Sonnensturm im Wasserglas

BLOG: Himmelslichter

ein Blog über alles, was am Himmel passiert
Himmelslichter

Alle festhalten – der Sonnensturm ist da! Und der lässt heute und morgen ja bekanntlich "Elektrogeräte wanken" (ZDFheute), könnte "Stromnetze und Satelliten stören" (tagesschau.de) – und 2013 droht uns womöglich gar ein "Mega-Chaos" (Bild.de – wer sonst?). Wieder einmal zeigt sich: Massenmedien und Astronomie, das geht gar nicht.

Wissenschaft, Astronomie vor allem, ist ja auch sterbenslangweilig. Da muss man schon ein bisschen nachhelfen, will man als Wissenschaftsredakteur auch mal ein paar Klicks abkriegen. Und das Aufarbeiten des angerichteten medialen Chaos kann man ja den wenigen besonnenen Kollegen und ein paar Bloggern überlassen, während man selbst schon die nächste Sau für die Hatz durchs Dorf klarmacht.

Also gut – was war denn nun?

Erstens – es gab eine beeindruckende Eruption auf der Sonne (Michael Khan berichtete). Zweitens, Sonneneruptionen können unter Umständen Kommunikationspropleme und Stromausfälle auf der Erde verursachen. Das wars aber auch schon.

Diese Sonneneruption war nämlich weder "ungewöhnlich heftig" wie etwa das ZDF behauptet, noch war er auf die Erde gerichtet. Beides bedeutet, dass seine Auswirkungen hierzuplanet eher schwach sein werden. Vor einigen Jahren konnten wir ganz andere Kaliber beobachten – und leben immer noch.

Dass sie "die stärkste Eruption seit 2006" gewesen ist, mag stimmen, sagt aber genau gar nichts aus. Denn die Sonne war in den vergangenen Jahren ausgesprochen ruhig (was alle 11 Jahre vorkommt) und wird nun langsam aktiver (was überhaupt nichts außergewöhnliches ist). Nun also die stärkste Eruption seit 2006 als etwas Bemerkenswertes darzustellen ist in etwa so, als sich im Juni über "die höchsten Temperaturen seit Januar" zu wundern.

Dass es 2013, wenn das nächste Aktivitätsmaximum erwartet wird, weitere und heftigere Sonnenstürme geben wird, ist etwa so überraschend, wie dass es im Sommer mehr Wärmegewitter als im Winter gibt. Und ja – es gab in der Vergangenheit auch Zwischenfälle bei – wesentlich stärkeren – Sonnenstürmen. Aber was hat das mit dem Ereignis vom 7. Juni zu tun? Erinnern die Medien bei jedem Regenschauer an die Oderflut?

Sie müssen wohl – oder glauben das zumindest. Dabei gäbe es über den wirklich sehenswerten Ausbruch durchaus Berichtenswertes, auch ohne Weltuntergangspathos. Aber wie schon gesagt, Astronomie und Massenmedien, das geht nicht. Sah man ja auch schon vor ein paar Wochen. Man erinnert sich: Ostern erst ist unser blauer Planet fast der Vernichtung durch Millionen kosmischer Geschosse entkommen, vielerorts rannten die Menschen in Panik auf die Straßen, um den Lyriden-Platzregen zu sehen. Wir alle kamen damals mit dem Schrecken davon.

PS: Lieblingszitat zum Thema, gefunden bei tagesschau.de:

Milliarden Tonnen bewegen sich mit atemberaubender Geschwindigkeit

Oder vielleicht sogar mit…wahnsinniger Geschwindigkeit?

PPS: Man beachte bitte auch Michael Khans Kommentar zum Lyriden-Artikel. Ich verneige mich vor solchem Weitblick!  

PPPS: Tilmann Althaus erklärt auf Astronomie-heute.de noch mal ausführlich, warum der Sonnensturm keinen Weltuntergang nach sich zieht.

4PS: Manfred Holl kommentiert die Sonnenhysterie der Medien ebenfalls, seiner Analyse kann ich nur zustimmen!

