E-ELT-Entscheidung: Spanien beleidigt?

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Diesen Eindruck bekam man jedenfalls beim Lesen einer Pressemeldung, die das IAC zwei Tage nach der ESO-Entscheidung zugunsten Chiles veröffentlichte. Die Kanareninsel La Palma hat ja bei dem Rennen um den Standort des 42-Meter-Teleskops den Kürzeren gezogen, und offenbar ist das in Spanien nicht besonders gut aufgenommen worden. So sah man sich von Seiten des IAC wohl genötigt, die besondere Himmelsqualität über den Kanareninseln eigens zu betonen.

So hält das IAC (Instituto de Astrofísica de Canarias) den Roque de los Muchachos auf La Palma nach wie vor für den geeignetsten Ort für die Installation des E-ELT (European Extremely Large Telescope). In einer Erklärung wird dies mit den besonders guten Beobachtungsbedingungen, der Stabilität der Atmosphäre und der Seltenheit von Erdbeben begründet. Gerade letzteres dürfte sich gegen das als Erdbebenherd bekannte südamerikanische Land richten, denn über exquisite atmosphärische Bedingungen verfügt die Atacamawüste ebenfalls. Doch wer den besseren Himmel hat, sei zweifelhaft, so das IAC: Die einzigen offen zugänglichen Daten über die Qualität des Himmels über dem Cerro Armazones stammten von amerikanischen Studien, die die Möglichkeit einer Installation des Thirty Meter Telescope (TMT), eines ebenfalls geplanten Großteleskops auf diesem Berg untersucht hatten. Die Amerikaner entschieden sich indes für Hawaii als Standort für das TMT.

Dann findet man noch diesen Satz, der ein wenig verwundern lässt:

Moreover, it [the IAC] will not allow the Canaries’ famed reputation as a top quality location for astronomy to be damaged by this selection process. Darüber hinaus wird [das IAC] nicht zulassen, dass die Reputation der Kanaren als Top-Standort für die Astronomie durch diesen Auswahlprozess Schaden nimmt.

Da fragt man sich doch: Ist das denn geschehen? Hat die Entscheidung der ESO den Standort Kanaren beschädigt? Ich halte diese Annahme für völlig überzogen. Ebenso, wie die Behauptung, es gäbe zu wenig Daten, die die Entscheidung pro Cerro Armazones stützen würden, einfach falsch ist. Nicht erwähnt wird schließlich, dass nur 20 Kilometer von dem jetzt gewählten Berg entfernt seit Jahren das bisherige Prunkstück europäischer Astronomen arbeitet – das Very Large Telescope auf dem Cerro Paranal. Und dieser Standort ist seit rund 20 Jahren meteorologisch bekannt. Es ist schwer vorstellbar, dass die ESO, die seit den 1960er Jahren mit den Verhältnissen in der Atacamawüste vertraut ist, nun eine schlampige Standortwahl treffen würde. Nichts anderes unterstellt die Erklärung des IAC. 

Für die ESO steht außer Zweifel, dass die Atacamawüste in astronomisch relevanten Aspekten der Kanareninsel La Palma überlegen ist. Doch die Zahl der wolkenfreien Nächte sei nicht alles, so das IAC. Ob die "leicht höhere" Zahl an bewölkten Nächte auf dem Roque de los Muchachos tatsächlich durch die "besseren atmosphärischen Bedingungen zum Betrieb adaptiver Optik ausgeglichen" werden, kann ich nicht beurteilen. Die Entscheidung der Amerikaner, das TMT auf Hawaii zu bauen, hatte aber sicher auch mit der gerechten globalen Verteilung der neuen Riesenteleskope auf Nord- und Südhemisphäre zu tun: Nachdem das ebenfalls US-amerikanische Giant Magellan Telescopes ebenfalls in Chile gebaut wird, und das TMT nun auf der Nordhalbkugel, ist die Entscheidung der ESO nur folgerichtig. Immerhin heißt diese Organisation ja immer noch European Southern Observatory.

Noch ein Zitat aus der Presseerklärung sei angefügt:

Siting the E-ELT at ORM would not only enable the telescope to operate to its full capacity, it would also simplify its design and lower the construction and operation costs. Das E-ELT auf dem ORM [auf La Palma] zu bauen, würde seine volle Einsatzfähigkeit garantieren, sein Design vereinfachen und die Konstruktionskosten verringern. 

