry in individuals with COVID-19. Nat Neurosci. 2021;24(2):168-175. doi:10.1038/s41593-020-00758-5.

5.    Klok FA, Kruip MJHA, van der Meer NJM, et al. Incidence of thrombotic complications in critically ill ICU patients with COVID-19. Thrombosis Research. 2020;191:145-147. doi:10.1016/j.thromres.2020.04.013 .

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Veröffentlicht von

Ronja Völk ist Masterstudentin für Molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg. Im Zuge Ihres Studiums hat sie vielerlei Praktika absolviert, unter anderem am Deutschen Krebsforschungszentrum und in Harvard im Bereich Neurologie. Sie ist begeisterte Leserin von Wissenschaftsmagazinen und liebt es, ihr Wissen mit anderen zu teilen. (Für Ihr näheres Umfeld ist sie auch gerne mal Umwelt-/Medizin-/ Impf-/Corona-Expertin.) Das zeigt, wie hoch der Bedarf an einfacher, verständlicher Wissenschaftskommunikation ist.

3 Kommentare

  1. Corona schädigt bei schwer Erkrankten häufig das Hirn – indirekt
    Gemäss Nature‘s COVID and the brain: researchers zero in on how damage occurs
    Wer wegen Covid-19 auf der Intensivstation lag, aber auch Long Covid-Patienten haben häufig vorübergehend oder sogar langfristig neurologische Symptome. Wegen Corona hospitalisierte Patienten zeigen neurologische Symptome in 80% der Fälle und sie berichten über Gedächtnisausfälle, Denknebel, vorübergehenden Geruchsverlust und ähnliches. Einzelne erlitten sogar Schlaganfälle. Eine kürzlich lancierte Vorher/Nachher-Studie wies den Verlust von grauer Hirnmasse in verschiedenen Grosshirnarealen nach.

    Tatsächlich werden Neuronen, also die Hirnzellen, welche Informationen verarbeiten, nicht oder nur in Ausnahmefällen von Sars-CoV2 befallen. Dafür aber Astrozyten, welche verschiedene Hilsfunktionen im Hirn übernehmen. Müdigkeit, Depression und „Gehirnnebel“, zu dem auch Verwirrung und Vergesslichkeit Gehören, könnten durchaus auf den Astrozytenbefall durch Sars-CoV-2 zurückgehen.

    Doch das Hirn kann auch durch eine Corona bedingte Minderdurchblutung in Mitleidenschaft gezogen werden. Nachgewiesen wurde der Pericyten-Befall durch Sars-CioV-2 Viren. Pericyten umschliessen Kapillaren, auch Hirnkapillaren. Ihr Verlust kann auch die Kapillare (die kleinsten Blutgefässe also) beeinträchtigen.

    Es gibt auch immer mehr Hinweise darauf, dass einige neurologische Symptome und Schäden das Ergebnis einer Überreaktion des körpereigenen Immunsystems und sogar einer Fehlzündung nach einem Kontakt mit dem Coronavirus sind.

    Zudem ist in den letzten 15 Jahren deutlich geworden, dass das Immunsystem mancher Menschen als Reaktion auf eine Infektion unbeabsichtigt „Autoantikörper“ bildet, die das eigene Gewebe angreifen, sagt Harald Prüss, Neuroimmunologe am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Berlin. Dies kann zu langfristigen Erkrankungen wie Neuromyelitis optica führen, bei denen Symptome wie Sehverlust und Schwäche der Gliedmaßen auftreten. In einer im Mai 10 veröffentlichten Übersichtsarbeit fasste Prüss die Beweise zusammen, dass diese Autoantikörper die Blut-Hirn-Schranke passieren und zu neurologischen Störungen beitragen können, die von Gedächtnisstörungen bis hin zu Psychosen reichen.

    Gesamtschau: Diese Signalwege – Astrozyten, Perizyten und Autoantikörper – schließen sich nicht gegenseitig aus und sind wahrscheinlich nicht die einzigen: Es ist wahrscheinlich, dass Menschen mit COVID-19 aus einer Reihe von Gründen neurologische Symptome haben.

  2. Der SPON-Artikel Covid-19 kann das Gehirn schrumpfen lassen mit der Überschrift:

    »Es gibt deutliche Hinweise auf hirnbezogene Anomalien«: Laut Forschenden aus Oxford verringere sich nach einer Coronaerkrankung die graue Substanz im Gehirn ebenso wie die Gesamtgröße des Organs.

    berichtet folgendes über die Ergebnisse einer Vorher/Nachher-Covid Studie an 785 Menschen im Alter zwischen 51 und 81 Jahren mithilfe von zwei Gehirnscans und einiger kognitiver Tests:
    – Die Gesamtgröße des Gehirns verringerte sich bei den Covid-Erkrankten stärker als bei denjenigen, die sich nicht mit dem Virus infiziert hatten
    – Zwischen den beiden Scans sei bei den infizierten Probandinnen und Probanden im Mittel ein stärkerer kognitiver Abbau zu beobachten gewesen als in der Vergleichsgruppe
    – Einige der Covid-Erkrankten litten demnach unter Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit, der Konzentration, der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung und des Gedächtnisses.

    Fazit: Im Durchschnitt verkleinert sich das Hirn durch eine Covid-Erkrankung um 2% und Testergebnisse sprechen für Beeintröchtigung der Aufmerksamkeit, der Konzentration, der Denkgeschwindigkeit und des Gedächtnisses.

    • @Martin Holzherr

      Im Durchschnitt verkleinert sich das Hirn durch eine Covid-Erkrankung um 2%

      Ich lese im Artikel: “Die Hirngröße schrumpft um bis zu zwei Prozent” (Hervorhebung durch mich)

      Der verhältnismäßige Verlust an Substanz über die Zeit zwischen Erkrankten und Nicht-Erkrankten beträgt zum Teil 0, in Worten, Null. Weder Durchschnitt noch Median sind angegeben.

      Die angegebenen Prozentwerte über den Verlust beziehen sich nur auf bestimmte Regionen des Gehirns: “In Regionen, die mit dem Gedächtnis zusammenhängen, […]”

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