Sterne gucken

BLOG: Himmelslichter

ein Blog über alles, was am Himmel passiert
Himmelslichter
Auslese 2008
Einer der 15 besten wissenschaftlichen Blogartikel des Jahres 2008

Amateurastronomen suchen nach Kometen, beobachten veränderliche Sterne oder fertigen gnadenlos gute Fotografien. Oder wollen einfach Sterne gucken – und was sonst noch so da oben zu finden ist. Was treibt sie dazu? Es folgt der Versuch einer Antwort. Ein Erlebnisbericht von einer ungewöhnlichen Nacht an einem ungewöhnlichen Ort.

Kaum ist die Sonne hinter den Anden verschwunden, wird es kalt. Am Nachmittag haben wir noch dösend die warme Sonne genossen, jetzt kramen wir schnell unsere Daunenklamotten aus, denn die Temperatur fällt jede Minute. Kein Wunder, nicht eine einzige Wolke trübt den Blick zum Himmel. Es ist Neumond, und wir befinden uns im Nationalpark El Leoncito im Westen Argentiniens auf einer Höhe von 2300 Metern. Hier werden wir unsere heutige Sternennacht verbringen.

CASLEO El Leoncito, ArgentinienDer Ort ist nicht zufällig gewählt. Der 76.000 Hektar große Park beschützt den größten Sternwartenkomplex Argentiniens. Neben einigen kleineren Observatorien steht hier auch das Complejo Astronomico El Leoncito, Heimat des 2,15-Meter-Teleskops Jorge Sahade, des modernsten Teleskops des Landes. Doch die Kuppeln auf den Hügeln rings herum sind heute nur Kulisse für den Hauptdarsteller: den fantastischen südlichen Sternenhimmel.

Gestärkt durch unser Einheitscampingessen (Nudeln mit Tomatensauce in verschiedensten Variationen aber mit immergleichem Geschmack) machen wir uns an die Arbeit. Wir, das sind Georg und ich. Zwei Astroverrückte, die es immer wieder hinaus unter den Nachthimmel zieht. Normalerweise in die heimischen Eifel, doch seit mehr als einem Monat ziehen wir nun schon durch Südamerika, immer mit schwerem Gepäck. Wahrscheinlich sind wir die einzigen Rucksacktouristen, die zusätzlich noch ein Teleskop im Trolley mit sich rumschleppen. Heute darf er endlich wieder an die Luft, unser kleiner Reisedobson, der ganz so klein auch nicht ist. Mit immerhin neun Zoll Spiegeldurchmesser und einem Meter Brennweite gehört er schon zur Mittelklasse. Er stammt aus der Schmiede eines versierten Teleskopbauers und ist keinesfalls ein Reisedobson von der Stange.

„Ich bin mal Sterne gucken.“ – an diesen Satz haben sich Familie, Freunde und Freundin mittlerweile gewöhnt. Für mich ist die Amateurastronomie kein Hobby wie jedes andere. Ein erheblicher Anteil an Freizeit und Geld geht für dieses „Hobby“ drauf, das doch mehr zum Lebensinhalt geworden ist. Selbst meine Studienwahl hat es beeinflusst. Und auch unsere Reise durch Südamerika ist zu einem erheblichen Anteil astronomisch motiviert. Hier in Argentinien legen wir bereits unseren zweiten „Beobachtungsaufenthalt“ ein, nachdem wir im März bereits in Chile waren und dort auch die großen Sternwarten der Profis besichtigt haben. Dazu aber später mehr in diesem Blog.

Während Georg sich heute noch ein paar Stündchen ins Zelt gelegt hat (es ist tagsüber dort drinnen auch kaum auszuhalten) habe ich mich entschlossen, die Nacht durch zu machen. Ich kippe noch zwei Tassen Billigtee ohne Geschmack aber mit viel Zucker in mich hinein und mache mich auf zu unserem Beobachtungshügel, ein paar Meter vom Campingplatz entfernt. Von hier hat man einen fantastischen Blick über den Park und natürlich auf den Himmel. Kein Licht stört unseren Beobachtungsspaß. Beste Voraussetzungen also.