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Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

13 Kommentare

  1. Berserker melken?

    Leider komme ich im gleichen Maße oft zu dem Schluss, dass Massenmedien und Medizin gar nicht gehen. Des weiteren können Astronomie und Medizin fast beliebig ersetzt werden. Klima, Politik, …

    Vielleicht läuft einfach das Geschäftsmodell dieser Medien berserk, da in dem Mega-Massenmedium Internet scheinbar nichts ohne Tod und Teufel heraus sticht. Dabei ist Seriosität in meinen Augen das einzige, was einen neben den Berserkern überleben lässt, zumal der verbalen Lautstärke die Lächerlichkeit eine Grenze setzt.

    Ich frage mich allerdings nun, ob wir in Blogs aus dieser Lächerlichkeit kapital schlagen sollen oder manchmal doch besser dies ignorieren (und eben auch keine Links setzen)? Mit Freude sah ich, dass Du die Bild z.B. nicht verlinkt hast. Das ist gut so.

  2. Auf den Punkt gebracht

    Hallo Jan,

    Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Mir scheint, in Deutschland regiert nur noch die Hysterie. Fakten spielen hier überhaupt keine Rolle mehr. An Fukushima interessiert hierzulande nur der Reaktor, die Menschen, die beim Tsunami Leben, Hab und Gut verloren, spielen hier überhaupt keine Rolle.

    Nach EHEC nun die Sonne. Meine Nachbarin, eine 300%ige Grüne, meinte gestern, “schrecklich, nun ist nach Japan auch noch der Reaktor auf der Sonne explodiert, wo soll das nur enden?” Sie traut sich nicht mehr aus dem Haus … Alle Gegenargumente halfen nicht, weil ein Grünensprecher irgendwas gesagt haben soll und auch Greenpeace wohl der Meinung war, die Sonne sei sehr gefährlich und lebensbedrohend (von beidem habe ich nichts mitbekommen, konnte beides auch nicht durch Recherchen belegen). Fehlt nur noch der Wunsch nach dem Ausstieg aus der Sonnenenergie nach dem EruptionsGAU.

    Viele Grüße

    Manfred

  3. @all: Seriosität

    “Dabei ist Seriosität in meinen Augen das einzige, was einen neben den Berserkern überleben lässt, zumal der verbalen Lautstärke die Lächerlichkeit eine Grenze setzt.”

    Das würde ich definitiv unterstützen. In Bezug auf blogs würde ich zusätzlich die Diskussionskultur als wesentlich ansehen.

  4. gigantisch, gewaltig, dramatisch…

    Der Medien-Hype, der Gewöhnliches zu Spektakulärem erhöht, zeigt sich im Gebrauch jener Adjektive, die zu meiner Schulzeit verboten waren. Alles, was außerhalb des Vorstellungsvermögens liegt, wird heute mit Worten wie riesig, heftig, außergewöhnlich, gigantisch, gewaltig, dramatisch, ungeheuerlich … bedacht.

    Diese “Darstellungsweise” wirkt wissenschaftlicher Erkenntnis, Vernunft und Aufklärung diametral entgegen. Im öffentlichen Bewusstsein wabert daher eine Art Pseudowissenschaft, die den Menschen seines Urteilsvermögens beraubt und Nährboden ist für Klimaskeptiker oder Einstein-Leugner.

  5. Raumfahrtagenturen berichten …

    Die NASA hat zwar Informationen gebracht, sich aber wenig Mühe gegeben, den Hype etwas zu relativieren.

    (Na, und wenn die das schon so machen, dann habe ich mir halt gedacht, dass ich auch mit Adjektiven operieren darf)

    Dafür hat eine andere Raumfahrtagentur, deren Name mir gerade entfallen ist (Vielleicht kommt ein anderer Leser drauf?), das Ereignis komplett ignoriert. So geht’s ja nun auch nicht.

    Wenn ich auf deren Webseite mal auf den Titel “The Sun now” klicke, kommt ein Artikel von der Webseite des Sonnenobservatoriums SOHO, und zwar vom 3. Mai (ja, Mai), 2011 (Na, immerhin ist es nicht 2010!).

