Es regnet nicht in Hamburg. Das sind nur Meteorite.

BLOG: Himmelslichter

ein Blog über alles, was am Himmel passiert
Himmelslichter

Die nicht gerade arme Geschichte der Meteoritenfakes darf um eine äußerst bizarre Episode erweitert werden: Ein Experte findet einen Meteoriten seiner eigenen Sammlung in einem Hamburger Vorgarten, bemerkt den Irrtum nicht, ist dafür überraschend schnell bei der Boulevardpresse. Die Meteoritensammlergemeinde ist empört und fordert Konsequenzen.

Vorweg: Wer für diesen Schlamassel verantwortlich ist, wird man endgültig erst wissen, wenn sich der Schuldige geständig zeigt. Bisher ist das nicht passiert. Was die Himmelslichter von den Beteiligten dieses Falles erfahren haben lässt aber keinen Zweifel, dass er zu den dreistesten Meteoritenfakes aller Zeiten gehört.

Der Reihe nach. Am 28.09.2014 entdeckte Michael M. nach eigener Aussage eine defekte Glasscheibe am Vordach seiner Hamburger Wohnung. Das Glas war zersplittert, offenbar durch Einwirkung eines von oben gefallenen Gegenstandes. Das kam M. mysteriös vor, denn oberhalb des Dachs befindet sich kein höheres Gebäude oder ähnliches, von dem der Gegenstand hätte fallen können. M. konnte sich keinen Reim auf diese Geschichte machen, und hatte die Sache fast bereits wieder vergessen, bis…

Detailaufnahme des zersprungenen Glasdachs, der Abdruck des vermutlich Verursachers ist eingerahmt. Foto: Michael Möhl
Detailaufnahme des zersprungenen Glasdachs, der Abdruck des vermutlich Verursachers ist eingerahmt. Foto: Michael M.

…bis er am 14.10.2015, also gut ein Jahr später, einen Vortrag von Marc W. über Meteoriten hörte. M. und W. sind Mitglieder im selben Verein für Hochbegabte, und W. hielt seinen Vortrag in seiner Eigenschaft als Meteoritensammler (Korrektur: mir wurde mitgeteilt, dass W. kein Mitglied des Vereins sei, sondern nur mit ihm “sympathisiere”). W., der sich bei solchen Vorträgen als „anerkannter Gutachter“ und „Mitarbeiter der Hamburger Sternwarte“ bezeichnen lässt, soll meist auch einige Exemplare seiner Sammlung dabei haben, und ab und an auch welche verkaufen. Bei diesem Vortrag, so W. später, sei seines Wissens aber kein Verkauf getätigt worden.

M. sprach W auf sein zersplittertes Glasdach an, auch wenn ihm die Möglichkeit eines Meteoritenfalls sehr unwahrscheinlich vorkam, so M. diesem Blogger gegenüber. W. habe sich sehr aufgeschlossen gezeigt und gleich einen Ortsbesuch zugesagt. Man könne ja mal gucken.

Der Besuch fand am 26.10.15 statt, M.und W. sind sich da einig. Gefunden wurde nichts. W. aber hielt die Wahrscheinlichkeit eines Meteoritenfalls offenbar für hoch genug, noch am selben Tag Kontakt zur „Bild-Zeitung“ aufzunehmen und Bilder des Glasdachs an eine Redakteurin dieser für ihre inhaltliche Korrektheit bekannten Boulevardzeitung zu schicken.

Am 02.11.15 wandte sich W. noch einmal an die „Bild“-Redakteurin. Er werde am Folgetag wieder an M.s Wohnung sein, „zur Entscheidung“. Wenn tatsächlich ein Meteorit gefunden würde, wäre das ein schließlich ein Highlight – noch nie hat es einen Meteoritenfund in der Hansestadt gegeben. Den Schriftverkehr mit der Redakteurin, der diesem Blogger vorliegt, bestätigte W. auf Anfrage: „Für den Fall eines Erfolges hatte ich Frau S. in Bereitschaft gehalten.“

Phantasievolle Leser könnten nun ahnen, wie es weitergeht.