Sicher – noch einfacher und billiger wäre es, das Teleskop gleich bei Madrid zu bauen. Das macht aber nicht viel Sinn (und war jetzt ein wenig überspitzt von mir). Was ich damit sagen will: Die Konstruktionskosten sind nicht alles – sie müssen gegen den zu erwartenden Nutzen abgewogen werden, und der ist am bestmöglichen Standort eben am höchsten. Dass das Teleskop in Chile nicht mit seiner vollen Kapazität wird arbeiten können ist aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrung der ESO mit Chile, seinen Regierungen und geographischen Verhältnissen, ebenfalls unwahrscheinlich. Die Erdbebenwahrscheinlichkeit, auf die sie das IAC hier bezieht, ist der ESO sicher nicht unbekannt.

Die Presseeklärung des IAC ist eigentlich nur zu verstehen, wenn man sie als Rechtfertigung an die heimische Öffentlichkeit sieht. In Spanien wurde die ESO-Entscheidung offenbar nicht gut aufgenommen. Substantielle Argumente aber enthält sie keine, und auch zeitlich kommt sie zu spät – dass die Entscheidung der ESO genau so ausfallen würde, war seit der eindeutigen Empfehlung der für die Standortsuche beauftragten Abteilung im März abzusehen. Aber eines zeigt die Erklärung auch, und das ist irgendwie auch positiv: Astronomische Forschung wird auch in der Öffentlichkeit und von staatlicher Seite als wichtig wahrgenommen, Großteleskope sind prestigeträchtig. Ein gesunder Konkurrenzkampf kann da nur von Nutzen sein. Dass Spanien 300 Millionen Euro Unterstützung für das E-ELT versprochen hat, sollte es auf La Palma errichtet werden, ist in diesem Zusammenhang sehr löblich. Wobei man sich in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage des Landes vielleicht nicht allzusehr auf derartige Zusagen verlassen sollte.  

Zum Abschluss noch ein wenig ESO-"Propaganda". Ich habe nicht den Eindruck, dass hier Amateure am Werk sind (auch wenn manche der verwendeten Instrumente auch von ebensolchen eingesetzt werden…):

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Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

2 Kommentare

  1. Erdbeben – Vulkanismus auf La Palma

    Um nur mal eine Aussage des IAC näher anzuschauen:

    “(…) In einer Erklärung wird dies mit den (…) und der Seltenheit von Erdbeben begründet. (…)”

    Das ist eine lustige Aussage, weil die Kanarischen Inseln vulkanischen Ursprungs sind – und mit einem Alter von 20 bis 2 Millionen Jahren geologisch sehr jung. Und der jüngste Vulkanismus der Kanarischen Inseln ist auf La Palma zu finden, wo bei der bislang letzten Eruption im Süden der Insel zwischen dem 26.10. und dem 28.11.1971 der Volcán Teneguía entstand. Davor brach 1949 der Volcán San Juan aus. Also rezenter Vulkanismus wie aus dem Lehrbuch. Als Dreingabe findet sich südlich der Insel ein ganzes Feld akltiver unterseeischer Vulkane.

    Die Aussage des IAC, Erdbeben seien auf La Palma selten, zielt daher ins Leere. 🙂

  2. Kanarische Befindlichkeiten

    Wie die Lage in den spanischen Medien und unter Politikern gesehen wurde, kann man in etlichen Artikeln in diesem deutschsprachigen La-Palma-Blog erfahren – bis hin zu Verschwörungstheorien. Die Argumente – weniger Erdbebengefahr, Saharastaub unbedenklich etc. – hatte Spanien schon lange in die Waagschale geworfen, u.a. in einem Offenen Brief in Nature, und überdies enorme finanzielle Eigenleistungen (300 Mio. Euro!) angeboten.

    Umgekehrt hat mir eine niederländische IR-Astronomin erzählt, dass La Palma aus deren Sicht dramatisch schlechter gewesen wäre (wobei sie einen entsprechenden Artikel in ihrem Blog später wieder löschte – noch mehr Politik – aber weiter zum Inhalt steht …) und nun alle aufgeatment hätten. Das hatte ich auch in diesem Artikel angerissen. Bei der entscheidenden Sitzung des ESO Council wäre ich gerne “Fliege an der Wand” gewesen …

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