Gott, der Schöpfer

BLOG: Hinter-Gründe

Denk-Geschichte(n) des Glaubens
Hinter-Gründe

„Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde 

alte Worte, in der jetzigen Fassung im christlichen Credo etwa eineinhalb Jahrtausende alt. Sie beziehen sich zurück auf Vorstellungen, wie sie wiederum etwa ein Jahrtausend vorher in einen großen Lobgesang formuliert wurden:

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (1. Mose 1)

Und die Wurzeln der Vorstellungen und Bilder  dieses Lobgesangs lassen sich wiederum zurückverfolgen in Erzählungen und Gedichten, die nochmals über tausend Jahre älter sind, insbesondere im großen sumerischen Enuma Elisch. Auch diese Gedicht-Erzählung dürfte in den sich überlagernden kulturellen Schätzen der Menschheit nicht die tiefste und letzte Schicht sein.
 

Sumerische
Sumerische "Stele of Vultures" (wikimedia)

Nun, jedenfalls haben diese Gedanken, Erzählungen und Gedichte ihre Wirkungsgeschichte bis heute. Und im Rahmen dieser Geschichte auch ihre Wechselwirkungen mit neuen Erfahrungen und Entwicklungen und Einsichten. Diese Wechselwirkungen führten, darauf kommt es mir hier an, nicht immer auf glückliche Fährten. Denn dabei geschah auch mit ihnen, was sonst auch passiert: Sie wurden aufgeladen mit Fragestellungen und Aussagen – in Zusammenhänge gestellt, an die die ursprünglichen Dichter und Erzähler in keiner Weise denken konnten; und die, die solche Geschichten etwa bei Frühjahrsfesten rezitierten oder in Szene setzten, nie und nimmer interessiert hätten.
In der biblischen Fassung bekam diese Geschichte bereits mit der Redaktion der "Fünf Bücher Mose", des Pentateuch, eine besondere Position: Selbstverständlich wurde sie an den Anfang gestellt. Eine auf geschichtliche Perspektiven ausgerichtete Religion, die im Wesentlichen davon lebt, Erinnerungen aufzuarbeiten und sie zu Erzählungen zu verarbeiten, konnte hier „am Anfang“ ja am besten einsetzen – wo und wie denn sonst? Dabei hat dieser Anfang die wirklichen Anfänge des alttestamentlichen Glaubens überdeckt: „Ein wandernder Aramäer war mein Vater“, er hatte Hunger, suchte als Fremdling zu überleben in Ägypten, doch geriet dort erst recht ins Elend; daraus hat ihn, hat uns  Gott befreit und zu einem großen, starken Volk gemacht. So heißt ein jedenfalls viel älteres Glaubensbekenntnis in der hebräischen Bibel (5. Mose 26), zum Selbstverständnis dieses Glaubens unendlich viel wichtiger.

Ausweitung der Perspektiven 
Aber es ist ja richtig, dass der Blick sich weitete, vom Partikularen zum Universalen. War schon überlebenswichtig in Auseinandersetzung etwa mit den Religionen, den Staatsdoktrinen der Großmächte, aktuell mit der der Babylonier. Von ihrem Machtanspruch sich nicht unterkriegen zu lassen, sondern deren Weltherrschafts-Geschichten auf ihren Gott umzufunktionieren. Beispielsweise von einem „Licht“ zu erzählen, das erst am „vierten Tag“ Sonnengott Marduk weit unter dem Gottes-Licht des „ersten Tages“ erschaffen wurde und nicht einmal einen Namen verdiente, aber an den Himmel „gesetzt“ wurde, um anzuzeigen, wann Gott Tag und wann er Nacht macht – das war ein kalkulierter Affront gegen deren Sonnenkult.(Hier links der "Sonnengott Marduk, babylonischer Staatsgott und Weltenschöpfer) 

Und es wurde noch wichtiger, dann positiv gewendet, dass die ganze Menschenwelt Gottes Welt ist: Die Erde ist des Herrn und seine Wahrheit geht, soweit die Wolken gehen. Jüdisches Denken wurde universal; ja, und aus diesem Weitblick erst konnte auch das Christentum daraus hervorgehen. 