    Besagte Raumfahrtagentur hat sogar eine eigene Mission zur Vermessung des Erdmagnetfelds und seiner Interaktion mit dem Sonnenwind, aber dort hat man es seit Februar 2011 nicht für nötig befunden, eine neue Pressemitteilung abzusetzen.

    Eigentlich hätte sich gerade hier mal die Gelegenheit geboten, der blühenden Spekulation mit harter Information entgegenzutreten und darüber aufzuklären, dass erstens diese Eruption spektakulärer aussah als sie war und außerdem die Korpuskularstrahlung die Erde kaum streifen würde. Aber das sah man dort offenbar anders- so man sich denn überhaupt Gedanken um die Information der Öffentlichkeit machte, was ich kaum annehme.

  6. @Dahlem: ignorieren?

    “Ich frage mich allerdings nun, ob wir in Blogs aus dieser Lächerlichkeit kapital schlagen sollen oder manchmal doch besser dies ignorieren”

    Ich habe mich auch gefragt, ob ich den Quatsch nicht einfach ignorieren soll. Dummerweise geht das kaum, zumindest, wenn man (wie ich) z. B. in einer Volkssternwarte arbeitet und zwangsläufig mit solchen Meldungen konfrontiert wird “In der Bild stand, die Nasa hat gesagt, dass…” Dann muss man dazu Stellung beziehen, denn die Leute erwarten zu Recht eine Antwort. Das gleiche gilt für einen Wissenschaftsblog.

    Das andere Problem sind die Links. Ich verlinke grundsätzlich nicht auf bild.de, denn jede Verlinkung steigert nur den Wert dieser Seite. Man braucht mMn auch keine Belege dafür aufzuführen, dass diese Zeitung/Seite nur Mist produziert. Das sollte inzwischen zum Allgemeinwissen zählen.

    Anders bei den Seiten von ARD und ZDF. Die haben ja (noch) den Ruf, einigermaßen seriös über das Weltgeschehen zu berichten. Irgendwas läuft aber grundfalsch, wenn Blogger in ihrer Freizeit das geraderücken müssen, was gut (zumindest besser, teilweise mit Gebührengeldern) bezahlte Journalisten verhunzen.

  7. @Michael

    Die Rolle der Esa (die meintest du, oder? 😉 ist in diesem Zusammenhang mit schlafmützig noch nett umschrieben…

    Und man soll auch ruhig mal ein paar Adjektive benutzen dürfen, um seiner Begeiterung Ausdruck zu verleihen. Der Ausbruch war ja auch wirklich beeindruckend. Gegenüber den Medien ist aber wohl äußerste Zurückhaltung geboten, wie es scheint…

  8. In Deutschland niemand (mehr) zuständig?

    Mit großem Tamtam war vor Jahren eine deutsche “Weltraumwetterwarte” in Greifswald eröffnet worden, deren Aufgabe die nüchterne Diskussion solar-terrestrischer Beziehungen sein sollte; u.a. wurden dort die Auswirkungen der heftigen Sonnenaktivität im Herbst 2003 systematisch ausgewertet. Aber jetzt? Die Webseite http://www.weltraumwetterwarte-greifswald.de scheint sein Jahren brach zu liegen.

    Ist hierzulande überhaupt noch jemand für das Weltraumwetter “zuständig”? Die Information, dass nichts Besonderes im Anmarsch war/ist, konnte man sich gestern leicht bei der amerikanischen NOAA beschaffen, wenn man gezielt suchte – aber das kann’s doch nicht sein. Die Verwirrung der deutschen Medien ist daher in gewisser Weise verständlich: So wurden gestern allein drei hilflose TV-Teams gesichtet, die auf der Suche nach Antwort alle in dasselbe Planetarium stolperten …

    Nicht dass sich deutsche Ministerien in letzter Zeit in Sachen hilfreicher Aufklärung mit Ruhm bekleckert hätten, aber in Sachen Weltraumwetter wird’s schon gar nicht mehr versucht. Neben dem Umwelt- und Innenministerium (oder ist das eine Äußere Angelegenheit 🙂 müssten sich doch eigentlich auch DWD und DLR in die Pflicht genommen fühlen. Vielleicht war die Misere jetzt ja der nötige Weckruf …