Dobson vor AndenkulisseUnser Dob darf sich noch etwas an die kühle Nacht gewöhnen. Die Dämmerung ist fast vorbei, mein Blick schweift erst einmal ganz ohne Hilfsmittel über den Himmel. Im Westen erkenne ich den Orion, der sich kopfüber zum Untergang bereit macht. Direkt darüber Sirius, der hellste Stern am Nachthimmel. Südlich davon beginnt terra incognita – der von Europa aus nicht sichtbare Teil des Universums. Wie heißt denn dieser helle Stern da, südlich von Sirius? Ein Blick in den Karkoschka klärt auf – Kanopus, soso. Schnell finde ich auch das berühmte Kreuz des Südens mit dem Kohlensack, einem auffälligen Dunkelnebel mitten im hellen Band der Milchstraße. Mit bloßem Auge auffällig der helle Gasnebel Eta Carinae. Omega Centauri, der gewaltige Kugelsternhaufen erscheint als diffuses Sternchen. Einfach umwerfend sind die Magellanschen Wolken. Die beiden Begleiter unserer Milchstraße kann man nur hier von der Südhalbkugel aus sehen.

Mein Blick geht nach Norden. Wo sind sie denn, die guten alten Sternbilder? Ich komme mir vor, als blickte ich zum ersten mal ans Firmament – ich erkenne gar nichts! Also das Gesicht wieder nach Süden gedreht, weit nach hinten gebeugt und den Kopf in den Nacken: aah – da ist ja der Löwe, mit Saturn mitten drin! So langsam finde ich mich wieder zurecht, aber noch des öfteren wird es mir vorkommen als säße ich auf einem anderen Planeten unter einem mir völlig unbekannten Sternenhimmel!

Park El LeoncitoIch greife zum Fernglas. Mit dem 10×50 springt mir der Tarantelnebel in der Großen Magellanschen Wolke ins Auge. Faszinierend, die Strukturierung dieser Galaxie zu sehen. Ich schwenke rüber zu ihrer kleinen Schwester. Direkt daneben liegt einer der schönsten Kugelsternhaufen des gesamten Himmels: 47 Tucanae. Doch der steht schon etwas tief am Himmel, ich beschließe, ihn am frühen Morgen mit dem Teleskop aufs Korn zu nehmen. Statt dessen fahre ich das helle Band unserer Milchstraße ab. Stundenlang könnte ich so mit dem Fernglas „spazierensehen“. Aber es wird Zeit, den Dob ein bisschen warmzugucken. Es ist mittlerweile vollständig dunkel geworden.

Bevor die Große Magellansche Wolke noch tiefer sinkt, richte ich das Teleskop auf den Tarantelnebel. Ich bin mir des Risikos bewusst: Es besteht die Gefahr, womöglich erst einmal nicht mehr vom Okular wegzukommen. So ist es auch. Egal bei welcher Vergrößerung, das Teil sieht einfach genial aus. Ich schaue bei 40facher Vergrößerung durch das Übersichtsokular: Unzählige Nebelchen bevölkern die Galaxie, mehrfach schwenke ich die Region ab, ich kann mich nicht sattsehen. Schnell den OIII-Filter ins Okular geschraubt. Die Gasnebel wirken nun noch eindrucksvoller – sie erscheinen wie ausgestanzt vor dem schwarzen Himmel, einige sind kreisrund, andere unregelmäßig geformt. Das Seeing scheint heute Abend ganz gut zu sein, ich greife also zum Nagler-Zoomokular und rücke der Tarantel auf den Pelz. Irre! Jetzt sieht man mal, woher das Teil seinen Namen hat! Stufe um Stufe vergrößere ich in den Nebel hinein, immer neue Details werden sichtbar. Ich erkenne klar das Gesicht des Spinnentiers, den Körper, die Beine…. mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Der kann nicht von der Kälte sein, denn die Daunenjacke wärmt ganz ordentlich!

Mehr als eine halbe Stunde bin ich schon beim Beobachten, und erst ein Objekt! Schnell also noch ein paar weitere „Standards“ – Eta Carinae, Omega Centauri, die Galaxie Centaurus A. Jedes für sich beeindruckend, aber mir ist schon klar, die Tarantel schlägt sie alle!