Die Begegnung mit neuen Erkenntnissen
Gleichzeitig mit dieser Universalisierung und der Sammlung der biblischen Geschichten auch die Begegnung mit der griechischen Philosophie, mit Materialisten und Idealisten. Musste die Schöpfungserzählung im Streit zwischen diesen Partei ergreifen, auch darüber mit entscheiden? Oder wurde, veranlasst durch diesen Streit,  über sie entschieden? Dem reinen Wortlaut nach könnten die alten Erzähler auch als Materialisten gelten, wie übrigens auch die der älteren und schlichteren Erzählung in 1. Mose 2: In beiden Fällen findet Gott bei der Schöpfung Materie vor, die irgendwie erklärungslos bereits vorhanden ist. Sie zu formen, lebensgerecht zu gestalten – das ist die Schöpfung, aus der erst sehr viel später, im ersten christlichen Jahrtausend, die „creatio ex nihilo“, die Schöpfung aus dem Nichts begrifflich „geschaffen“ und fixiert wurde.

Dürer, Philosophia
Dürer, Philosophia (wikimedia)

Dabei ging es im ursprünglichen Schöpfungsglauben nicht um solche Unterscheidungen und philosophischen Auseinandersetzungen; sondern ganz direkt um die Welt der Menschen, die große Welt für Menschen begreifbar zu machen: sie sich menschlich anzueignen, sie menschengerecht zu gestalten. und dafür Gott in Anspruch zu nehmen. 

Besonders schön sichtbar an der dritten wichtigen Schöpfungsdarstellung der Bibel nachzuverfolgen, die ihre Wurzeln hat im Sonnengesang des Echnaton, und in dem doch nicht die Sonne angebetet wird: Psalm 104. Hier wird – gegen alle  möglichen Ängste vor der Natur und den Naturgewalten (dem Meer! Erzählte man sich nicht noch von verheerenden Flutwellen? Wie wir heute wissen, ausgelöst durch Santorin in der Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends?) und gegen allen unmöglichen Respekt vor den Naturgöttern der Großmächtigen (der Sonne!) festgehalten: Gott hat allem seine Grenze gesetzt und diese Welt lebensgerecht geformt; er wird sie nicht untergehen lassen. Die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels finden Nahrung, wir können hier leben, lieben und arbeiten. „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat,  ich kann leben, mit den anderen Geschöpfen zusammenleben“ – frei nach Luther. Oder nach Drewermann (publik forum 2/2011): „Der Schöpfungsglaube beschreibt die Ausdehnung des Vertrauens, das ein Mensch zum Leben braucht, auf die Welt, in der er lebt.“

Tryptichon Schöpfung
Erich Huber, Tryptichon Schöpfung (wikimedia) 

Das eigene Recht und die eigene Würde
Es ist wichtig und richtig, den alten Erzählungen und Gedichten ihr eigenes Recht und ihre eigene Würde zu lassen  und sie nicht mit später an sie herangetragenen Fragestellungen zu zermürben und zu zerbrechen. Um Lebensvergewisserung, Lebensermutigung geht’s im Glauben an Gott, den Schöpfer, nicht um kosmologische Befunde und damit verknüpfte philosophische Überlegungen. Die mögen in ihrem Bereich alle ihr Recht (und ihre Notwendigkeit!) haben. Und ich persönlich finde sie für mindestens so spannend wie ich mal die ersten Raumfahrten spannend fand. Aber der Glaube an Gott, den Schöpfer, muss nicht in diese Spannung hineingezogen werden. Er war durch Jahrhunderte so frei, die diversesten Vorstellungen über den inneren oder äußeren Aufbau der Welt zu akzeptieren und die verschiedensten Philosophien und beides zu benützen als Ausdrucksmittel einer heilsamen Lebenseinstellung.

