Das große Gähnen

BLOG: Himmelslichter

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Himmelslichter

"The great Pluto debate continues" – so lautet ein Artikel auf Astronomy Now Online vom 13. August. Gemeint ist die IAU-Entscheidung vom August 2006, Pluto fortan als "Kleinplaneten" zu bezeichnen. Gibt es überhaupt eine solche "Große Debatte"? Und wenn ja, worum geht es dabei eigentlich?
 
Auf einer Konferenz namens Great Planet Debate: Science as a Process in Maryland, USA, diskutierten vergangene Woche Astronomen über die Entscheidung der Internationalen Astronomischen Union (IAU) aus dem Jahr 2006, Pluto wie auch einer Reihe weiterer Felsbrocken im äußeren Sonnensystem den Status eines "Kleinplaneten" anstelle eines "Planeten" einzuräumen.

Mark Sykes, Direktor des Planetary Science Institute (PSI) meint, die IAU habe dem Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit durch die Aufoktroyierung des Begriffs Kleinplanet geschadet. Wissenschaft werde zu oft durch Autoritäten präsentiert und diktiert – das Verfahren in Prag 2006 verstärke diesen Eindruck und widerspräche dem offenen, dynamischen Wesen des Forschungsprozesses:

The IAU damaged the public perception of science by the high-profile spectacle of imposing, by vote, a controversial definition of a commonly used term. Too often, science is presented as lists of facts to be learned from authority, instead of the dynamic open-ended process that it really is. The IAU reinforced this misconception of science.

Nur: Bei der IAU-Entscheidung ging es nicht um die Entscheidung über wissenschaftliche Wahrheit. Es ging überhaupt nicht um Wissenschaft. Sondern um die allgemein verbindliche Definition eines Begriffs: Um einen Namen. Die Aufregung darüber ist ebenso aufgebläht wie jene über die Rechtschreibreform. Ob man Delfin mit  f oder ph schreibt, Delfin bleibt Delphin. (Der Vergleich hinkt: Die IAU hat immerhin abgestimmt, die Rechtschreibreform wurde "von oben herab" diktiert.) Heute kann doch ohnehin jeder schreiben, wie er will und tut es auch – und kann von mir aus auch Pluto einen Planeten nennen, wenn es denn sein muss. Nur Konferenzen braucht man darüber aber nicht unbedingt abhalten.

Pluto ist, was er ist: ein Felsbrocken auf einer Sonnenumlaufbahn. Über seine Masse, Größe oder chemische Zusammensetzung wurde nicht abgestimmt. Das wäre auch absurd – so wie Sykes Vorwurf der wissenschaftlichen Imageschädigung durch die IAU. Die "Great Debate" scheint mir so auch ein US-amerikanisches Phänomen zu sein, dessen Hintergrund eher in einem verletzten Nationalstolz zu suchen ist als in einer echten Besorgnis um das Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit.

Die erneute Diskussion der Kriterien, auf deren Grundlage die Entscheidung 2006 fiel, scheint mir vorgeschoben. Geht es vielleicht um etwas anderes? Mit der Entdeckung von Eris und Makemake wären die USA führend bei der Planetenentdeckung gewesen. Pluto wurde 1930 von Clyde Tombaugh aus Kansas gefunden, die übrigen Planeten jedoch leider nur von Deutschen, Engländern und Franzosen. (Uranus 1781 mehr zufällig von William Herschel in England, Neptun 1846 in einer internationalen Koproduktion nach Rechnungen von Urbain Le Verrier und John Adams durch Heinrich Louis d’Arrest und Johann Gottfried Galle in Berlin.)

Sykes favorisiert das 13-Planeten-Modell aus Merkur, Venus, Erde, Mars, Ceres, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto, Charon, Eris, und Makemake. Die Bilanz der (neuzeitlich) entdeckten Planeten sähe dann so aus: 1. Platz: USA (4), vor Großbritannien, Italien und Frankreich mit je einem Planeten. Galle überließ die Ehre des Titels "Entdecker des Neptun" Le Verrier wegen seiner Rechnungen, durch die die Entdeckung erst möglich wurde. Das zeigt einmal mehr: Forschung ist kein Wettstreit zwischen Nationen, das wäre auch albern. Es ist ein Abenteuer der gesamten und für die ganze Menschheit.