Nach dieser Photonendusche wird es langsam Zeit für die ernste Arbeit. Unser Ziel: alle wesentlichen Deep-Sky-Objekte des Himmels südlich von 30 Grad Deklination zu beobachten. Nicht Messiermarathon – NGC, IC und PK-Marathon! Wir haben uns immerhin drei Monate Zeit gelassen, trotzdem ist klar, dass wir nicht wirklich alles sehen können. Schwergewichtige Kartenwerke haben wir allerdings zu Hause gelassen. Die brauchen wir auch nicht: ein paar Tage zuvor haben wir uns einen neuen Satz Karten aus Takis Sternatlas ausgedruckt – der Tipp von Stefan Oldenburg kam gerade zur rechten Zeit! Die Kosmologs als praktische Beobachtungshilfe. Seite für Seite gehen wir den Atlas nun durch, steuern (fast) jede Galaxie, jeden Planetarischen Nebel, Kugelhaufen oder Gasnebel an. Was wie eine Mammutaufgabe klingt, läuft nach einer Weile wie von alleine, denn der Suchtfaktor bei diesem Hobby ist enorm.

„Arbeit“ ist auch das völlig falsche Wort dafür. Es ist kein Forscherdrang, nicht die Suche nach der spektakulären Entdeckung, die uns immer wieder unter den Sternenhimmel zieht. Die reine Freude an der Natur, der Spaß an der Beobachtung, das ist unsere Motivation. Bei der visuellen Beobachtung kann man diese Freude am Besten ausleben. Der Dobson braucht keinen technischen Schnickschnack. Allenfalls einen kleinen Computer zum Auffinden der Objekte, sonst nur der Himmel, wir – und ein paar Glasflächen dazwischen. Vor einigen Jahren hatten wir einmal die Gelegenheit, einem professionellen Astronomen bei der nächtlichen Arbeit über die Schulter zu schauen. Aus dieser Erfahrung fasste ich den Entschluss, die Astronomie eben nicht zu meinem Beruf zu machen. Sie soll mein Hobby bleiben. Was nicht heißen soll, dass mich die Forschungen der Profis nicht interessierten. Erst das Wissen über die faszinierenden physikalischen Zusammenhänge macht den Reiz an der Astronomie aus. Die Beobachtung des Nachthimmels ist für mich kein „reines Wundern“, vielmehr ein „verstehendes Bewundern“. So habe ich die Astronomie dann auch als Nebenfach im Studium beibehalten.

MilhstrassenzentrumBewaffnet mit Takis Karten Nummer 103 und 104 grase ich die Gegend im Lepus und dem südlichen Großen Hund ab. Die ist zwar auch bei uns in Deutschland sichtbar, aber wann hat man bei uns schon eine visuelle Grenzgröße jenseits der 7 mag?! Eine Reihe kleiner, lichtschwacher Galaxien gibt es dort, außerdem noch den ein oder anderen Planetarischen Nebel. Die vielen offenen Haufen auf der Karte lasse ich in alter Gewohnheit links liegen, man hat schließlich seine Vorlieben. Zu jedem Objekt notiere ich ein paar Zeilen in mein Beobachtungsbuch. Von ganz besonders bemerkenswerten Objekten mache ich auch mal eine Skizze, aber hier finde ich nichts, was die Arbeit wert wäre. Bemerkenswert sind vor allem zwei Galaxiengruppen. Ich notiere ins Beobachtungsbuch:

NGC 2292/3, Galaxie, Canis Maior, schöne kleine Galaxiengruppe mit mindestens drei Mitgliedern, unauffällig bei 40x, sehr schön bei 100x und vor allem bei 170x.

NGC 2207, Galaxie, Canis Maior, recht helle, große Galaxie, erscheint bei 100x merkwürdig unregelmäßig geformt, bei hoher Vergrößerung erkennt man den Begleiter.

Zwar habe ich den Aufsuchcomputer zur Verfügung, aber meist suche ich die Objekte mit Hilfe der Sternkarte „zu Fuß“. Früher war dieses „Starhopping“ eine Notlösung, eine Goto-Steuerung war mir einfach zu teuer. Ich habe mich mit derZeit daran gewöhnt und richtig Spaß an dieser Methode gefunden, und mir bis heute nie eine Steuerung gekauft.