Am 03.11.15 gegen Mittag fand W. tatsächlich einen „verdächtigen Stein“ in einem Beet vor der Wohnung des Herrn M. Um 12:10 Uhr habe er Frau S. angerufen, zehn Minuten später sei sie vor Ort gewesen, so berichtet W. auf Anfrage. Am 04.11. erschien folgerichtig ein Artikel in der Hamburger Ausgabe der „Bild-Zeitung“ mit dem Titel „Das Meteoritenrätsel vom Mittelweg“. Auch M. wird von W. informiert, per Email: Er habe etwas „sehr interessantes“ gefunden, genaueres müsse noch überprüft werden. Details habe W. noch keine nennen wollen (also M. gegenüber nicht).

Die erfuhr M., wiederum seiner eigenen Aussage nach, am nächsten Tag, dem 05.11., als er zur Mittagszeit zu seiner Wohnung kam. Zu seiner Überraschung traf er dort W. und ein Kamerateam des Privatsenders „Hamburg 1“ an. Jetzt erst will M. von dem „Fund“ zwei Tage zuvor erfahren haben, und auch dieser Blogger erfuhr kurz darauf zum ersten Mal davon, durch den dabei entstandenen Fernsehbericht.

Der angebliche Verursacher. Screenshot aus dem Video von Hamburg 1.
Der angebliche Verursacher. Screenshot aus dem Video von Hamburg 1.

Der Bericht hält sich mit Fakten zurück (etwa zur möglichen Fallzeit des Meteoriten – wir erinnern uns: das wären 13 Monate vor dem „Fund“ gewesen). Dafür ist der Stein (nunja, das Steinchen) gut zu erkennen. Er sieht tatsächlich sehr nach einem Meteoriten aus (anders als beispielsweise der Krümel der Essener Schulweggeschichte). Auch meine Wenigkeit hielt die Geschichte zu diesem Zeitpunkt für glaubhaft, wenngleich der Stein sehr klein ist. Aber vielleicht gab es ja mehrere Meteoriten bei diesem Fall, und ein anderer hat das Glasdach beschädigt?

Ohne weitere Informationen, v.a. zum Zeitpunkt des angeblichen Falls, konnten offene Fragen nicht geklärt werden. Aber es gibt ja das Forum der deutschen Meteoritensammler. Dort hatte W. selbst, am 07.11.15, über seinen Fund berichtet. Und jetzt wird die Geschichte interessant.

Nur acht Stunden nach W.s erstem Posting stellte eine aufmerksame Forenteilnehmerin eine interessante Frage: Könne es sein, dass der von W. präsentierte Meteorit einem Exemplar seiner eigenen Sammlung verdächtig ähnlich sieht? Genauer, einem Stück des berühmten Tscheljabinskmeteoriten, der im Februar 2013 über Russland niedergegangen war? Einem Stück, das W. selbst auf einer Tagung im Mai 2013 präsentiert hatte, und dessen Bild er im Internet veröffentlicht hat?

Der angeblich in Hamburg gefundene Meteorit hat nicht nur eine verdächtige Ähnlichkeit mit dem hier markierten Tscheljabinsk-Exemplar aus Herrn W.s eigener Sammlung (zumindest am 13. Juni 2014 befand er sich noch in W.s Besitz) - es ist derselbe Stein.
Der angeblich in Hamburg gefundene Meteorit hat nicht nur eine verdächtige Ähnlichkeit mit dem hier markierten Tscheljabinsk-Exemplar aus Herrn W.s eigener Sammlung (zumindest am 13. Juni 2014 befand er sich noch in W.s Besitz) – es ist derselbe Stein.

Um es kurz zu machen (wer es ausführlich mag, lese hier nach): Es ist derselbe Stein. Das gab auch W. nach kurzer Zeit zu.

