Leben mit einer schwer behandelbaren Epilepsie

BLOG: HIRN-RISSE

Neuropsychologie und Verhaltensmedizin
HIRN-RISSE

Zum Auftakt meines neuen Blogs HIRN-RISSE möchte ich einige Eindrücke aus meinen vielen persönlichen Gesprächen mit Patienten berichten, die von einer schwer behandelbaren Epilepsie betroffen sind. Ist trotz der Erkrankung ein Leben mit guter Lebensqualität möglich? Was hilft? Was steht im Wege?

Mit der Einführung der fallpauschalenbezogenen Abrechnung (diagnoses related groups, DRG) vor einigen Jahren hat sich das therapeutische Angebot der Epilepsiekliniken und –zentren dahingehend geändert, dass den Patienten bei längeren, medizinisch indizierten stationären Aufenthalten immer auch nichtmedizinische Therapieangebote gemacht werden müssen, wie z.B. Physiotherapie, Ergotherapie, Sozialtherapie usw., die stärker auf den Alltag und die Krankheitsbewältigung zielen. Vor allem für die stark auf Diagnostik, Epilepsiechirurgie und Forschung fokussierten universitären Einrichtungen war dies eine Umstellung und Herausforderung. Wir bieten hier in unserer Bonner Universitätsklinik für Epileptologie Patienten im Rahmen der sogenannten Komplexbehandlung schwerbehandelbarer Epilepsien neben anderen Therapieangeboten eine von den Neuropsychologen der Klinik geleitete Patientengruppe sowie Einzelgespräche an. Aus diesem Angebot hat sich auch ergeben, dass Patienten mit Verdacht auf psychogene nichtepileptische Anfälle routinemäßig ein Gespräch mit uns Neuropsychologen angeboten wird. Diese Gespräche darf ich in vielen Fällen führen – und ich kann sagen, dass das meine Arbeit seit vielen Jahren extrem bereichert und mir einen ganz anderen Blick auf das Krankheitsbild und die betroffenen Menschen ermöglicht hat.

Der stärkste Eindruck ist, dass das Befinden und die Lebensqualität der Patienten (die derzeit an Anfällen leiden), kaum von klinischen und fast ausschließlich von psychosozialen Faktoren bestimmt wird. Es gibt Patienten mit einer hohen Zahl von Anfällen, teils auch schweren Anfällen, die dennoch eine gute Lebensqualität haben und die wirklich gut klar kommen; und es gibt umgekehrt Patienten mit vergleichsweise sehr geringer Anfallsbelastung, die komplett “in den Seilen hängen”. Ohne hier eine Rangfolge zu suggerieren, nenne ich im Folgenden Aspekte, die mir besonders wichtig zu sein scheinen:

  • Dauer und Zeitpunkt der Erkrankung: Es ist sehr bitter, wenn junge Erwachsene, die z.B. gerade einen Führerschein gemacht oder einen Beruf erlernt haben, an einer Epilepsie erkranken, die sich dann auch noch als schwer behandelbar entpuppt. Autofahren mit Anfällen scheidet logischerweise aus. Zahlreiche Berufe dürfen nicht ausgeführt werden, wenn Anfälle auftreten können; je nach Ausprägung und Häufigkeit der Anfälle kann sogar jegliche Berufsausübung unmöglich werden. Partner und Freunde akzeptieren möglicherweise die Krankheit nicht. (Gehen Sie mit einem Freund aus, der in der Kneipe oder im Club vielleicht einen Anfall bekommen könnte?) Wir hatten hier extreme Fälle von Patienten, die nach dem Auftreten der Erkrankung (z.B. infolge einer Hirnentzündung, der sog. limbischen Enzephalitis) innerhalb weniger Monate praktisch alles verloren hatten: Job, Karriere, Mobilität, Frau und Kinder, das gerade erbaute Haus, die finanzielle Absicherung. Ganz offensichtlich befinden sich diese Menschen in einem psychischen Ausnahmezustand, sie erfüllen vielleicht auch alle Kriterien einer Depression und ganz sicher benötigen und verdienen sie Unterstützung auf verschiedensten Ebenen. Aber – es liegt mit 100% Sicherheit keine psychische Erkrankung vor, die bedrückte Stimmungslage ist vielmehr der bedrückten Situation komplett angemessen. Daher ist auch die Vorstellung absurd, man könne hier mit Tabletten (Antidepressiva) helfen. Ich habe ja nichts gegen einen medikamentösen Therapieversuch, und wenn sich der Patient dabei besser fühlt – bitte, soll er das Medikament nehmen. Aber es ist klar, dass hier in erster Linie reale Lebensprobleme bewältigt werden müssen.