Georg ist inzwischen aufgestanden. Ich bin ganz froh, dass er nun die Suche nach neuen Objekten übernimmt. Das Rumrutschen auf den Knien und die Teleskopakrobatik am kleinen Dobson ist auf Dauer doch etwas anstrengend. Mit 50 mach ich das sicher anders! Ich lasse aufs Neue den Blick nach oben schweifen. Es ist bereits nach Mitternacht (wie die Zeit vergeht) und gerade kulminiert Spika in der Jungfrau im Norden (wo sonst?!). Ich schaue genauer hin: Keine Frage, deutlich sieht man den Gegenschein des Zodiakallichts am antisolaren Punkt, und auch das komplette Zodiakalband längs der Ekliptik ist sichtbar. Dieser diffuse Schimmer ist nichts weiter als an Staubteilchen gestreutes Sonnenlicht. Weil diese besonders in der Ebene der Planetenbahnen konzentriert sind, sieht man sie als diffuses Band längs der scheinbaren Sonnenbahn. Das Zodiakalband ist viel schwächer als das Licht der Milchstraße, man sieht es deshalb nur in extrem klaren und dunklen, mondlosen Nächten. Vor zwei Jahren habe ich es zum ersten Mal gesehen, das war in den Alpen. In jener Nacht konnte man Sterne bis zur Größenklasse 7,3 sehen. Ich bin kein Zahlenfetischist und spare mir heute die Bestimmung der exakten Grenzgröße (außerdem habe ich keine geeignete Karte), aber der Himmel ist hier bestimmt nicht schlechter.

Im Osten steht schon der Skorpion in seiner vollen Pracht über dem Horizont. Für dieses Sternbild alleine lohnt sich eine Reise in den Süden, der Mittelmeerraum reicht schon aus. Bei uns kratzt gerade mal der nördliche Teil im Sommer über den Horizont, hier sieht man den kompletten Schwanz mit dem Giftstachel – es braucht wirklich nicht viel Phantasie, hier einen Skorpion zu erkennen! Ich greife wieder zum Fernglas – auch der Schütze mit dem Milchstraßenzentrum geht langsam auf. Einfach umwerfend sind die Sternwolken unserer Heimatgalaxie, die durchsetzt sind von Dunkelwolken, Gasnebeln und Sternhaufen. Jetzt, wo der Schütze noch dicht am Horizont steht, kann man das Fernglas einigermaßen bequem halten. Überhaupt: der Himmel sieht am Horizont praktisch genau so gut aus wie im Zenit. Geht ein Stern unter, verblasst er nicht langsam im Dunst sondern wird am Horizont einfach „ausgeknipst“ – so transparent ist die Luft hier.

Georg ist derweil fleißig. Er hat das Teleskop Richtung Osten geschwenkt und beackert Takis Karte Nummer 118. Der Dob steht direkt auf dem Boden, bei einem Meter Brennweite bedeutet das: Maximal ein Meter Einblickhöhe, bei den Planetarischen Nebeln, die er jetzt in den Sternbildern Ara und Norma ansteuert, liegt man auch schon mal mehr am Okular als dass man sitzt. Wie gut, dass wir uns abwechseln können.

StrichspurenÜberhaupt macht das Beobachten zu zweit mehr Spaß als alleine. Man kann sich gegenseitig wach halten, und das tun wir, in dem wir praktisch ununterbrochen quasseln. Dabei wechseln sich ernste Themen mit reinem Blödsinn im Minutentakt ab. Gut, dass wir hier draußen alleine sind, sonst würden wir den restlichen Campingplatz bei Laune halten. Ich kann die Nächte gar nicht zählen, die wir so über die Jahre gemeinsam in der Eifel gespechtelt haben.

Während ich mich in der ersten Nachthälfte durch dutzende funzelige Galaxiechen quälen musse, findet Georg jetzt drei echte Glanzstücke, die Planetarischen Nebel PK 342-4.1, PK 329-2.2 und PK 325-4.1. Da wir keine Objektliste ausgedruckt haben, wissen wir nie, was uns erwartet. Ein Überraschungseffekt ist also immer dabei. Die besagten drei haben eine besondere Erwähnung verdient. Ich notiere ins Beobachtungsbuch:

PK 324-4.1, PN, Ara, bei 40x fast nicht sichtbar, der Nebel wird erst durch den OIII Filter erkennbar. Bei 100x ebenso, der Nebel wirkt flächig. Bei 170x mit OIII-Filter erkennt man eine längliche Form mit Dunkelstrukturen, möglicherweise eine Hantelform.

PK 329-2.2, PN, Norma, unsichtbar bei 40fach ohne Filter, sichtbar mit OIII-Filter, bei 170x runde Scheibe, die nördliche Seite wirkt heller, an der westlichen Seite ist eine dunkle „Einbuchtung“ erkennbar, eventuell Ringstruktur?

