Bildhaft-religiöse Sprache bei Friedrich von Spee

BLOG: Hinter-Gründe

Denk-Geschichte(n) des Glaubens
Hinter-Gründe

Friedrich von SpeeEin Lied fiel mir in letzter Zeit auf, ein sehr altes. Friedrich von Spee (1591-1635), ein Jesuit, hat den Text gedichtet. Mir begegnete es in einer Vertonung von Johannes Brahms, die wir derzeit im Gesangverein  unseres Dorfes einüben. Nun, der Name von Spee lässt aufhorchen: Dieser Priester, sowieso ein Lichtblick in der dunklen Zeit des europäischen Religions- und Territorialkrieges (1618-1648),hatte ja in gewisser ökumenischer Aktion (gemeinsame Sache mit einem protestantischen Verleger machend) sich gegen die Hexenverfolgung gewandt. Darin durchaus vergleichbar mit Sebastian Castellio. Siehe hier den Beitrag „christliche Wurzeln der Toleranz“.
Dieses Eintreten von Spees für die Verfolgten und sein Hinterfragen ideologischer Gründe ist ja bekannt. Nicht so bekannt ist, dass er auch ein Dichter war, mit tiefer religiöser Symbolik. Und darin zu finden ist ein sehr sensibles Einfühlungsvermögen in menschliches Leid.

Die erste Strophe seines Liedes:

 

In stiller Nacht, zur ersten Wacht,
ein Stimm’ begunnt zu klagen,
der nächt’ge Wind hat süß und lind
zu mir den Klang getragen;
von herbem Leid und Traurigkeit
ist mir das Herz zerflossen,
die Blümelein, mit Tränen rein
hab’ ich sie all’ begossen.

Man kann dabei denken an die als Hexen angeklagten Frauen, die ihren einsamen Schmerz in die Nacht hinaus sangen – ungewiss, ob überhaupt ein Mensch sie noch hört oder erhört. Vielleicht wagte er es nicht, in dem Lied diese Zusammenhänge deutlicher zu benennen. Oder er wollte seine Aussage absichtlich offen halten: Der sensible Seelsorger wusste ja auch von vielfältigem und vielschichtigem anderen Leid, das so oft überhört, übersehen, wegrationalisiert wird. Er lässt sich jedenfalls anrühren „von herbem Leid und Traurigkeit“; und will mit seiner Dichtung, dass andere sich auch anrühren lassen. Menschliches Leid darf nicht das Problem der Leidenden allein sein. Da muss etwas überspringen – eine Kraft erstehen, die Menschen verbindet und verbündet. Ich nenne sie die Kraft Gottes.
Aber wie dichtet von Spee weiter?  Er redet nicht von Gott und nicht von den Menschen – wenigstens nicht direkt: Er verschlüsselt seine Botschaft symbolisch. Die zweite Strophe seines Liedes.

Der schöne Mond will untergon,
für Leid nicht mehr mag scheinen,
die Sterne lan ihr Glitzen stahn,
mit mir sie wollen weinen.
Kein Vogelsang noch Freudenklang
man höret in den Lüften,
die wilden Tier’ traur’n auch mit mir
in Steinen und in Klüften.  

 

Scheinbar redet er nur von Mond und Sternen, von Vögeln und wilden Tieren. Und in diese legt er sein Empfinden hinein. Das ist doch eine Projektion menschlicher Gefühle auf die Natur –  obwohl die sich doch keinen Deut drum schert, wie es den Menschen ergeht. Führt diese Projektion also weg von der menschlichen Realität? Müsste sie durch präzises  wissenschaftliches, anthropologisches, soziologisches Denken ersetzt werden? Oder, und das möchte ich unterstellen,  wird hier nicht eine Sprachform gewählt, die – anders als Aussagen nach der exakten Norm naturwissenschaftlichen Denkens – näher  an das herankommen kann, was Menschen im Innersten bewegt? Diese Dichtung nimmt die Form religiöser Sprache an, deren Grammatik vielen überholt erscheint. Etwa wenn sie meinen nachweisen zu müssen, dass Mond und Sterne doch keine Gefühle haben und Tiere nicht wissen können, was die Menschen angeht.

Zur religiösen Sprache gehört das Projizieren nach außen dazu. Ist doch eigentlich ganz natürlich: Der Mensch, der von seinen Widerfahrnissen bis ins Innerste bewegt wird, lernt eben dadurch mit ihnen umzugehen, indem er sie nach außen projiziert. Er setzt sie z.B. in seinen Träumen bildhaft um; und er attestiert seiner Umgebung die Gefühle, die er in sich hat: Er bemalt die Wände seiner Welt mit Bildern der Kräfte, die sonst nur auf ihn einwirken. So kann er wiederum auf sie einzuwirken beginnen. Dadurch, dass sie bildhaft verschlüsselt dargestellt werden, sind sie noch lange nicht irreal. Jedenfalls, von seinen durchaus realen äußeren Widerfahrnissen und inneren Erfahrungen sprechen – die Zusammenhänge des Lebens benennen, das kann er durchaus angemessen auch in Bildern. So kann er auch "unaussprechliches Leid" eben doch aussprechen.