 

  • Soziale Unterstützung (social support): Patienten, die ein stabiles familiäres Umfeld und idealerweise eine eigene Familie haben, die zu ihnen hält, erscheinen psychisch wesentlich stabiler. Ein guter Freundeskreis kann auch helfen. Niemand ist eine Insel! Nicht wenige Patienten haben ihre Partner kennen gelernt, als sie bereits die Epilepsie hatten. In Ausnahmefällen kann man dann vielleicht einmal den Eindruck gewinnen, dass die (einseitige) Fürsorge für den erkrankten Partner eine gewisse Schieflage in die Beziehung bringt; gar nicht so selten kommt es z.B. zu Trennung und Scheidung, wenn ein Patient nach erfolgreicher Epilepsiechirurgie dauerhaft anfallsfrei wird. Aber viel häufiger gewinnt man den Eindruck, dass hier von Anfang an eine stabile Partnerschaft gewachsen ist, in der sich die beiden gegenseitig helfen, mit realen Lebensproblemen besser fertig zu werden. Das Leben mit (kleinen) Kindern ist für Menschen mit einer schwer behandelbaren Epilepsie noch einmal eine ganz eigene Herausforderung – aber immer wenn das Gespräch auf die Kinder kommt, merkt man, dass sie der Hauptgrund sind, warum die Patienten um ihr Leben und maximale Normalität kämpfen. Aus dem Gesagten folgt leider umgekehrt auch, dass familiäre Probleme (auch mit der Herkunftsfamilie) einer der psychosozialen Hauptbelastungsfaktoren für Patienten sein können.

 

  • Persönlichkeit und Einstellungen zum Leben und zu Problemen im Leben: Es ist absolut erstaunlich, welche bemerkenswerten Persönlichkeiten man unter den Menschen mit Epilepsie antreffen kann, und ich vermute, dass gilt ähnlich für viele schwere chronische Erkrankungen. Es gibt Menschen, die das Leben wirklich lieben, die sich ihren Humor bewahren und die auch Gefühlen von Wut, Trauer oder Angst auf eine erstaunliche Weise Raum und Ausdruck zu geben vermögen! Eine solche Persönlichkeit zu sein, ist sicher eine Gabe und, ja, genetische Faktoren sowie relevante Vorbilder in der Lebensgeschichte dürften dabei eine entscheidende Rolle spielen. Aber diese Menschen zeigen klar die Richtung an, in der jeder versuchen sollte, mit Krankheit und Einschränkungen umzugehen, auch wenn es einem nicht zu 100% so gelingt wie ihnen. Dass diese Menschen irgendetwas oder irgendwen haben, den oder das sie wirklich lieben, das ist vielleicht ein verbindender Faktor: die Natur, ein Haustier oder Tiere überhaupt, Musik, eine Sportart, den Ehepartner, die Kinder, usw. Es ist ein großes Glück, wenn man in sich eine solche Liebe findet; sie lässt sich ja kaum willkürlich “anschalten” oder gewollt “machen”, denke ich. Aber vielleicht kann man sich nach seiner großen Liebe auf die Suche machen, wenn man gerade gar nicht weiß, was einen überhaupt noch ans Leben bindet?!

 