Das führt natürlich zu einer interessanten Frage: Wie kommt ein Tscheljabinsk-Meteorit zweieinhalb Jahre nach seinem Fall über Russland über den Umweg eines Hamburger Sammlers in einen Hamburger Vorgarten, um dort von eben jenem Hamburger Sammler gefunden zu werden? Spontan fallen vier Erklärungsmöglichkeiten ein:

  • Der Meteorit geriet auf ungeklärte Weise erneut in den erdnahen Weltraum, fiel kurz vor dem 28.09.14 auf Hamburg (verglühte dabei nicht – physikalisch hochinteressant) verwitterte in 13 Monaten praktisch nicht (auch sehr interessant) und hatte das unglaubliche Glück, wieder bei seinem früheren Besitzer zu landen (eine Story für die Geschichtsbücher, dass W. sein Stück erst gar nicht wieder erkannte, gibt ihr einen geradezu tragischen Touch). Einen zugehörigen Meteoritenfall hat jedoch niemand bemerkt. Es gab jedenfalls keinen in Frage kommenden Feuerball, wie eine Anfrage beim Feuerkugelnetz des DLR schnell klärte.
  • M. hatte die glorreiche Idee, W. einen seiner Meteoriten abzukaufen, seine Dachglasscheibe zu zertrümmern, und dann W. seinen eigenen Meteoriten wieder finden zu lassen. Diese Version würde Fragen über M.s Geisteszustand aufwerfen wie die erste über die Physik. M. hat seiner Aussage nach aber nie einen Meteoriten von W. gekauft, und W. erinnert sich seiner Aussage nach nicht, wo und wann der fragliche Stein verkauft worden ist. Er sei aber verkauft worden, und habe sich vor dem Fund am 03.11.2015 nicht mehr in seinem Besitz befunden, sagt W.
  • W. sah nach M.s Erzählung von der Glasscheibe seine Chance auf Ruhm und platzierte seinen eigenen Stein vor M.s Wohnung, um ihn dann praktisch vor den Augen der „Bild-Zeitung“ zu finden, die er am Tag vorher „vorbereitet“ hatte. Ist W. allerdings der Experte, der er vorgibt zu sein, dass weiß er sicher, dass sein Stein erstens gut im Internet dokumentiert ist und damit wieder erkannt werden würde, dass ein Steinmeteorit zweitens nach einem Jahr bei Wind und Wetter erheblich verwittert, dass man drittens die Zeit nach dem Fall auf die Erde auf etwa ein halbes Jahr genau mittels Radioisotopanalyse eingrenzen kann und dass viertens ein Steinchen dieser Größe wohl kaum eine Scheibe zertrümmern kann. Als „Gutachter für Meteoriten“ kann sich allerdings jeder bezeichnen, und W. ist auch kein Mitarbeiter der Universitätseinrichtung Hamburger Sternwarte, sondern allenfalls Mitglied im Förderverein der Hamburger Sternwarte. Wie tiefgehend seine Kenntnisse von der Materie sind, kann ich nicht beurteilen. W. jedenfalls streitet ab, den Stein selbst platziert zu haben und kann seiner Aussage nach diesem Blogger nicht erklären, wie er in M.s Vorgarten kam.
  • Ein mysteriöser Dritter, nennen wir ihn „Mister X.“, hatte den teuflischen Plan, W. einen seiner Meteoriten abzukaufen, M.s Glasdach zu zertrümmern, den Stein im Blumenbeet zu verstecken, und dann darauf zu hoffen, dass M. W. anspricht, um ihn… ok, vielleicht auch nicht.

Ich weiß nicht, welche Version der Wahrheit entspricht, oder ob sich alles ganz anders abgespielt hat. Ich habe auch keine Erklärung für die zersprungene Glasscheibe. Ich überlasse es Ihnen, werter Leser, Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Einige der Meteoritensammler scheinen jedenfalls einen Favoriten unter den obigen vier Möglichkeiten zu haben, und wollen W. nun die Mitgliedschaft der International Meteorite Collectors Association entziehen.

