Ergebnisse zum Meteoritenfall von Peru veröffentlicht

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Manchmal wenn man glaubt, die Natur ein Stück weit verstanden zu haben beweist sie einem das Gegenteil. Der Meteoriteneinschlag von Carancas ist ein solcher Fall, denn nach der gängigen Lehrmeinung hätte er niemals stattfinden dürfen. Fast ein halbes Jahr nach dem spektakulären Ereignis auf dem peruanischen Altiplano stellen Wissenschaftler nun die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor. Eines ist sicher: Unsere Vorstellungen von Meteoriteneinschlägen müssen überarbeitet werden.

Was die Menschen im Grenzgebiet zwischen Peru und Bolivien an jenem Samstagmittag erlebten, werden sie so schnell nicht vergessen. Zuerst sahen sie eine gleißend helle Feuerkugel am hellichten Tag, die alleine schon beeindruckend gewesen wäre. Dann aber folgte eine gewaltige Explosion, riss einen 14 Meter großen Krater und löste ein lokales Erdbeben aus – so etwas kannte man vorher nur aus dem Kino. Nie zuvor fand der Einschlag eines außerirdischen Himmelkörpers vor den Augen und Ohren so vieler Menschen statt. Es war schon ein Glück, dass niemand dabei zu Schaden kam.

Der Meteoritenkrater von Carancas am 26.09.2007

Der Einschlagskrater von Carancas, fotografiert am 26.09.2007, 11 Tage nach dem Fall.

Ich erinnere mich noch gut an die Tage kurz nach dem Impakt am 15. September 2007. Zu jener Zeit wohnte ich in der peruanischen Stadt Arequipa und konnte die Ereignisse aus nächster Nähe verfolgen. Wenige Tage später war ich einer der ersten Ausländer am Krater. Lange Zeit war unklar, ob es sich wirklich um einen Meteoritenkrater handelte. Verschiedenste Alternativen wurden vorgeschlagen: vulkanische Aktivität, Weltraumschrott oder ein Raketenangriff. Ich las einen Bericht, in der eine Wissenschaftlerin bezweifelte, dass zwischen der beobachteten Feuerkugel und dem Explosionskrater überhaupt ein Zusammenhang bestand. Eine sehr gewagte Vermutung.

Ein ca. 36 Gramm schweres Stück des Carancas-Meteoriten. Die rötliche Farbe stammt vom Erdboden des Aufschlagortes.

Weitere Berichte stifteten Verwirrung. Das Grundwasser im Krater habe noch Stunden später gekocht. Ein fauliger, schwefliger Geruch gehe von dem Krater aus, Menschen und Tiere seien erkrankt. Vieles davon stellte sich später als übertrieben heraus. Einige Details stimmten aber: der Schwefelgeruch war real und auch das „kochende“ Wasser hat es wohl tatsächlich gegeben.

Die Dorfbewohner fanden ungewöhnliches, graues Material in der Nähe des Kraters. Nachdem bolivianische Wissenschaftler die merkwürdigen Steine untersucht hatten, war die Verwirrung perfekt: es waren die Reste eines gewöhnlichen Chondriten, also eines Steinmeteoriten. Nicht wenige Experten hielten dies für absurd. Warum durfte nicht sein, was immer offensichtlicher wurde?

Das von Auswurfmaterial beschädigte Haus befindet sich etwa 100 Meter vom Krater entfernt.

Man war der festen Überzeugung, dass Steinmeteoriten dieser Größe niemals in einem Stück den Erdboden erreichen können. Sie zerplatzen durch die enormen Scherkräfte bei ihrem Flug durch die Atmosphäre. Bestenfalls kann ein Hagel aus Bruchstücken niedergehen, die aber allesamt zu leicht und zu langsam sind, als dass sie einen Krater schlagen könnten. Das mag auch nach wie vor der Regelfall sein, aber zu jeder Regel gibt es eben Ausnahmen. Der Carancas-Chondrit ist offensichtlich in einem Stück niedergegangen, man hat keine weiteren Bruchstücke in der Umgebung finden können.

In den vergangenen Monaten haben Wissenschaftler aus vielen Ländern den Einschlagskrater und die Reste des Chondriten untersucht, Fotos und Videoaufzeichnungen gesichtet und mit den Augenzeugen vor Ort gesprochen. Auch Infraschallmessungen und die Aufzeichnungen des seismischen Messnetzes gingen in die Untersuchungen ein. Auf der Anfang März in Texas stattfindenden Lunar and Planetary Science Conference werden die Ergebnisse nun vorgestellt. Zwei Studien liefern zum ersten Mal ein umfassendes Bild der Ereignisse vom 15. September 2007.