PK 325-4.1, PN, Norma, Nebel ist bei 40x sternförmig, bei hoher Vergrößerung nierenförmig, der südwestliche Teil ist heller als der nordöstliche, im helleren Teil steht ein Stern (Zentralstern?)

Deep-Sky at it’s best! Ich mache mich an ein paar Skizzen, trotz unangenehmer Einblickposition und nachlassender Konzentrationsfähigkeit.

Die kleine Zeiger geht stramm auf die drei zu – so langsam kriecht die Müdigkeit in mir hoch. Gegen Hunger und Kälte lasst sich leicht etwas unternehmen, die Müdigkeit aber kann man mit den paar Stunden Schlaf am Vormittag nicht in Schach halten. Georg ist noch fit (er hat ja auch erst vor zwei Stunden angefangen) und ruft mich wieder ans Teleskop. „Hier, zwei schwache Galaxien, die eine schön elongiert, die zweite eher rund, direkt an dem hellen Stern auf vier Uhr, siehst du?“ – „Nö, ich seh’ gar nix mehr!“ Ist auch gefühlt die zweihundertste funzelige 12mag-Galaxie der heutigen Nacht. Mir schwirrt es nur so vor den Augen, Müdigkeit bedeutet Sauerstoffmangel, sehr schlecht für die Nachtsichtfähigkeit. Ich plädiere für eine Teepause.

Wir schmeißen den Benzinkocher an, die Dunkeladaption ist so zwar weg, aber die kommt wieder. So eine Nacht geht halt schon mal gerne über neun, zehn Stunden, ohne eine Pause geht dann irgendwann nichts mehr. Ein anstrengendes Hobby! Nach einer Tasse heißen Tees geht es mir aber wieder besser. Mein Entschluss steht nun endgültig fest – der Schlafsack muss noch warten, heute wird durchgemacht!

Zodiakallicht El LeoncitoWir beobachten weiter Planetarische Nebel und Galaxien am Morgenhimmel und wälzen uns dabei im Staub, den wir rund um den Dob mit unseren Stiefeln immer feiner mahlen. Irgendwann schmerzen Rücken, Knie und Nacken. Ich gebe zu: So langsam erwarte ich sehnsüchtig die Dämmerung! Der Blick Richtung Osten verrät, dass es allzu lange auch nicht mehr dauern kann. Geradezu blendend steht der Keil des Morgenzodiakallichtes am Horizont und erstreckt sich bis zum Milchstraßenzentrum, dass mittlerweile fast im Zenit steht. Die Ekliptik steht fast senkrecht zum Horizont, wir erkennen die Sternbilder Steinbock und Wassermann. Jupiter steht auch schon hoch am Himmel, aber wir ignorieren ihn. Schließlich wollen wir uns nicht erneut die Adaption ruinieren. Statt dessen peilen wir dicht am Horizont den Helixnebel an. Wir sind ein wenig überrascht, wie gut der riesige, rauchige Ring zu sehen ist, steht er doch mitten im hellsten Teil des Zodiakallichts. Was hier jedoch hell erscheint, wäre bei uns zu Hause dunkelster Himmel, die Lichtglocke jedes 500-Seelen-Dorfes ist mittlerweile heller!

Es ist schon nach fünf und wir haben keine Lust mehr auf Funzelgalaxien und sternförmige Planetarische Nebel. Für jedes Highlight muss man sich durch mindestens 20 weniger interessante Objekte wühlen. Auch ist die Batterie im Computer schon wieder leer, also gönnen wir uns ein paar „Standards“: Lagunennebel, Trifidnebel, Omeganebel, Adlernebel, und, und, und. Ach, stünde der Schütze bei uns doch mal so hoch am Himmel! Der Hammer zum Schluss bleibt aber mein neuer Lieblingskugelhaufen, 47 Tucanae. Keine Frage, mit seinem konzentrierten Zentrum und seinen tausenden, aufgelösten Einzelsternen sticht er jeden anderen Kugelhaufen aus!