Und so verstehe ich auch das scheinbar harmlose Lied von Friedrich Spee: Er redet von ganz und gar nicht harmlosen Zusammenhängen in einer bildhaft-religiösen Sprache, die natürlich blanker Rationalität widerspricht.  Doch eben mit dieser Sprache kann er sehr nahe an das kommen, was Menschen wirklich bewegt; und er kann sie in Bewegung bringen.
Dass es solche bildhaft-religiöse Sprache gibt, ist gut – gut für die Menschen.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Hermann Aichele Jahrgang 1945. Studium evang. Theologie in Tübingen, Göttingen und Marburg (1964-70), Pfarrer in Württemberg, jetzt im Ruhestand. Hinter die Kulissen der Religion allgemein und besonders des in den christlichen Kirchen verkündeten Glaubens zu sehen, das war bereits schon in der Zeit vor dem Studium mein Interesse: Ich möchte klären, was gemeint ist mit den Vorstellungen des Glaubens, deren Grundmaterialien vor Jahrtausenden geformt wurden - mit deren Über-Setzung für uns Heutige man es sich keinesfalls zu leicht machen darf und denen gegenüber auch Menschen von heute nicht zu leicht fertig sein sollten.

4 Kommentare

  1. Schön!

    Danke für diesen wunderschönen Beitrag! Und ich kann Deinem Schlußwort nur zustimmen: Dass es solche bildhaft-religiöse Sprache gibt, ist gut – gut für die Menschen.

  2. Danke – und weiter um eine Ecke

    Danke für den Dank, lieber Michael B!
    Und ich nehme die Gelegenheit wahr, doch an der von Dir lobend erwähnten Stelle es um eine Ecke weiter zu treiben: Ist natürlich (!) gut, dass es religiöse Sprache mit der Eigenschaft gibt, die ich etwas auf die Schnelle “Grammatik” nannte. Damit möchte ich aber ausdrücklich nicht behaupten, die Inhalte dieser Sprache seien in jedem Fall von Vorteil.
    Ähnlich bei jeder Überlegung zur Sprache. Aber auch etwa bei Liedern: Ist gut, dass es sie gibt; aber nicht jedes Lied ist gut oder tut den Menschen gut…

    Versuchen wir, das Gute immer wieder heraus zu finden.
    Grüßle nach Stuttgart
    HERMANN

  3. Frage

    Hallo Herr Aichele,

    gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen dieser spezifisch religiösen Bildsprache und den Metaphern und anderen poetischen Figuren, die ja in der Dichtung allgemein durchaus auch mal vorkommen können?

    Grüße,

    Lars

  4. Sprache-Symbole: religiös – poetisch

    Hallo, @Lars Fischer. Danke für dieses Nachhaken. Sie haben ja Recht damit. Nehme ich schleunigst die Gelegenheit und versuche zu präzisieren/weiter zu bohren:
    Einen „fundamentalen Unterschied“ will ich natürlich nicht behaupten. Sondern betonen: Religiöse Sprache benützt wie poetische Sprache sehr oft symbolische Bilder. Beiden sind auch Projektionen nach außen/auf die Natur eigen. Beispiel: Goethes „Sah ein Knab…“ Der Knabe spricht zum Röslein, und das Röslein zu ihm – fast so schlimm wie die sprechende Schlange im Paradies.; oder der sprechende Esel bei Bileam… Na, bei Tierfabeln ist das ja gang und gäbe.

    Man könnte wohl auch – anstelle religiöse und poetische Sprache nebeneinander zu stellen — sagen: Religiöse Sprache braucht des öfteren poetische Sprache, sie schlüpft in das Gewand der Poesie.
    Nicht durchweg jeder religiöse Text; aber wichtige Texte sind so zu sehen. Und dazu möchte ich betonen: Die Sache mit den Projektionen mag bei der oder jener Poesie ein passendes (äußeres?) Stilmittel sein, das (im Falle des Gedichts von Goethe) sehr wohl bewusst eingesetzt werden kann. In der Religion ist es etwas mehr: Sie kann wohl nicht auf dieses Stilmittel, das für sie mehr ist als ein Stilmittel, verzichten. Wir kommen damit gewissermaßen an die innersten Nerven religiöser Denkstrukturen. Und die sind zumindest den meisten Glaubenden – sagen wir mal: nicht mehr als vorbewusst. Manche sagen deshalb: Ach so, nur Projektion. Ich möchte dagegen halten: Ist doch gut, dass durch diesen Kunstgriff der Projektion Zusammenhänge/Lebenserfahrungen/Lebenseinsichten… genannt werden, die sonst nicht genannt würden, genannt werden könnten.
    Einen sonnigen Gruß
    Hermann A.

Schreibe einen Kommentar