  • Autonomie: Autonomie ist nicht nur eine Bedingung für psychische Stabilität, sie ist ein Synonym dafür! Psychische Stabilität drückt sich in Form eines selbstbestimmten Lebens aus, gerade auch unter den Bedingungen einer schweren Erkrankung: Diese Menschen spüren deutlich, was sie wollen, was ihnen wichtig ist, und handeln entsprechend, auch gegen Widerstände; und dies ist ein selbstverstärkender Prozess. Wird man jedoch zum Patienten, erfährt man dadurch eine drastische Bedrohung der eigenen Autonomie. Man gerät in Abhängigkeiten, muss sich auf den Rat von Experten verlassen, wird be-handelt. Die Epilepsie ist die Krankheit des Kontrollverlustes par excellence: Im Anfall verliert der Betroffene komplett die Kontrolle; dies kann alles extrem beschämend sein (man ist wieder wie ein kleines Kind) – und nicht wenige Patienten berichten von massiver Stigmatisierung und Verunglimpfung in Anfallssituationen durch Dritte (einige Patienten wurden im Anfall sogar bestohlen!). Die Epilepsie und leider auch viele Ärzte fragen nicht mehr danach, was der Patient selbst denn will. Die Angehörigen können stark überbehütend sein in ihrer gut gemeinten Fürsorge (und Angst). Kurz: Der Patient gewinnt zunehmend den Eindruck, dass es niemanden mehr interessiert, was er selbst denn wohl will. Irgendwann hört er dann vielleicht auch selbst auf, sich das zu fragen. Da ist dann kein Wille mehr, kein Wollen – und irgendwann auch kein Leben wollen mehr. Die Unsicherheit nimmt immer weiter zu, über die berechtigen Ängste und Sorgen hinaus entwickelt sich eine Angststörung mit starker sozialer Rückzugstendenz; man will jedwedes Risiko vermeiden und ist risikofixiert. Für andere, auch wohlwollende Menschen wird es zunehmend schwieriger, mit dem Betroffenen umzugehen, der jenseits der Erkrankung kein anderes Leben mehr zu haben scheint, alles dreht sich nur noch um Krankheit, Anfälle, Medikamente. Der Betroffene hat sich als Mensch und Persönlichkeit aufgegeben und sieht sich selbst “nur” noch als Patient. Mit guten Grund halten wir die Bezeichnung “Epileptiker” heute für problematisch, weil damit die ganze Person mit ihrer Erkrankung in eins gesetzt wird – aber genau das sollte und muss aktiv vermieden werden, dagegen muss sich jeder Betroffene aktiv zur Wehr setzen (auch gegen entsprechende Tendenzen in sich selbst): Der Betroffene hat die Epilepsie und die Anfälle – nicht umgekehrt!

 

  • Grübeln: Wir kennen das alle, wenn Probleme an uns nagen, und es ist auch irgendwo nachvollziehbar, dass man ständig über Probleme nachdenkt, wenn einen etwas belastet. Aber selbst wenn man jeden Grund der Welt hat, scheiße drauf zu sein – man ist nicht dazu verpflichtet. Und wenn man das Grübeln einmal bilanziert, ist die Bilanz richtig schlecht. Grübeln unterscheidet sich deutlich spürbar von einem echten Nachdenken – und auch von einer wirklichen Beschäftigung mit seinen Gefühlen. Es ist leer, es kreist um sich, es hat sehr gerne etwas selbstmitleidig, es kostet unendlich viel Zeit und Nerven, es zieht einen runter, es bringt einen garantiert nicht auf neue Gedanken, irgendwie macht man es sich auch leicht damit, usw. Das Grübeln ist wirklich psychologisches Gift. Sobald man bemerkt, dass man grübelt, sollte man es unterbrechen, indem man irgendeine Tätigkeit startet, die einen ablenkt. Oder besser genau anders herum formuliert: Man startet eine Tätigkeit, die einem etwas bedeutet oder die einem Freude macht, und verhindert so, dass einen das Grübeln weiterhin von seinem eigenen Leben ablenkt. Psychologisch macht es niemals Sinn, gegen etwas anzukämpfen – dadurch bekommt es nur noch mehr Aufmerksamkeit und die Aufmerksamkeit füttert das unerwünschte Phänomen und es wird immer nur noch größer und größer. Nein, man muss die Aufmerksamkeit vielmehr auf Dinge lenken, die einem selbst etwas bedeuten oder die Spaß machen; dann verschwindet das Grübeln von ganz alleine, zumindest für einige Zeit. Aber Probleme können es erforderlich machen, dass man über sie nachdenkt: Dann setzt man sich bewusst an einen Tisch, macht sich Notizen, spricht darüber mit einer anderen Person, usw. Grübeln hat nichts mit Nachdenken zu tun, es steht echtem Nachdenken (und Fühlen) sogar im Wege. Für Epilepsiepatienten ist die schwierige Herausforderung zu akzeptieren, dass ihr Nachdenken (und Grübeln ganz besonders) die Krankheit in keiner Weise beeinflussen wird. Es müssen zwar einige praktische Fragen geklärt werden (Rezepte, Arztbesuche u.ä.) und die Ärzte sollten gut nachdenken – aber das Nachdenken des Patienten hilft in der Regel nicht viel weiter. Die Konsequenz dieser Einsicht ist, dass der Patient seine ganze Aufmerksamkeit auf sein normales Leben und – abgesehen von den sinnvollen medizinischen Maßnahmen – nicht auf die Erkrankung richten sollte, soweit ihm das irgendwie möglich ist. Erfahrene, psychisch stabile Patienten sagen mir ganz klar, dass sie fast gar nicht mehr über die Erkrankung nachdenken; selbst nach einem Anfall beschäftigt sie das nur wenige Minuten. Und dann haben sie schlicht und ergreifend schon wieder Besseres zu tun. Die Epilepsie hat ihnen ja bereits wieder einige Minuten, vielleicht sogar Stunden an Lebenszeit gestohlen – sie bekommt daher nach einem Anfall nicht eine Sekunde mehr als unbedingt nötig. Diese Patienten haben auch keine Lust, allzu lange mit mir über die Erkrankung zu sprechen! Wahrscheinlich werden sie auch keine Selbsthilfegruppe besuchen wollen.