Die Aufregung, die laut Sykes auch zwei Jahre nach der IAU-Entscheidung noch vorhanden sein soll, gibt es nicht. Sie wird nur künstlich am Leben erhalten, und mir geht dieses Thema ein bisschen auf die Nerven. Liebe Astronomen, kümmert euch doch um wirklich interessante Fragestellungen! Ob die (bereits gestartete) Plutosonde New Horizons einen Planeten oder Kleinplaneten besucht, spielt aus wissenschaftlicher Sicht keine Rolle. Wenn es politische Gründe gibt, dann nennt sie beim Namen. "No doubt the ‘what makes a planet a planet’ debate will begin all over again", so schließt der Artikel. Das mag für die USA stimmen. Der Rest der Welt sagt dazu: Das große Gähnen continues…

Jan Hattenbach

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Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

10 Kommentare

  1. Kleinplanet?

    Die Definition der IAU ist schon ein wenig hirnrissig. Was ist denn ein “Kleinplanet”? Nach meinem Sprachverständnis: ein kleiner Planet. Also ein Planet.

  2. Imagepflege?

    Der Begriff “Great Debate” wurde in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geprägt. Damals bezeichnete er allerdings eine in wirklich bemerkenswerte und wichtige wissenschaftliche Debatte, nämlich die, ob es sich bei Galaxien um Objekte innerhalb der Milchstraße oder um Objekte wie die Milchstraße in großer Entfernung handelte.

    Im ersteren Fall hätte die Milchstraße das Universum ausgefüllt. Im zweiten Fall – diese Theorie setzte sich durch – wäre die Milchstraße nur eine unter vielen Galaxien im Universum. Die hat natürlich wesentliche Auswirkungen auf unsere Vorstellung von der eigenen Wichtigkeit., aber auch auf die Astronomie, Kosmologie und die Funamente der Physik.

    Jene “Great Debate” verdiente ohne Zweifel diese Bezeichnung, die jetzige Debatte ist, da stimme ich Jan Hattenbach zu, absurd. Sie wäre schon absurd, wenn nicht auch noch, sozusagen als Krönung, auch noch ein albernes nationales Argument draufgesetzt würde, was in der heutigen Wissenschaftswelt einfach keinen Platz mehr hat.

    Unter den interessantesten Körper im Sonnensystem sind solche die weder jetzt noch jemals zuvor Planeten waren, nämlich Europa, ein Jupitermond, unter dessen Eispanzer man einen flüssigen Wasser-Ozean vermutet, Titan, ein Saturnmond mit Kryovulkanismus, einer dichten Atmosphäre, angereichert mit organischen Molekülen und einem Wettergeschehen.

    Die NASA-Raumsonde Voyager 1 wurde 1980 nur 4000 km an Titan vorbeigelenkt, um die Atmosphäre dieses Mondes unter die Lupe zu nehmen. Hätte man dies nicht gemacht, so hätte der Saturnswingby so ausgelegt werden können, dass die Sonde auch einen nahen Vorbeiflug an Pluto absolvieren können. Man stand vor der Wahl “Titan oder Pluto” und man wählte Titan, wohl wissend, dass die nächste Gelegenheit zu einer Pluto-Mission in der unbestimmten Zukunft liegen würde.

    Wenn etwas schädlich für das Image von Astronomen und Planetologen in der Öffentlichkeit sein, dann dieser kleinliche Hick-Hack um eine so oder so zwangsläufig immer arbiträre Definition.

  3. 2006 SQ372 und Sedna

    Auch wegen der Entdeckung von 2006 SQ372 als Objekt, ähnlich wie Sedna kann sich eine Kommission bilden, um daraus eine neue Klasse zu definieren.
    Aber muss das den sein?
    Das Sonnensystem und exasolare Systeme halten mit sicherheit noch viele Überraschungen bereit, die sich nicht unbedingt in eine “Klasse” zwängen lassen.
    Die Möglichkeiten und Erscheinugnen aller möglichen Objekte sind fließend und chaotisch.
    Somit spiegeln alle “Einordnungen” von welchem Komitee auch immer, nur zu diesem Zeitpunkt einigermaßen passende, subjektive Empfindungen wieder.
    Das hat nichts mit Wissenschaftlichkeit zu tun und somit kaum etwas mit Wissenschaftsjournalismus.

  4. Blick in die Geschichte

    Der 1801 entdeckte Asteroid Ceres galt auch ca. 50 Jahre lang als Planet, bis dann ab ca. 1850 immer mehr Kleinkörper auf einer ähnlichen Umlaufbahn entdeckt wurden. Neptun galt bei seiner Entdeckung als der 13. und nicht achte Planet. Wer weiß das heute noch ? Die Pluto-“Debatte” wird bald auch schon genauso der Vergessenheit anheim fallen.
    Bis vor ein paar Tagen konnte man übrigens auf dieser: http://ssd.jpl.nasa.gov/?body_count
    Website der Nasa auch noch lesen: “9 Planets”, bis ich denen mal eine Mail geschickt habe und die es korrigiert haben. Den Amerikanern scheint der Abschied vom Planeten Pluto offenbar schwer zu fallen.