  9. Weltraumwetter-Kompetenz in Europa

    Die ESA ist dabei, im Rahmen des Space Situational Awareness Programms auch einen Weltraumwetterdienst zu organisieren. Dieses Jahr beträgt das Budget für das SSA Programm 15.7 M€ (das sind 0.4% des Gesamtbudgets), aber das sollte in den nächsten Jahren deutlich mehr werden. Es dauert aber noch ein paar Jahre, bis die Europäer eine operationelle Weltraumwetter-Vorhersage betreiben werden.

    Was Missionen wie Cluster angeht, so erfolgt zwar die Kontrolle der Satelliten vom ESOC aus, die wissenschaftlichen Messungen werden aber an den Instituten der Experimentatoren ausgewertet und erst wenn die etwas von sich geben, kann ESA-PR sich dazu äussern.
    Gute Wissenschafts-Journalisten kennen zwar die Institute, von denen man in Fällen wie dem gerade beschriebenen qualifizierte Kommentare bekommen kann, für die Mehrzahl der Journalisten scheint aber NASA-PR die einzige Informationsquelle in Weltraum-Angelegenheiten zu sein…

  10. Erforderliche Qualifikation

    Um das Ereignis vom 7.6. einzuordnen und einen qualifizierten Artikel zu schreiben der dieses Ereignis bewertet und auch die Tatsache unterstreicht, dass diese spezifische Eruption die Erde nicht treffen wird, braucht man nicht unbedingt die allerneuesten Daten von Cluster. Das ist nicht etwas, was nur Wissenschaftler in ihren Instituten leisten können. So viel Kompetenz ist bei einer Agentur auch schon in-house da, insbesondere (aber nicht nur) bei der von Gerhard Holtkamp erwähnten Abteilung.

    Man muss allerdings schon ein wenig einen Riecher dafür haben, was die Öffentlichkeit bewegt und man muss die bereitschaft zu proaktivem Handeln haben. Sonst passiert es, wie hier, dass man direkt vor dem gegnerischen Tor eine Steilvorlage bekommt und sie nicht annimmt.

  11. mea culpa…

    Neiiin, ausgerechnet Michaels Blog-Beitrag “Gewaltige Sonneneruption am 7. Juni” habe ich natürlich nicht gemeint, als ich gestern über nervige Adjektive schrieb. Ich meine jene Gazetten-Schreiber, die ihre Zeilen mit Adjektiven überwürzen, weil sie sich nicht ansatzweise vorstellen können, worüber sie da schreiben. Und Michaels Text inklusive Link auf das (in der Tat beeindruckende!) You-Tube-Video zählt zu den wenigen nüchternen und erwähnenswerten Hinweisen, die sich zur CME vom Dienstag im Netz finden.

  12. Nervige Substantive

    Ich bin durchaus mit der Aufzählung nerviger Adjektive einverstanden (Wobei das Ereignis vom 7. selbst gestandene Astronomen zu überschwänglichen Äußerungen hinriss “… haut einen aus den Socken.”)

    Was mich in der Persse stört, sind nicht nur die Adjektive, sondern auch die prolieferierenden Substantive. So wie: Monster-Sonnenexplosion schickt Killer-Strahlung!!!

    Frage: Wie ist das eigentlich mit den Eruptionen: Wenn die gut beobachtbar sind, also von uns aus gesehen nahe des Sonnenrands, müssten sie dann nicht aus geometrischen Gründen heraus für die Erde ungefährlich sein?

  13. “Gefahr gebannt – vorerst”

    Und wenn dann doch nichts passiert, wird die potenzielle Katastrophe einfach in die Zukunft verlagert. Irgendwann wird es bestimmt mal ganz ganz schlimm werden.

    http://www.augsburger-allgemeine.de/…447316.html

    So erzeugt meine eine permanente Stimmung der Hysterie in der Bevölkerung. Heutzutage ist gebildet, wer keine Zeitung liest.

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