 

  • Nebenwirkungen: Ich möchte einen wichtigen, doch eher medizinischen Faktor für die Lebensqualität nennen, die Nebenwirkungen der antiepileptischen bzw. antikonvulsiven Therapie, die fast immer eine Polytherapie mit bis zu 3 oder sogar 4 Medikamenten ist. Wenn eine Epilepsie festgestellt wurde, besteht eine gute Chance von 2:1 dass diese Epilepsie mit verträglichen Medikamenten, die man langjährig einnehmen kann, vollständig kontrolliert werden kann! Epilepsie ist heute insgesamt eine gut behandelbare Erkrankung! Aber spätestens wenn das nicht gelingt und die Anfälle bleiben, dann rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob die Medikation gut vertragen wird. Bei dem Versuch, die Anfälle wegzubekommen, werden vielleicht mehr Medikamente oder höhere Dosierungen ausprobiert. Wenn die Wirksamkeit extrem gut ist – vielleicht sogar wirklich Anfallsfreiheit eintritt – ist man vielleicht bereit, einzelne Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Aber wir Neuropsychologen gewinnen immer wieder den Eindruck, dass viele Patienten im Laufe der Erkrankung immer mehr Medikamente nehmen und immer mehr Nebenwirkungen in Kauf nehmen, obwohl sie anfallsmäßig fast gar nicht mehr profitieren. Wir empfehlen daher eine kritische Bilanz vor und nach Medikamentenumstellungen, vor allem wenn die Medikation insgesamt verstärkt wurde. Auch hier gilt also wieder: Die Aufmerksamkeit muss vor allem auf die Zeit zwischen den Anfällen, auf das normale Leben gerichtet werden: Wie geht es mir insgesamt? Wenn dies durch extreme Tagesmüdigkeit oder Schläfrigkeit (eine häufige Nebenwirkung der Medikation) fast zum Erliegen kommt – vielleicht sogar bei kaum verbesserter oder unveränderter Anfallssituation –, dann ergibt das einfach keinen Sinn und ist psychologisch in hohem Maße kontraproduktiv. Wirksamkeit und Verträglichkeit gegeneinander zu gewichten, ist zwar ein wenig wie Äpfel und Birnen miteinander zu vergleichen; aber irgendwie müssen die Patienten ihre Therapie hinsichtlich des Nutzens und der Kosten bilanzieren. Und im Sinne des oben Gesagten müssen Patienten auch bereit sein, ggf. Konflikte mit ihren behandelnden Ärzten einzugehen, wenn sie der Meinung sind, dass eine Medikation für sie nicht gut ist.