Die Moral dieser Geschichte? Meteoriten bieten Stoff für die abenteuerlichsten Räuberpistolen, und was zuerst in der „Bild“ steht, fasst man am besten mit der sprichwörtlichen Kneifzange an. (Das wussten Sie jetzt aber, oder?)

Avatar-Foto

Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

5 Kommentare

  1. Sehr fein kompiliert. So erst tritt die ganze Räuberpistole wirklich plastisch vor Augen. Okay, wenn ich mich für eine der 4 Möglichkeiten entscheiden sollte, dann wären es eher weniger die Nummern 1, 2 und 4, bei allem Charme speziell von No.1. Vielleicht sollte man ja noch eine weitere Möglichkeit in Erwägung ziehen. Kleiner Metistein – > Beet! Sollte der Knirps am Ende unter fleißigem Gießen zu einer veritablen kosmischen Wuchtbrumme aufgepäppelt werden? Oder war eher an ein blühend gedeihendes Himmelssteingärtlein gedacht? Man weiß es nicht.

    Für die No. 3 jedenfalls müsste eine Mischung von Eitelkeit, naiver Dreistigkeit und Dummheit mit ungebunden vorhandener exorbitanter Hochintelligenz reagieren – ein hochbrisantes Gemisch, bei dem es früher oder später zum Knall kommen musste. Aus ethisch-ästhetischen Gründen möchte man hier eher abneigen. Ist aber schwierig.

    Im Ernst: Dank, Jan Hattenbach, für die schlüssige und klare Zusammenstellung. Diese sollte bei der Weiterverfolgung der bizarren Causa nicht zuletzt im Hinblick auf IMCA und ganz allgemein die Reputation des mutmaßlichen Eigensteinfinders ausgesprochen hilfreich sein; gerade auch im Hinblick auf hoffentlich folgende Klarstellung in den Medien.

    Anbauen im Beet

    • “auch im Hinblick auf hoffentlich folgende Klarstellung in den Medien.”

      Der “Bild”-Artikel ist bis heute (Stand 19.11.) unverändert abrufbar, der Hamburg-1-Beitrag offenbar nicht mehr (jedenfalls erscheint er nach längerem Laden bei mir nicht). Bei Hamburg 1 weiss man auch schon seit längerem um den Fake, auf Anfrage teilte man mir mit, dass es einen neuen Beitrag geben werde, der “alle offenen Fragen beantwortet”. Man darf gespannt sein.

  2. Ich glaube, Fakes sind hier nicht so weit weg, wie alle denken. Die Kommentarfunktion im hiesigen Mars-Simulationsblog von Frau Heinicke wird anscheinend zensiert! Nur genehme Kommentare werden dort durchgelassen um das dort beschriebene Vorhaben besser aussehen zu lassen. Sorry, dass ich das hier einstelle, doch die Leser sollten das wissen.

    • Kommentare, die nichts mit dem Thema zu tun haben, werden auch in diesem meinem Blog idR gelöscht. Nur als Hinweis, verbunden mit der Bitte, hier keine Nebenkriegsschauplätze aufzumachen.

  3. MilliesBilly´s Kommentar ist nicht nur amüsant zu lesen, wie vieles, was Matthias schreibt, sondern enthält jenseits des feinen Komikmantels beim Lesevergnügen einen zutiefst wahren Kern, der auch die Kategorie Tragik enthält, von daher gibt es den Verbundbegriff Tragikomik, den wir kennen. Unser gemeinsamer hamburger Thresenfreund Dittsche würde jetzt zu Alledem sagen “Man weiß das nich!”, aber selbst das hat Matthias mir schon vorweggenommen am Ende seines ersten Absatzes. 🙂

    Wer mehr nachlesen will, klicke sich ins deutsche Meteoritenforum, da wird das ganze Thema noch immer mehr oder weniger nachhaltig weiter abgewickelt. Der Link steht weiter oben im Blog von Jan H.

Schreibe einen Kommentar