  5. Das große Gähnen

    Das große Gähnen continues …

    Ich kann da nur zustimmen, systemisch betrachtet allerdings auch hier: Wie wäre es, dieses “Gähnthema” einfach nicht weiter zu verfolgen? Ist es nicht so, dass jeder Kommentar dazu ein unsinniges Thema, – geprägt durch persönliche Befindlichkeiten – am Leben erhält?

    Dieser Kommentar von mir damit allerdings auch … systemisch gedacht. Auch ich bin damit nun natürlich Teil einer m. E. unsinnigen Debatte geworden. Ist das meine persönliche Ambivalenz? Es ist schon recht kompliziert, das Ganze … systemisch betrachtet.

    Ich bin also im Grunde der Meinung des Autors. Ich glaube aber, dass eben dieser – wie auch ich !!! – in gewisser und imho relevanter Weise das genaue Gegenteil davon tut, was er meint. Und das macht für mich das “eigentliche” Thema aus, welches wiederum implizit auch thematisiert ist von Jan Hattenbach.

    Falls das Gesagte nun auch etwas komisch klingen mag: Ich bin durchaus auf der Seite von Jan Hattenbach, ich denke hiermit nur ein wenig quer.

    lg
    Richard Giedrys

  6. Lesen und gähnen….

    Hallo Richard,

    in gewissem Sinne hast du natürlich Recht. Aber trotz meines Titels (der vielleicht etwas unglücklich gewählt ist, im Nachhinein betrachtet) finde ich es ganz gut, auf diese lächerliche “Große Debatte” mal einzugehen.

    Ich habe den Text auch klammheimlich in eine ebenso klammheimlich eingeführte neue Rubrik eingeordnet: Die Streulichter. In Anlehnung einer schon lange verstorbenen Glosse der von mir immer noch hochgeschätzten Zeitschrift Interstellarum will ich hier Themen reinpacken, die in irgendeiner Form interessant, aber nicht wirklich wichtig, unter Umständen sogar richtig ärgerlich oder auch lustig sind. In diesem Fall fand ich es mal an der Zeit, die “Plutodebatte” als das zu nennen, was sie ist: lauwarme Luft.

    Der beste Weg, eine Debatte, die man für überflüssig hält zu ignorieren ist, gar nicht erst zu lesen. Aber trotzdem danke fürs Lesen und Kommentieren 😉

    Gruß,

    Jan

  7. Sorry

    Hallo Jan,

    vielen Dank für die prompte Reaktion, mit der ich nicht gerechnet habe. Damit aber sehe ich, dass Du die Dinge im Zusammenhang ebenso ernst und zugleich locker nimmst, wie ich. Ich wollte Deinen Beitrag damit auch nicht verunglimpfen, sondern – kommt vielleicht nicht so richtig rüber – schätze ihn inhaltlich sehr. Ich habe einfach während des Lesens einen Eindruck gewonnen, auch für mich selbst, für mein Vorgehen.

    Spannend an solchen Dingen finde ich den Diskurs über den Gesamtzusammenhang und das eigene Tun.

    Dank Deiner Reaktion, beginne ich wieder Spaß an den Dingen zu finden. Nimm mir meinen Eintrag also bitte nicht krumm, ich bin den Diskurs gewohnt (ganz unärgerlich ;-), und kann noch immer sehr vieles lernen.

    lg
    Richard

  8. Blasphemie

    “Es begann damit, dass die Amerikaner keinen Planeten hatten”, fasste vor vielen Jahren schon, als Pluto noch der 9. Planet war, es jedoch nur noch eine Frage der Zeit war, bis man etwas größeres finden würde, meine Freundin Monika die Sache zusammen. Und man fand etwas größeres.

    Mein geschätzter Kollege Eugen Reichl hat nach der “Degradierung” Plutos einen äußerst unsachlichen Beitrag geschrieben – http://www.der-orion.com/071103.html – und vor noch längerer Zeit, als Eris noch Xena hieß, einen noch viel unsachlicheren Beitrag über Planetenforscher – http://www.der-orion.com/070710.html Besser nicht lesen, sehr polemisch bis blasphemisch. Nein sorry, es ist richtig böse.

  9. Herr Hattenbach, dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

    Die Amerikaner sollten ihre Armeen an Psychologen mindestens verdoppeln, denn sie leiden offensichtlich so ziemlich alle an echte Profilneurosen.

  10. rensheng

    in gewissem Sinne hast du natürlich Recht. Aber trotz meines Titels (der vielleicht etwas unglücklich gewählt ist, im Nachhinein betrachtet) finde ich es ganz gut, auf diese lächerliche “Große Debatte” mal einzugehen.

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