 

  • Anfallsfreiheit: Es gibt keinen Faktor, der die Lebensqualität von Epilepsiepatienten stärker verbessert, als Anfallsfreiheit. Wie erwähnt, kann Anfallsfreiheit bei vielen Patienten durch eine medikamentöse Therapie erreicht werden. Gelingt dies nicht, spricht man nach 2-3 fehlgeschlagenen Versuchen von Pharmakoresistenz. Spätestens dann ist die Zeit für eine genauere diagnostische Abklärung in einem Spezialzentrum für Epilepsie gekommen (z.B. in Kiel, Hamburg, Greifswald, Berlin, Bielefeld, Bochum, Bonn, Aachen, Frankfurt, Erlangen, Dresden, Kehl-Kork, Freiburg, Heidelberg, Tübingen, Vogtareuth oder München). Ein häufiger Grund für Therapieversagen ist, dass gar keine Epilepsie vorliegt, sondern nichtepileptische, oft psychogene Anfälle, die nicht medikamentös behandelt werden können; dies kann nur mittels Video-EEG-Monitoring in einem Spezialzentrum geklärt werden. In anderen Fällen sind die Patienten ideale Kandidaten für einen Erfolg versprechenden epilepsiechirurgischen Eingriff. Ich habe gar kein Verständnis dafür, dass die durchschnittliche Erkrankungsdauer unserer erwachsenen Patienten, die wir dann erfolgreich operiert haben, 15-18 Jahre (!) beträgt; das ist sehr weit entfernt von den Empfehlungen der Leitlinien der Fachgesellschaft und im Grunde ein Skandal.

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Geboren 1967 in Emsdetten/Westfalen. Diplom kath. Theologie 1993, Psychologie 1997, beides an der Universität in Bonn. Nach einem Jahr am Leipziger Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung (1997-98) bin ich seit Oktober 1998 klinischer Neuropsychologe an der Universitätsklinik für Epileptologie in Bonn. Ich wurde an der Universität Bielefeld promoviert (2004) und habe mich 2015 an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn habilitiert (Venia legendi für das Fach Neuropsychologie). Klinisch bin ich seit vielen Jahren für den kinderneuropsychologischen Bereich unserer Klinik zuständig; mit erwachsenen Patientinnen und Patienten, die von einer schwerbehandelbaren Epilepsie oder von psychogenen nichtepileptischen Anfällen betroffen sind, führe ich häufig Gespräche zur Krankheitsbewältigung. Meine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den Bereichen klinische Neuropsychologie (z.B. postoperativer kognitiver Outcome nach Epilepsiechirurgie im Kindesalter) und Verhaltensmedizin (z.B. Depression bei Epilepsie, Anfallsdokumentation). Ich habe mich immer wieder intensiv mit den philosophischen und theologischen Implikationen der modernen Hirnforschung beschäftigt (vgl. mein früheres Blog WIRKLICHKEIT Theologie & Hirnforschung), eine Thematik, die auch heute noch stark in meine Lehrveranstaltungen sowie meine öffentliche Vortragstätigkeit einfließt.

5 Kommentare

  1. Hallo Herr Dr. Hoppe,
    ich stimme Ihnen sehr zu, dass es viel zu lange dauert, bis eine Überprüfung in einem Epilepsie-Zentrum erfolgt, ob eine OP möglich ist.
    Ich habe Epilepsie seit 1988, 1. Behandlung in der Bezirksnervenklinik Brandenburg-Görden. Ich habe 9 verschiedene Medikamente, teilweise doppelt, teilweise dreifach kombiniert probiert und bin erst 2002 getestet worden, ob eine OP möglich ist.
    Bei mir war sie möglich (Temporallappenteilresektion mit Amygdala-Hippokampektomie) mit einer Erfolgschance von 75%. Leider erfolglos, ein paar Wochen nach der OP hatte ich wieder einen Grand mal. Danach begann mein behandelnder Arzt (Prof. Dr. Meencke) die Medikamente wieder zu wechseln. Seit dem 2. Wechsel auf das “alte” Mylepsinum bin ich seit Frühjahr 2003 anfallsfrei!!!

    Ganz wichtig erscheint mir das Umfeld des Patienten und die eigene Einstellung.
    So lange ich keine Anfälle hatte, das hat bei mir so zwischen 8 – 12 Wochen gedauert, habe ich mich gesund gefühlt, ein normales Leben geführt, aber trotzdem bemüht, regelmäßig die Medikamente einzunehmen. Das ist natürlich nicht immer angenehm, denn jedes Medikament hat ja irgendwelche Nebenwirkungen.
    Als wichtig betrachte ich auch, die Patienten zu stärken, wie sie mit der schlecht behandelbaren Epilepsie umgehen. Wen informieren sie über welche Details. Wo erhält der Patient welche Hilfe.