Erst als die seit der Spätantike immer mehr dogmatisch festgelegten Weltbilder im Spätmittelalter brüchig wurden, wurden sie ab da als glaubensnotwendig verteidigt; und in der Folge davon, mit dem Beginn der Neuzeit und ihren Machtkämpfen und Intrigen, auch ideologische Gräben aufgeworfen und Fronten errichtet. Doch welches Weltmodell tragfähig ist, da  sollten Theologen nicht mehr hineinregieren wollen. Doch in einer sauberen wissenschaftlichen Astronomie braucht man Gott nicht als Arbeitshypothese (Laplace) und in einer sauberen Kosmologie auch nicht (Hawking).

Ob und wie das mit dem „Urknall“ unseres Universums geschehen ist und mit der Evolution des Lebens geschieht – ob und wie Materie und Geist aufeinander bezogen sind … die Vorstellungen werden sich weiter wandeln. Da könnten Theologen neugierig und gelassen zugleich zusehen.
Aber alle – ob Wissenschaftler oder Normalverbraucher – werden immer wieder fragen, wie sie ihr Leben gestalten; und wohl  auch, auf welche Melodie sie ihr Leben singen. Da haben Theologen Liedvorschläge und Gestaltungsmodelle.
Gottes privilegierter Platz ist jedenfalls nicht der des Zündfunkens im Urknall oder der einer Zündkerze in der Evolution. Er ist wohl eher in der Zärtlichkeit eines Kusses oder in einem Stück Brot zu finden, das Menschen mit Menschen teilen.
Im Brot, das die Hoffnung nährt, wird Leben erschaffen. An diese Kraft Gottes, des Schöpfers, glaube ich.  

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Hermann Aichele Jahrgang 1945. Studium evang. Theologie in Tübingen, Göttingen und Marburg (1964-70), Pfarrer in Württemberg, jetzt im Ruhestand. Hinter die Kulissen der Religion allgemein und besonders des in den christlichen Kirchen verkündeten Glaubens zu sehen, das war bereits schon in der Zeit vor dem Studium mein Interesse: Ich möchte klären, was gemeint ist mit den Vorstellungen des Glaubens, deren Grundmaterialien vor Jahrtausenden geformt wurden - mit deren Über-Setzung für uns Heutige man es sich keinesfalls zu leicht machen darf und denen gegenüber auch Menschen von heute nicht zu leicht fertig sein sollten.

4 Kommentare

  1. Wow – ich bin hier gerade nur zufällig drüber gestolpert, aber ich muss sagen: Danke für diesen wunderbaren Text!

  2. babylonische Götter

    Marduk war soweit ich weiss nicht der Sonnengott, sondern Shamash/Utu.

    (Marduk bedeut wörtlich “juges Rind des Utu / Sonnengottes)

    Es gibt auch eine sumerisch Entsprechung Marduks, die “damals” allerdings unbedeutend war.

  3. sumerische Schöpfung etc.

    Die babylonische Enuma Elish basiert u.a. auf der Eridu Genesis, in der allerdings Marduk noch keine Rolle spielte.

    Die “Nacherzählungen” dieser alten Mythen in der Bibel sind allerdings teilweise eher Karikaturen – der Rachegott aus dem AT kommt im direkten Vergleich nicht sonderlich gut dabei weg.

    Man denke z.B. an das babylonische “Erra und Ishum”, da wird ein Gott der Völkermord wie mit der “Sintflut” etc. befohlen hat, als “wahnsinnig” beschrieben. Und das sagte in diesem Mythos der Kriegsgott, der in der regel nicht gerade zimperlich gewesen sein dürfte.

    Die “Sintflut” hatte im übrigen nicht Marduk zu veramntworten, sondern Enlil. In späteren Mythen wird dann behauptet Marduk hätte Enlil auf diese Idee gebracht.

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