Die Zusammenfassungen dieser Studien kann man hier und hier abrufen. Sier sind recht kurz und lesenswert, allerdings nur in englischer Sprache verfügbar. Nach diesen nun veröffentlichten Erkenntnissen spielte sich am 15. September etwa folgendes ab:

Der Ursprungskörper, dessen Größe mehrere Meter und dessen Masse mindestens 10 Tonnen betragen hat, trat mit einer Anfangsgeschwindigkeit von 12-16 km/s in die Erdatmosphäre ein. Beim Flug durch die Lufthülle verlor er den größten Teil seiner Masse und Geschwindigkeit, so dass er mit einer Endmasse von etwa 3 Tonnen und einer Geschwindigkeit von 3 km/s den Erdboden erreichte. Genau um 16:40:17 UT fand der Einschlag statt, dabei wurde eine Energie von etwa 2 Tonnen TNT freigesetzt.

Der Meteorit flog unter einem steilen Winkel von mindestens 60° zum Horizont aus nordöstlicher Richtung (Azimutwinkel 80°) ein. Daraus kann man auf den Orbit des Mutterkörpers schließen. Dieser hatte eine geringe Inklination (maximal 5°) und unterscheidet sich deutlich von den Orbits der meisten erdnahen Asteroiden. Der Carancas-Meteoroid kam aus einer eher ungewöhnlichen Ecke des Sonnensystems.

Mit einer Einschlaggeschwindigkeit von rund 3 km/s war der Meteorit sehr schnell. Er ist daher beim Aufprall explodiert und nicht, wie ebenfalls vermutet wurde, mit geringerer Geschwindigkeit in den Erdboden „gesunken“. Demnach hat es auch keine tonnenschwere Restmasse unter dem Krater gegeben.

Bei dem Einschlagskörper handelt es sich um einen gewöhnlichen Chondriten vom Typ H4-H5 mit einem hohen Gehalt an Eisen und Nickel. Die Schwefelgerüche stammen höchstwahrscheinlich aus der thermischen Dissoziation von Troilit, einer in Chondriten häufig anzutreffende Schwefelverbindung. Bei den hohen Temperaturen während der Explosion kann Troilit leicht zerlegt und Schwefelgas frei werden. In den untersuchten Bruchstücken wurde Troilit in besonders hoher Konzentration gefunden. Die entstandenen Schwefelgase haben sich mehrere Tage im Wasser des Kraters gehalten und können die Krankheitssymptome, die übrigens sehr schnell wieder abgeklungen sind, ausgelöst haben. Das sprudelnde Wasser im Krater ist eher auf durch den Aufprall komprimierte Luft zurückzuführen, die in den Minuten nach dem Impakt wieder frei wurde. Selbst die hohe Einschlagsenergie hätte das Wasser nicht für mehrere Minuten zum Kochen bringen können.

Der Meteorit von Carancas hat also eines deutlich gemacht: Auch ein relativ kleiner Chondrit kann den Atmosphärenflug überstehen und mit hoher Geschwindigkeit auf der Erde einschlagen. Das ist eine völlig neue Erkenntnis. Ob im konkreten Fall eine aerodynamische Form des Mutterkörpers dabei geholfen hat wird man natürlich nie sicher wissen können, es ist jedoch wahrscheinlich.

Die Ergebnisse der Wissenschaftler liegen übrigens bemerkenswert nahe bei den Spekulationen, die schon kurz nach dem Einschlag über die internationale Mailingliste der Meteoritenjäger diskutiert wurde. Hier wurde zum ersten Mal die Troilit-Theorie zur Erklärung der mysteriösen Gerüche und Erkrankungen vorgeschlagen, während in der Presse noch über Arsen als Ursache der Erkrankungen spekuliert wurde. Auch wurden schon früh Vermutungen zum Einschlagwinkel oder zu Masse und Geschwindigkeit des Impaktors gemacht, die erstaunlich gut mit den jetzt publizierten Werten überein stimmen. Für eine Ferndiagnose ist das eine tolle Leistung!

Ungewöhnliche Begegnung bei der Meteoritensuche…

Auch für mich werden die Tage nach dem 15. September 2007 unvergesslich bleiben. Es war sehr spannend, die Entwicklung der Ereignisse unmittelbar mitzuverfolgen. Zwar werde ich sicher kein Meteoritensammler werden, aber ein Stückchen Carancas-Meteorit wird bei mir immer einen Ehrenplatz haben. Meine Erlebnisse rund um den Meteoriteneinschlag von Carancas wurden übrigens in der Dezemberausgabe 2007 der Sterne und Weltraum veröffentlicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

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