    Einiges kann sicherlich auch an der Bürokratie verbessert werden. Wenn ich allein unterwegs war und einen großen Anfall hatte, dann wurde sehr schnell ein Krankenwagen gerufen. Bis der dann da war, war ja der Anfall vorbei und man konnte sich langsam wieder verständigen. Den Krankenwagen weg zu schicken ging aber gar nicht, sonst hätte man in selbst bezahlen müssen. Also ins Krankenhaus und die Notfall-Prozedur durchlaufen. 🙁 Da half auch kein Epilepsie-Notfallausweis, den keiner anschaut. Heute habe ich eine App “Notfall ID” auf meinem Handy, wo man die Infos ohne password sieht, aber ob das jemand anschaut?

    MfG Klaus Rozinat

    P.S. Ihren Artikel habe ich übrigens über “Google Alert – Epilepsie” erhalten.

  2. Hallo und viel Glück in der neuen Umgebung Christian,
    Bin mit einer epilepsiebetroffenen Frau zusammen. Seitdem wir zusammen sind, haben sich die Anfälle drastisch reduziert (von anfangs mind. einem im Monat, auf 1-2 im Jahr). Sie wird medikamentös behandelt, zeigt keine sichtbaren Nebenwirkungen, ist ein Engel.
    Wir vergessen ihre Krankheit zwischen den Anfällen ganz, führen ein “normales” Leben. Einen besseren, glücklicheren und glückverstreuenden Menschen als sie kenne ich nicht.
    Dies ist meine Story zum Thema.

    Ich freue mich jedesmal, wenn dein Beitrags-Foto bei Scilogs zu sehen ist!
    Maciej z.

  3. Hallo Klaus,
    für einen Ersthelfer ist es immer eine vernünftige Maßnahme die 112 zu rufen. Da so ein Anfall nicht immer folgenlos bleiben muss und wir die Situation bestimmt nicht fachgerecht einschätzen können. Meine Frau hatte mal durch einen Infekt in der Gebärmutter getriggerte atonische Anfälle, das hatte letztendlich einen längeren Aufenthalt auf der Intensivstation zur Folge. Das ist in dem Sinne keine Epilepsie aber wie soll ein Außenstehender das denn beurteilen?
    Sieh das positiv, es könnte schlimmer kommen: man geht achtlos vorbei.

  4. @Rozinat: Vielen Dank für Ihren Bericht. Der Verlauf ist nicht untypisch. Im Erwachsenenbereich erreicht der epilepsiechirurgische Eingriffe tatsächlich häufig “nur” erneute medikamentöse Kontrollierbarkeit der Anfälle, aber keine echte und vollständige Heilung (wie sehr häufig im Kinderbereich).

    @Rozinat, @Schoppe: Natürlich muss im Zweifel immer ein Rettungswagen gerufen werden. Leider ist es in diesen Fällen meist auch erforderlich, dass der Patient mit ins Krankenhaus fährt – andernfalls riskiert er, die Kosten der Krankenwagenanfahrt selbst zahlen zu müssen (ca. 300€). Auch bei Stürzen und offensichtlichen Verletzungen (vor allem des Kopfes) muss der Rettungswagen gerufen werden. Aber wenn die Epilepsie und die typischen Anfälle gut bekannt sind, dann ist bei normalem Ablauf eines Anfalls kein Rettungswagen erforderlich; als zeitliche Schwelle würde ich 3-4 Minuten (auf der Uhr ablesen, nicht schätzen!) vorschlagen.

    @Zasada: Vielen vielen Dank, freut mich sehr – sowohl dass Sie eine so wunderbare Partnerin gefunden haben als auch Ihr Interesse an meinem Blog!

  5. @Christian Hoppe,

    danke für diesen Beitrag.

    Glücklicherweise ist in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis niemand betroffen und ich war nur einmal Zeuge eines derartigen Anfalls (bei einem Tischtennis-Wettkampf, seine Mannschafts-Kameraden kannten das schon und ließen ihn in Ruhe krampfen und sorgten nur dafür, dass er sich nicht verletzt und versicherten uns, dass das nicht weiter schlimm sei und er auch gleich wieder spielen würde, es scheint sich also um jemanden zu handeln, der das Glück hat, mit der Krankheit umgehen zu können und von seiner Umgebung gestützt zu werden).

    Sollte jemand betroffen sein, hoffe ich, dass er an jemanden gerät, der sich auf der Basis Ihrer Kompetenz die Gedanken macht, die Sie oben geäußert haben.

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