Am Horizont erscheint plötzlich ein unangenehm helles Licht – hat irgendwer auf den Sternwarten den falschen Schalter gedrückt? – Nein, es ist nur die gleißend helle Venus, die uns mitteilt, dass die Dämmerung jetzt bald doch einsetzen wird. Wir schwenken jetzt doch einmal zum Jupiter, schließlich werden wir ihn zu Hause in den nächsten Jahren allenfalls tief am Horizont zu sehen kriegen. Er dankt es uns mit einem kombinierten Schattenwurf und Durchgang einer seiner Monde.

Endlich – es ist fast halb sieben und ein leichter, erst kaum wahrnehmbarer Schimmer lässt die Milchstraße langsam verblassen. Irgend jemand dreht am großen Dimmer, und erleichtert packen wir den Dob zusammen. Schnell noch Zähne putzen und dann ab in den Schlafsack. Es wird nicht lange dauern, und die Sonne verwandelt das Zelt in eine Sauna. Die Morgenfrische muss zum Schlafen genutzt werden, schließlich steht morgen die nächste Nacht an. Der Himmel ist ja leider morgen genauso gnadenlos gut wie heute!

So geht eine ganze Woche rum, sechs Nächte im April haben wir in El Leonito Sterne geguckt, dazu kommen noch neun vom vorigen Monat. Nachdem wir nun drei Wochen lang den Dob mit uns herum getragen haben geht es bald schon wieder raus, die letzten Nächte auf unserer Tour stehen an. Wenn dann der Himmel dann leer geguckt ist, geht es wieder nach Hause – ein unvergessliches Abenteuer geht zu Ende. Ob jetzt klar geworden ist, warum wir uns das alles antun, weiss ich ehrlich gesagt nicht. Vielleicht muss man es auch selbst erlebt haben und über eine gewisse Portion Verrücktheit verfügen. Eine Warnung jedoch an alle, die es einmal ausprobieren wollen, dieses “Sterne gucken”: Es könnte sein, dass man so schnell nicht mehr davon loskommt. Uns hat die Sucht schon bis nach Argentinien verschlagen. Und es steht fest: Wir werden es immer wieder tun!

Jan Hattenbach

Avatar-Foto

Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

8 Kommentare

  1. Wow…

    … das ist ein wahrlich genialer Beobachtungsbericht! Welcher Leser da nicht Feuer fängt…

    Viele Grüße

    Stefan 🙂

  2. Beobachtungsbericht

    Hallo ihr zwei, wenn man das so liest, dann bekommt man eigentlich nur Lust wie in der Eifel zusammen mit euch zu spechteln. Der Neidfaktor ist jedenfalls enorm. Bei einem so schönen Bericht kann man eure Begeisterung förmlich spüren. Wir freuen uns schon auf weitere Berichte.

    Beste Grüße
    HP

  3. Gruesse in die Heimat

    Hallo Hans, hallo HP!

    Lang ist ja nicht mehr. Wie ich hoere ist das Wetter bei euch ja auch richtig gut. Wir freuen uns schon darauf bald wieder die gute alte Eifel unsicher zu machen!

    Gruesse, Georg und Jan

  4. Schluck…

    …Jetzt bloß nicht neidisch werden…! 😉
    Danke für den tollen Bericht !

    Reiner/NRW/Ruhrpott(ist nicht mehr Kohlenschmutz,vielmehr “Lichtverschmutz(ung)”…bäh!)

  5. “Sterne Gucken” macht Spaß

    Der Artikel hat mir viel Freude bereitet, auch wenn ich erst vor ein paar Tagen darauf aufmerksam wurde. Jan, Du hast es mal wieder verstanden, beim Leser das “Kopfkino” einzuschalten. Super! Bis ich auf die Südhalbkugel kommen werde, müssen wohl erstmal Astronomieprogramme herhalten…

    Grüße aus der Nordeifel
    Heiko

  6. Kaufhausteleskop

    Man kann jeden Satz dieses Beitrags nur unterstreichen, denn genau so ist es. Für die Erstbegegnung mit dem Sternhimmel genügt ein einfaches Teleskop. Wichtig ist, dass man nicht Angst haben muss etwas Teures kaputt zu machen, und dass man die grundlegenden Dinge so einüben kann. Wer dann dabei bleibt, will später “mehr”, aber auch ich habe noch meinen 46 Jahre alten “Japan-Refraktor” mit 60mm Öffnung und er funktioniert noch bestens.

  7. Pingback:Ein neues Milchstraßenpanorama › Himmelslichter › SciLogs - Wissenschaftsblogs

Schreibe einen Kommentar